Interessenvertretung ist die Legitimationsbasis eines Verbandes: Die Vertretung gemeinsamer Interessen gegenüber der Politik ist auch heute noch ein wichtiger Grund für Mitglieder, einem Verband anzugehören. Ursprünglich war die Interessenvertretung Hauptgrund zur Gründung der meisten Verbände. Diese Tatsache ist in den letzten Jahren, in denen in den Verbänden und in der DGVM viel über Dienstleistungen als Legitimationsgrund für Verbände diskutiert worden ist, etwas in den Hintergrund getreten. Gemeinsame politische Interessenvertretung ist jedoch ein USP von Verbänden, der sie einzigartig macht und kaum ersetzt werden kann. Bei Dienstleistungen stehen Verbände in der Regel jedoch im Wettbewerb zu kommerziellen Anbietern.
Auf der anderen Seite schätzt es auch die Politik, neben den immer häufiger werdenden Kontakten zu Unternehmensvertretern, mit Verbänden sprechen zu können. Trotz aller Kritik und Schelte in den Medien (Minister Steinbrück: „Lobbyisten an die Arbeitsfront“) sind sowohl die politische Leitung als auch die Beamten in den Ministerien am Dialog mit den Verbänden interessiert, häufig sogar darauf angewiesen. Gleiches gilt für die Abgeordneten im Deutschen Bundestag und in den Landtagen. Verbände werden geschätzt, denn sachliches Know-how ist für angemessene Entscheidungsvorbereitung und richtige Entscheidungen unverzichtbar. Während nämlich die Fachfragen, die Beamte und Abgeordnete zu behandeln haben, immer komplizierter werden und vor allem technische Innovationen in immer kürzeren Abständen neue Sachlagen schaffen, bleibt die personelle Ausstattung im Bundestag und in den Ministerien konstant oder geht sogar zurück. Von Verbänden bereitgestellte (Fach-) Informationen, Beurteilungen und Folgenabschätzungen sind insofern hoch willkommen.
Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal für Verbände ist es, ganze Branchen oder Teilbranchen zu repräsentieren und für diese verbindlich Abkommen oder Vereinbarungen schließen zu können. Dies macht ihren besonderen Wert für die Politik aus und unterstreicht die Bedeutung im Vergleich zu Unternehmensvertretern, die zwar teilweise mehr Sachkompetenz in technischen Detailfragen haben können, aber immer nur die Interessen eines Unternehmens vertreten.
Wie Verbände in Berlin präsent sein können
Wie aber können Verbände erfolgreich Lobbying betreiben, wie sich bei der Politik ins Gespräch bringen und dauerhaft präsent sein?
Hierbei gibt es sehr verschiedene Möglichkeiten, die von der Größe des Verbandes ebenso abhängen wie von dem Stellenwert, den Lobbying für die eigene Verbandsarbeit hat. Zudem ist entscheidend, ob der Fokus auf die Politiker in Berlin (Minister, Abgeordnete des Deutschen Bundestages) gerichtet ist oder auf die Arbeitsebene. Eine Rolle spielt auch, ob die wichtigsten Ministerien noch in Bonn sitzen. Schließlich ist zudem von Bedeutung, wie oft ein Verband auf der europäischen Bühne in Brüssel Flagge zeigen muss.
Für die Spitzenverbände, die hauptsächlich auf Ministerebene kommunizieren, ist die Sache eher einfach: sie haben in der Regel den Sitz ihres Verbandes nach Berlin verlegt. Andere, die dies aus internen Gründen nicht konnten, unterhalten in Berlin eine Repräsentanz oder ein Hauptstadtbüro. Hier arbeiten Public Affairs-Spezialisten, deren einzige Aufgabe es ist, Informationen zu beschaffen, Kontakte zu pflegen, den Verband zu repräsentieren und auf politische Entscheidungen einzuwirken.
Beide Möglichkeiten, Sitz des Verbandes in Berlin oder Vertretung durch eine eigene Hauptstadt-Repräsentanz, bieten enorme Vorteile. Aus Sicht des Verbandes steht der erheblich bessere Informationsfluss im Vordergrund. Wer in informellen Netzwerken gut verdrahtet ist, hat meist einen erheblichen Vorsprung. Vieles ist nämlich schon längst zu hören, ehe es in amtlichen Texten oder Gesetzentwürfen zu Papier gebracht worden ist. Die Netzwerkpflege findet zu einem erheblichen Anteil abends statt, bei Parlamentarischen Abenden, Diskussionsveranstaltungen und Foren, oder aber in verschiedenen Lobbyistenzirkeln und -Clubs. Die Verbände in Berlin machen täglich neu die Erfahrung, dass persönliche Kontakte im Lobbying durch nichts zu ersetzen sind.
Dem Verband ein Gesicht geben
Deshalb schätzt es auch die Politik, wenn Verbände in Berlin präsent sind. Dies wird nicht nur formell bei der Akkreditierung zum Deutschen Bundestag erwartet: auch informell werden die Verbände besonders ernst genommen, die eine Berliner Adresse und Telefonnummer haben. Nicht selten passiert es, dass der Referent eines Abgeordneten, der Sekretär eines Ausschusses oder der Mitarbeiter aus dem Leitungsstab eines Ministers bei der Ausarbeitung einer Vorlage eine Fachfrage hat, die er kurz abklären möchte, telefonisch, oft aber auch persönlich. Ist der Verband in Berlin vertreten und sind Ansprechpartner sowie Telefonnummer bekannt, ist die Wahrscheinlichkeit eines kurzen Anrufes ungleich größer, als wenn der Fragende die Geschäftsstelle eines Verbandes außerhalb von Berlin anrufen und sich gegebenenfalls dort erst bis zum zuständigen Mitarbeiter durchfragen muss.
Obwohl es im Zeitalter der elektronischen Kommunikationssysteme eher komisch anmutet, da es eigentlich egal sein kann, wo der Gesprächspartner sitzt, gehört in der Berliner Politikszene nur richtig dazu, wer vor Ort ist. Der Grund ist einfach und menschlich: im Wust der Zahlen, Daten und Fakten, bei den Bergen von Papier, die sich in Beamten- und Abgeordnetenbüros türmen und bei den Stapeln von Briefen, die täglich eingehen, schätzen Beamte und Abgeordnete den persönlichen Kontakt, das direkte Gespräch, den kurzen Zugriff. Dazu gehören neben gelegentlichen, auch informellen Treffen vor allem Vertrauen in den Gesprächspartner. Dieses Vertrauen aber kann nur über eine längere Zeit erworben werden. Darüber hinaus ist das unterstützende Kontaktnetzwerk extrem wichtig, auch dieses lässt sich stabil nur vor Ort aufbauen und pflegen, insbesondere auch im Rahmen vieler Abendveranstaltungen. „Talk, don’t write“, lautet deshalb ein geflügeltes Wort unter erfolgreichen Lobbyisten. Gespräche sind einzigartig, persönlich; sie bestehen aus einem Austausch, der beide Seiten beteiligt und transportieren mehr als nur reine Sachinformation. Insofern sind sie deutlich wirkstärker als das beste Positionspapier, und sei es (intellektuell) noch so brilliant.
Was aber können Verbände tun, die im Interesse ihrer Mitglieder auf eine dauerhafte Präsenz in Berlin angewiesen sind, allerdings die Kosten für eine eigenes Hauptstadtbüro oder gar den vollständigen Umzug nach Berlin nicht aufbringen wollen oder nicht können, oder aus anderen Gründen am angestammten Standort verbleiben wollen? Auch sie können in Berlin präsent und professionell vertreten sein, wenn sie sich der Dienste einer Public Affairs-Agentur oder eines freien Lobbyisten bedienen. Die Zahl dieser auf die Interessenvertretung ihrer Auftraggeber spezialisierten Dienstleister ist in Berlin in den letzten Jahren stark angestiegen.
Public Affairs-Agenturen als Partner der Verbände
Aus Sicht der Politik ist diese Form der Repräsentanz genauso akzeptabel wie ein Verbindungs- oder Hauptstadtbüro, können die Agentur oder der Lobbyist benötigte Informationen ebenso schnell, zuverlässig und seriös beschaffen wie eine Verbandsgeschäftsstelle, und haben sie sich das wichtigste Kapital im politischen Dialog bereits erworben: Vertrauen!
Für den Verband, der sich über Dritte vertreten lassen will, ist es allerdings von entscheidender Bedeutung, den richtigen Partner zu finden. Um die Auswahl zu erleichtern, können sich Präsidenten und Hauptgeschäftsführer an den folgenden Leitfragen orientieren:
• Kann die Agentur oder der Lobbyist den Verband glaubwürdig vertreten und ihm eine Berliner Adresse und eine Telefonnummer bieten, unter der sich die Telefonzentrale mit dem Namen des Verbandes meldet?
• Verfügt die Agentur oder der Lobbyist über ein ausreichendes Netzwerk an persönlichen Kontakten zu Abgeordneten im Deutschen Bundestag und zu den für den Verband wichtigsten Ministerien - auf der Arbeits- und der Leitungsebene?
• Hat die Agentur bzw. der Lobbyist einen Draht nach Brüssel, der jederzeit aktiviert werden kann, wenn in Berlin behandelte Fragen ihren Ursprung in Brüssel haben?
• Kann die Agentur eine Person benennen, die den Verband dauerhaft repräsentiert?
• Welchen Stellenwert hat der Verband im Gesamtkundenportfolio der Agentur oder des Lobbyisten?
• Verfügt die Agentur oder der Lobbyist über die nötigen zeitlichen Ressourcen?
• Kennen die Agentur oder der Lobbyist die Struktur von Verbänden und die Prozesse der Entscheidungsfindung?
• Ist die Agentur oder der Lobbyist bereit, bei Terminen vor Ort fallweise den Präsidenten, den Hauptgeschäftsführer oder die Fachexperten der Verbände zu beteiligen und gemeinsam mit diesen aufzutreten?
Für eine fruchtbare Zusammenarbeit müssen sich die Verbände zudem vorher fragen, was sie sinnvoll delegieren wollen und können und was sie selbst tun müssen. Dazu gehört in der Frage der Entscheidungsvorbereitung die Festlegung, ob ein Berliner Lobbyist nur für ein bestimmtes Projekt, etwa die Beeinflussung eines Gesetzes oder einer Verordnung als „Hired Gun“ oder dauerhaft als Repräsentanten verpflichtet werden soll. Geht es nur um ein Einzelprojekt, kann die Lobbyarbeit weitgehend delegiert werden. Im Falle einer dauerhaften Repräsentanz empfiehlt sich ein Modell, bei dem der Präsident beziehungsweise der Hauptgeschäftsführer systematisch integriert werden.
Aufbau und Pflege des Netzwerkes, persönliche Kontakte, Informationsfluss und Sacharbeit sind delegierbar, ersetzen aber nicht vollständig die persönliche Präsenz der Verbandsrepräsentanten. Bei herausragenden gesellschaftlichen Veranstaltungen, Gesprächen mit Ministern oder Staatssekretären, Anhörungen in Ausschüssen etwa sollten Präsident und/oder Hauptgeschäftsführer anwesend sein. Dies ist kein Widerspruch, sondern eine sinnvolle Ergänzung zu einem beauftragten Lobbyisten, denn aufbauend auf einem stabilen Kontaktnetzwerk eines Dienstleisters ist es für Präsidenten und Hauptgeschäftsführer erheblich leichter, mit wichtigen Politikern ins Gespräch zu kommen und Termine bei bedeutenden Entscheidern zu erhalten. Das Niveau möglicher Präsidentengespräche mit Ministern ist außerdem deutlich höher und die Ergebnisse sind besser, wenn die Treffen sachlich wie fachlich gut vorbereitet sind.
Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist zudem die Art und Weise der Zusammenarbeit zwischen dem Verband und dem Berliner Repräsentanten. Diejenigen Verbände sind am erfolgreichsten, die den Berliner Lobbyisten nicht nur als verlängerten Arm des Präsidiums oder der Hauptgeschäftsführung betrachten, der in Berlin vertritt, was die Verbandsgremien beschlossen haben, sondern ihn schon im Vorfeld in die interne Diskussionen des Verbandes integrieren. Vorteil dieser Vorgehensweise ist es, schon in die Positionsbildung die Sichtweise der Ministerialbürokratie oder der Politik einbeziehen zu können und die eigene Argumentation so zu gestalten, dass sie ein Höchstmaß an Überzeugungskraft für die Rezipienten beinhaltet. Ein erfahrener Lobbyist kann Verbände hierbei wirkungsvoll unterstützen, Fehler zu vermeiden und die Erfolgschancen zu erhöhen. Besonders hilfreich ist dabei das Einordnen der Verbandsposition in einen größeren politischen Zusammenhang, wobei die Ziele der Politik Berücksichtigung finden. Deshalb ist es empfehlenswert, den Lobbyisten, der den Verband in Berlin vertritt, regelmäßig an der Diskussion politischer Themen in den Verbandsgremien zu beteiligen.
Je besser dies gelingt und je mehr der Lobbyist dadurch die Innensicht des Verbandes kennt, den er vertreten soll (was durchaus auch die unterschiedlichen Sichtweisen unterschiedlicher Gruppierungen einschließt), umso mehr kann er der Politik nützlich sein und desto öfter wird er gefragt werden. Das kommt letztendlich dem Verband zugute.
Lobbyarbeit kostet Geld, der Verzicht darauf kann die Existenz kosten
Verbände, die vor der Entscheidung stehen, einen Berliner Lobbyisten oder eine Agentur mit der Vertretung ihrer Interessen zu beauftragen, interessiert natürlich besonders der finanzielle Aufwand. Obwohl diese Frage nicht pauschal mit einer Summe beantwortet werden kann, ist es für die Diskussionen vor einer Kontaktaufnahme mit geeigneten Partnern hilfreich, schon einmal die möglichen Kostenpositionen ins Kalkül zu ziehen.
Dazu zählen ein Anteil an den Büro-, insbesondere aber auch an den Kommunikationskosten. In jedem Fall ist es sinnvoll, dem Verband eine eigene Telefonnummer zuzuordnen, unter der sich das Berliner Büro mit dem Namen des Verbandes meldet. Zudem müssen Reisekosten veranschlagt werden, wobei empfehlenswert ist, dass der Berliner Repräsentant etwa einen Tag im Monat in der Geschäftsstelle ist, um mit dem Präsidenten oder dem Hauptgeschäftsführer sowie den Sachgebiets- oder Referatsleitern zu sprechen. Teilnahme an Gremiensitzungen kommen von Fall zu Fall hinzu.
Der zeitliche Aufwand in Berlin hängt stark davon ab, ob es sich hauptsächlich um Kontakt- und Netzwerkpflege sowie Informationsbeschaffung handelt, oder ob aktives Lobbying zur Beeinflussung eines bestimmten Gesetzes oder einer Verordnung nötig ist. Hierbei wiederum ist entscheidend, ob dieses Lobbying ausschließlich in Berlin geschieht oder ob Einzelgespräche in den Hauptstädten der Bundesländer oder auch in Brüssel nötig sind.
Während für die oben genannten Sachkosten die üblichen Telekom-, Flug- oder Bahnkosten in Ansatz gebracht werden, ist für die personelle Seite die Abrechnung auf Tagewerkbasis üblich. In der Regel wird hier zwischen Agenturinhabern/Seniorberatern, Beratern, Juniorberatern und Assistenzkräften unterschieden; wobei außerhalb von speziellen Lobbyprojekten Pauschalierungen möglich sind. Manche Agenturen verlangen auch eine monatliche Grundpauschale. Damit Aufwand und Ergebnis in einer sinnvollen Relation stehen, sollte die Beauftragung mindestens einen Arbeitstag pro Woche nicht unterschreiten.
Sonderaktivitäten wie Parlamentarische Abende, Hintergrund- oder Kamingespräche mit Entscheidungsträgern oder Pressekonferenzen müssen separat budgetiert werden.
Zusammenfassung
Auch Verbände, die nicht mit ihrer Geschäftsstelle oder einer eigenen Repräsentanz in Berlin vertreten sind, können erfolgreiche Lobbyarbeit im Interesse ihrer Mitglieder leisten, wenn sie sich durch eine geeignete Public Affairs-Agentur oder einen freien Lobbyisten in Berlin vertreten lassen. Dabei gilt: „Talk, don´t write“. Geeignete Kontakte sind über die „Partner der Verbände“ des Verbändereport zu finden.