Verbändereport AUSGABE 5 / 2006

Widerspruch als Führungsinstrument

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In diesem Aufsatz wird betrachtet, wo und wie Führungskräfte Widerspruch als konstruktives Mittel einsetzen können: In der personellen Führung lässt er sich als Zeichen der Anerkennung nutzen, bei der inhaltlichen Lenkung als Mittel der fachlichen oder der strategischen Kontrolle.

Widerspruch ist einer der heikelsten Aspekte der direkten Kommunikation. Gemocht wird er in der Praxis eigentlich von niemandem, nicht von dem der widerspricht und schon gar nicht von dem, dem widersprochen wird. Das liegt vor allem daran, dass Widerspruch vielfach schlicht als verbalisierter zwischenmenschlicher Konflikt verstanden wird. Entsprechend schulen Kommunikationstrainer unermüdlich weg vom Widerspruch und hin zur sachlichen, positiv formulierten und persönlich verankerten Konfliktkanalisierung. Die gezielt gebrochene Regel kann jedoch eine umso größere – und sehr positive Wirkung entfalten:

Teamarbeit ohne Widerspruch?

Die Schwierigkeit im Umgang mit Widerspruch liegt in zwei typischen Aspekten begründet: Erstens geschieht er aus sich heraus – erfragte Kritik oder Bedenken sind keine Widersprüche. Zweitens ist er spontan – der schriftlich vorbereitete Einwand oder die Abwägung im Gutachten sind ebenfalls keine Widersprüche in diesem Sinne.

Spontaner Widerspruch ist zudem, anders als etwa das Gutachten, nicht Teil, sondern Ergebnis einer Abwägung. Er ist das verbalisierte Stopp-Schild. Das macht ihn in hierarchisch organisierten Arbeitsgruppen vermeintlich gefährlich. Vorgesetzte fühlen sich von widersprechenden Mitarbeitern herausgefordert und reagieren abweisend, weswegen diese sich nur in Ausnahmensituationen und als letzte Rettung äußern. Als ungut empfundene Entwicklungen lassen sie grundsätzlich „lieber laufen“, um nicht als Störer aufzufallen. Umgekehrt widersprechen auch die Vorgesetzten ihren Mitarbeitern nicht – wenn sie anderer Meinung sind, machen sie es schlicht anders.

In dieser Konstellation taucht Widerspruch praktisch gar nicht auf, die in der Arbeitsbewertung relevanten Parameter Anerkennung und Kontrolle laufen unilateral vom Vorgesetzten zu den Mitarbeitern.

Bewertungen, letztlich Widerspruch der Mitarbeiter werden in diesem Modell nur innerhalb des Teams ausgetauscht, nicht aber den Vorgesetzten zugeführt. Das Kontrollpotenzial wie auch die Chancen für eine harmonische Teamkultur werden nicht genutzt. Die Etablierung einer Teamkultur, die Widerspruch ermöglicht, ist eine Führungsaufgabe. Um dies zu erreichen, kann der Vorgesetzte beginnen, Anerkennung und Kontrolle über Widerspruch zu geben.

Widerspruch als Zeichen der Anerkennung

Widerspruch stört einen sonst reibungslosen Ablauf. Darum wird er oft vermieden und genau darum sollte er häufiger genutzt werden. Wer sich mit leistungsstarken, kompetenten Mitarbeitern umgibt, kann Widerspruch als Zeichen der Anerkennung nutzen.

Führungskräfte tragen grundsätzlich die Verantwortung für das, was in ihrem Team erarbeitet wurde. Es ist dementsprechend keine Überraschung, dass sie häufig bis zuletzt eigene Schwerpunkte setzen oder sogar Arbeitsergebnisse nach ihren Bewertungskriterien neu gewichten bzw. anders fassen. So üblich dieser Widerspruch durch Taten ist, so selten wird er von einem begleitenden Widerspruch in Worten erläutert. Der Widerspruch gegenüber der Leistung des Teams oder einzelner Mitarbeiter kann artikuliert, eingeordnet und letztlich als Bereicherung betrachtet werden, wenn er in der richtigen Form erfolgt.

Seine Bedeutung liegt offensichtlich weniger im materiellen Inhalt, da er nach Abschluss der kritisierten Arbeit erfolgt. Er dient vielmehr vor allem der Personalführung, weil er die eigenen Maßstäbe offen legt und einordnet. Widerspruch ist damit ein Zeichen des Respekts gegenüber den Mitarbeitern, an die er gerichtet ist.

Wichtig ist hierbei, dass tatsächlich erläuternd widersprochen wird. Es ist unerheblich, ob eine vergleichbare Situation wieder auftreten wird, da das Ziel nur zu einem geringen Teil ein „Lernerfolg“ ist. Vielmehr soll gezeigt werden, dass das vorgelegte Ergebnis aus vom Vorgesetzten zu beurteilenden Gründen geändert wurde – und diese Gründe offen gelegt werden. Wo dies aus Vertraulichkeitsgründen nicht möglich ist, sollte dieser Umstand angesprochen werden – das Signal ist größtmögliche Offenheit.

Widerspruch als Zeichen der Kontrolle

Widerspruch dient jedoch nicht allein als Zeichen der Anerkennung. Wenigstens ebenso wichtig ist er als Instrument der inhaltlichen Kontrolle. Auch in dieser Hinsicht kann er von der Führungskraft gezielt gegeben werden.

Eine der zentralen Aufgaben von Führungskräften ist der Abgleich der geleisteten Arbeit mit den explizit oder implizit gesetzten Zielen der Institution oder des Unternehmens. Widerspruch ist in dieser Hinsicht ein basaler Bestandteil der Lenkungsarbeit: Die laufende Korrektur von „Ist“ zu „Soll“. Wie bereits oben erwähnt, ist auch hier entscheidend, dass diese Korrektur von Wider-Sprechen begleitet wird und nicht nur Wider-Handeln.

Widerspruch von Mitarbeiterseite

Besonders heikel ist der Widerspruch, der die umgekehrte Richtung hat. Erfolgt er zum falschen Zeitpunkt, im falschen Ton oder schlicht im Beisein der falschen Personen, riecht er nach Palastrevolution.

Widerspruch gezielt einzufordern, heißt nicht nur, sein Team zum fortwährenden Mitdenken einzuladen. Es heißt auch, seine eigene Position hinterfragen zu lassen und andere Ansätze zu ermöglichen. Selbstverständlich ist dies nur in Teams möglich, die harmonisch genug sind, die Chance im Widerspruch zu erkennen und die Frage nach Gegenansichten nicht als Schwäche sondern als Stärke deuten. Auch der Widerspruch gegenüber der Führungskraft kann der Kontrolle dienen. Dies bedeutet nicht, gelegentlich zu fragen, ob ein Teammitglied in einem Punkt anderer Meinung ist oder etwas zu kritisieren hat.

Gerade charismatische Vorgesetzte können durch ihre persönliche Überzeugungskraft ihr Team mitreißen. So wertvoll dies für die Motivation und den Zusammenhalt sein kann, so sehr besteht auch die Gefahr, dass mögliche Schwachstellen übersehen oder für irrelevant gehalten werden. Daneben weiß insbesondere in spezialisierten Arbeitsgruppen der Vorgesetzte nicht notwendigerweise inhaltlich in allen Bereichen am besten Bescheid. Widerspruch seitens der Teammitglieder dient in diesen Fällen der laufenden fachlichen Kontrolle. Dazu ist es notwendig, dass dieTeammitglieder selbsttätig eingreifen und Widerspruch vorbringen, wenn sie es für richtig halten.

Widerspruch als Kreis von Anerkennung und Kontrolle

Diese lebendige und eigenverantwortliche Teamarbeit zuzulassen und zu fördern ist in sich ein Zeichen von Anerkennung seitens des Vorgesetzten. Damit ergibt sich in Teams mit einer entwickelten Widerspruchskultur ein System wechselseitiger fachlicher und strategischer Kontrolle, das gleichzeitig über Anerkennung den Teamzusammenhalt fördert.

Schematisch lässt sich dies als gegenläufiges System zwischen Vorgesetztem und Teammitarbeitern darstellen:

An diesem Schema wird deutlich, dass Kontrolle und Anerkennung sich gegenseitig aufeinander beziehen. Der scheinbar balancierte Kreislauf soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die maßgebliche Größe für ein funktionierendes System die Führungskraft ist. Sie ermöglicht oder verhindert den vertrauensvollen Widerspruch und sie bestimmt über ihre Art des Widerspruchs über die darüber transportierte Anerkennung in beiden Richtungen.

Widerspruch als Erkenntnismittel

Johann Wolfgang von Goethe schrieb „Das Gleiche lässt uns in Ruhe, aber der Widerspruch ist es, der uns produktiv macht.“ und bezog das vermutlich weniger auf Arbeitszusammenhänge in Teams. Der darin geäußerte Gedanke funktioniert jedoch genauso im teamgestützten Projektmanagement: Methodischer Widerspruch kann helfen, bereits in frühen Projektphasen Schwachstellen zu ermitteln. Während bei einzelnen Elementen des Projektmanagements, etwa beim Brainstorming, Widerspruch ausdrücklich vermieden wird, kann er bei anderen wertvoll eingesetzt werden. Dies betrifft besonders jene Bereiche, in denen Bewertungen vorgenommen werden müssen, etwa die Gliederung nach Prioritäten oder die Anpassung der Strategie.

Der Widerspruch hat auch hier die zwei Stoßrichtungen Personalführung und Inhaltskontrolle. Zum einen kann er Teammitglieder anspornen: Vorgesetzte übernehmen dazu in der Projektentwicklung die prüfende Rolle des Kunden. Widerspruch und unbequeme Fragen sollen wiederum zum Widerspruch und zur Identifikation mit dem Projekt führen. Zum anderen hat der Widerspruch die Funktion des „advocatus diaboli“: Mögliche Einwände sollen frühzeitig formuliert werden, um ein stabiles und zukunftsfähiges Ergebnis zu erzielen.

Fazit: Widerspruchsgeist als Teil der Unternehmenskultur

Widerspruch stört. Diese Störung kann aber in der Teamarbeit höchst produktiv, anspornend und letztlich anerkennend wirken. Neben dem in vielen Organisationen und Unternehmen institutionalisierten Kritik- und Vorschlagswesen kann der Widerspruch daher ein konstruktives Element einer auf Kooperation ausgerichteten Unternehmenskultur sein. Führungskräfte können durch gezielt gegeben und ermöglichten Widerspruch nicht nur zu besseren Ergebnissen kommen sondern ihr Team von Grund auf stärken.

Autor

Frederik von Rumohr verantwortet bei Blum|Fischer|Rumohr die Bereiche Projektmanagement und Verhandlung. Der gelernte Kaufmann und studierte Historiker, Kunsthistoriker und Politikwissenschaftler ist Lehrbeauftragter der Humboldt-Universität zu Berlin und wurde 2002 zum besten Redner Deutschlands gewählt.

Kontakt zum Autor:

Blum|Fischer|Rumohr

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