Verbändereport AUSGABE 9 / 2005

Was ist ein Argument?

Untersuchung eines Alltagswerkzeugs

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Eine entwickelte Debattenkultur ist das Ferment der Demokratie. Zwar wäre der Glaube naiv, dass sich bei Verhandlungen, die der Durchsetzung von Interessen dienen, stets das bessere Argument durchsetzen würde, gleichwohl spricht vieles dafür, sich intensiver mit den Regeln von Rede und Gegenrede zu beschäftigen, wie es der folgende Beitrag vorschlägt.

Die Sprache ist das mächtigste Werkzeug des Menschen. Sprache berührt uns, Überzeugungen stecken uns an, Lob und Tadel motivieren oder bremsen uns. Diese Kraft wird durch Argumente freigesetzt. Argumente transformieren abstrakte Gedanken in konkrete Handlungsanweisungen – wenn sie richtig eingesetzt werden.

In einer Frage besteht große Einigkeit: Das bessere Argument soll sich durchsetzen. Aber wie stellen wir eigentlich fest, was das bessere Argument ist? In Diskussionen ist im Regelfall jeder Diskursteilnehmer bereits von der Richtigkeit der eigenen Argumente überzeugt, und versucht damit, auch die anderen auf seine Seite zu ziehen. Das Ziel jeder Argumentation ist immer Überzeugung des Gegenübers. Damit lautet die eigentliche Frage: Was ist eigentlich Überzeugung?

Das allgemeine Schema

In seiner äußeren Form besteht jedes Argument im Wesentlichen aus drei Elementen: Einer Behauptung, der zugehörigen Begründung und einem Beispiel, das die theoretische Argumentation veranschaulicht und praktisch nutzbar macht.

Besonders wichtig ist erstaunlicherweise der letzte Teil: Das Beispiel. Wer bei seinen Zuhörern auch eine Vorstellung vom Gegenstand erweckt, kommt besser an. Und figuratives Sprechen erschließt dem Zuhörer erst die Bedeutung des Gesagten. Auf einen Kernsatz gebracht: Machen Sie es Ihren Zuhörern einfach! Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, das gilt auch für ein sprachliches Bild.

Das Modell erscheint fast simpel – ist es in der Anwendung aber nicht. Überlegen Sie für sich: In wie vielen Fragen außerhalb Ihres Fachgebiets könnten Sie Ihre Meinung tief begründen, anstatt nur Meinungen oder Glaubenssätze zu zitieren?

Obwohl Argumente uns alltäglich vorkommen, sind sie eine eher seltene Lebensform. Viel zu häufig werden auch Begründungen einfach formelhaft dargestellt. Das mag unter gegenseitig bekannten Gesprächspartnern die Kommunikation vereinfachen – im Austausch mit der Öffentlichkeit ist es kontraproduktiv.

Interessensvertretung alleine ist noch nicht überzeugend

„Unerquicklich ist es, mit dir zu streiten, wenn du nur verteidigen willst, was du bist, was du warst und immer zu bleiben gedenkst. Was soll ich streiten, wenn ich nicht hoffen kann, dich zu ändern!“ (Karl Gutzkow).

Es gehört für Vertreter organisierter Interessen zum Berufsleben, dass ihre Positionen bereits zum Beginn eines Argumentationsprozesses zum großen Teil festgelegt sind.

Daran ist nichts Falsches, auch wenn ein gewisses Lagerdenken fast unvermeidlich ist: „Wir vertreten die richtige Sache, also haben wir Recht“ ist eine zumindest unterschwellig weit verbreitete Ansicht. Dazu kommt in schlimmen Fällen leider auch noch Ignoranz: „Meine Meinung steht fest, also verwirren Sie mich bitte jetzt nicht mit Tatsachen!“ Mit einer solchen Einstellung lässt sich natürlich kein sinnvoller Dialog führen. Das Kommunikationsziel – die Überzeugung des Gegenübers – kommt zu kurz.

Für den Betrachter wird ein Streit erst interessant, wenn eine faire Chance besteht, dass die gegenseitigen Argumente auch tatsächlich Gehör finden, und das bedeutet: Verstanden und beantwortet werden. Denn Glaubenssätze allein sind nicht überzeugend. Wenn in den Nachrichten der Wirtschaftsvertreter behauptet, Lohnerhöhungen seien immer Gift für die Wirtschaft, und der Gewerkschafter zurückgrantelt, ohne Lohnerhöhungen gebe es kein Wachstum – dann ahnen wir Zuschauer, dass beide Positionen gute Argumente auf ihrer Seite haben. Aber die Formeln langweilen uns trotzdem.

Debattierclubs

In den Universitäten fasst mittlerweile die angelsächsische Institution der Debattierclubs Fuß. Studenten üben dort die Suche nach dem Gegenargument, in dem sie die Pro- und Contrapositionen zu einer normativen Fragestellung übernehmen und versuchen, diesen Standpunkt möglichst stark zu machen. Eine Abstimmung findet nicht statt – bei dieser sportlichen Debattenform entscheidet eine Jury über Sieg oder Niederlage. Dieser Ablauf folgt der Einsicht, dass der Rahmen der Debatte (Studenten reden über ein interessantes Thema) für eine Abstimmung ohnehin nicht geeignet ist, und alle von den vorgebrachten Argumenten profitieren, um ihren eigenen Standpunkt zu finden.

Selbst in dieser idealtypisierten Form sind es nicht die Debattenteilnehmer, die über das bessere Argument bestimmen, sondern Außenstehende. Denn ein abstrakt „besseres“ Argument gibt es in einer echten Debatte nicht. Der Reiz für den Beobachter liegt gerade darin, dass alle Beteiligten mit ihrer Ansicht Recht haben – und erst der Umgang der Gegenseite mit den jeweils vorgebrachten Thesen zeigt, welcher Seite der Vorzug gegeben wird.

Spaß an der Auseinandersetzung

Mit Argumenten beeinflussen Sie andere Menschen. Aber Sie müssen auch immer darauf gefasst sein, dass Ihnen ein Gegenargument entgegen gehalten wird. Genau hierin besteht die Herausforderung: Von etwas selbst überzeugt sein, dem anderen die eigene Seite schmackhaft machen, und gleichzeitig mit der begründeten Vermutung ans Werk zu gehen, dass auch die Gegenseite durchaus gute Argumente für sich hält. Wer die Argumente des Anderen kennt und verstanden hat, gewinnt einen strategischen Vorteil. Es ist nützlich, sich den Kopf des Gegners zu zerbrechen.

Anders ausgedrückt: Jeder Argumentation wohnt notwendig eine gewisse Unsicherheit inne: Sobald ich mich auf die Argumentation einlasse, erkenne ich implizit an, dass auch ein Gegenargument Geltung beanspruchen kann, und ich damit gezwungen werde, meine Überzeugung zu ändern. Kurt Tucholsky hat es auf den Punkt gebracht: Streitende sollten wissen, dass nie einer ganz recht und der andere ganz unrecht hat. Sobald man sich fremden Argumenten stellt, befasst man sich mit fremden Gedanken. Und dabei besteht immer die Gefahr, dass man überzeugt wird. Und es gehört oft mehr Mut dazu, seine Meinung zu ändern, als ihr treu zu bleiben.

Dabei ist es gerade der Widerspruch, der uns produktiv macht. Von einem guten, argumentierten Streit profitieren beide Seiten, denn „Zweck des Disputs oder der Diskussion soll nicht der Sieg, sondern der Gewinn sein“. (Joseph Joubert). Durch das Abwägen der Argumente wächst die eigene Überzeugung. Und je besser der Gegner, desto mehr Spaß haben wir dabei.

Fazit

Eine als falsch erkannte Meinung ohne falsche Scham aufzugeben, das ist vielleicht die wunderbarste Kraftersparnis, die unserem Geist gegönnt ist; und zugleich die, von der wir am seltensten Gebrauch machen (Arthur Schnitzler). Natürlich ändern sich Überzeugungen nur sehr langsam, und die Prozesse der gegenseitigen Beeinflussung brauchen ihre Zeit. Aber der Appell ist dennoch klar: Hören Sie auf andere, auch die Vertreter der Gegenseite! Und wenn es nicht allzu sehr weh tut, geben Sie auch mal anderen Recht. Überzeugen kann nur, wer sich auf die Regeln der Argumentation einlässt. Und das bedeutet insbesondere: Auch den eigenen Standpunkt im Rahmen der vorgebrachten Argumente zu überprüfen und gegebenenfalls die eigene Überzeugung zu ändern.

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