Verbändereport AUSGABE 2 / 2013

„Zehn Jahre in der ersten Reihe sind genug“

Ein englischer Kollege als Debattenauslöser?

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2011 verließ Hauptgeschäftsführer Hamish Pringle den englischen Werbeagenturen-Verband IPA. Er war ein ungemein erfolgreicher Kollege. Warum ging er im zehnten Jahr? Ich bat ihn vor kurzem um Auskunft und erhielt eine schriftliche Darlegung, auf die ich mich im Folgenden beziehe.

Die Adresse ist kein Zufall, sondern Merkmal besonderer Reputation: 44 Belgrave Square, London. Wer „Belgrave Square London“ googelt, erfährt Näheres: dass der Duke of Westminster, der reichste Brite, Eigentümer dieses Areals ist. Welche Prominenten dort im 19. Jahrhundert wohnten. Wie dann die Botschaften, eingeschlossen die deutsche Botschaft, kamen, später durch Förderung des damaligen Herzogs Wohltätigkeitsorganisationen und einige Verbände, darunter in 44 das Institute of Practitioners in Advertising IPA, der britische Werbe-Agenturenverband, sich hier ansiedeln konnten. Werbung, sollte man erläutern, hat in England einen höheren Stellenwert als in den meisten anderen Ländern, Deutschland inklusive. Hamish Pringle wurde 2001 Hauptgeschäftsführer (director-general) dieses renommierten Verbandes. Goldene Plaketten an einer keineswegs versteckten Wand im typisch viktorianischen Haus zeigen die Namen und Dienstzeiten aller bisherigen Direktoren von IPA, auch im Netz ist das nachzulesen (http://www.ipa.co.uk/page/ipa-director-generals); auch dies ein Signal der Bedeutung der Position, aber ebenso der im Verband dazu gepflegten Kultur der Erinnerung.

Aber: 2011 verließ Hamish Pringle IPA. Ich, langjähriger Kollege auf europäischer Ebene,  las, er sei freiwillig gegangen, zehn Jahre seien genug. Er war ein ungemein erfolgreicher Kollege.  Warum ging er im zehnten Jahr? Ich bat ihn vor Kurzem um Auskunft und erhielt eine schriftliche Darlegung, auf die ich mich im Folgenden beziehe. Hat der „Fall Pringle“ exemplarischen Charakter auch für die deutsche Verbandslandschaft? Zur Einschätzung muss man die Fakten und die Argumente kennen.

Pringle: Bei seiner Einstellung habe man auf seinen Wunsch hin einen Fünf-Jahres-Vertrag mit einer Verlängerungsmöglichkeit von weiteren fünf Jahren für den Fall wechselseitiger Zufriedenheit geschlossen. Dafür habe er vier Gründe angegeben:

Erstens: Auch die Vorgänger hätten mit einer Ausnahme im Durchschnitt zwölf Jahre als director-general gearbeitet.

Die drei anderen gewichtigeren Gründe möchte ich im Wortlaut zitieren:

Secondly I referred to other quasi-institutional roles, such as headmasters of schools, where from observation the tenure shouldn’t last more than a decade before new blood is required to keep the momentum going.

Thirdly I considered the accelerating pace of technological innovation in Adland and felt that a slight shortening of the tenure to 10 years was about right, and would strike the right balance between continuity and change.

A fourth and unspoken reason was the dread of over-staying my welcome, and I was determined to depart at a time when people were asking “why are you leaving?” as opposed to “when are you leaving”.

Nehmen wir die Argumente unter die Lupe, so stoßen wir auf eine bemerkenswerte Übereinstimmung mit der Ansicht von Führungsmanagern, über die ich in einem früheren Beitrag an dieser Stelle („Alter und Ehrenamt in Verbänden“, in 1/2012) unter Bezug auf Interviews, die ich mit Generationsgenossen geführt habe, berichtete. Auch hier gibt es die These, sei es positionsbezogen, sei es auf die eigene Karriereplanung bezogen: „Zehn Jahre sind genug.“ Pringles Argument, es brauche nach dieser Zeit neues Blut, um das Momentum zu halten, wird geteilt. Ich zitiere stellvertretend ein Beispiel: „Wenn jemand sieben, acht oder zehn Jahre eine Aufgabe wahrgenommen hat, hat er dann nicht das, was er an Erkenntnissen gewonnen und an Veränderungserfordernissen mit seinem Team zusammen gesehen hat, umgesetzt? Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Person noch mal etwas ganz Neues versucht, ist eher geringer als bei jemandem, der frisch reinkommt. Ich bin daher ein großer Anhänger davon, dass man jüngeren Leuten frühzeitig Top-Führungschancen gibt.“ (Johann C. Lindenberg, Deutschlandchef Unilever 1998–2005)

Ähnlich argumentiert der 2007 nach zehn Jahren als Vorstandsvorsitzende bei Jägermeister ausgeschiedene Hasso Kaempfe, heute gesuchter Berater. "Beim Arbeiten für ein Produkt sticht das Argument der Abnutzung. Es wird repetitiv. Der Drive, etwas zu verändern, nimmt im Laufe der Zeit ab, so dass ich als Aufsichtsratsvorsitzender eines so ausgerichteten Unternehmens spätestens nach zehn Jahren den Kopf auswechseln würde.“

Das weitere Argument, der rasche technologische Wandel – Pringle bezieht sich auf „Adland“, also die Kommunikationswirtschaft – erfordere den Wechsel zu Menschen, die damit jeweils besser zurechtkommen, ist in den Gesprächen mit ausgeschiedenen Führungsmanagern oft zu hören. Und zwar, wenn in der Rückschau die Ausgeschiedenen sagen, das, was sich nun in ihrem Unternehmen ereigne, sei „nicht mehr ihre Welt“.

Auch sein viertes Argument ist hierzulande nicht selten handlungsleitend. In den Worten Pringles ”I’m leaving when I can find my own way out, rather than being shown the door.“ heißt die hier meist genutzte Formulierung, man wolle nicht eines Tages „vom Hof gejagt  werden“.

Ausstieg nach Plan

Pringle ist dann so verfahren wie beim Einstieg angekündigt: Verlängerung nach fünf Jahren um weitere fünf, frühzeitige Nachfolgesuche. Auch in Großbritannien, so lernen wir, hat es freilich mit einer vorzeitigen Ankündigung des Abgangs seine Tücken. ”We planned accordingly, but despite this careful process the communication that I was stepping down was widely misinterpreted – it was so unusual in Adland for someone to give a year’s notice and stick to it that most people thought I’d been fired and had already left the IPA!“ Es ist einfach hier wie dort und nicht nur in „Adland“ völlig unüblich, einen geordneten Übergang rechtzeitig anzukündigen. Das kann nicht sein, wieso passiert das, da muss was passiert sein! Es wird wohl noch dauern, bis eine derartige Karriereplanung akzeptiert und geschätzt wird.

Glanzvoller Abschied

Der Abschied von Hamish Pringle von IPA geriet gleichwohl glanzvoll. Auf der IPA-Seite heißt es dazu: ”At IPA Director General Hamish Pringle’s farewell party, held this week at London’s Royal Horticultural Hall, Stephen Woodford, Chairman and CEO of DDB London, paid tribute to the man he describes as a mix of entrepreneur, head boy and showman.” Und wer es nicht glaubt, kann es nachlesen und hören:  http://ipa.co.uk/news/woodford-leads-praise-at-pringle-farewell-party.

Person und Position

Und wie geht es Pringle heute? Bereut er seinen Schritt? Bedeutungsverlust, sagt er, habe es gegeben. Aber das müsse man hinnehmen. Anderseits verwechsele man Person und Position (wahrscheinlich die meist vorkommende Verwechselung überhaupt). ”In so doing I should never forget that the institution has primacy and that the position of Director General is the authority, not the person who occupies it.”

Trend „Encore Carrer“

Es gibt noch einen fünften Grund für den Ausstieg. Und auch er ist exemplarisch. Pringle ist ein weiteres lebendes Beweisstück für die These, dass die „Encore Career“ von der Ausnahme zur Regel wird. Die zweite Karriere unterscheidet sich von der ersten durch größere Bereitschaft, auch unbezahlte ehrenamtliche Aufgaben zu übernehmen, und die Lust an frei eingeteilter Arbeit mit insgesamt höheren Anteilen an freier Zeit. Es ist eine Art persönlicher Zeitausgleich nach den Jahren der Überlast.  Der Schritt in die zweite Karriere gelingt umso besser, je früher er gestartet wird. Hamish Pringle ist heute strategischer Berater einer Kommunikationsagentur und hat Zeit für dies und das. Und das beschreibt er so:  

”And of course, leaving the IPA at the tender age of 60 leaves me plenty of time to do new things and I’m enjoying my portfolio life working three days a week for two thirds of the year. I’m busy as Strategic Advisor to integrated creative communications agency 23red with its Do. Feel. Think. Working as an ASA Council member, and doing the occasional Pringle and Pringle LLP project.  Meanwhile I’ve got the time to develop my art activities: http://www.saatchionline.com/hamishpringle.“

Dass bei so kühlem, strategischem Herangehen der Übergang dennoch nicht leicht fällt, wird abschließend verraten. ”Do I miss it? Yes. Should I have stayed longer? Definitely not.  Will I ever get re-involved? Never say never …”

Der „Ruhestand beginnt mit 40“

Ist jemand wie Pringle einsame Ausnahme, in Deutschland undenkbar? Nein. Ich beschränke mich wiederum auf nur einen Gegenbeleg, könnte mehrere liefern. Ich beziehe mich auf das Beispiel eines Mannes, der mir erzählte, wann er mit seiner Ruhestandsplanung begann: mit 40 nämlich. Er ist heute in den Achtzigern und lässt langsam eine erfüllende zweite Karriere ausklingen. Der ehemalige Hauptgeschäftsführer einer Industrie- und Handelskammer erzählte, ihm habe die Bibliothekarin seines Hauses einmal ein Buch hingelegt, dessen Titel ihn elektrisiert habe: „Ruhestand beginnt mit 40“. Er habe damals beschlossen, er wolle Herr seines Ausscheidens bleiben. Er wolle vorbereitet auf den Abschied und vorbereitet auf den neuen Lebensabschnitt sein. Er hat dieses Vorhaben konsequent umgesetzt.

Persönliches Fazit

Bleiben Leute wie Hamish Pringle  die  Ausnahme?  Oder ist er ein weiterer Trendsetter?  Ich denke, auch bei  Verbänden, Kammern und zivilgesellschaftlichen Organisationen  werden zeitlich begrenzte Verträge (5 plus 5)  mit einem Ausscheiden nach spätestens zehn Jahren aus der letzten Führungsposition von der Ausnahme zur Regel werden. Aus den beschriebenen Gründen.

Hinweis: Die in diesem Beitrag verwendeten Zitate stammen aus der Mail vom 6.12.2012 von Hamish Pringle an den Verfasser oder aus dem Buch des Autors "Der Ruhestand kommt später" , Frankfurt 2012. Die Aussage des Verfassers, es gebe einen Trend zur Encore Career, ist näher ausgeführt in APuZ (Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament) Nr. 4-5/2013 vom 21.1.2013 S. 13-17.                                          
www.bpb.de/apuz/153123/encore-career-von-der-ausnahme-zur-normalitaet

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Autor/in

Henning von Vieregge

ist u. a. Buch- und Hörbuchautor, Blogger (www.vonvieregge.de), Lehrbeauftragter an der Universität Mainz sowie Verbändecoach. Von Vieregge war viele Jahre Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Kommunikationsagenturen (GWA).

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