Insbesondere für kleine Verbände ohne eigenes juristisches Personal ist die jährliche Mitgliederversammlung eine große Herausforderung. Der Vorstand muss seine Arbeit erläutern und das kommende Jahr vorbereiten. Gleichzeitig muss er Gemeinsamkeiten verstärken und Gegensätze überbrücken, um Beschlüsse für die Zukunft des Vereins herbeizuführen. Dabei kommt es nur zum Teil auf die individuellen kommunikativen Fähigkeiten der Vorstandsmitglieder an; vor allem wird der Ablauf durch sinnvolle Verfahren hergestellt. Aus der Rolle des Vorstands ergibt sich, dass möglichst viele Ablauf-Entscheidungen durch die Mitgliederversammlung getroffen, und nicht vom Vorstand vorgegeben werden sollten. Dabei spielt der Geschäftsordnungsantrag eine wichtige Rolle.
Vereine als kommunikatives Zweckbündnis
Verbände und Vereine sind vor allem eines: Soziale Organisationen zur Erreichung des in der Satzung niedergelegten Zwecks. Das bedeutet: Alle im Verein organisierten Mitglieder verfolgen ein bestimmtes und schriftlich niedergelegtes Ziel – auch wenn die Vorstellungen darüber zwischen den Mitgliedern weit auseinander gehen können.
Aus diesem Befund ergeben sich für den Vorstand von Verbänden bei der Vorbereitung der Mitgliederversammlung zwei zentrale Aufgaben: Erstens muss er für den Zusammenhalt der Organisation sorgen. Und zweitens ist er der personifizierte gemeinsame Zweck des Verbands – und die Aufgabe besteht in erster Linie darin, die unterschiedlichen Meinungen der Verbandsmitglieder in einzelnen Sachfragen soweit abzustimmen, dass eine gemeinsame Haltung zustande kommt.
Dabei spielt es eine nur untergeordnete Rolle, ob es sich bei dem Verband um einen Institutionen- oder Personenverband handelt, auch wenn in den unterschiedlichen Typen sicherlich unterschiedliche Gewichtungen der Interessen eine Rolle spielen. Gleichzeitig kann es keine Garantie für den Erfolg einer Versammlung geben – auch wenn durch geeignete Kommunikation bestimmte typische Schwierigkeiten recht einfach vermieden werden können. Die richtige Kommunikation wird in erster Linie durch geeignete Verfahren hergestellt. Der Schlüssel zum Erfolg lautet in jedem Fall: Je sorgfältiger die Vorbereitung, desto größer die Chance auf Einigung.
Verfahrensregeln bei Mitgliederversammlungen
Die gesetzlichen Grundlagen für Mitgliederversammlungen von Vereinen sind recht übersichtlich – das Vereinsrecht findet sich im Wesentlichen in den §§ 21 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Die hier enthaltenen Vorschriften gründen den Verein als handlungsfähige juristische Person und sollen vor allem die Verbindlichkeit der Beschlüsse und eine gewisse Dauerhaftigkeit des Vereins sicherstellen; daher rührt die Pflicht auf Eintragung und die Vorlage der Protokolle der Mitgliederversammlung beim zuständigen Gericht.
Viel wichtiger für den Betrieb des Vereins ist die Satzung. Daraus ergibt sich der genaue Zweck des Vereins und solch essenzielle Fragen wie die Zahl der Vorstandsmitglieder, die Wahlperioden, die Mehrheitsbestimmungen etc.
Für den Ablauf der Mitgliederversammlung selbst gibt es eine Sitzungsordnung – auch wenn diese nicht immer geschrieben vorliegt und sich aus der Natur der Sache selbst ergibt. Soweit sich in der Satzung nichts findet, prägt das Mitgliedschaftsverhältnis des Mitglieds im Verein die Grundsätze für den Ablauf – dabei sollen die Rechte des Mitglieds mit der Funktionsfähigkeit der Versammlung in Einklang gebracht werden. Dies hat beispielsweise folgende Konsequenzen:
- Unter „Verschiedenes“ dürfen keine Sachbeschlüsse gefasst werden,
- Anspruch auf geheime Abstimmung, wenn nur ein Mitglied dies verlangt,
- Anspruch auf Führung einer Rednerliste (damit jeder, der sich meldet, zum Zuge kommt),
- Bestimmung des Versammlungsleiters durch die Versammlung,
- Mehrheitsprinzip,
- Vorrang von Geschäftsordnungsanträgen (Verfahrensanträgen) vor Sachanträgen,
- Beschränkung bei der Diskussion von Ver-fahrensanträgen auf Verfahrensfragen,
- Befugnis der Versammlung, über Tagesordnungspunkte nicht abzustimmen bzw. sie abzusetzen.
Natürlich kann sich die Versammlung auch eine geschriebene Geschäftsordnung geben (welche wiederum einer Ermächtigung in der Satzung bedarf, wenn Mitgliedsrechte über das allgemeine Maß hinaus eingeschränkt werden sollen). Ob das notwendig ist, hängt vor allem von der Problemlage im jeweiligen Verein ab.
Der Geschäftsordnungsantrag (GO-Anträge)
Für das Verfahren bei GO-Anträgen hat sich im Laufe der Zeit eine allgemeine Übung herausgebildet. Es ist die Aufgabe des Vorstands, „Geschäftsordnungsschlachten“ zu verhindern. Denn GO-Anträge können Verfahren behindern – und sind richtig eingesetzt ein wunderbares Mittel sie zu beschleunigen. Das setzt neben einer gewissen Disziplin voraus, dass alle Beteiligten über den Ablauf des Verfahrens informiert sind. Es empfiehlt sich dazu, ein eigenes Formblatt auszuteilen .
GO-Anträge dienen dazu, sich schnell einen Überblick über die Stimmung im Raum zu verschaffen. Im optimalen Fall dauert die Abstimmung eines solchen Antrags weniger als 20 Sekunden.
Sitzungsleitung
Die Sitzungsleitung wird von der Versammlung gewählt. Dabei ist es sinnvoll, wenn ein neutraler Dritter auf Vorschlag des Vorstands zum Sitzungsleiter bestimmt wird. Der Vorstand kann seine Argumentationsmacht besser nutzen, wenn er nicht gleichzeitig die Versammlungsleitung innehat; sonst kann es zur Verquickung von prozessualer und inhaltlich-argumentativer Befugnis kommen.
Rede, Stimm- und Antragsrecht
Bereits im Vorfeld der Versammlung muss geklärt werden, wer das Rede- und/oder Stimmrecht besitzt. Damit lassen sich mühsame Klärungen während der Sitzung vermeiden.
Anträge
Anträge sollten bereits vor der Versammlung schriftlich eingereicht werden. Dazu muss der Vorstand eine Antragsfrist bestimmen, üblich sind 14 Tage vor der Versammlung. Der Termin sollte rechtzeitig mitgeteilt werden. Anhand der vorliegenden Anträge kann dann auch die Tagesordnung erstellt werden. Auch während der Versammlung dürfen Anträge gestellt werden. Dies ist allerdings nur zu Punkten zulässig, die auf der Tagesordnung angeführt sind (nicht unter „Sonstiges“). Antragsdebatten sind häufig unübersichtlich und etwas zerfahren. Das liegt in erster Linie daran, dass ein relativ starres Konstrukt (Antragsbeschlussfindung) schlecht mit dem kreativen Prozess zusammen passt, der während Antragsverhandlungen stattfindet. Hierzu sind zwei Dinge zu raten:
- Der Text der vorliegenden Anträge sollte allen Anwesenden in geeigneter Form vorliegen, am besten schriftlich. Bloße Verlesung des Wortlauts schafft häufig noch mehr Konfusion. Günstig ist die Projektion mit einem Video-Beamer.
- Sollte sich im Plenum ein „toter Punkt“ herausbilden, bei dem verschiedene Handlungsoptionen gegeneinander stehen, sollte der Vorstand per GO-Antrag eine Pause anregen. In informaler Runde lassen sich mögliche Vorgehensweisen besser abwägen als bei protokollierten Wortbeiträgen.
Informationsfluss
Bereits im Vorfeld sollte jeder Teilnehmer folgende Dokumente erhalten:
- Eine aktuelle Satzung
- Eine Tagesordnung
- Das Protokoll der vorhergehenden Mitgliederversammlung
- Eine Sammlung der vorliegenden Anträge
- Eine Beschlusssammlung sämtlicher durch vorhergehende Versammlungen getroffenen Entscheidungen.
Damit kommt der Vorstand nicht nur seiner Informationspflicht nach, sondern sorgt auch für Transparenz. Es gibt keine „verborgenen“ Regelungen, die insbesondere Neulinge verärgern können.
Protokollführung
Alle inhaltlichen Beschlüsse müssen mit der Stimmenzahl (Ja/Nein/Enthaltung) und dem genauen Wortlaut des abgestimmten Antrags protokolliert werden. Das ist nicht nur die Voraussetzung für eine Genehmigung durch das Gericht, sondern vor allem die Grundlage für künftige Beschlusssammlungen. Über die sonstige Form des Protokolls streiten sich die Geister: Reicht ein Ergebnisprotokoll, oder muss es ein Verlaufsprotokoll sein? Generell gilt: Je mehr Informationen das Protokoll enthält, desto besser, dann lassen sich bereits geführte Debatten einfacher nachvollziehen und der Protokollant muss nicht selbstständig entscheiden, was besonders wichtig ist. Über die Form des Protokolls sollte ein Beschluss der Versammlung herbeigeführt werden, damit nicht im Nachhinein Streit entstehen kann.
Pausenregelungen
Um Nervosität zu vermeiden und die Konzentration der Beteiligten zu erhalten, sollte spätestens alle zwei Stunden eine Pause gemacht werden. Allerdings hat es sich als wenig praktikabel erwiesen, wenn der Vorstand von sich aus eine Pause anordnet. Hier hilft ein kleiner Trick: Die Pause sollte mit vorgegebener Dauer als GO-Antrag eingebracht werden. Damit wird die Entscheidung zu einer Sache der Versammlung, und die Verbindlichkeit wesentlich erhöht.
Wahl des Raums
Der Raum für eine Versammlung spielt für den Erfolg eine große Rolle. Natürlich hängt es auch von der Größe der Versammlung ab – prinzipiell aber sollte jedem Mitglied formal der gleiche Rang eingeräumt werden, sei es an einem runden Tisch oder in einer Kongresshalle. Bei kleineren Versammlungen sollte möglichst eine „zweite“ Reihe vermieden werden und jeder im Raum einen Tischplatz erhalten.
Fazit
Im Verband als sozialem Verbund spielt die Kommunikation und die gegenseitige Wahrnehmung der Beteiligten eine große Rolle. Der Vorstand besitzt natürlich eine aus der Wahl (und aus dem gemeinsamen Ziel abgeleitete) Autorität und damit eine gewisse Handlungs- und Einschätzungsprärogative. Gleichzeitig ist aber die Mitgliederversammlung die einzige formale Möglichkeit der Mitglieder, echten Einfluss auf den Geschäftsgang des Vereins zu nehmen. Wird der Vorstand dabei als zu autoritär oder gar selbstherrlich wahrgenommen, entstehen schnell Ressentiments trotz inhaltlicher Übereinstimmung. Mit anderen Worten: Der Vorstand kann von sich aus nicht einfach Beschlüsse durchsetzen, sondern muss sich dafür der Zustimmung der Mitglieder versichern. Dazu braucht es sorgfältige Vorbereitung und geeignete Kommunikationsmittel – diese wiederum sind eher verfahrenstechnischer Natur als von den individuellen Fähigkeiten der Vorstandsmitglieder abhängig und lassen sich gut vorbereiten.