In einer neuen Serie widmet sich der Verbändereport den „weichen” Faktoren der Verbandsarbeit: dem Vortrag, der Präsentation, der Rede. Den Beginn macht die Frage, wie eine Rede auf fruchtbaren Boden fallen kann und welche Vorbereitungsschritte im Vorfeld des eigentlichen Redebeitrags sinnvoll sind.
Man möge behaupten, eine gute Rede beginne mit dem ersten Wort. Das ist nicht falsch. Gleichermaßen jedoch nur die Hälfte der Wahrheit. Eine erfolgreiche Rede beginnt, wie jede schriftliche oder mündliche Äußerung, mit der Vorbereitung. Keine Rede der Weltgeschichte ist einfach nur gehalten worden. Im Gegenteil: Monatelang arbeiten Redenschreiber, Coaches, Medienberater mit Kanzlern an Regierungserklärungen. Ähnlich sollte es um ein Grußwort, eine Dankesrede oder auch einen Symposiums-Vortrag stehen. Gute Vorbereitung macht sogar mehr als die Hälfte der Miete aus – wer weiß, was er wie wo und wann sagen möchte, braucht es nur noch zu sprechen! Lampenfieber, so verständlich und gut es in Maßen ist, ist oftmals ein Ausdruck mangelnder Vorbereitung.
Gerade bei Reden gilt: In der Kürze liegt die Würze. Lange Sätze ermüden nicht nur den Zuhörer, sie verhindern auch das Verstehen. Es ist bisher selten beobachtet worden, dass während eines Vortrages Zuhörer um Wiederholung des eben Gesagten gebeten haben. Ein schwergängiges Buch kann der Leser wiederholt zur Hand nehmen. Eine Rede nicht. Ergo: Die Zuhörerbezogenheit des Redners stellt eine basale Voraussetzung guten Redens dar. Diese bemisst sich wesentlich an zwei Maßstäben: am Redner selbst und am -Publikum.
Motivation des Redners
Dieser Abgleich von „Rolle des Redners setzen“ und „erforschen der Rolle des Gegenübers“ findet in drei Schritten statt. Erstens befragt der Redner sich selbst. Im zweiten Schritt das – vermeintliche und wahrscheinlich anwesende – Publikum, um im dritten Schritt beides zusammenzubringen. Für den Redner hat es sich als sinnvoll erwiesen zu hinterfragen, weswegen der Redner eigentlich diesen Vortrag oder diese Präsentation halten soll. Fünf Fragen bieten sich für den Redner zur Klärung an:
- Warum soll dieser Redner diese Rede halten?
- Wurde der Redner empfohlen? Von wem?
- Wird der Redner Erfolg oder Misserfolg ernten können?
- Bestehen möglicherweise Gefahren im Beruf, für die Umgebung oder Freunde und Familie?
- Welche Chancen bestehen?
Offensichtlich greift nicht jede Frage für jede Situation. Dennoch helfen sie, die eigene Rolle zu setzen, die Zuhörerbezogenheit herzustellen. Die Frage, weswegen gerade dieser Redner diese eine Rede halten soll, mag hinfällig erscheinen. Viele Redeanlässe ergeben sich nicht qua Angebot, sondern aus der jeweiligen beruflichen Position heraus. Allerdings zeigt sich, wer die Frage aus Gewohnheit nicht stellt, wird die Antwort schmerzlich vermissen. Leider erst im Nachhinein: Während einer Schulung erzählte ein Referent, dass er anstelle des Abteilungsleiters einen Vortrag im Rahmen einer Vorstandssitzung halten sollte und dies, da er mitverantwortlich für den Inhalt war, auch gerne tat. Während des Vortrags torpedierte der Vorstand ihn mit sehr kritischen Fragen, die letztlich dazu führten, dass die vorgeschlagene Strategie nicht umgesetzt wurde. Sein Abteilungsleiter brachte sich gewissermaßen aus der Schusslinie, „geopfert“ wurde der Referent. Mangelnde Vorinformation ist oftmals Zeichen einer mangelhaften Situations-Analyse. Die oben angegebenen Fragen ermöglichen eine effiziente Analyse.
Warum das Publikum?
Die Situation wäre nur unzureichend erfasst, wenn sich der Redner nicht dem Publikum widmete. Also gilt es, das zukünftige Publikum zu erforschen:
- Kommen die Zuhörer freiwillig?
- Bestehen Konkurrenzverhältnisse innerhalb des Publikums?
- Bestehen Vorurteile gegen den Redner oder gegen das Thema?
- Wie ist der Zeitrahmen, wann wird die Rede gehalten?
- Droht gar Kürzung oder kurzfristige Absage?
Ob die Mehrheit des Publikums freiwillig anwesend ist oder nicht, kann viel bei einer Rede beeinflussen. Eine Veranstaltung vor einhundert freiwilligen Zuhörern ist meist fehlertoleranter als im Falle abgestellter Claqueure. Über den Daumen gepeilt darf man sagen: Je freiwilliger die Anwesenheit, desto geringer die Vorurteile gegen Redner und Thema. Vorurteile im Publikum äußern sich nicht nur aktiv durch Widerspruch, sondern sehr viel häufiger durch deutliches Desinteresse, was den Vortragenden verunsichert. Hier ein paar Anekdoten, Witze oder lockere Sprüche als Joker aus dem Ärmel zu schütteln, baut die Barriere ab. Der Vorteil für den Redner, der um sein Publikum weiß: Er kann die Erwartungshaltung übertreffen. Dazu später etwas mehr.
Ein Wort zur Zeitfrage: Der letzte Vortragende in einer Reihe von zehn – beispielsweise auf einem Kongress – übernimmt den zeitlich schwierigsten Part. Überzieht nur jeder der Vorredner fünf Minuten, summiert sich das auf die Zeitdauer eines kompletten Vortrags auf. Den Letzten beißen die Hunde. In der Regel wird dieser Vortragende durch seinen eigenen Vortrag hetzen, da die Zuhörer ihre Bahn- und Flugtickets bereits erworben haben. Unzweifelhaft mit Zug- und Flugzeugbindung. Das Einhalten des terminierten Abschlusses des Tages ist damit immanent, andernfalls verlassen die Zuhörer den Saal und niemand hört den letzten Vortrag. Durch den Vortrag hetzen stellt die schlechteste aller Lösungen dar. Sehr sinnvoll ist die kluge Kürzung durch „Herausbrechen“ von Inhalten, ohne die wichtigsten Inhalte zu verlieren. Derartige Sollbruchstellen können bereits bei der Gliederung der Rede angelegt werden und sich an Argumentationen, Erläuterungen oder Anekdoten orientieren. Niemals den Beginn oder den Schluss dem Zeitmanagement opfern!
Aufmerksamkeit verringert sich stetig
Wie die Aufmerksamkeitsphasen während eines Vortrags verlaufen, zeigt Abbildung 1. Niemals während einer Rede ist die Aufmerksamkeit so hoch wie zur Einleitung. Selbst mit dem dezenten Hinweis, man komme gleich zum Schluss, lässt sich das Niveau nicht mehr so hoch heben. Ein guter Beginn und ein pointierter Schluss genießen damit unverrückbare, weil sie redestrategisch so wichtig sind, Priorität. An jeder anderen Stelle des Vortrags kann Zeit eingespart werden, durch weniger Detaillierung oder gar Weglassen ganzer Inhalte. Für das Kürzen einer Rede bietet sich die journalistische Vorgehensweise an: von hinten weg. Ausgenommen sind lediglich die Einleitung und der Schlussteil oder -satz.
Im dritten – und letzten – Schritt der Vorüberlegungen werden beide Ebenen, die des Redners und jene des Publikums, zusammengeführt. Hierzu mögen folgende Leitfragen dienen:
- Wie ist die Zusammensetzung (Hierarchie, Alter/Geschlecht etc.)?
- Welcher Wissensstand ist vorauszusetzen?
- Ist ein Sollzustand (oder eine Änderung möglicher Handlungen) zu erreichen?
- Wie ist die Erwartungshaltung, die Einstellung zum Vortrag einzuschätzen?
Die Erwartungshaltung
Ganz ähnlich einem Stapel von Overhead-Folien, die übereinandergelegt ein neues Bild zeigen, ergibt sich bei genauerer Betrachtung eine Art Rahmenbedingung für die Rede. Ein Publikum verlangt nach greifbaren, für sie verständlichen Beispielen, um Gesagtes zu verstehen. Der gute Redner illustriert seine Argumente mit Bezügen zum Erfahrungshorizont des Publikums. Wenig illustrierend sind Bilder und Metaphern, die im Publikum nicht verstanden werden: Über den Nutzen von Stützstrümpfen vor einem Publikum sportlich junger Menschen zu reden, wird wenig Akzeptanz für den Vortragenden und den Vortrag wecken.
Auch zeichnet sich die Erwartungshaltung ab: Möchten die Anwesenden in ihrer Meinung bestärkt werden oder mehrheitlich etwas Neues erfahren? Steht ein eher unterhaltendes Moment im Vordergrund oder giert das Publikum nach wissenschaftlichen Tiefenblicken? Diese Erwartungshaltung bezieht sich auf Struktur, Form der Darbietung, Sprache und Dynamik des Vortrags, der Rede. Ein belehrender (docere, die „Lehrer-Rede“) Vortrag, der lustig gehalten wird, neigt zur Übertreibung und weniger zu Erkenntnisfortschritten. Ein ergreifender Vortrag (movere, die „Pastorats-Rede“) als Grußwort zum Verbandsjubiläum wirkt nicht nur, sondern ist auch deplatziert. Eine erfreuende Tischrede (delectare, die „schöne Rede“) zur Neubestimmung des Verbandszwecks scheint wenig treffsicher. Unabhängig von der konkreten Situation erwartet das Publikum auch anderes.
Der Redner als Dienstleister für das Publikum? Nein. Sogar im Gegenteil. Im Sinn einer Rede liegt es, gehört zu werden. Ein wohlwollendes Publikum bewertet eine Rede gut, wenn zuvorderst die Erwartungen erreicht oder gar übertroffen wurden. Das Publikum wird wohlwollend, wenn es „dort abgeholt wird, wo es steht“. Zu Beginn einer jeden Rede, die gut werden soll, steht für den Vortragenden an, für ein wohlwollendes Publikum zu sorgen. Die beste Rede, die nicht auf fruchtbaren Boden fällt, wird durch den Rezipienten selten als gut empfunden werden.
Bereitet sich der Vortragende intensiv und zielorientiert auf die jeweilige Redesituation vor, hat er dem Publikum etwas voraus und dreht den Spieß um. Bereits als Vortragender hat er die Hoheit über den Redeinhalt und die Darbietung. Durch gute Vorbereitung und punktgenaue Vorinformationen nimmt sich der Redner zusätzlich die Hoheit über die Rahmenbedingungen und damit das Klima für den Vortrag in die eigene Hand. Gute Redner bestechen durch zielgruppenaffine Beiträge, sie machen sich von einer zufälligen Konstellation unabhängig und bestimmen damit auch den Ton des eigenen Vortrags. So erreicht die Rede ihr Ziel. Und der Redner die Köpfe und Herzen der Zuhörer.