„Die EU-Kommission finanziert die Interessenvertretungen, die bei ihr Lobby betreiben.“ Das behauptet der estnische EU-Kommissar Siim Kallas, in dessen Ressort auch die Betrugsbekämpfung fällt. Das gelte zwar nicht für die Wirtschaftsverbände, aber für zahlreiche Non-Government-Organisationen (NGO) auf dem Felde der Umwelt- und Sozialpolitik.
Zwei Milliarden Euro werden jährlich von der EU-Kommission den Nicht-Regierungsorganisationen gezahlt, ein Großteil davon für Entwicklungshilfe und soziale Projekte. Zahlungen an Organisationen, von denen die Kommission nach Feststellung von Siim Kallas oft nur recht spärliche Kenntnisse hat.
Noble Zwecke – opake Transparenz
„Gegenwärtig wird eine Menge Geld für „gute Zwecke“ durch Organisationen geschleust, von denen wir wenig wissen. Edle Zwecke verdienen immer einen genaueres Hinschauen“, so Kallas kürzlich bei einer Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung in Berlin. Dabei verglich er die Nicht-Regierungsorganisationen mit Robin Hood, der das Geld von den Reichen genommen habe, um es den Armen zu geben. „Das Ziel war akzeptabel, aber die Distribution nicht transparent.“
Nun wird niemand die Zweckmäßigkeit bestreiten, wenn sich der Staat oder die EU-Kommission zur Katastrophen- und Entwicklungshilfe auch des Sachverstandes und der Erfahrungen der Nicht-Regierungsorganisationen bedient, bedenklich wird es aber, wenn sich diese Organisationen auch ihre Infrastruktur aus öffentlichen Mitteln finanzieren lassen – insbesondere dann, wenn diese wieder zu einem guten Teil zum Erwerb weiterer öffentlicher Mittel verwendet werden. Es liegt auf der Hand, dass bei einem solchen Subventionskarussell eine Organisation leicht die eigentliche Zielsetzung wie Umweltschutz oder Entwicklungshilfe aus den Augen verlieren kann und dafür mehr die organisationspolitischen Sekundärzwecke, nämlich finanzielle Stärkung der eigenen Organisation im Wettbewerb mit vergleichbaren Organisationen, verfolgt.
Die EU-Kommission hat kürzlich offen gelegt, mit welchem Aufwand sie Umweltorganisationen finanziert und welchen Anteil diese Mittel am Gesamtbudget der subventionierten Organisationen besitzen.
In der nebenstehenden Übersicht fällt neben einer gewissen Willkürlichkeit der Zuwendungen vor allem der hohe Anteil der Doppelt- und Dreifachfinanzierungen auf. Zudem ist die Übersicht alles andere als vollständig, so fehlen etwa die jährlichen Zuwendungen von 750.000 Euro an die European Women’s Lobby.
Staatsabhängige NGO
Wer sich bis zu siebzig Prozent seines Verwaltungshaushalts von Brüssel finanzieren lässt, kann kaum als regierungsfrei bezeichnet werden. EU-Kommissar Kallas hält deshalb das Wort „Nicht“ im Selbstverständnis der meisten Nicht-Regierungsorganisationen für weitgehend fiktiv. Deshalb verzichtet beispielsweise auch Greenpeace darauf, an die öffentlichen Beatmungsgeräte angeschlossen zu werden, um die volle Handlungsfreiheit zu behalten. Greenpeace stellt damit aber nur eine der wenigen Ausnahme von der Regel der öffentlichen Alimentierung dar. NGO sind sicher Aktivisten, nicht zuletzt auch bei der Erschließung von Steuergeldern. Sie sind damit staatsabhängig, weil sie zur Eigenfinanzierung unfähig sind.
Binnen und buiten
Wie gut die Nicht-Regierungsorganisationen die Klaviatur von Mittelbeschaffung und Einflussnahme beherrschen, machten „Capital” und „Der Spiegel” am Beispiel von Barbara Helferich klar, die 1999 als Generalsekretärin der Europäischen Frauenlobby in die Kommission wechselte und dort für Frauenfragen zuständig wurde.
Als Morgengabe hatte sie den Entwurf einer Anti-Diskriminierungsrichtlinie im Gepäck, die mittlerweile in Kraft getreten ist und im Frühjahr auch hierzulande für heftigen Parteienstreit sorgte. Wie „Der Spiegel“ berichtete, habe sie aber vor allem dafür gesorgt, dass die Frauenlobby ordentlich mit Brüsseler Geld ausgestattet worden sei. Im Jahre 2004 waren dies immerhin 750.000 Euro aus Brüsseler Kassen – das entspricht 80 Prozent des Gesamtbudgets der European Women’s Lobby.
Eine Einflussnahme, die von Barbara Helferich, die mittlerweile zur Sprecherin von EU-Umweltkommissar Stavros Dimas avanciert ist, heftig dementiert wird: Als Mitglied der Europäischen Kommission sei man nur ein kleines Rädchen im Getriebe, das kaum über Einflussmöglichkeiten verfüge. Die Einflussmöglichkeiten ‚von draußen’ seien vielfach höher.
Öffentliche Meinung durch öffentliche Mittel?
Nach Helferichs Auffassung sei es zudem Aufgabe der EU-Kommission, durch Finanzierung von Nicht-Regierungsorganisationen „die öffentliche Debatte auszubalancieren“. Dieser aparten Meinung ist entgegenzuhalten, dass sich nach dem überkommenen Gesellschaftsverständnis die öffentliche Debatte autonom konstituiert und es am allerwenigsten Aufgabe der EU-Kommission ist, diese durch selektive Mittelzuwendungen „auszubalancieren“. Wenn sie aber tatsächlich diesen Zweck verfolgt, dann päppelt sie sich finanziell die ihr genehme Lobby. Mit den Worten des neuen EU-Kommissars Siim Kallas: „Das Wort „Nicht“ (in Nicht-Regierungsorganisationen) ist ganz und gar fiktiv. Einige NRO, die Mittel von der Kommission erhalten, beschreiben auf ihren Webseiten als ihre Hauptaufgabe, Lobbying bei der Kommission zu betreiben. Mit anderen Worten: Die Kommission bezahlt Lobbies, damit diese bei ihr Lobbying betreiben.“
Transparenz Fehlanzeige
Fast alle Nicht-Regierungsorganisationen verfügen mittlerweile über eigene Websites, die über Zielsetzung und Aktivitäten berichten. Fehlanzeige aber allenthalben bei der Rechenschaftslegung über die Verwendung öffentlicher Mittel, ferner keine Angaben zum Verwaltungsaufwand und zur Höhe öffentlich subventionierten Bugdetanteils.
Stattdessen fällt auf, dass sich offenbar Reisen in entfernte Kontinente umgekehrt proportional zu den Eigenmitteln verhalten. Schon vor Jahren stellte der Soziologe Erwin K. Scheuch bei seinen Untersuchungen zum „Kölner Klüngel“ fest: „Es gibt drei Verhaltensweisen zum Geld: Am sorgfältigsten geht man mit selbst verdientem Geld um, etwas laxer schon mit geliehenem, vollends brechen alle Skrupel zusammen, wenn es sich um Steuergelder handelt.“ (HM)
Die Notwendigkeit einer europäischen Transparenz-Initiative
Die Europäische Kommission und das Parlament bereiten seit einiger Zeit eine Transparenz-Initiative vor, die auch Licht in das Geflecht der wirtschaftlichen Interessenvertretungen sowie in die Nicht-Regierungsorganisationen bringen soll. Die politischen Ziele, die sich damit verbinden, wurden kürzlich von EU-Kommissar Siim Kallas vor der Friedrich Naumann-Stiftung in Berlin vorgestellt. Hier einige Auszüge aus seinem Vortrag:
„Die Debatte über integres Verhalten sollte nicht auf öffentliche Einrichtungen beschränkt werden. Organisationen, Gruppen oder Personen im Umfeld der europäischen Institutionen, die Rat anbieten, Mandanten vertreten, Informationen liefern oder öffentliche Interessen verteidigen, sollten auch rechenschaftspflichtig sein. Am Lobbying ist nichts auszusetzen, weil jeder Entscheidungsprozess geeignete Informationen aus unterschiedlichen Blickwinkeln benötigt.
Gegenwärtig gibt es in Brüssel rund 15.000 Interessenvertreter, 2.600 Interessengruppen verfügen über ein ständiges Büro in Brüssel. Man schätzt den finanziellen Aufwand hierfür auf etwa 60 bis 90 Millionen Euro. Was fehlt, ist die Transparenz. Es gibt derzeit keine Vorschriften für eine Rechenschaftslegung über und für eine Registrierung von Lobby-Aktivitäten. Verzeichnisse, die von Interessenvertretungen zur Verfügung gestellt werden, sind freiwillig und unvollständig oder enthalten keine Angaben zu den spezifischen Interessen, die vertreten werden, und wie sie finanziert werden. Selbstverpflichtungen für Verhaltenskodizes kennen nur wenige Unterzeichner und sind ohne Sanktionen ausgestattet.
Interessenvertreter haben beträchtlichen Einfluss auf die Gesetzgebung, vor allem bei sehr technischen Vorhaben. Ihre Einflussnahme richtet sich insbesondere auf die Kommission und das Parlament. Aber die Transparenz dieser Aktivitäten ist viel zu dürftig im Vergleich zu dem Einfluss, den sie besitzen.
Das gleiche gilt für Nicht-Regierungsorganisationen (NRO). Viele NRO verlassen sich auf die Finanzierung aus öffentlichen Mitteln, von denen einige aus der Kommission stammen. Die Kommission verteilt jährlich über zwei Milliarden Euro über Nicht-Regierungsorganisationen an Entwicklungsländer. Das Wort „Nicht“ (in Nicht-Regierungsorganisationen) ist ganz und gar fiktiv. Einige NRO, die Mittel von der Kommission erhalten, beschreiben auf ihren Webseiten als ihre Hauptaufgabe, Lobbying bei der Kommission zu betreiben. Mit anderen Worten: Die Kommission bezahlt Lobbies, damit diese bei ihr Lobbying betreiben. Die Europäische Transparenz-Initiative bezweckt auch eine größere Transparenz dieser Netzwerke, indem beispielsweise das gegenwärtige Registrierungsverfahren von Nicht-Regierungsorganisationen verbessert wird. Die Registrierung sollte auch Finanzinformationen enthalten.
Die Menschen haben ein Recht zu erfah-ren, wie ihr Geld ausgegeben wird – auch von Nicht-Regierungsorganisationen. Zurzeit wird eine Menge Geld für „gute Zwecke“ durch Organisationen geschleust, von denen wir wenig Kenntnis haben. Edle Zwecke verdienen immer, dass man genauer hinschaut. Im Mittelalter waren die Wälder rund um Nottingham berühmt wegen des mutigen Robin Hood, dem ‚Prinzen der Diebe’, der den Sheriff von Nottigham überlistete und die Reichen bestahl, um es den Armen zu geben. Man kann diese Legenden umwobene Figur als eine Art früher Nicht-Regierungsorganisation betrachten: Sein Anliegen schien edelmütig zu sein, aber seine Distributionswege mangelten an Transparenz.“