Nach einer Umfrage der DGVM unter Verbandsfunktionären zum Wahljahr 2013 halten „über 60 Prozent (...) das politische Lobbying auf Landes- oder Bundesebene für wichtig“. (Verbändereport 1/2013, Seite 7) Gleichzeitig durchlaufen sowohl das Verbandsmanagement als auch Public Affairs und Lobbying derzeit eine Phase intensiver Professionalisierung. Die Vielzahl neu entstandener Studiengänge und Ausbildungsinstitutionen sind dabei ein sichtbarer Ausdruck. Für das Verbandsmanagement beispielsweise der duale Studiengang Verbandsmanagement an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Mosbach, Campus Heilbronn, für Public Affairs und Lobbying die Quadriga Hochschule in Berlin.
Für Verbände ergeben sich aus dieser Professionalisierung neue Perspektiven und Möglichkeiten bei der Rekrutierung von Nachwuchs und der Neubesetzung von Stellen. Dieser Aufsatz skizziert das Anforderungsprofil an (Verbands-)Lobbyisten. Er soll den Verbandsführungen Entscheidungshilfen geben, sei es bei der Einstellung von Mitarbeitern, sei es bei der Auswahl von Agenturen und externen Beratern.
Anforderungen der Politik an Lobbyisten
Die Zahl der Interessenvertreter in Berlin, die im Auftrag von Verbänden, Unternehmen und gesellschaftlichen Gruppen auf die politischen Entscheider einwirken wollen, ist in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. Gleichzeitig steht die Politik durch vielfältige Herausforderungen vor einem immer größeren Entscheidungsdruck. Deshalb ist der Kampf um die Ressource Zeit, schon traditionell das für Politiker knappste Gut, erheblich härter geworden. Um mit Politikern auf Augenhöhe zu kommunizieren und die Verbandsinteressen erfolgreich in den politischen Diskurs einzubringen, ja schon, um zu Terminvereinbarungen zu kommen, müssen Verbandslobbyisten ein vertieftes Verständnis der Systembedingungen von Politik haben und „die Sprache der Politik“ sprechen. Fachliche Kompetenz in den Verbandsthemen allein reicht längst nicht mehr aus.
Voraussetzungen erfolgreichen Lobbyings
Um Verbandsinteressen erfolgreich vertreten zu können, braucht ein Lobbyist fünf grundlegende Voraussetzungen. Diese sind:
- eine klare Verbandsstrategie
- ausreichende Ressourcen
- schnelle, umfassende und zuverlässige Informationen
- belastbare Netzwerke
- vertiefte Prozesskenntnis
Strategie
Um in der komplexen Realität der Politik handlungs- und argumentationsfähig zu sein, braucht der Verbandslobbyist eine klare Strategie. Diese kann er nur entwickeln, wenn der Verband, abgeleitet aus seinem Leitbild und der Definition seiner Handlungsfelder, klare Zielvorgaben für das Lobbying entwickelt. Nur dadurch erhält der Lobbyist einen Kompass, mit dem er durch das komplexe Labyrinth der Politik navigieren kann. Es erfordert Zeit und bedarf eines nicht geringen Aufwandes, diese Diskussionen im Verband zu führen. Es führt aber kein Weg daran vorbei. Unverzichtbar bei der Zielformulierung ist es auch, von vorneherein Kompromisspositionen zu definieren. Nur so ist der Lobbyist handlungsfähig. Der einzelne Lobbyist muss auf dieser Basis in der Lage sein, allgemeine Leitbilder und Strategien in operative Lobbying-Maßnahmen
umzusetzen.
Ressourcen
Lobbying kostet Geld, allerdings kann der Verzicht auf Lobbying im Extremfall die Existenz kosten. Verbände, die von ihren Lobbyisten professionelle Arbeit und Erfolge fordern, müssen diesen die nötigen Mittel an die Hand geben. Zu einem Lobbybudget gehören Etatposten für ausreichende Arbeitszeit, Monitoring (Arbeitszeit/Informationsdienste), Reisekosten, Gutachten, Veranstaltungen und ggf. für Agenturen oder Honorarkräfte. Der verantwortliche Mitarbeiter muss in der Lage sein, ein Budget zu verwalten und die vorhandenen Ressourcen nutzenmaximierend auf die einzelnen Aufgabenbereiche zu verteilen.
Informationen (Monitoring)
Wer erfolgreich mit der Politik kommunizieren will, muss wissen, über was gesprochen und an was gearbeitet wird. Um dies immer und zuverlässig sicherzustellen, bedarf es der systematischen Beobachtung politischer Diskussionen, Prozesse und Gesetzgebungsverfahren sowie von Lobbyaktivitäten anderer Organisationen und Verbände. Im engeren Sinne gilt dies für alles, was die Interessen des Verbandes direkt tangiert, im weiteren auch für allgemeine gesellschaftliche Diskurse, denn die für den Verband direkt relevanten gesetzlichen Maßnahmen sind in diese eingebunden. Die politischen Initiativen, die für den Verband im engeren Sinne wichtig sind, spielen natürlich auch in der Mitgliederinformation eine große Rolle, in die das Monitoring auch einfließt. Die Fähigkeit, Informationen schnell und präzise zu erfassen, zu bewerten und aufzubereiten, stellt daher eine zentrale Qualifikation für Verbandslobbyisten dar.
Netzwerke
Auch wenn es banal klingt: Politische Entscheidungen werden von Politikern getroffen. Also muss, wer Entscheidungen beeinflussen will, mit den Politikern reden. Erfolgreiches Lobbying geht nur über den direkten, persönlichen Dialog mit den Entscheidern. Je besser ein Verbandslobbyist vernetzt ist, je mehr Politiker und andere Entscheider er persönlich kennt (und diese ihn), umso leichter wird es ihm fallen, auf Entscheidungsprozesse erfolgreich einzuwirken. Nicht zu unterschätzen ist bei der Netzwerkarbeit auch der Informationsgewinn. Wer gut vernetzt ist, erfährt Dinge schneller und zuverlässiger als der, der sich nur auf veröffentlichte Informationen verlassen muss. Dabei spielt auch Vertrauen eine große Rolle. Manche sehen sogar im Vertrauensverhältnis zu Politikern die wichtigste Ressource für erfolgreiches Lobbying. Wer sich beim Lobbying, auf Vertrauen gestützt, innerhalb eines Netzwerks bewegt, zu dem auch Politiker gehören, kann anders handeln als der, der Gespräche „von außen“ führen muss.
Prozesskenntnis
Politische Entscheidungsprozesse unterliegen bestimmten Regeln, formell und informell. Nur wer institutionelle Prozesse, praktische Handlungsweisen und taktische Manöver genau kennt, weiß, wann er wo und wie erfolgreich eingreifen kann. Natürlich ist dies auf den verschiedenen politischen Ebenen je unterschiedlich. Ein guter Lobbyist kennt nicht nur die Prozesse, sondern versteht es auch, sich und seinen Verband in diese zu integrieren. Je besser, je dauerhafter und je langfristiger er dies kann, umso erfolgreicher wird er sein. Dabei wird er die Verbandsposition jeweils so in die Prozesse einbringen, wie es der jeweilige Stand der Diskussion und der Entscheidungsebenen erfordert. Dies fängt im Alltag schon damit an, den für eine bestimmte Frage richtigen Gesprächspartner zu identifizieren.
Persönliche Anforderungen
Professionelles Lobbying ist anspruchsvoll und herausfordernd. Deshalb muss ein Lobbyist vielfältige Voraussetzungen erfüllen und spezifische Kompetenzen mitbringen. Dazu zählen politisches Verständnis, Analysefähigkeiten, Kreativität und besonders Kommunikationskompetenz.
Politisches Verständnis
Politisches Verständnis bedeutet zunächst ein grundlegendes Wissen um politische Theorien und die unterschiedliche Programmatik politischer Gruppen und Parteien. Nur wer die Triebfedern der verschiedenen politischen Lager und Parteien kennt, kann die Ziele und die jeweiligen Programme durchdringen und inhaltlich mit den eigenen (Verbands-)Anliegen verknüpfen. Ein guter Lobbyist muss in der Lage sein, die eigenen Interessen im Dialog mit Politikern unterschiedlicher politischer Gruppierungen (Parteien) jeweils unterschiedlich zu akzentuieren, um die individuell höchstmögliche Schnittmenge zu generieren.
Neben der Theorie muss der Lobbyist auch die Mechanismen von Politik kennen und verstehen. Dies bezieht sich beispielsweise auf die innerparteilichen oder innerfraktionellen Meinungsbildungsprozesse, die niemals von oben nach unten gesetzt werden, sondern sich je unterschiedlich entwickeln. Auch muss man die starke Arbeitsteilung von Politik in Fachgebiete sowie die spezifische, von betrieblichen Gewohnheiten abweichende Bedeutung von Hierarchien in Parteien und Fraktionen kennen. Der im April 2013 in der CDU/CSU ausgetragene Konflikt und letztliche Kompromiss um eine „Frauenquote“ in Aufsichtsräten, wobei Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen ohne fachliche Zuständigkeit eine herausragende Rolle gespielt hat, ist ein Musterbeispiel für einen politischen Prozess, der keinem fest stehenden Muster folgte und trotzdem oder gerade deshalb einen tiefen Einblick in die Systembedingungen von Politik erlaubt. Auch politische Taktik lässt sich an diesem Beispiel exemplarisch studieren.
Zusätzlich zum Verständnis von Politik ist ein Verständnis für die Arbeits- und Lebensbedingungen von Politikern unverzichtbar. Nur wer sich nicht nur in fachlichen, sondern auch persönlichen Belangen in sein Gegenüber hineinversetzen kann, hat auf Dauer Erfolg. Hierzu gehört beispielsweise die hohe Bedeutung, die der Wahlkreis für jeden Abgeordneten hat, da sich hieraus seine Legitimität ableitet wie auch das existenzielle Interesse jedes Parlamentariers an einer Wiederwahl.
Analysefähigkeiten
Lobbying ist intellektuell höchst anspruchsvoll. Schließlich geht es immer darum, in politischen Äußerungen auch die dahinterstehenden Interessen zu erkennen und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Dies gilt für Gesetzestexte ebenso wie für politische Meinungsäußerungen jeder Art. Je besser ein Lobbyist Positionen und Texte analysieren kann, umso besser ist er in der Lage, sich mit den Interessen seines Verbandes einzubringen und zu positionieren. In besonderem Maße sind Analysefähigkeiten gefordert, wenn es darum geht, Partner für das eigene Anliegen zu finden und strategische Allianzen zu bilden, die über vordergründige und oberflächliche Koalitionen hinausgehen. Komplexe Analysefähigkeiten werden gefordert, wenn in bestimmten Positionen (Gesetzestexten) unterschiedliche Interessen zusammenkommen, beispielsweise ideologische, regionale/nationale, wirtschaftliche und persönliche. Je höher die politische Ebene wird, auf der Lobbying gemacht wird, je komplexer wird das Zusammenspiel von Interessen.
Kreativität
Analysefähigkeiten allein, so wichtig sie als Grundlage sind, sind nutzlos, wenn sie nicht mit Kreativität und Kompromissfähigkeit gepaart werden. Prallen nämlich zu Beginn eines politischen Prozesses häufig nur die einzelnen Positionen aufeinander (Regierung gegen Opposition, Regierungspartei gegen Koalitionspartner, Bundestag gegen Bundesrat etc.), ist es im Verlauf des Prozesses für erfolgreiches Lobbying essenziell, Brücken zu bauen und zu helfen, die unterschiedlichen Positionen anzunähern und zu mehrheitsfähigen Entscheidungen zu kommen. Diejenigen Lobbyisten sind am erfolgreichsten, die diese Kreativität und Kompromissfähigkeit mit vertrauensbasierten persönlichen Beziehungen zu den Entscheidern kombinieren können.
Kommunikationskompetenz
Politik ist ein andauernder Kommunikationsprozess, und Lobbying ist ein integraler Teil davon. Ein guter Lobbyist muss also über herausragende Kommunikationskompetenzen verfügen. Dazu zählen Menschenkenntnis und Diplomatie ebenso wie Situationssensibilität und Stil-flexibilität. Der Lobbyist muss die Befindlichkeiten von Gesprächspartnern in bestimmten Situationen erkennen und damit positiv umgehen können. Dazu braucht er Menschenkenntnis und höchst unterschiedliche Kommunikationsinstrumente und -Stile. Schließlich muss man mit einem Abgeordneten, der einen handwerklichen beruflichen Hintergrund hat, anders sprechen als mit einem langjährigen Minister, der vor seiner politischen Tätigkeit Hochschulprofessor war.
Die Rhetorik des Lobbyisten muss ein breites Spektrum abdecken, vom Smalltalk bei einem Empfang über klare Sachargumentation bei einer Anhörung bis zu emotionalen Appellen bei einer Rede vor einem großen Auditorium.
Der Lobbyist muss selbstsicher sein und kontaktfreudig, es muss ihm leicht fallen, auf Menschen zuzugehen und diese für sich einzunehmen. Er muss verlässlich sein und ein Netzwerk nicht nur aufbauen, sondern langfristig pflegen können. Zu alldem braucht er eine entsprechende Persönlichkeit, muss authentisch sein und sich auch über sein Äußeres, Kleidung, Körpersprache etc. artikulieren können.
Politische Kompetenz neben Fachkompetenz
Von Experten ihres Faches, ihrer Branche oder ihres Berufsstandes in Verbänden hört man oft die Frage, welchen Mehrwert Lobbyisten bringen oder wie Verbände von Lobbyisten profitieren. Die Frage gipfelt oft in dem Satz: „Unsere Interessen können nur wir vertreten, schließlich kennen wir sie selbst am besten.“ Dieser Satz ist richtig und falsch zugleich. Richtig, sofern es um die Verbandsseite geht, falsch, wenn es um die politische Seite geht. Ein Lobbyist kennt eben nicht nur die Sache, sondern auch das politische System. Dies ist vergleichbar mit dem Steuerberater, der das Steuerrechtssystem kennt und seinem Mandanten die besten Wege durch das Steuerdickicht aufzeigt, oder dem Rechtsanwalt, der den Verband in Fragen des Vertrags-, Gesellschafts- oder Arbeitsrechts berät und hilft, die beste rechtskonforme Lösung zu finden. Den Lobbyisten zeichnet auch eine hohe terminologische Kompetenz aus, also die Kenntnis der Bedeutung von Begriffen. So kann er beispielsweise zwischen Bedeutung und Auswirkung von Verordnungen und Richtlinien der EU unterscheiden, weiß, was ein Delegierter Rechtsakt ist, wie das Komitologieverfahren funktioniert und wie die Anforderungen an qualifizierte Mehrheiten im EU-Ministerrat sind.
Mit der spezifischen politischen Kompetenz, die den Lobbyisten vom reinen Fachexperten unterscheidet, ist er in der Lage, die sachlichen Positionen und Forderungen des Verbandes in politische Kategorien zu transformieren und in einer politischen Sprache zu formulieren. Dies erhöht deutlich das Verständnis der Politik für die Anliegen des Verbandes und verbessert die Chance, in einen fruchtbaren Dialog zu kommen und die eigenen Interessen durchzusetzen. Heiko Kretschmer hat in diesem Zusammenhang auf den „Spagat zwischen den eigenen Interessen und den politisch vermittelbaren Standpunkten" hingewiesen. (Verbändereport 1/2013, Seite 11)
Die politische Kompetenz des (Verbands-)Lobbyisten ist auch deshalb heute mehr gefordert als je zuvor, weil im Zuge der intensiv geführten Diskussionen um Transparenz im Lobbying manche früher übliche Vorgehensweisen heute kritisch gesehen werden. Insofern kommt es mehr denn je auf die Sacharbeit und die spezifische Kommunikation an.
Verbandslobbyist oder externer Berater
Angesichts der hohen, aber keineswegs übertrieben dargestellten Anforderungen an Verbandslobbyisten mag sich manch Verantwortlicher fragen, ob es nötig ist, einen derart qualifizierten Mitarbeiter fest einzustellen. Dies ist verbunden mit der Frage, ob man ihn in das Gehaltsgefüge der Geschäftsstelle einbauen kann oder ob man nicht besser gleich einen externen Berater oder eine Public-Affairs-Agentur verpflichtet. So berechtigt die Frage ist, so unmöglich ist es, sie allgemeingültig zu beantworten. Bei der Entscheidungsfindung können Verbände ähnlich vorgehen wie bei der Frage nach Festanstellung eines Justiziars oder eines Steuerberaters. Hat Lobbying für einen Verband eine eher geringe Bedeutung oder kommen Lobbyprojekte nur zeitweise vor, spricht sicher vieles für die Verpflichtung eines externen Beraters oder punktuell einer Public-Affairs-Agentur. Bei der Auswahl externer Kräfte ist zu beachten, ob diese bereit sind, mit Ehren-und Hauptamt eng zu kooperieren, weil nur so die spezifischen Kompetenzen in der Sache und in der politischen Kommunikation optimal ausgenutzt werden können. Verbände, die nicht in Berlin ansässig sind, können überlegen, dies mit einer Vertretung des Verbandes gegenüber Bundesregierung und Bundestag zu verknüpfen.
Ist jedoch Lobbying zentrales Element des Verbandes und politische Kommunikation eine Daueraufgabe, sollte eine eigenständige Stelle in der Geschäftsstelle geschaffen werden. Die Berichtslinie muss unbedingt direkt zur Geschäftsleitung erfolgen. Um die richtige Personalentscheidung zu treffen, kann es hilfreich sein, beim Auswahlverfahren eine spezialisierte Agentur oder einen qualifizierten Coach zur Überprüfung und Beurteilung der spezifischen Qualifikation zu beteiligen.