In den letzten Jahren ist Governance auch in Non-Profit-Organisationen zu einem immer wichtigeren Thema geworden, dem sich Forschung und Praxis gleichermaßen widmen. Jedoch beziehen sich die meisten Studien wie auch existierende Governance-Kodizes für NPO meist nur auf Fremdhilfe-NPO wie Hilfswerke, Krankenhäuser oder Umweltorganisationen. Verbände, die als Interessenvertreter ihrer Mitglieder operieren, wurden bisher weniger bis gar nicht untersucht. Dabei spielen die Mitglieder eine besondere Rolle, da sie nicht nur die Träger, sondern gleichzeitig auch die wichtigsten Leistungsempfänger des Verbandes sind.
Unterschiedliche Gründe führen auch in Wirtschafts- und Berufsverbänden zur Notwendigkeit einer effektiven Governance, insbesondere weil das gesellschaftliche Umfeld die Leistungen von Verbänden zunehmend kritischer beurteilt: Erstens geht vielen Verbänden aufgrund der demografischen Entwicklung die soziale Einbettung verloren. Der stetige Verlust von Mitgliedern in Wirtschaftsverbänden, Sportverbänden, Gewerkschaften oder Kirchen führt zu einer größer werdenden Kluft zwischen der Gesellschaft und diesen Organisationen. Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft beispielsweise war früher Teil des Arbeiterkodex. Heutzutage hingegen lassen sich viele Berufe nicht mehr eindeutig einer Branche oder gar einer Gewerkschaft zuordnen, gleichzeitig verflüchtigt sich das Gemeinschaftsgefühl, was Austritte und Trittbrettfahrer zur Folge hat.
Zweitens sinkt das Verständnis für die gesellschaftliche und politische Rolle der Verbände. Fehlentwicklungen wie die Proteste in der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern verdeutlichen, dass es den Verbänden zunehmend schwerer fällt, ihre Position als organisierte Interessenvertretung zu verteidigen.
Drittens klagen immer mehr Verbände über die Schwierigkeit, geeignete ehrenamtliche Aktive zu gewinnen, um den Verbandsbetrieb aufrechtzuhalten. Bei den Mitgliedern hat sich in den letzten Jahren eine Konsumentenhaltung eingestellt, die Verbandsleistungen und das eigene Engagement nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip bewertet. Solche Aufrechnungen lassen sich aber vor allem bei Kollektivleistungen nur schwer durchführen. Die Verbände brauchen deshalb moderne, transparente und stabile Führungsstrukturen, um ihre Legitimität und Glaubwürdigkeit zu festigen.
Die Ursache für Governance-Probleme liegt in den unterschiedlichen Wissensständen der beteiligten Gruppen und Personen. Viele Entscheidungssituationen im Verband sind dadurch gekennzeichnet, dass der Entscheidungsvorbereiter besser über ein Sachgeschäft Bescheid weiß als das Entscheidungsgremium und deshalb die Möglichkeit hat, das Ergebnis bereits im Voraus zu beeinflussen. Diese sogenannten Informationsasymmetrien bestehen zwischen Geschäftsführung und Vorstand genauso wie zwischen Vorstand und Delegierten-/Mitgliederversammlung. Allein aus zeitlichen Gründen haben Ehrenamtliche nicht die Möglichkeit, sich mit einzelnen Themen ebenso intensiv auseinanderzusetzen wie Hauptamtliche ,und sind auf die Vorarbeit der hauptamtlichen Verbandsmitarbeitenden angewiesen.
Prinzipien von Governance
Unter Governance wird generell die zentrale Führung, Aufsicht und Verantwortlichkeit einer Organisation verstanden. Für die Umsetzung im Verband gelten vier Prinzipien, an denen alle Governance-Aktivitäten ausgerichtet werden:
1. Machtausgleich
Zwischen den einzelnen Organisationseinheiten muss ein möglichst ausgeglichenes Machtverhältnis bestehen, das heißt, neben den Unterstellungsregelungen sind gleichzeitig entsprechende Kontrollfunktionen einzurichten, um Machtkonzentrationen zu vermeiden.
2. Transparenz
Der Organisationsaufbau muss nachvollziehbar und nachhaltig sein. Die Nachvollziehbarkeit ergibt sich durch eine schriftliche Festlegung (Formalisierung) mithilfe von Instrumenten wie Stellenbeschreibungen oder Funktionsdiagrammen. Die Nachhaltigkeit von Strukturen fördert das Vertrauen in einen Verband. Nur wenn Aufgaben und Kompetenzen stetig von den gleichen Stellen ausgeübt werden, lassen sich Prozesse institutionalisieren.
3. Wirksamkeit
Governance ist wie vieles andere nur ein Mittel zum Zweck. Das eigentliche Sachziel des Verbandes, beispielsweise die Interessenvertretung der Mitglieder, darf nicht aus dem Fokus gelangen. Strukturen sind so zu gestalten, dass eine effektive Umsetzung des Sachziels möglich ist. Dies bedeutet auch, dass die ehren- und hauptamtlichen Mitarbeitenden über das entsprechende Fach- und Managementwissen verfügen, um dieses Prinzip umzusetzen, und die Erfolgsmessung beim Vorstand beginnt.
4. Repräsentation
Die Zusammensetzung der Verbandsorgane sollte ein Abbild der Mitgliederbasis sein. Jedoch ist die rein personelle Vertretung der fachlichen Qualifikation unterzuordnen. Repräsentation lässt sich aber nicht nur durch Einsitznahme gewährleisten, sondern auch durch Instrumente, die die Kommunikation und den Informationsfluss für die Mitglieder vereinfachen.
Insbesondere das erste Prinzip des Machtausgleichs deutet darauf hin, dass Governance nicht die Aufgabe eines einzelnen Gremiums oder einer Person ist, sondern mehrere Beteiligte innerhalb und außerhalb der Organisation davon betroffen sind. Diese stehen in vielfältiger Art in Beziehung zueinander. Das zentrale Governance-Organ ist der Vorstand des Wirtschaftsverbandes, da dieses Gremium im Auftrag der Mitglieder die strategische Gesamtleitung des Verbandes leistet. Zusammensetzung, Struktur und Arbeitsweise im Vorstand prägen die strategischen Entscheidungsprozesse und damit die Gestaltung der Governance mit. Letztendlich ist der Vorstand auch an seiner Effektivität und damit seinem Beitrag zum Gesamterfolg des Verbandes zu messen. Für eine effektive Erfüllung seiner Aufgaben ist der Vorstand aber auf die Vorbereitungsleistungen der Geschäftsführung angewiesen, die gleichzeitig auch für die Umsetzung der Vorstandsentscheide verantwortlich ist. Der Zweck eines Wirtschaftsverbandes ist primär die Interessenvertretung der Mitglieder, weshalb diese und ihre Repräsentanten auch Teil des Governance-Systems sind. Die Mitglieder üben zwar ihren Einfluss mehrheitlich als Träger der Organisation über Wahlen und Kommissionen aus, aber ihr Verhalten wird dabei beeinflusst von ihren Erfahrungen und ihrer Zufriedenheit als Kunden. Für ein effektives System der Kompetenzverteilung und Aufsicht ist zudem die Selbstregulierung durch die Mitglieder-Organe unerlässlich. Zuletzt haben noch einige externe Stakeholder Einfluss auf den Vorstand, dies können andere Verbände, staatliche Behörden, die Politik oder auch die Medien sein. Ihre Einflussnahme orientiert sich vor allem an der Glaubwürdigkeit und Reputation eines Verbandes. Diese werden gestützt durch Transparenz und das sachliche Know-how des Verbandes.
Die vom Autor durchgeführte Studie „Nonprofit Governance in Verbänden“ stellt Ergebnisse zur Governance in und von Verbänden vor. Gleichzeitig gibt sie Handlungsempfehlungen für eine bessere Gestaltung. Anhand von Interviews mit Vorständen, Geschäftsführungsvertretern und Mitgliedern wurde die Gestaltung der Strukturen und Prozesse in Schweizer Wirtschaftsverbänden untersucht. Dabei wird deutlich, dass eine effiziente Governance von einem gut abgestimmten Beziehungssystem mehrerer Beteiligter abhängt.
Die Rolle des Vorstandes
Der Vorstand ist die Regierung des Verbandes und daher im übertragenen Sinn für das Wohlbefinden der Organisation verantwortlich. Als Schnittstelle zwischen Milizsystem und Profiorganisation muss der Vorstand die Informationen von beiden Seiten (und aus der Umwelt) aufnehmen und in seinem Entscheidungsprozess berücksichtigen. Im Verhältnis zur Geschäftsführung besteht durch die zunehmende Professionalisierung der operativen Ebene die Gefahr, dass die Informationsasymmetrie zunimmt, falls sich nicht auch der Vorstand selbst einer Professionalisierung stellt und sich selbst weiterentwickelt.
Aufgefallen ist beispielsweise, dass Vorstände häufig eine Aufgabenverteilung entsprechend operativer Ressorts haben. Es gibt einen Verantwortlichen für Marketing, für Lobbying und für Finanzen. Versteht man den Vorstand aber als strategisches Führungsgremium, dann ist eine Strukturierung nach operativen Aufgaben nicht unbedingt der strategischen Orientierung förderlich. Statt des klassischen Ressortsystems ist es sinnvoller, eine Aufgabenverteilung im Vorstand anhand der strategischen Aufgaben vorzunehmen. In angelsächsischen NPO oder auch hierzulande in Unternehmungen wird dies mithilfe von Vorstandsausschüssen gemacht, die für spezielle Aufgaben (zum Beispiel Wahlausschuss, Finanzausschuss, Strategieausschuss) verantwortlich sind. Entsprechend ihren persönlichen Kompetenzen und Fähigkeiten sind die Vorstandsmitglieder auf die verschiedenen Ausschüsse verteilt. So kann gewährleistet werden, dass sich der Vorstand mit seinen knappen Zeitressourcen mit den ihm zugedachten Aufgaben beschäftigt und nicht Gefahr läuft, operativ tätig zu werden.
Die Umsetzung von Governance-Richtlinien soll den Vorstand effektiver machen, um dadurch den Beitrag des Vorstandes zum Verbandserfolg zu sichern und weiterzuentwickeln. Berücksichtigt man die beschränkten Möglichkeiten anderer Governance-Akteure, vor allem der Mitglieder und ihrer Repräsentanten, eine wirksame Kontrolle des Vorstandes durchzuführen, dann wird deutlich, dass in den meisten Verbänden die Kontrolle des Vorstandes kaum oder nicht effektiv durchgeführt wird. In den meisten Verbandsvorständen wird bisher aber auch keine oder keine strukturierte Selbstevaluation durchgeführt. Wenn eine Beurteilung der eigenen Leistungen stattfindet, dann meistens an den Jahreszielen der Organisation oder an der operativen Umsetzung, woran der Vorstand neben der Geschäftsführung nur zum Teil beteiligt ist.
Die Geschäftsführung als operative Speerspitze
Die Geschäftsführung muss über ausreichend Kompetenzen verfügen, um den Verband flexibel und zeitnah auf Umwelteinflüsse einstellen zu können und die Geschäftsstelle als Betrieb effizient führen zu können. Gleichzeitig sollte die Geschäftsführung die Speerspitze der Verbandsentwicklung sein. Andererseits muss sich die Geschäftsführung ihrer Untergliederung zum Vorstand oder dem Legislativorgan bewusst sein und dementsprechend die Zusammenarbeit mit den Milizorganen suchen und pflegen. Der Machteinfluss der Geschäftsführung auf den Vorstand ist sehr hoch und hängt auch von den persönlichen Beziehungen zwischen dem Geschäftsführer und den Vorstandsmitgliedern ab. Eine eindeutige Gewaltentrennung lässt sich hierbei nicht umsetzen, weswegen in der Mehrheit der Verbände nach einem partnerschaftlichen Modell der Führung gearbeitet wird. Dieses geteilte Führungsverständnis führt jedoch zur Tendenz, die Verantwortung auf den jeweils anderen zu übertragen. Begünstigt wird dies durch die mangelnde Formalisierung von Aufgaben und Strukturen mithilfe von Stellenbeschreibungen und Pflichtenheften.
Weitere Milizorgane (Fachausschüsse, Kommissionen) beziehen — evtl. abgesehen von der Geschäftsprüfungskommission — ihre Stellung und Bedeutung weniger aus ihren statutarischen Aufgaben als vielmehr aus ihren sach- und problembezogenen Beiträgen. Diese Organe müssen sich ihren Einfluss demnach erarbeiten. Da in Kommissionen nicht selten auch externe Experten vertreten sind, spielen diese Organe eine wichtige Rolle in der Gestaltung der Beziehungen zu anderen Stakeholdern.
Die Mitglieder selbst können ihren Einfluss hauptsächlich durch Wahlen geltend machen. Jedoch sollten in einem Verband auch Instrumente zur Verfügung stehen, um die Mitglieder auf sachlicher Ebene in den Entscheidungsprozess mit einzubeziehen. Dies kann durch Mitgliederbefragungen, Vernehmlassungen oder über ein Referendumsrecht geschehen. Wichtig dabei ist, dass diese Instrumente so gestaltet sind, dass sie für die Mitglieder entsprechend ihren zeitlichen und koordinatorischen Ressourcen anwendbar sind. Während sich die Größe eines Wirtschaftsverbandes kaum auf die Governance-Strukturen auswirkt, hat die Mitgliederart durchaus einen Einfluss auf deren Gestaltung. In Personenverbänden (Berufsverbände, Gewerkschaften) ist der Machteinfluss der Geschäftsführung größer, dafür wird stärker auf eine repräsentative Zusammensetzung der Gremien geachtet. Die Wirksamkeit der Strukturen hängt in diesen Verbänden vor allem von den hauptamtlichen Mitarbeitenden ab (wodurch sich indirekt auch der stärkere Einfluss der Geschäftsführung erklärt), wohingegen Organisationsverbände (Arbeitgeberverbände, Branchenverbände) oftmals über stark ausgeprägte Milizgremien verfügen, was zugleich einen stärkeren Einfluss der Mitglieder fördert.
Wie die Ausführungen zeigen, ist Governance ein multipersonales Organisationsproblem, zu dessen Lösung die Aufgaben und Verantwortlichkeiten aller Beteiligten betrachtet werden müssen. Große Mängel konnten in der fehlenden Formalisierung von Strukturen und Prozessen, so beispielsweise bei den Pflichtenheften im Milizsystem oder bei einzelnen Aufgaben wie der Rekrutierung eines Geschäftsführers, festgestellt werden.
Die Ergebnisse der empirischen Analyse zeigen deutlich, dass effiziente Strukturen allein nicht ausreichen. So wurden in einigen der untersuchten Wirtschaftsverbände in den letzten Jahren weitreichende Reorganisationen — auch auf strategischer Ebene — durchgeführt und trotzdem erkannten die Beteiligten immer noch Schwächen im Governance-System.
Die Zielsetzungen einer „Good Governance“ sind grundsätzlich nichts Neues, jedoch ist ihre neue Bedeutung eine Reaktion auf die veränderten Umweltbedingungen, auf die sich die Verbände einstellen müssen.