Verband & Tagung - VERBÄNDEREPORT 6 / 2019

„Als Berufsverband ist man Heimat“

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Interview-Reihe Verbändereport und tw tagungswirtschaft

Jürgen Block, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland e. V. (bcsd), über Regionalität und Diversität, Solidarität mit Chemnitz, Bürger und Gäste, die sich wohlfühlen, und den Erinnerungswert von Tagungen.

Autor: Kerstin Wünsch


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Verbändereport: „Sehnsucht nach Hier. Stadtmarketing zwischen Regionalität und Diversität“, so titelt der Deutsche Stadtmarketingtag 2019. Wieso dieses Thema?
Jürgen Block: Dafür gibt es viele gute Gründe, aber die beiden bestimmenden sind zum einen die Konjunktur, die das Thema und der Begriff „Heimat“ aktuell erfahren, und da geht es vor allem darum, es nicht den „Falschen“ zu überlassen. Zum anderen haben unsere Mitglieder seit Beginn des Stadtmarketings den Arbeitsbereich identitätsstiftende Maßnahmen zum wichtigsten Ziel ihrer Arbeit bestimmt.

VR: Als Tagungsort haben Sie Chemnitz gewählt. Die inoffizielle „Stadt der Brüche“ ist letztes Jahr mit Ausschreitungen Rechtsradikaler in die Schlagzeilen geraten. Haben Sie daraufhin die Wahl für Ihre Jahreskonferenz vom 17. bis 19. März 2019 überdacht?
Nein, das war nicht einmal hinter vorgehaltener Hand ein Thema. Im Gegenteil wir haben sehr viel Zustimmung zum Tagungsort erfahren und wurden öfter gefragt, ob wir „bewusst“ Chemnitz vorgesehen haben. Auch das hatten wir nicht, da solche Planungen ja viel länger im Voraus angelegt sind. Es hat uns aber sehr gefreut, dass wir so der Stadt Chemnitz und den Kollegen vor Ort, die eine tolle und wertvolle Arbeit leisten, eine Solidaritäts- und Unterstützungsadresse aus ganz Deutschland überbringen konnten.

VR: In Chemnitz hat sich die Identitätsfrage in der Stadt drastisch und schockierend öffentlich gestellt. Was können andere Städte daraus lernen?
Dass ein dauerhaftes, gut aufgestelltes und richtig verstandenes Stadtmarketing in erster Linie den Bürgern und der städtischen Zivilgesellschaft dient. Beteiligung, Kommunikation und gemeinsames Gestalten stärkt und prägt die Stadtgesellschaft – macht sie stark gegenüber den Rändern und auch gegenüber den Folgen von externen Ereignissen, die nicht vorherzusehen sind.

VR: Heimat und Vielfalt – wie gehört das zusammen?
Solidarität und Gemeinsinn bedürfen immer wieder auch einer Erneuerung und einer Entwicklung. Vielfalt bringt Impulse und damit Dynamik und ermöglicht so zusammen mit dem Bestehenden erst Innovationskraft. Geschlossene Gesellschaften hingegen verkrusten schnell, werden langweilig und verblöden über kurz oder lang.

VR: Heimat, ein vergessen geglaubter Begriff. Was bedeutet er in einer digitalisierten, spezialisierten und von Migration geprägten Gesellschaft für Städte als Gastgeber von (internationalen) Veranstaltungen?
Gesellschaften werden genauso wie Menschen von vielen Dingen geprägt, Migration ist in diesem Sinne „nur“ ein Einfluss – gelebte Gastfreundschaft und Mitteilsamkeit sollten weitere sein. Eine Stadt sollte also ihre besten Charaktereigenschaften bemühen und stolz darauf verweisen, was sie daraus Besonderes gemacht hat, und jede Stadt ist besonders! Dass die Präsentation des Besonderen auch in Form und Funktion vollendet ist, muss der Anspruch sein. Wo sich Bürger wohlfühlen, fühlen sich auch Gäste wohl und umgekehrt.

VR: Versuchen Sie in Ihrem Verband oder auf Ihren Veranstaltungen ein Gefühl von Heimat zu erzeugen?
Als Berufsverband ist man per Definition Heimat. Soziale Begegnungen, Kontaktnetzwerke, Erfahrungsaustausch zu fördern, damit wir eine gute Heimat bieten, ist auch unser Ziel. Und egal wie gut unsere Referenten vortragen, welche innovativen oder erfolgreichen Ansätze präsentiert werden oder wie aktuell das Thema sein mag: Der Erinnerungswert der Tagungen hängt von „weichen“ Faktoren – vom Drum und Dran – ab: Wen habe ich getroffenen, welche Orte habe ich neu kennengelernt und wie lange haben wir getanzt?

VR: Wie viele Veranstaltungen führen Sie im Jahr durch? Und ist diese Zahl steigend, gleichbleibend oder sinkend?
Wir führen im Frühjahr den Deutschen Stadtmarketingtag und im Herbst die Deutsche Stadtmarketingbörse als einzige nationale Tagungen für den Bereich Stadtmarketing durch. Darüber hinaus gibt es neben unserem Seminarprogramm viele regionale Tagungen, an denen wir teilweise ebenfalls beteiligt sind. Insgesamt nimmt die Anzahl der Veranstaltungen in der Szene und bei benachbarten Disziplinen somit eher zu und „freie“ Termine werden immer knapper.

VR: Was sind die größten zwei Herausforderungen für Ihre Konferenzen und Events?
Es gilt Sorge dafür zu tragen, dass wir die Stadtmarketingszene nicht durch zu viele Veranstaltungen überfordern. Sich gegen eine Veranstaltung entscheiden zu müssen, kann auch wehtun und Frust erzeugen. Stadtmarketing beschäftigt sich ganzheitlich mit der Entwicklung der Stadt und ihrer Gesellschaft. Das bedeutet auch, dass wir in den Austausch mit anderen Berufsgruppen und Akteuren treten wollen, die ebenfalls eine Perspektive auf die Stadt mitbringen. Bei den Referenten klappt das hervorragend, aber ehrlicherweise ist der kooperative Ansatz, den wir in den Städten bei unserer Arbeit einfordern und leben, auf der Verbands- und Teilnehmerebene noch stark ausbaubar bzw. kaum gelebt. Die zweite Herausforderung ist, dass wir jedes Mal in einer anderen Stadt, in einer anderen Lokation und mit anderen lokalen Partnern zusammenarbeiten. Der Vorteil ist, es ist nirgends gleich und der Nachteil ist, es ist nirgends gleich.

VR: Welche drei Mindestanforderungen stellen Sie an Städte und Stätten für Ihre Veranstaltungen?
Erstens motivierte Mitgliedsorganisationen, die bereit sind sich für uns vor Ort ein Bein auszureißen. Zweitens Partner, die bereit sind, sich für uns an ihre finanzielle Schmerzgrenze zu bewegen und drittens es trotzdem genießen, uns als Gastgeber ein Stück temporäre Heimat zu geben.

VR: Hat die Stadthalle Chemnitz Ihre Erwartungen als Veranstaltungshaus erfüllt?
Da wir drei Tage in einer Stadt unterwegs sind und uns somit einen selten intensiven Einblick gönnen, ist es besonders wichtig, die eigentliche Tagung so professionell und gleichzeitig sympathisch wie möglich durchzuführen. Unsere hohen Erwartungen wurden in der Chemnitzer Stadthalle bei der gesamten Planungsorganisation vorab und vor Ort in allen Bereichen übertroffen.

VR: Inwiefern haben Sie während des Deutschen Stadtmarketingtages 2019 neue Technologien und interaktive Tagungsformate eingesetzt?
Wir versuchen immer wieder ein wenig unsere Tagungsformate zu entwickeln, ohne unseren Markenkern preiszugeben: Orientierungswissen für ein ausgewähltes Stadtthema vorzugeben, dieses aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und innovative Handlungsansätze zu präsentieren. Neue Technologien müssen also einen echten Mehrwert bieten und in unsere Philosophie passen. Sie dürfen nicht nur „neu“ oder „Spielerei“ sein, die eher vom Kern ablenken. Wir haben dieses Mal z. B. mit Themen- und Tagungstrailern als Einstieg in die einzelnen Tagungsabschnitte gearbeitet.

VR: Ihr Programm hat die Exkursion „Chemnitz auf dem Weg zur Kulturhauptstadt“ vorgesehen. Was meinen Sie: Wie stehen die Chancen für Chemnitz 2025?
Auch wenn es abgedroschen klingen mag: Der Weg ist das Ziel! Jede Stadt, die gut gerüstet dem Wegweiser Heimat, Kultur und Vielfalt folgt und somit die Stadtgesellschaft stärkt und entwickelt, hat schon gewonnen. Am Ende gibt es nur einen „Titelträger“ – ich würde es mindestens allen unseren Mitgliedsstädten gönnen!

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