Evelyne de Gruyter vom Verband der Unternehmerinnen in Deutschland und Franziska Teubert vom Startup-Verband wünschen sich mehr Frauen an der Spitze von Wirtschaftsverbänden. Die beiden Geschäftsführerinnen sind sich einig: Verbände sollten in der Führung von Ehren- und Hauptamt weiblicher und diverser sein. Und sie sollten sich bei gemeinsamen Anliegen stärker zu Netzwerken zusammenschließen. Warum eigentlich? Henning von Vieregge hat nachgefragt.
Verbändereport: Sie sind beide Geschäftsführerinnen in Ihren Verbänden. Bitte stellen Sie kurz Ihren Verband vor.
Franziska Teubert: Den Startup-Verband gibt es seit zwölf Jahren. Zu unseren 1.200 Mitgliedern zählen auch ältere Startups. Wir setzen uns für bessere Rahmenbedingungen für Gründerinnen und Gründer sowie Innovationen in Deutschland und Europa ein. Wir arbeiten in sehr agilen Prozessen, und das recht erfolgreich.
Der Verband finanziert sich über die Mitglieder?
FT: Genau, ein großer Teil der Finanzierung erfolgt über unsere Mitglieder. Aber auch über Events und Sponsoring.
Ist es richtig, dass nicht jede Neugründung für den Verband ein Startup ist?
FT: Genau! Wir konzentrieren uns auf die Neugründungen, die ein innovatives Geschäftsmodell haben und wachstumsorientiert oder skalierfähig sind. Wir sprechen nicht den Bäcker um die Ecke an, der eine neue Backstube aufmacht. Wir sagen immer: die Unternehmen der Zukunft, die den Wohlstand von morgen sichern. Diese wachstumstechnologie-innovationsorientierten Unternehmen sind unsere Zielgruppe.
Lassen wir mal offen, ob jetzt alle Bäcker protestieren, aber der Punkt ist klar. Wann scheidet man bei Ihnen aus?
FT: Man scheidet bei uns nie aus, weil man natürlich die Möglichkeit hat, dieses Ökosystem weiter zu gestalten, auch wenn man dann dem Startup entwachsen ist. Wir haben Unternehmen bei uns, die heute nicht mehr als Startup gelten würden, wie beispielsweise Zalando oder Hello Fresh. Viele etablierte Unternehmen – vom DAX-Konzern bis zum Mittelständler – unterstützen uns als Fördermitglieder dabei, dieses Startup-Ökosystem in Deutschland weiter wachsen und aufblühen zu lassen. Auch die Investorenseite ist vertreten, ebenso die Business-Angels, aber der Hauptkern sind Startups.
Frau de Gruyter, sagen Sie bitte etwas zum Verband der Unternehmerinnen.
Evelyne de Gruyter: Ende Mai haben wir unser 70-jähriges Bestehen gebührend gefeiert. Der VdU wurde 1954 von der Stahlunternehmerin Käte Ahlmann gegründet und von Anfang an stand die politische Interessenvertretung, aber auch das Netzwerken im Mittelpunkt. Seitdem setzen wir uns für bessere Rahmenbedingungen für Frauen in der Wirtschaft ein, aber auch für den Zugang von Frauen zu Netzwerken. Wir finanzieren uns ebenfalls fast ausschließlich über Mitgliedsbeiträge, haben aber wie der Startup-Verband Partnerschaften und Sponsoren an unserer Seite. Von Zeit zu Zeit gibt es Förderprojekte mit Ministerien.
Zum Beispiel?
EG: Wir haben uns u. a. für das Thema „Frauen in Aufsichtsräten“ eingesetzt, als diese Diskussion 2010 in den politischen Raum kam und alle gesagt haben: „Wo sind denn diese Frauen? Es gibt ja gar keine, die wir besetzen können.“ Neben unserem politischen Engagement für mehr Frauen in Aufsichtsräten haben wir ganz konkret im Rahmen eines Förderprojekts Aufsichtsratsanwärterinnen mit einer fundierten Weiterbildung qualifiziert und eine Datenbank aufgebaut, die mittlerweile über 800 Kandidatinnen für Spitzengremien umfasst, beides mit Partnerorganisationen.
Und aktuell?
EG: Zuletzt haben wir uns mit dem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Modellprojekt „she succeeds – mehr weibliche Nachfolge!“ für einen erfolgreichen Generationswechsel und Frauen in der Unternehmensnachfolge eingesetzt.
Wie definieren Sie eine UnterÂnehÂmerin?
EG: Eine Unternehmerin ist für uns eine Frau, die sich für die unternehmerische Selbstständigkeit entschieden hat – sei es als Selbstständige, Gründerin, Unternehmensnachfolgerin oder Familienunternehmerin. Wir repräsentieren nahezu 1:1 die Vielfalt der deutschen Wirtschaft, von der Kleinunternehmerin eines Handwerksbetriebs bis hin zu Regine Sixt oder Liz Mohn, die beide an der Spitze eines Konzerns stehen oder standen. In unserem Verband finden sich branchenübergreifend Beraterinnen mit einem Dienstleistungsschwerpunkt, aber auch Frauen in klassischen Männerdomänen wie dem Baugewerbe oder dem Maschinenbau.
Frau Teubert, sind Sie eigentlich die erste Frau an der Spitze des Verbandes, und ist auch die Doppelspitze neu?
FT: In der kurzen Geschichte des Verbandes bin ich die erste Frau in der Geschäftsführung. Es gab aber eigentlich immer eine Doppelspitze, in den ersten Jahren auch eine Doppelspitze von Vorstandsvorsitz und Geschäftsführung. Im Rahmen der Professionalisierung 2019 wurde das satzungstechnisch entkoppelt. Seitdem gibt es einen ehrenamtlichen Vorstand und eine hauptamtliche Geschäftsführung.
Und heute?
FT: Ich mache das in der Doppelspitze zusammen mit Christoph Stresing. Wir als Duo sind quasi wegweisend, weil wir das erste Duo sind, das hauptamtlich die Geschäftsführung übernommen hat, ohne ehrenamtlich im Vorstand zu sitzen. Und wir haben in unserer Historie mit Verena Pausder seit Dezember auch die erste Frau in der Vorstandsspitze, also volle Frauenpower mittlerweile.
Beim Verband der Unternehmerinnen ist es wahrscheinlich nicht so originell, dass eine Frau führt, oder?
EG: Nein, da haben Sie natürlich recht. Wir hatten in der Hauptgeschäftsstelle durchaus schon männliche Kollegen, aber die Geschäftsführung war immer eine Frau. Das gilt auch für die Präsidentschaft und den gesamten Bundesvorstand.
Sie gehen davon aus, dass es immer noch zu wenig Frauen in der Führung von Verbänden gibt. Gibt es eigentlich verlässliche Daten?
FT: Ich weiß von keinen Daten, es ist wohl nicht statistisch erhoben. Wir können aber aus unserem Erfahrungsschatz schöpfen. Wir sind beide in vielen Verbänderunden in Ministerien dabei und teilweise doch noch die Exoten. Die Verbändelandschaft ist sehr groß und sehr divers. Aber wenn es um die Wirtschaftsverbände geht, sind diese noch stark männerlastig.
EG: Ich kann das nur unterstreichen: Wir haben keine Zahlen, aber wenn wir in der Runde bei Herrn Habeck saßen, waren gefühlt 60 Männer und vier Frauen anwesend. Das spricht für sich.
Es gibt verschiedene Beispiele von Frauen, die als Geschäftsführerinnen in Wirtschaftsverbänden arbeiten, fast alle berufen in den 2020er-Jahren und oft als erste auf dieser Position.
FT: Wir sehen, dass es immer mehr Frauen gibt, und wir würden uns natürlich wünschen, dass das ein bisschen schneller geht. Da schlägt auch der Fachkräftemangel bei den Verbänden zu. Demnächst stehen wir vor einem Generationenwechsel und hoffen, dass dadurch an der ein oder anderen Stelle ein neuer Wind reinkommt. Ich glaube, die politische Interessenvertretung wird sich wandeln und ändern müssen. Wir versuchen das im Verband bereits moderner und digitaler zu gestalten und haben auch unsere Erfolge. Mit dem Generationenwechsel wird sich dann hoffentlich in der Verbändelandschaft insgesamt einiges tun in den nächsten Jahren.
Wir reden über Frauen in Führungspositionen, aber müssen Verbände nicht insgesamt diverser werden?
EG: Definitiv. Es gibt zum Beispiel zu wenige Verbandsvertreterinnen aus den neuen Bundesländern, es fehlt oftmals die internationale Perspektive, insgesamt die Diversität.
Ist es ein Wunsch an die empirischen Wissenschaften, dass für Verbände, Ehren- und Hauptamt, belastbare Daten vorgelegt werden?
FT: Richtig, aber die Beispiele zeigen doch: Wir sind noch weit davon entfernt, hier pari zu sein. Das eine ist, wie es in der Geschäftsführung aussieht. Das andere sind die ehrenamtlichen Vorstände. Die sind in den Wirtschaftsverbänden noch eher männlich geprägt. Ich freue mich, wenn es da zu Veränderungen kommt. Evelyne und ich sind dabei, diese wenigen Frauen, die es da gibt, stärker zu vernetzen. Es ist wahnsinnig wichtig, sowohl die einzelnen Netzwerke zusammenzuführen als auch die Unterstützung untereinander nach oben zu halten.
Sie beide plädieren für mehr Frauen an der Spitze der Verbände. Warum eigentlich?
FT: Ich glaube, unsere Wirtschaft steht vor so großen Herausforderungen, dass es da die besten Lösungen braucht. Und die entstehen, wenn verschiedene Perspektiven an einem Tisch sitzen und zusammen diskutieren, was die beste Lösung ist. In den letzten Jahren, vielleicht Jahrzehnten, haben wir zu wenig vielfältige Perspektiven gehabt. Natürlich muss man immer die Interessen der einzelnen Wirtschaftsverbände geschlechtsunabhängig vertreten, das ist ja klar. Aber wir sehen, was für eine Bereicherung es im Diskurs ist, wenn da einfach mal was aufgebrochen und auf den ausgetretenen Diskussionspfaden ein bisschen nach links und rechts geschaut wird.
Sollten Verbände, wenn sie mit der gesellschaftlichen Entwicklung mindestens mithalten wollen, diverser aufgestellt sein?
EG: Wir stehen als Gesellschaft vor riesigen Transformationsaufgaben und Verbände haben dabei eine wichtige Aufgabe. In der vorletzten Ausgabe vom Verbändereport wurde die Rolle der Verbände bei der Stärkung der Demokratie betont. Aber auch für die anderen großen Themen – die großen Ds, zum Beispiel Digitalisierung und Dekarbonisierung – brauchen wir vielfältige Perspektiven. Gerade, was das Thema Nachhaltigkeit betrifft, sehen wir, dass Frauen verstärkt im Bereich nachhaltiger Geschäftsmodelle gründen. Diese Perspektiven brauchen wir auch in der Verbandsentwicklung.
Diversität ist kein Selbstzweck?
FT: Ich bin davon überzeugt, dass Diversität ein Mehrwert für ganz Deutschland und für den gesamten Wirtschaftssektor werden kann.
EG: Es gibt auch Studien und konkrete Zahlen dazu, die belegen, dass diverse Teams in der Wirtschaft wirtschaftlich erfolgreicher sind und qualitativ bessere Entscheidungen treffen.
Würden Sie zustimmen, dass mehr Diversität auch mehr Aufwand bedeutet?
EG: Es ist sicherlich immer aufwendiger, wenn verschiedene Perspektiven aufeinander abgestimmt werden müssen. Gleichzeitig führt es – wie schon gesagt – zu qualitativ besseren Ergebnissen.
Ist Ihre jüngste Umbenennung ein Beispiel dafür, dass Verbände sich fortlaufend anpassen müssen?
EG: Ja, das sehe ich so. Wir werden zukünftig „Verband der Unternehmerinnen in Deutschland“ heißen. Gegründet wurden wir 1954 als „Vereinigung von Unternehmerinnen“. Im Zuge der Wiedervereinigung wurde daraus der „Verband deutscher Unternehmerinnen“, um das Gesamtdeutsche zu betonen. Jetzt war es an der Zeit, den nächsten Schritt zu gehen. Unternehmerinnen mit Migrationsgeschichte oder internationale Frauen, die in Deutschland unternehmerisch tätig sind, haben uns gefragt, ob sie überhaupt bei uns Mitglied werden können. Dabei ging es uns schon immer um die in Deutschland unternehmerisch tätigen Frauen und nicht um ihre Nationalität.
Sind Kinder ein Hindernis beim Aufstieg von Frauen in Führungspositionen?
FT: Das ist ziemlich altes Denken. Ich glaube, da sind wir heute in puncto Arbeitszeitmodelle, Aufteilen von thematischen Aufgaben, Teamführung, digitale Arbeit usw. viel weiter. Ich bin unter 40, habe selber Familie und schaffe es dank der Konstellationen, die wir hier geschaffen haben, sehr gut, beides zu vereinen. Das muss das Ziel in der gesamten Wirtschaft sein. Da stehen die Wirtschaftsverbände vorneweg, das Thema Vereinbarkeit nicht mehr als Hindernis oder Ausrede zu nehmen. Das können wir uns auch gar nicht mehr leisten. Egal, ob in den Wirtschaftsverbänden oder in der Wirtschaft: Auf das Potenzial von diesen in Deutschland so wahnsinnig gut ausgebildeten Frauen dürfen wir nicht verzichten. Ich kann aus eigener Erfahrung und aus der von Kolleginnen sagen: Das geht!
Sind Sie sicher, dass Kindergärten und Schulen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in allen Fällen ermöglichen?
EG: Franziska und ich sind uns vollkommen einig, dass das Thema Kindererziehung bzw. generell Sorgearbeit keine reine Frauenarbeit sein darf, sondern eine partnerschaftliche Aufgabe sein muss. Gleichzeitig wenden Frauen immer noch deutlich mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf. Wir haben in Teilen Deutschlands einen mangelhaften Zugang zu ausreichender und qualitativer Kinderbetreuung, was wiederum ein Grund für die unzureichende Vereinbarkeit ist. Die strukturellen Rahmenbedingungen müssen stimmen und das ist u. a. auch ein Thema, für das sich Wirtschaftsverbände einsetzen müssen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass dort mehr Frauen sitzen. Wir haben u. a. zusammen mit dem Bundesverband der Freien Berufe und unserem geschätzten Kollegen Peter Klotzki eine Verbändeallianz zum Thema „Vereinbarkeit von Unternehmertum und Familiengründung“ ins Leben gerufen. Auch das ist ein Bereich, in dem es noch viel zu tun gibt.
Wieso ist dies ein besonderes Problem?
EG: Es gibt kein Mutterschaftsgeld für Selbstständige. Auch die Elterngeldbeantragung ist höchst kompliziert. Eine Gründerin oder Unternehmerin muss im Vorfeld angeben, wie viele Stunden sie nach der Schwangerschaft pro Woche arbeiten wird, was vollkommen realitätsfremd ist. Auch die Deckelung der Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten – gerade für Kinder unter einem Jahr, für die es gar keine richtige Betreuungsmöglichkeit gibt – ist nicht zeitgemäß. Hier in Berlin ist die Betreuungssituation deutlich besser, aber wir sind ein bundesweiter Verband. Wenn ich von Unternehmerinnen aus Baden-Württemberg höre, dass sie teilweise schon mittags ihre Kinder aus dem Kindergarten abholen müssen, um sie zu bekochen, dann ist das nicht akzeptabel. Wir müssen uns auch mit Fehlanreizen wie dem Ehegattensplitting oder der kostenlosen Mitversicherung auseinandersetzen. Das sind Systeme, die die Einverdienerehe fördern.
Das heißt, aus dieser Beobachtung leiten Sie auch politische Forderungen ab.
EG: Selbstverständlich!
Haben Sie den Eindruck, dass Sie da vorwärts kommen?
EG: Bei der jetzigen Regierung habe ich schon den Eindruck, dass es für diese Themen eine große Offenheit gibt.
Frau Teubert, wenn die Zahlen valide sind, fällt auf, dass Frauen gerade bei den Startups massiv in der Minderheit sind. Was können Sie da als Verband überhaupt machen?
FT: Wir erheben diese Zahlen seit vielen Jahren. Ich freue mich, dass wir in den letzten fünf bis acht Jahren zumindest einen kleinen Schritt nach vorne gemacht haben, von knapp 12 auf jetzt 20 Prozent. Das ist schon mal eine Hausnummer, auf der wir uns aber nicht ausruhen sollten. Wir befragen natürlich Gründerinnen zu den Hürden, vor denen sie stehen.
Und was wurde Ihnen geantwortet?
FT: Die großen Hürden sind zum einen der Zugang zu den großen Netzwerken. Wir versuchen, diese Netzwerke offener zu gestalten. Wenn wir Veranstaltungen durchführen, versuchen wir genauso viele Frauen auf die Bühne zu stellen wie Männer, um damit auch mehr Sichtbarkeit für Gründerinnen bei uns im Ökosystem zu schaffen. Die zweite große Herausforderung ist das Thema Finanzierung. Wenn man sich anguckt, wo eigentlich Geld investiert wird, sind es vor allem noch die Männerteams. Thomas stellt Thomas beim Vorstand ein, Christian investiert häufiger in Christian als in Manuela, das ist leider bei uns genau das gleiche Phänomen. Da versuchen wir, in die eigene Branche hineinzuwirken und dieses Thema immer wieder auf die Bühne zu bringen, um ein Umdenken zu bewirken. Klar ist aber auch, wir brauchen mehr Frauen in Deutschland, die in den Fonds die Investmententscheidungen treffen. Auch hier fehlt es häufig an diversen Perspektiven. Der dritte Punkt, der genannt wird, und das verfolgen wir jetzt auch in der Allianz mit VdU und BFB, ist tatsächlich die Vereinbarkeit von Unternehmertum und Familie. Häufig fallen das Gründen, vor allem im Startup-Bereich, und die Familiengründung zeitlich zusammen.
Wenn bei Frauen Unternehmens- und Familiengründung parallel passieren, wie kann man da unterstützen?
FT: Ich kenne keine Gründerin, die nach der Geburt ihres Kindes ein Jahr aus ihrem Unternehmen ausgestiegen ist. Oder sagt: „Ich mach jetzt Teilzeit von neun bis zwölf Uhr, solange die Kita aufhat, und danach mache ich nichts.“ Da ist der Partner genauso gefragt wie die Großeltern oder privat organisierte Betreuung, weil eine Betreuung in Deutschland anderweitig nicht gewährleistet ist. Da können wir an den Rahmenbedingungen noch was ändern, und deswegen machen wir uns dafür stark. Und zum anderen kann man Gründerinnen die finanzielle Unsicherheit in der Zeit direkt nach der Geburt stärker nehmen, indem wir einen Mutterschutz auch für Selbstständige einführen.
Sie beide haben immer wieder auf die Wichtigkeit von Netzwerken hingewiesen.
EG: Der Zugang zu Netzwerken ist ein ganz entscheidender Faktor für die berufliche Entwicklung von Frauen. Es geht um den Austausch unter Gleichgesinnten. Man muss wissen: Als wir gegründet wurden, brauchte eine Frau noch die Erlaubnis ihres Mannes, um arbeiten zu dürfen. Da waren Frauen oftmals allein auf weiter Flur. Es passiert aber auch heute noch regelmäßig, dass Chefinnen gefragt werden, wann denn endlich der Chef kommt. Der Austausch im geschützten Raum, das Stärken untereinander, die Möglichkeit, sich gegenseitig Kraft zu geben, ist wahnsinnig wichtig.
FT: Erfahrung im geschützten Raum ist sehr wertvoll für die eigene Arbeit. Ich glaube, wir haben so viele schwergewichtige Themen in Deutschland, die wir angehen müssen, um unsere Wirtschaft wieder nach vorne zu bringen. Und diese Themen können wir nur gemeinschaftlich mit der Politik gestalten, wenn wir uns da zusammentun und mehr in Allianzen und Zusammenhalt denken. Dafür braucht es natürlich Netzwerke, in denen man vertrauensvoll zusammenarbeitet, Positionen erarbeitet und dann gemeinsam marschieren kann. Ich erlebe es im Kontext mit dem VdU und dem BFB als sehr wertvoll, diese Themen zusammen voranzutreiben, weil man unterschiedliche Zugänge, unterschiedliche Perspektiven und unterschiedliches Feedback aus den Branchen zu diesem Thema zusammenführen kann. Ich glaube, dass wir dadurch viel präziser in den Forderungen sind und auch mehr Gehör gefunden haben, als wenn wir alleine losgelaufen wären. Davon braucht es sehr viel mehr!
Sie empfehlen, bei jeder Frage zu überlegen, mit welchem anderen Verband eine Überschneidung vorhanden ist, und sich zu einem Verbund auf Zeit in einem Netzwerk auszutauschen. Ist das in der Intensität eine neue Entwicklung?
FT: Ich glaube, ja. Die großen Verbände sind schon immer zusammen marschiert. Aber thematisch wirklich so eng zusammenzuarbeiten und die eigenen Ressourcen einzubringen, das erlebe ich als neu. Davon brauchen wir in der Verbändewelt sehr viel mehr. So vorzugehen passt nicht immer, v. a. nicht bei branchenspezifischen Themen. Es gibt aber auch Themen, die für alle relevant sind: z. B. das Riesenthema Fachkräftesicherung und Fachkräfteeinwanderung. Es gibt viele Verbände, die dieses Thema vorantreiben. Sich da mehr zusammenzuschließen und sich auszutauschen, ermöglicht eine viel größere Schlagkraft gegenüber der Politik. Das müssen wir deutlich intensivieren.
Letzte Frage: Haben Sie als weibliche Geschäftsführerin einen Ratschlag an Kollegen und Kolleginnen?
EG: Ja, wichtig ist: Vernetzt euch untereinander, gebt euch gegenseitig Sichtbarkeit, bestärkt euch. Einfach die Empfehlung, wenn man selber an einem Panel nicht teilnehmen kann, eine andere zu platzieren. Kräfte zusammenzulegen und den Mut zu haben, solche Positionen anzutreten, auch wenn es vielleicht ein sehr männlich geprägtes Umfeld ist. Deswegen ist es so wunderbar, mit anderen Geschäftsführer-Kolleginnen zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig zu unterstützen.
FT: Den letzten Punkt würde ich nochmal unterstreichen, vor allem den Mut zu haben, ins kalte Wasser zu springen, Herausforderungen anzunehmen und das Schritt für Schritt zu meistern. Ich erlebe Frauen da immer noch häufig als sehr zurückhaltend und sehr überlegend, ob sie sich das zutrauen können. Ich würde sagen, ja, auf jeden Fall! Egal, ob männlich geprägte Branche oder weiblich geprägte Branche: Wir brauchen mehr weibliche Führungskräfte, nicht nur bei den Wirtschaftsverbänden. Deswegen: traut euch!
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Evelyne de Gruyter ist seit 2020 Hauptgeschäftsführerin des Verbands deutscher Unternehmerinnen (VdU). Zuvor leitete sie seit 2016 die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie internationale Projekte des VdU. Vor ihrer Zeit beim Verband verantwortete die Diplom-Kauffrau u. a. die Marketingabteilung des Vivantes Prevention Centers und war für eine familiengeführte Hotelkette tätig.
Der Verband deutscher Unternehmerinnen e. V. (VdU) vertritt seit 1954 als Wirtschaftsverband branchenübergreifend die Interessen von Unternehmerinnen in Politik und Gesellschaft. Seit 70 Jahren setzt sich der VdU für mehr weibliches Unternehmertum, mehr Frauen in Führungspositionen und bessere Bedingungen für Frauen in der Wirtschaft ein. In besonderem Maße zeichnet uns die Verbindung von unternehmerischer Interessenvertretung und gleichstellungspolitischer Lobby aus.
Franziska Teubert ist seit 2019 Geschäftsführerin des Startup-Verbands, der die Interessen von über 1.200 Mitgliedern vertritt. 2015 gründete sie den Kater Demos Verlag und war Herausgeberin des Kater Demos Magazins. Ihre Karriere begann sie 2012 bei der Agentur für politische Kommunikation Kompaktmedien in Berlin, wo sie von 2017 bis 2019 als Mitglied der Geschäftsleitung die Agenturentwicklung sowie das Neukundengeschäft verantwortete.
Der Startup-Verband (Bundesverband Deutsche Startups) ist die Stimme der Startups in Deutschland. Er vertritt ihre Interessen gegenüber Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit. In seinem Netzwerk mit 1.200 Mitgliedern schafft der Verband einen Austausch zwischen Startup, Scaleups, Investoren und etablierter Wirtschaft. Ziel des Startup-Verbandes ist es, Deutschland und Europa zu gründungsfreundlicheren Standorten zu machen.