Verbändereport AUSGABE 6 / 2013

Was Macht mit Mächtigen macht

Macht macht was mit den Menschen? Macht verändert – positiv und negativ. Warum Führungskräfte einen Hofnarr benötigen

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Das Wort Macht hat in Deutschland keinen guten Ruf. Viele Menschen verbinden es mit negativen Assoziationen: Tyrann, Despot, Herrscher, mit unlauteren Mitteln an die Macht gelangen, undemokratisch selbige ausüben. Auch die vielen historischen und aktuellen Beispiele des Machtmissbrauchs machen die Sache mit der Macht nicht gerade leichter. Macht aber ist notwendig, um seinen Verband zu stärken und voranzubringen. Nur, was geschieht mit den mächtigen Machern, und wie können sie den negativen Folgen entgehen?

Die sozialpsychologische Forschung verwendet den Oberbegriff „soziale Einwirkung“ und unterscheidet im engeren Sinn zwischen Macht und Einfluss. Dies mag für Menschen in Führungsposition wissenschaftliche Haarspalterei sein, wird aber spätestens dann überlebensnotwendig, wenn sie beides verlieren.

Einfluss liegt dann vor, wenn das Verhalten der Führungsperson A bei einer Person B etwas auslöst, was mit den Selbstverpflichtungen von B übereinstimmt. Die Folgen dieser Einflussnahme sind für B durchweg positiv: Er kann im Einklang mit seinen Selbstverpflichtungen handeln, seine Ziele und Interessen weiterhin verfolgen, selbst entscheiden, inwieweit er dem auf ihn ausgeübten Einfluss folgt, und autonom bleiben. Damit Menschen in den unteren Hierarchie-Ebenen dem Alpha-Tier auch freiwillig folgen, sollte die Führungspersönlichkeit also wissen, was die anderen wollen, antreibt, welche Ziele sie haben. Weil man in der Regel nicht die individuellen Ziele jedes Mitarbeiters kennt, muss man zumindest die bei allen gleichermaßen vorhandenen immer wieder bemühen: Sicherheit im Job, interessante Aufgaben, die mich fordern, selbstbestimmtes Arbeiten. Der letztgenannte Punkt wird von Motivations-Psychologen in den letzten Jahren immer wieder als einer der wichtigsten Antriebspunkte für die westliche Industriegesellschaft beschrieben. Wer – egal auf welcher Ebene – weitgehend selbstbestimmt seine Ziele und Aufgaben festlegt, arbeitet nachgewiesen weitaus effektiver und ist auf Motivation von außen nicht mehr angewiesen.

Macht vs. freie Entscheidung

Die zweite Form sozialer Einwirkung, Macht, ist dann gegeben, wenn das bei B ausgelöste Verhalten nicht zu dessen Selbstverpflichtungen, zum Eigenbild passt. Die Folgen dieser Art von Beeinflussung sind negativ: Machtausübung wendet sich gegen die Interessen des Betroffenen und lässt keinen Raum für freie, eigene Entscheidungen. Im Ergebnis können sich im Individuum Konflikte aufbauen, deren Lösung sich gegen den Verbandschef, den Verband als Ganzes oder gegen sich selbst richten. Die Person A, welche Macht ausübt, kann sich dabei verschiedener Mittel bedienen: belohnen, bestrafen, Legitimation (A besitzt Rechte, B sind Pflichten auferlegt), Attraktivität (B hegt Wunsch nach Identifikation mit A) und überlegener Kenntnisstand. Ein Wort noch zum ersten Machtmittel. Viele Studien haben gezeigt, dass die immer noch hoch geschätzte Belohnung durch Geld oder Gratifikationen wenig bringt. Menschen gewöhnen sich allzu schnell an den neuen Status und betrachten diesen dann als naturgegeben. Viel effektiver und kostengünstiger sind Lob, Anerkennung, Freiraum und selbstbestimmtes Arbeiten.

Macht ist notwendig

Macht (im positiven Sinne) ist weder positiv noch negativ, sondern schlicht und einfach notwendig. Wer sie besitzt, steht in der Regel an der Spitze einer Hierarchie. Hier gilt es, Verantwortung für andere Menschen, den gesamten Verband und zugleich die davon abhängigen Firmen zu übernehmen. Hinzu kommt ein Phänomen, das aus unserer oft überdemokratisierten Gesellschaft resultiert – Macht in demokratischen Situationen. Einzelne müssen ab einem bestimmten Zeitpunkt der Diskussion einen Schlusspunkt setzen und sagen, was wie gemacht wird. Auf der anderen Seite stehen Menschen, die sich einer Autorität freiwillig unterordnen und den Weisungen folgen wollen, weil das entlastend für sie ist – auch wenn sie dies nicht zugeben würden. Wenn ich dem Machtinhaber folge, gebe ich Verantwortung ab und kann ruhig schlafen. Und im Fall des Scheiterns bin ich nicht verantwortlich. Macht ist also erst einmal mit der Aufgabe verbunden, den ganzen Laden möglichst positiv zu entwickeln. Interessant ist nun, wie sich Macht in den Gehirnen der Mächtigen widerspiegelt und ob dies eventuell Folgen hat.

Serotonin, Testosteron, Oxytocin und Co.

Gedanken, Emotionen, Einstellungen, Werte und all die anderen nicht greifbaren Resultate unseres Gehirns basieren vor allem auf chemischen Reaktionen. Besonders deutlich wird das, wenn man sich die Menge und Verteilung der im Gehirn agierenden Botenstoffe ansieht. Glück ist an Serotonin gebunden, Aggression an Testosteron, Gefühle der Bindung an Oxytocin und so weiter. In den Gehirnen der Mächtigen muss sich die Verteilung dieser Stoffe anders darstellen als bei anderen Menschen. Eine wichtige „Kettenreaktion“ beginnt mit Testosteron. Dieser Stoff sorgt bei beiden Geschlechtern (!) für ein Gebaren, das notwendig ist, um Macht zu erkämpfen und sie auch halten zu können: dominantes und (manchmal) aggressives Verhalten, Antrieb, Ausdauer und auch Freude am Leben. Wenn mehr Testosteron im Blut zirkuliert als bei anderen Menschen, wird auch mehr Dopamin freigesetzt. Damit strebt der Mensch nach Gewinn (nicht unbedingt im monetären Sinn), nach Spaß und einem wohligen Gefühl. Zugleich vermutet man eine motivierende Wirkung, die dem betreffenden Menschen hilft, seine Ziele zu realisieren.

Insgesamt sorgt Testosteron also für einen positiv gefärbten Blick auf die Umwelt, was notwendig ist. Pessimistisch denkende Menschen mit Macht in ihren Händen gefährden eher, als dass sie nützen. Ein Nebeneffekt des Testosterons kann sowohl negative als auch positive Auswirkungen haben – die Menschen werden süchtig nach den positiven Gefühlen, welche ausgelöst werden. Positiv ist dieser Effekt, wenn der Betreffende dadurch fokussiert und Nebensächliches ausblendet. Negativ ist er, wenn folglich Risiken nicht mehr gesehen und Mahner nicht mehr gehört werden. Besonders anschaulich wird dies bei Extremsportarten oder beim Bergsteigen. Wenn hier der Testosteronschub dazu führt, dass die hormongesteuerten Risiken nicht mehr beachtet werden, kann es schnell tödlich enden.

Das Gefühl von Macht hat neben einem veränderten Hormonhaushalt weitere Auswirkungen. Zuerst einmal ist es verbunden mit der Illusion, die Kontrolle zu besitzen. Illusion deshalb, weil die Realität von zu vielen Faktoren beeinflusst wird, die es dem Einzelnen gar nicht erlauben, die Kontrolle auszuüben – zumindest nicht im gewünschten Sinn. Versuche haben gezeigt, dass diese Illusion schon bei geringer Macht oder sogar dem Denken an frühere Machtpositionen erzeugt werden kann. Je größer die Machtfülle in einer Hand, umso radikaler verändert sich meist die Sichtweise des Mächtigen. Extreme Beispiele sind Diktatoren, die unter Realitätsverlust leiden, was durch ihr eigenes System noch verstärkt wird: Kritiker werden ausgeschaltet, der Herrscher umgibt sich mit Ja-Sagern. Aber auch in demokratischen Systemen gibt es in Politik und Wirtschaft immer wieder allzu Mächtige, bei denen ein notwendiges Korrektiv fehlt.

Die Macht der Situation

Nun verändern auch Menschen, die mit relativ wenig Macht ausgestattet sind, bereits ihre Sicht auf die Welt. Sie sind zunehmend immer weniger bereit, anderen zuzuhören und deren Meinungen Platz in ihrem eigenen Denken einzuräumen. Dieser Scheuklappen-Mentalität kann man nur entgehen, wenn Menschen in Spitzenpositionen ehrliche Kritik und Kritiker zulassen. Wenn diese jedoch Angst vor individuellen Folgen haben, werden sie schweigen oder dem Mächtigen Honig ums Maul schmieren.

Ein besonders anschaulicher Fall, wie schnell Mächtige in einen Strudel des unkritischen Handelns geraten können, zeigt der bekannte Psychologe Philip Zimbardo. In seinem berühmten Gefangenen-Experiment mimte er im Keller seiner Uni den Direktor eines Labor-Gefängnisses. Nach nur wenigen Tagen aber war er selbst in seiner Rolle so sehr gefangen, dass er nicht mehr bemerkte, wie weit das Experiment bereits eskalierte. In dem lesenswerten Buch „Der Luzifer-Effekt“ schreibt er: „Die Macht der Situation erfasste schnell und umfassend die meisten Personen auf diesem Forschungsschiff der menschlichen Natur. Nur einige wenige von ihnen waren in der Lage, den situativen Versuchungen von Macht und Dominanz zu widerstehen und zumindest den Anschein von Moral und Anstand zu wahren. Ganz offensichtlich zählte ich selbst nicht zu dieser noblen Klasse.“

An der Spitze geht es immer darum, seine Position zu halten, sich gegen Widersacher und Konkurrenten zur Wehr setzen zu müssen, alle Angriffe bereits im Keim zu ersticken. Nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Schimpansen wurde nachgewiesen, dass bei Alpha-Tieren mehr des Stresshormons Cortisol im Blut zirkuliert. Soziale Bedrohung durch andere Individuen, die an die Macht wollen oder den Mächtigen (oft genug nur vermutet) in dessen Position bedrohen, wirkt sich negativ auf das Immunsystem aus. Wer sich in einer Machtposition befindet, ist zugleich aus der sozialen Gemeinschaft ausgestoßen, gehört nicht mehr dazu. Dies verursacht zusätzlich Stress und kann – langfristig gesehen – sogar zu Gehirnschäden führen. Allerdings nur dann, wenn die negativen Auswirkungen einer falsch verstandenen Macht die positiven auslöschen. Diese gibt es aber auch, sonst würden nicht so viele Menschen nach Macht streben.

Wirkung auf das Selbstbild

Positiv an Macht ist die Wirkung auf das Selbstbild. Weil es auch stark von der Umgebung abhängt, bekommt der Mächtige ständig positive Rückmeldungen: Du hast es richtig gemacht, du bist an höherer Stelle als die anderen … Ein positives Selbstbild wiederum verstärkt die intrinsische Motivation. Erstaunlich ist eine Tatsache, die unserer Erfahrung widerspricht: Mächtige besitzen in der Regel nicht nur die Kontrolle über andere, sondern zuerst einmal über ihr eigenes Leben. Das macht zufrieden und senkt den Blutdruck! Wenn also Menschen in Führungspositionen hohen Blutdruck haben und auch sonst alle Zeichen auf Stress und einen bevorstehenden Burn-out stehen, ist die Situation eindeutig: Der Mächtige sitzt an der falschen Stelle, ihm machen die Konkurrenten das Leben schwer, er ist überfordert, sieht seine Position nicht positiv – oder alles zusammen.

Generell stehen Menschen und Umwelt zueinander in einer engen Beziehung. Räume, in denen wir uns aufhalten, Personen, mit denen wir zu tun haben, die Art und Weise unserer sozialen Kontakte, der Einfluss von Institutionen und die mentale und geistige Stärke des Individuums selbst bewirken, wie sich das Gehirn des Einzelnen verändert. Macht und Umgebung bedingen also einander und wirken aufeinander ein.

Daraus resultiert zum Beispiel, dass Mächtige mit anderen Menschen anders umgehen. Weil Mächtige stärker auf sich selbst und ihre Ziele fixiert sind, können sie anhand mimischer und gestischer Zeichen weniger erkennen, welche Gefühle andere gerade bewegen. Weil Männer dies ohnehin nicht so gut können wie Frauen, wirken Männer in höheren Positionen so, als wenn sie sich nicht für ihre Umgebung interessierten. Positiv und negativ ist die Tatsache, dass Mächtigen weniger wichtig ist, was andere über sie denken. Positiv ist dies, weil dadurch auch unkonventionelle und bisher nicht gegangene Wege beschritten werden, die bisher noch kein Mensch vorher gewagt hat.

Zum Beispiel Steve Jobs

Eines der herausragenden Beispiele dafür ist Steve Jobs. Ihm ist es vor allem zu verdanken, dass Apple mit Innovationen zum Markttreiber wurde, die es zuvor nicht gab, die auch niemand benötigte. Negativ ist die Eigenschaft, wenn warnende Rufe nicht mehr wahrgenommen und somit überhört werden. Mächtige tendieren auch öfter zur Persönlichkeit des Egozentrikers, was ich ausdrücklich nicht negativ und im Sinne von (ebenfalls negativ gemeintem) Egoismus verstanden wissen möchte. Die Definition der Psychologen, wonach Egozentrismus das fehlende Bewusstsein dafür ist, dass andere Menschen ihre Umwelt aus ihrer eigenen Perspektive betrachten, ist erst einmal neutral und bezieht sich bei nüchterner Betrachtung auf alle Menschen. Wer seine Sicht allerdings zur allein selig machenden erklärt, gerät mit seiner Person in Richtung negatives Verständnis von Egozentrismus: Ich denke nur an mich.

Ein weiterer Aspekt von Macht ist die Körperhaltung, die mit der Macht einhergeht. Wie bereits beim Lächeln gezeigt werden konnte, gehören Emotionen und ihr Körperausdruck eng zusammen. Wer schlechte Laune hat, kann diese durch ein Lächeln zumindest abmildern. Solch enge Verbindung besteht auch zwischen Macht und Körperhaltung. Um das Gefühl, mächtig zu sein, aufzubauen, kann man den Körper entsprechend ausrichten: Oberkörper gerade halten, viel Platz beanspruchen, den Kopf nach oben bewegen, Arme hinter dem Kopf verschränken. Wer diese Position einnimmt, fühlt sich nachweislich mächtiger (er ist angreifbar, kann sich weniger schnell wehren, weiß aber darum). Zugleich steigt der Testos-
teron-Spiegel. Wenn andere Menschen das sehen (oder sehen sollen), deuten sie diese Körperhaltung ebenfalls als äußere Erscheinung der Macht. Man kann sich also vor einem Vortrag, einer Rede, einer Verhandlung oder sonst einer heiklen Situation, mit der entsprechenden Körperhaltung selbst in die Gefühlswelt des Mächtigen bringen.

Aber auch das Gegenteil ist möglich. Menschen, die gesenkten Haupts durch die Welt schreiten, werden von anderen auch als niedriger positioniert betrachtet. Zugleich sinkt der Testosteron-Spiegel. Ein Unterschied besteht hier in verschiedenen Kulturen. In asiatischen, die eher kollektivistisch geprägt sind, zählen viel eher die Gemeinschaft und die Gruppe als der Einzelne. In individualistisch geprägten wie in den USA und Deutschland steht hingegen die Selbstverwirklichung auf der Tagesordnung.

Warum Führungskräfte einen Hofnarren benötigen

Bilanzierend lässt sich sagen, dass Macht für den Mächtigen nicht negativ sein muss. Mächtige in Führungspositionen müssen Macht jedoch wollen und sie auch genießen, damit die positiven Aspekte mögliche negative überlagern. Sie sollten sich aber der vielfältigen Verführungen und Gefahren bewusst sein und zwingend ein Korrektiv einschalten – einen Coach, einen wirklich guten Freund. Dieser muss – wie dazumal der Hofnarr – alles sagen dürfen, ohne dafür in Ketten gelegt zu werden.

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Autor/in

Jens Kegel

ist Coach (univ.) für Führungskräfte, Trainer, Kommunikationsexperte und Autor. Er studierte Germanistik, Geschichte, Pädagogik und Psychologie. Nach zwei Staatsexamen, einem Fernstudium „Werbetexten“ und einem Promotionsstudium arbeitet er als Freiberufler für Unternehmen, Verbände, Führungskräfte.

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