Verbändereport AUSGABE 4 / 2012

Von Kunstweinen, Reblaus und dem viertgrößten Weinmarkt der Welt

Der Deutsche Weinbauverband im Porträt

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Der Deutsche Weinbauverband (dwv) mit Sitz in Bonn arbeitet seit seiner Gründung vor über 135 Jahren eng mit der Forschung zusammen. Der Verband schafft einen Austausch zwischen der Wissenschaft und seinen Mitgliedsverbänden, denen Winzer und Weinbaubetriebe angehören. Zu den Hauptaufgaben des Verbandes gehört auch die Lobbyarbeit in Brüssel, denn die Europäische Union regelt mehr und mehr die Lebensmittelgesetze in Europa und versucht – gegen den Widerstand der Branche – das Weinrecht an das Lebensmittelrecht anzugleichen.

Obwohl sich die Themen von einst und heute stark unterscheiden, ist das Selbstverständnis des Deutschen Weinbauverbandes gleich geblieben: Der Wissenstransfer zwischen Forschung und Winzern steht im Vordergrund der Verbandsarbeit, die 1874 begann. Schon im Gründungsjahr wurde deshalb eine Vereinszeitschrift herausgeben. Heute ist daraus die Verbandszeitschrift „Der Deutsche Weinbau“ geworden, die alle 14 Tage erscheint. Damals war die Zeitschrift das Kommunikationsmittel Nummer eins, in dem zahllose Fachfragen von Winzern und Antworten von Experten abgedruckt wurden. „Ich bin tief beeindruckt, wie systematisch man die Probleme damals anging“, so Dr. Rudolf Nickenig, Generalsekretär des Deutschen Weinbauverbandes.

Kunstweine und die Reblaus, das waren die größten Probleme zur damaligen Zeit. Sie brachten die Winzer Ende des 19. Jahrhunderts dazu, sich in einem Verein zusammenzuschließen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Die Winzer traten erfolgreich dafür ein, dass Wein ein Naturprodukt blieb: Künstlich produzierter Wein wurde schließlich verboten. Um die Reblaus zu besiegen, die aus Amerika eingeführt wurde und die Weinernte in Europa gefährdete, musste zunächst viel geforscht werden. Die Schädlinge konnten den amerikanischen Weinreben nichts anhaben, wurden den europäischen aber zum Verhängnis, nachdem sie mit importierten Pflanzen für botanische Gärten nach Europa gekommen waren. Wissenschaftler und Praktiker fanden schließlich gemeinsam heraus, dass die Pfropfrebe die Lösung war: Die deutschen Traditionsreben werden seitdem mit den Wurzeln der widerstandsfähigen amerikanischen Reben kombiniert.

Innovationspreis für neue Ideen

Noch heute arbeitet der Verband mit der Forschung zusammen, etwa mit der Forschungsanstalt Geisenheim sowie den Lehr- und Forschungsanstalten der Weinbau treibenden Bundesländer. Da der Verband Weiterentwicklungen in allen Bereichen der Branche würdigen möchte, vergibt er beim alle drei Jahre stattfindenden Kongress „INTERVITIS INTERFRUCTA – Internationale Technologiemesse für Wein, Obst, Fruchtsaft und Spirituosen“ einen Innovationspreis. Bei diesem mit einer Messe kombinierten Kongress werden technische Neuerungen ausgezeichnet – etwa Geräte, die die Arbeit im Weinberg erleichtern oder die den Umweltschutz voranbringen. Der Kongress wurde im Gründungsjahr des Vereins zum ersten Mal veranstaltet – 2010 feierte der Verband die 60. Auflage. Die Zielgruppe dieser Veranstaltung ist international, Winzer und Unternehmen aus der Weinbaubranche treffen sich zum Gedankenaustausch. Die Fachmesse „INTERVITIS INTERFRUCTA“ 2010 wurde von rund 37.000 Fachleuten aus 63 Ländern besucht und über 2.500 Experten nahmen an den Kongressveranstaltungen teil. Kongress und Ausstellung waren von Bundeskanzlerin Angela Merkel eröffnet worden. Der nächste Kongress wird vom 23. bis 27. April 2013 auf dem Stuttgarter Messegelände stattfinden. Veranstalter des Kongresses ist der Deutsche Weinbauverband; die Internationale Organisation für Rebe und Wein (OIV) mit Sitz in Paris wird die Schirmherrschaft übernehmen. Der Verband arbeitet nicht nur bei dieser Veranstaltung eng mit anderen Verbänden und Organisationen zusammen.

Wortführer des mittel- und osteuropäischen Weinbaus

Auf nationaler Ebene kooperiert der Deutsche Weinbauverband mit dem Deutschen Bauernverband und dem Deutschen Raiffeisenverband sowie anderen Organisationen der Wein- und Getränkebranche. Die Mitglieder des Weinbauverbandes beschäftigen sich zudem in mehreren Arbeitskreisen mit aktuellen Themen. „Weinrecht und Weinmarkt“ ist einer der wichtigsten Arbeitskreise, das Themenspektrum weiterer Arbeitskreise reicht von „Rebenzüchtung und Rebenveredlung“ bis hin zu „Weinbau und Umwelt“, „Kellerwirtschaft“, „Bildung und Forschung“, „Betriebswirtschaft und Steuern“.

Um die Interessen der deutschen Erzeuger auf europäischer Ebene zu unterstützen, engagiert sich der Weinbauverband unter anderem in der „Fachgruppe Wein“ von COPA-COGECA, dem europäischen Bauern- und Genossenschaftsverband. Nickenig ist stellvertretender Vorsitzender der Fachgruppe „Wein“. „Ohne uns selbst auf die Schulter klopfen zu wollen, kann man sagen, dass wir als Wortführer den Weinbauern aus Mittel- und Osteuropa Gehör gegenüber den großen Weinbauländern Frankreich, Italien und Spanien verschaffen“, so Nickenig über die Rolle der Deutschen in der Fachgruppe. Nickenig ist es wichtig, dass die Erzeugerländer eine gemeinsame Position finden, die sie gegenüber der Europäischen Kommission vertreten. Durch die Fachgruppe sollen auch diejenigen Länder gehört werden, die auf nationaler Ebene nicht so gut organisiert sind wie etwa die Deutschen – denn in vielen Ländern der EU gibt es keine spezialisierten Weinbau- oder Winzerverbände.

Wein braucht Schutz

Die Fachgruppe setzt sich unter anderem dafür ein, dass Wein nicht mit anderen Lebensmitteln gleichgesetzt wird. Die Europäische Union bestimmt das Lebensmittelrecht in Europa mehr und mehr und möchte alle agrarischen Erzeugnisse einheitlich regeln. Das Spezialrecht für Wein, wie es seit 1970 in der EU bestand, soll deshalb schrittweise abgeschafft werden. Der Deutsche Weinbauverband spricht sich dagegen aus, denn aus seiner Sicht ist Wein ein spezielles und vielfältiges landwirtschaftliches Produkt, das eigener Bestimmungen bedarf. Kartoffeln könnten sich beispielsweise gar nicht in Qualität, Wertigkeit und Preis so sehr unterscheiden wie Billigweine und Spitzenprodukte, so Nickenig. „Der Schutzfaktor für Wein muss daher natürlich viel höher sein.“

Welche Rolle die Herkunftsbezeichnungen bei der qualitativen Einordnung der europäischen Weine in Zukunft spielen sollen, ist ein weiteres Thema, das derzeit heiß diskutiert wird. Während die Europäische Kommission die Qualität des Weins an der Herkunftsbezeichnung festmachen möchte, ist der Weinbauverband der Ansicht, dass weitere Kriterien nötig sind, um die Qualität der Weine zu beschreiben. Der Verband unterstützt durchaus, die Herkunft als Orientierungsmerkmal für die Verbraucher in einem globalisierten Wettbewerb stärker herauszustellen. Wie dies geschehen kann, stimmen die Verbandsmitglieder momentan auf regionaler Ebene ab.

Neues Bio-Wein-Siegel erlaubt

Beim Thema Biowein kam die Europäische Kommission Ende 2011 zu einem Ergebnis: Das EU-Bio-Logo, das Blatt aus weißen Sternen auf grünem Grund, kann bald auch für Wein verwendet werden. Hierfür wurden kellerwirtschaftliche Spezialregelungen für Bioweine geschaffen. Größte Herausforderung für deutsche Erzeuger ist die geringe Menge Sulfit, die Bioweine enthalten dürfen, wollen sie diese Bezeichnung tragen. „Besonders für die Erzeuger in den nördlichen Weinbauländern mit kühlem Klima ist es schwierig, die Sulfit-Grenzwerte abzusenken, ohne Hygieneprobleme zu provozieren“, so Nickenig. Der Weinbauverband hat sich bei den Brüsseler Verhandlungen im Sinne seines Mitgliedsverbands ECOVIN Bundesverband Ökologischer Weinbau eingesetzt, da dessen Logo bei den Verbrauchern bereits hohe Wertschätzung genieße. „Was sich letztlich durchsetzt, ist eine Sache des Vertrauens – die Käufer entscheiden“, meint Nickenig.

Auch das Pflanzrecht ist aktuell ein großes Thema im Verband. Es soll EU-weit gelockert werden, was die traditionellen Weinerzeuger stark beeinträchtigen könnte. Bislang darf nur auf ausgewiesenen Flächen Wein angebaut werden. Wird das Pflanzrecht liberalisiert, drohe eine Ausdehnung des Weinanbaus. In Europa könnten neue Überschüsse entstehen, so die Befürchtung der Fachgruppe Wein von COPA-COGECA. Nickenig: „Wir sind der Auffassung, dass wir eine Anbauregelung für Reben brauchen. Denn wir wollen die traditionellen Weinlandschaften als Kulturlandschaften erhalten.“ Zum einen hänge die Qualität der Weine von der Anbaufläche ab – würde Wein auf dem Flachland angepflanzt, könne man nicht unbedingt mit guten Tropfen rechnen. Zum anderen wäre die Existenz der Familienbetriebe in Gefahr. „Wir wollen als weinbaupolitisches Ziel die Weinbaustruktur mit Familienunternehmen weiter verteidigen und der Industrialisierung entgegentreten“, so Nickenig.

Starker Strukturwandel in der Branche

Auch ohne zusätzliche Konkurrenz nahm die Zahl der deutschen Unternehmen, die im Weinbau tätig sind, in den vergangenen Jahren weiter ab. Etwa 25.000 hauptamtlich bewirtschaftete Weinbaubetriebe gibt es in Deutschland, 100.000 Menschen arbeiten in der Weinproduktion, lässt man die Zahl der Erntehelfer unberücksichtigt. Etwa 80 Prozent der Weinbaubetriebe sind im Deutschen Weinbauverband organisiert, schätzt Nickenig. Rund 30 regionale Winzer-, Weinbau- und Genossenschafts- sowie Spezialverbände sind Mitglieder im Deutschen Weinbauverband. In diesen Verbänden haben sich die Einzelmitglieder zusammengeschlossen und lassen sich auf regionaler Ebene politisch vertreten. Diese Organisationen übernehmen die fachlichen Beratungen ihrer Mitglieder und handeln beispielsweise Einkaufsrabatte aus.

Vor 30 Jahren war die Zahl der deutschen Weinbaubetriebe etwa viermal größer, wobei die bewirtschaftete Fläche im Laufe der Zeit etwa gleich geblieben ist. Arbeiteten früher meist Menschen in der Branche, deren Familien schon mit Weinbau zu tun hatten, so interessieren sich seit einigen Jahren auch viele Neulinge für Jobs rund um die Traube. Etwa 30 bis 40 Prozent der Lehrlinge, die momentan ausgebildet werden, hatten vorher keine Verbindung zum Wein. Nickenig führt diese Veränderung darauf zurück, dass sich das Image des Winzerberufs stark verbessert habe. Die Medien berichten immer wieder über junge Winzer und deren neue Ideen, sodass sich nun auch Außenstehende von der Arbeit mit den Pflanzen und den technischen Geräten ein Bild machen können – und sich dafür begeistern.

Der Deutsche Weinbauverband beobachtet nicht nur beim Nachwuchs, sondern insgesamt einen starken Strukturwandel in der Branche. Familienbetriebe, die früher meist autark agierten, gehen freiwillige Kooperationen mit Kollegen ein, arbeiten gemeinsam oder kaufen sich zusammen Maschinen, um die Arbeit zu erleichtern und Kosten zu senken. Diese Unternehmen sind unterschiedlich strukturiert: Während die einen nur Trauben anbauen, stellen andere zusätzlich Most oder Wein her, den sie an Kellereien verkaufen. Ein Drittel aller Betriebe füllt die hergestellten Weine ab und vermarktet sie an Konsumenten. Nickenig sieht vor allem die Vorteile, die diese inhomogenen Strukturen mit sich bringen: „Die unterschiedliche Ausrichtung der Unternehmen gibt der Branche trotz enormer Herausforderungen durch Globalisierung und Nachfragekonzentration Stabilität und Anpassungsfähigkeit an veränderte Rahmenbedingungen.“

Weinkonsum bleibt unverändert

Stabil ist seit den 80er-Jahren auch die Weinmenge geblieben, die jeder Deutsche im Durchschnitt pro Jahr trinkt: 22 Liter. Inklusive Schaumwein werden jährlich rund 20 Millionen Hektoliter Wein in Deutschland konsumiert. Die deutschen Winzer produzieren neun Millionen Hektoliter und exportieren zwei Millionen davon ins Ausland. Fast 15 Millionen Hektoliter werden importiert, von denen zwei Millionen wieder exportiert werden. Damit ist Deutschland der viertgrößte Weinmarkt der Welt und das viertgrößte Weinerzeugerland in der EU – nach Italien, Frankreich und Spanien.

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