Die Ausübung der Mitgliedschaftsrechte in Vereinen kann nicht einem anderen überlassen werden, bestimmt § 38 BGB. Das Mitgliedschaftsrecht wird namentlich durch das Stimmrecht ausgeübt. Die Ausübung des Stimmrechts kann für Verbände, die rechtsfähige oder nicht rechtsfähige Organisationen zu ihren Mitgliedern zählen, erhebliche Probleme aufwerfen. Dabei geht es nicht um die Frage, ob und wie ein Mitglied sein Stimmrecht auf andere Mitglieder übertragen kann, sondern wie Mitglieder, die nicht natürliche Personen sind, ihr Stimmrecht selbst wirksam ausüben können.
Wie können nicht natürliche Personen ihr Mitglieder-Stimmrecht ausüben?
Solche Mitglieder sind bei Dachverbänden namentlich Verbände in Form von eingetragenen Vereinen; bei Wirtschaftsverbänden sind es in der Regel Unternehmen in den Rechtsformen der GmbH, der AG, der Genossenschaft, aber auch Organisationen in der Rechtsform der öffentlich-rechtlichen Körperschaft. Partnerschaftsgesellschaften, Stiftungen oder die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) wären weitere mögliche Rechtsformen, in denen Mitglieder organisiert sein können. Schließlich lässt das Vereinsrecht auch nicht-rechtsfähige Personenvereinigungen wie die BGB-Gesellschaft oder nicht eingetragene Vereine als Mitglieder zu.
In diesen Fällen stellt sich die meist übersehene Frage, wer befugtermaßen für diese Mitglieder das Mitgliedschaftsrecht ausüben darf. Die gesetzliche Regel besagt, dass solche Mitglieder nur durch ihre gesetzlichen Vertreter das Mitgliedschaftsrecht ausüben können. In einer rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigung erblickt die Literatur und Rechtsprechung eine Überlassung des Mitgliedsrecht „an einen anderen“ im Sinne von § 38 BGB, die grundsätzlich unzulässig ist, es sei denn, die Satzung würde ausdrücklich eine abweichende Regelung treffen (§ 40 i.V.m. § 38 BGB — vergleiche dazu weiter unten).
Beispielsfälle:
- Im eingetragenen Dachverband X ist der rechtsfähige Branchenverband A Mitglied. In den Mitgliederversammlungen von X wird A regelmäßig durch dessen (angestellten) Geschäftsführer vertreten. Weder die Satzung von X noch diejenige von A enthalten vom BGB abweichende Bestimmungen.
- Dem Branchenverband gehören Unternehmen in den Rechtsformen der AG, der GmbH, der KG, der GmbH & Co KG, der OHG und der BGB-Gesellschaft an. Die Mitgliedsunternehmen werden in den Mitgliederversammlungen teilweise durch Geschäftsführer, teilweise durch Prokuristen, teilweise aber auch durch sonstige leitende Angestellte der Unternehmen vertreten.
Sind die unter Mitwirkung dieser Personen gefassten Beschlüsse und Wahlen rechtmäßig zustande gekommen?
Ausübung des Stimmrechts
Grundsätzlich können die genannten Organisationen nur durch ihre gesetzlichen Vertreter das Stimmrecht ausüben. Bei Verbänden ist dies der Vorstand im Sinne von § 26 Abs. 1 und 2 BGB. Soweit er nach Gesetz oder Satzung nur zur Gesamtvertretung befugt ist, kann er auch nur zusammen mit den anderen Vertretern das Stimmrecht ausüben.
Im ersten Beispielsfall ist daher — vorbehaltlich einer abweichenden Satzungsklausel — die Ausübung des Stimmrechts durch den Verbandsgeschäftsführer, der nicht Vorstand im BGB-Sinne ist, unwirksam.
Im zweiten Beispielsfall enthalten die gesetzlichen Bestimmungen für die verschiedenen Gesellschaftsformen ebenfalls detaillierte Regelungen zur gesetzlichen Vertretung. Bei der GmbH sind es der oder die Geschäftsführer sowie ihre Stellvertreter, bei der AG und der Genossenschaft der Vorstand, bei der KG der persönlich haftende Gesellschafter (Komplementär), die wiederum eine GmbH sein kann, so dass deren Geschäftsführer vertreten. Bei der Partnerschaft und der OHG vertritt grundsätzlich jeder Gesellschafter einzeln, soweit er nicht von der Vertretung ausgeschlossen oder Gesamtvertretung vorgesehen ist. Die EWIV wird durch den oder die Geschäftsführer einzeln vertreten, soweit keine Gesamtvertretung vorgesehen ist. Die BGB-Gesellschaft wird durch die Gesellschafter gemeinschaftlich vertreten.
Bedeutsam ist, dass Prokuristen keine gesetzlichen, sondern gemäß § 48 HGB nur rechtsgeschäftlich bevollmächtigte Vertreter sind. Sie sind damit „andere“ im Sinne von § 38 Satz 2 BGB, denen die Ausübung von Mitgliedschaftsrechten nicht überlassen werden kann, sofern dies nicht durch Satzungsrecht ausdrücklich zugelassen ist. Das gleiche gilt für sonstige leitende Angestellte des Verbandsmitgliedes.
Rettung durch abweichende Satzungsklauseln
Die fehlende Vertretungsbefugnis ist natürlich ein wenig praktikables Ergebnis. Es stellt sich daher die Frage, ob nicht doch praxisgerechtere Lösungen möglich sind.
Nach § 40 BGB handelt es sich bei § 38 BGB um eine so genannte dispositive Vorschrift, was besagt, dass sie durch Satzung, aber auch nur durch eine Satzung abgeändert werden kann.
Sofern also eine Verbandssatzung die Klausel enthält, dass das Mitgliedschaftsrecht auch aufgrund einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht ausgeübt werden kann, können die vorstehend genannten Personen, denen nach § 38 BGB die Ausübung von Mitgliedsrechten an sich nicht überlassen werden darf, bei entsprechender Bevollmächtigung das Mitgliedschaftsrecht ausüben. Es handelt sich hierbei um eine statuarisch ermöglichte Stimmrechtsübertragung. Fehlt es dagegen an einer solchen Satzungsklausel und/oder an einer besonderen Vollmacht, die auch mündlich gegeben werden kann, dann ist dieser Personenkreis nicht zur Ausübung von Mitgliedschaftsrechten befugt.
Damit dürften in zahllosen Fällen Verbandsbeschlüsse nicht ordnungsgemäß zustande kommen, weil gegen die Vertretungsregeln verstoßen wird. Denn — wenn überhaupt — ist in Satzungen nur die Übertragung der Stimmrechtsausübung des Mitglieds auf andere Mitglieder, nicht aber die Vertretung des Mitgliedes selbst qua Bevollmächtigung geregelt.
Gesamtvertretung und Ausübung von Mitgliedschaftsrechten
Sofern die Satzung keine vom BGB abweichenden Regelungen trifft, können also nur gesetzliche Vertreter die Mitgliedschaftsrechte für Mitglieder ausüben, die keine natürlichen Personen sind (sieht man einmal bei natürlichen Personen vom Fall eines minderjährigen Vereinsmitgliedes ab).
Bei gesetzlichen Vertretern sehen das Gesetz, die Statuten oder die Gesellschaftsverträge häufig Gesamtvertretung vor, was besagt, dass eine wirksame Vertretung das Zusammenwirken mehrerer Vorstandsmitglieder oder Geschäftsführer (eventuell zusammen mit einem Prokuristen) erfordert. Dies bedeutet, dass die Ausübung des Stimmrechts bei Vertretung der jeweiligen Organisation in Vereinen auch nur gemeinschaftlich erfolgen kann. Die Anwesenheit des mehrköpfigen Vorstands ist daher bei der Beschlussfassung erforderlich. Nach der Rechtsprechung ist es auch unzulässig, wenn eines der Vorstandsmitglieder dem anderen eine „Generalvollmacht“ zur Ausübung des Stimmrechts erteilt. Solche Vollmachten sind im Vereinsrecht unzulässig, da sie zur Aushöhlung der gesetzlichen Aufgabe des Vorstands nach § 26 BGB führen würden. Ebenso würde in diesen Fällen eine Einzelvollmacht durch den Vorstand an ein einzelnes Vorstandsmitglied nicht zulässig sein, weil dadurch die satzungsmäßige Gesamtvertretung unterlaufen würde.
Begründen unterlassene Stimmrechtsprüfungen einen Haftungsanspruch?
Es gehört zu den unerlässlichen Sorgfaltspflichten eines Vereinsvorstandes, dafür zu sorgen, dass die Beschlüsse und Wahlen ordnungsgemäß zustande kommen. Dazu zählt namentlich die Prüfung des Stimmrechts. Fallen dem Verband also aufgrund fehlerhaft gefasster Verbandsbeschlüsse Kosten für eine Wiederholung der Beschlüsse zu Last (zum Beispiel für eine außerplanmäßige Tagung) oder erleidet er andere Schäden, besitzt der Verband dem Grunde nach einen Ersatzanspruch gegen den verantwortlichen Vorstand.
Der Verband selbst kann wiederum gemäß § 31 BGB Dritten und Mitgliedern gegenüber für die fehlerhaften Beschlüsse haftbar sein. § 31 BGB lautet: Der Verein ist für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt. Zu den „verfassungsmäßigen Vertretern“ zählen nach der Rechtsprechung nicht nur der Vorstand und der besondere Vertreter nach § 30 BGB, sondern auch alle sonstigen „Repräsentanten“, die nach außen hin mit Wissen oder Duldung des Verbandes diesen vertreten.
§ 31 BGB ist eine Zurechnungsnorm, keine anspruchsbegründende Vorschrift. Die Ersatzansprüche selbst können sich beispielsweise aus positiver Forderungsverletzung oder aus § 823 BGB ergeben (Mitgliedschaftsrecht als sonstiges Recht).
Wirkung fehlerhafter Verbandsbeschlüsse
Wirksame Beschlüsse kommen grundsätzlich nur zustande, wenn die gesetzlichen und statuarischen Regeln eingehalten worden sind. Beschlüsse, die unter Verstoß gegen diese Regeln gefasst worden sind, sind grundsätzlich nichtig, ohne dass es einer Anfechtung bedarf. Deshalb ist im Streitfall auch keine Anfechtungs-, sondern eine Feststellungsklage zu erheben. Solche die Nichtigkeit begründenden Umstände können etwa fehlerhafte Einladungen oder Satzungsbeschlüsse sein, die nicht in der Tagesordnung angekündigt worden waren.
Bei Wahlen und Beschlüssen führt die fehlende Vertretungsbefugnis aber nur dann zur Nichtigkeit des Beschlusses, wenn sie sich auf das Ergebnis der Abstimmung oder Wahl ausgewirkt haben kann. Wurde beispielsweise ein Beschluss mit großer Mehrheit gefasst und stellt sich später heraus, dass an der Abstimmung ein oder zwei Organisationen teilgenommen haben, die nicht ordnungsgemäß vertreten waren, berührt dies die Wirksamkeit des Beschlusses nicht. Bei Zweifeln bleibt es bei der Nichtigkeit des Beschlusses oder der Wahl. (HM)