Verbändereport AUSGABE 3 / 2011

Verbandsarbeit heute und morgen unter dem Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologie

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Wie reagieren Verbände auf die massiven Veränderungen in der Kommunikationskultur, die immer größer werdende Konkurrenz kommerzieller Kommunikations- und Netzwerk-Platt-formen und die gestiegenen Erwartungen der Mitglieder an werthaltige Services sowie an ein modernes, effizientes Verbandsmanagement? Industrie und Medien sind den Verbänden in vielen Punkten noch um Längen voraus, aber junge Mitarbeiter und der Druck von Mitgliedern und Öffentlichkeit treiben vor allem in den größeren Verbänden neue Entwicklungen voran. Die Präsenz der Online-Medien bei politischen Ereignissen und ihre Verflechtung in wirtschaftliche Prozesse bewirken ein Übriges. Andererseits ist nach wie vor eine gewisse Distanz in der Führung maßgeblicher Verbände zu spüren. Wie positionieren sich einflussreiche Verbände heute zu diesen Themen und wie sind ihre Planungen für die nahe Zukunft? Die in Kooperation vom Institut für Verbandsmanagement und der Verbandsberatung Xpoint0 Ende 2010 abgeschlossene Studie versucht, Antworten auf diese und damit verbundene Fragen zu liefern.

Der allgegenwärtige Kampf um Aufmerksamkeit macht auch vor Verbänden nicht halt. Dabei geraten sie zunehmend in Konkurrenz zu anderen Interessensvertretungen/Initiativen sowie kommerziellen PR-Dienstleistern oder Agenturen. Des Weiteren nehmen große Unternehmen ihre Lobbyarbeit häufig selbst in die Hand, kleinere bedienen sich Online-Plattformen, auf denen sie sich vernetzen, austauschen und gemeinsam ihre Interessen kommunizieren.

Moderne Kommunikation orientiert sich zunehmend am Modell eines individualisierten Dialogs in mehreren, aufeinander abgestimmten — oft elektronischen — Medien, der auch eine neue Qualität und Quantität an Rückmeldungen bedeutet, die gemanagt werden wollen.

Veränderte Prozesse und neue Werkzeuge bieten sich ebenso an, um die komplexe Themen-Vernetzung und Medienvielfalt in den Griff zu bekommen. Verbände müssen darauf reagieren und sich insgesamt zeitgemäßer aufstellen. Optimistisch kann der Befund stimmen, dass die Zahl der bereits im Aufbau befindlichen, geplanten oder avisierten Aktivitäten auf dem Feld der Online-Medien im Allgemeinen deutlich höher ist als der bereits eingesetzten.

Auf der anderen Seite scheinen vor allem die Furcht vor einem Verlust der Kontrolle über die Kommunikationsinhalte und Kommunikationswege des Verbandes und starke Gegenöffentlichkeiten bremsende Faktoren zu sein.

Studiendesign

Die Studie wurde als Online-Umfrage mit insgesamt 13 Einzelfragen — großenteils Multiple Choice - in vier Fragenblöcken durchgeführt:

  1. Maßnahmen zur Verbandsinterne Kommunikation, Information und Organisation
  2. Maßnahmen zur Außenkommunikation
  3. Kurz- und mittelfristige Entwicklungen
  4. Einfluss auf die Verbandsführung und Organisation

Sie zielte auf meinungsführende, zumeist größeren Verbände mit überwiegend mehr als 10 Mitarbeitern (ca. 70 Prozent der antwortenden) und mehr als 100 Mitgliedern (ca. 75 Prozent). Von 217 zur Online-Umfrage eingeladenen Verbänden haben 56 oder gut 25 Prozent teilgenommen.

50 Prozent der teilgenommenen Verbände haben über 500 Mitglieder, 44 Prozent über 1.000 Mitglieder mit durchschnittlich knapp 30 hauptamtlich Beschäftigten. Die Umfrage lief in den Monaten Oktober und November 2010 und wird aktuell durch sechs detaillierte Fallstudien derjenigen Verbände ergänzt und vertieft, die sich in der Online-Umfrage als richtungsweisend gezeigt haben. (*1.)

Dieser Artikel fasst einige der Ergebnisse der Online-Umfrage kompakt zusammen und zieht erste Schlüsse für die Praxis.

Anwendungsbereiche und Verbreitung der Online-Medien in den Verbänden: Intern (Geschäftsstelle(n))

87 Prozent der antwortenden Verbände haben mittlerweile ein Intranet, welches sie jedoch vorwiegend zur Einwegkommunikation und -Information oder statischen Dokumentenverwaltung einsetzen. Prozess- und Qualitäts-, Kompetenzmanagement sowie Mehrwegekommunikation über Blogs oder interaktive Arbeitsbereiche bieten dort deutlich weniger als 10 Prozent der Antwortenden. D. h., das Wissen der Mitarbeiter fließt nur sehr eingeschränkt, auf Umwegen oder gar nicht in die Organisationssysteme.

Was interne Organisationssysteme betrifft ist weiterhin interessant, dass fast 60 Prozent der Verbände ihre Key Assets noch mit traditionellen Adressdatenbanken ohne Kampagnen- oder Veranstaltungsmanagement verwalten, obwohl zumindest Mail-Kampagnen (Einladungen, Presseinformationen u. a. m.) und Veranstaltungsorganisation bei jedem Verband zum Alltagsgeschäft gehören.

Vergleicht man den Stand mit der Industrie, wo selbst kleine Mittelständler seit Jahren selbstverständlich mit CRM-Systemen in der Kundenkommunikation arbeiten, scheinen hier besonders hohe Effizienz- und Professionalisierungspotenziale zu liegen. (Abbildung 1)

Im Mitgliedernetzwerk

Die primären Kanäle zur Verbreitung von Informationen an die Mitglieder sind Newsletter und passwortgeschützte Bereiche im Internet. Zählt man die aktuell in Planung oder für die nahe Zukunft ins Auge gefassten Vorhaben zusammen, werden in Kürze etwa 90 Prozent der antwortenden Verbände einen Mitgliedern vorbehaltenen Bereich im Internet ihr Eigen nennen.

Schaut man sich jedoch an, wie dieser exklusive Mitgliederservice bestückt ist, zeigt sich dahinter leider nicht selten nur die Verbreitung „alten Weins in neuen Schläuchen“. Die primär angebotenen Optionen für Mitglieder, sich direkt im Verbandsnetzwerk einzubringen, sind immer noch Telefon, E-Mail und nicht zuletzt die Teilnahme an Veranstaltungen. Persönliche Arbeitstreffen werden höchstens noch durch Telefonkonferenzen ergänzt oder auch mal ersetzt, obwohl dort meist die Inhalte von Dokumenten besprochen werden, die zeitversetzt per E-Mail zwischen allen Teilnehmern hin- und hergeschickt werden. Das Zeitalter von Video- und vor allem Webkonferenzen, die eine für alle Teilnehmer transparente, zeit-, kosten- und umweltfreundliche Alternative darstellen, ist bei den Verbänden offensichtlich noch nicht eingezogen, und dass, obwohl die Teilnahme an Veranstaltungen insbesondere von vielen kleineren Mitgliedsfirmen wegen Ressourcenmangel nur selten wahrgenommen wird.

Ebenso erstaunlich ist, dass nur die wenigsten Verbände das Expertenpotenzial ihrer Mitglieder wirklich nutzen. Selbst in diesen nach außen geschützten Bereichen bieten die Verbände selten Werkzeuge zum direkten Austausch mit den Mitgliedern oder Tools für Social Networking oder Online-.Gremienarbeit (Collaboration) an, während sich nicht wenige ihrer Mitglieder bereits offen auf fremden Plattformen vernetzen. (Abbildung 2)

Für die Öffentlichkeitsarbeit inkl. politischer (Breiten-)Kommunikation

Entgegen manch anderslautenden Ergebnissen ist für die meisten Verbände der Aufbau eigener Communities zur öffentlichen Kommunikation kein ernsthaft ins Auge gefasstes Thema. Stattdessen experimentieren etwa ein Drittel der antwortenden Verbände — mit weiter steigender Tendenz — bereits mit ihrer Präsenz auf offenen, kommerziellen Social-Media-Plattformen wie Twitter und Facebook. Da sie sich offensichtlich noch sehr unsicher bewegen, stellt sich die Frage, wie einige dieser Verbände zukünftig mit diesen Medien umgehen werden; etwa weil sie keine Effekte oder auch negative ihrer halbherzigen Auftritte beobachten.

Twitter zeigt sich als einer der bei Verbänden beliebtesten unter den neuen Social Media Diensten, Facebook wäre ein Kapitel für sich. Berücksichtigt man, dass in den meisten der befragten Verbände (noch) die Presse- oder die aus jenen erwachsenen Kommunikationsabteilungen für soziale Medien verantwortlich zeichnen, so verwundert nicht, dass Dienste, die sich besonders gut zur weiteren Verbreitung von Presseinformationen eignen (wie z. B. Twitter), führend sind. Dazu zählt als weiterer Kanal auch der vielseitig integrierbare RSS-Feed. Dauerbrenner ist trotz ‚Spam‘ der personalisierte Newsletter als Push-Medium.

Strategisches Themenmanagement in Online-Medien zeigt sich bei Verbänden als janusköpfige Angelegenheit. Längst Alltag geworden ist klassische Internet-Recherche über Suchmaschinen und Sichtung bekannter Websites. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Analyse der von anderen online publizierten Inhalte deutlich mehr Gewichtung erhält als die eigenen Bestrebungen, Themen im Netz zu besetzen (Agenda Setting).Hier liegt ein Widerspruch zwischen der Bedeutung, die den Publikationen anderer beigemessen wird, und den im Vergleich dazu fehlenden, eigenen Maßnahmen gezielten Agenda Settings im Netz. (Abbildungen 3, 4 und 5)

Die organisatorische Einbindung — Integrierte Führung oder Spezialfunktion?

Das Management der Online-Medien obliegt überwiegend den Presse- oder anderen Kommunikationsabteilungen.Online-Kommunikation wird als, zunächst nicht überraschend, Außenfunktion wahrgenommen, denn bei knapp 40 Prozent der Befragten liegt die Verantwortung hierfür bei der Pressestelle.

Eine stärkere Innenorientierung nehmen die Verbände auf, die die Verantwortung für die Neuen Medien Organisationseinheiten der Mitgliederbetreuung, der Corporate Communication oder einer speziellen Funktion der Online-Kommunikation zuordnen. Sie summieren sich auf 23 Prozent. Die Verbände, die die Verantwortung für das Management der Online-Medien der Geschäftsführung zuweisen und es insoweit als eine grundsätzliche Führungsaufgabe definieren, sind noch mit 24 Prozent in der Minderheit. (Abbildung 6)

Die Einschätzung, wie sich künftig die Sozialmedien auf die Führung der Verbände auswirkt, scheint sich an dem bisher vorherrschenden Bild der organisatorischen Zuordnung zu orientieren. Denn nur knapp 15 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass soziale Medien künftig ein integraler Bestandteil der Kommunikationsstrategie des Verbandes sein werden und deshalb die Führung des Verbandes grundlegend prägen werden. Dem gegenüber steht ein Viertel der Befragten, die überhaupt keinen bedeutsamen Einfluss auf die Verbandsführung erwarten, weil auch künftig die Nutzung der sozialen Medien eine Angelegenheit der Experten im Verband sein wird. Der größere Teil der Befragten hat eine eher instrumentelle Einstellung zu den sozialen Medien. Sie betrachten sie als ein mögliches weiteres Mittel der Kommunikation, das die Verbandsführung wirksam unterstützen kann, ohne sie entscheidend zu prägen. (Abbildung 7)

Diese offene bis ambivalente Haltung zur künftigen Nutzung der Sozialmedien und deren Einfluss auf die Verbandsführung korrespondiert mit der Einschätzung der Chancen und Potenziale sowie der Risiken eines verstärkten Einsatzes.

Die Risiken werden überwiegend an die Führungsfunktion des Verbandes gebunden. Immerhin befürchten knapp 38 Prozent der Befragten einen Kontrollverlust über den Kommunikationsverlauf. Knapp 28 Prozent der Befragten äußern Unsicherheit darüber, wie die Mitarbeiter mit den sozialen Medien umgehen, ob in der Außendarstellung oder auch in der Qualität ihrer Arbeitsaufgaben.

Von außen zuströmende Risiken berühren die IT-Sicherheit (13 Prozent) sowie die Nichtkontrollierbarkeit von Gegenöffentlichkeiten (15 Prozent). Während die Risikoeinschätzung relativ fokussiert ist, streut die Beurteilung der möglichen Chancen über ein breites Spektrum von Einschätzungen. Eine Verstärkung der bisherigen Informationskanäle nach außen erwartet ein Viertel der Befragten und ein nahezu gleich hoher Anteil der Befragten hofft auf verbesserte Chancen zum Dialog mit Interessierten und der Öffentlichkeit.

Positive Auswirkungen auf die Qualität der Führungsfunktion erwarten immerhin gut 14 Prozent, sei es durch Themenmonitoring und Thementrendanalysen, sei es als effektives Agenda Setting oder als Chance, den Service für die Mitglieder zu verbessern. Die Einschätzung der Befragten, welche Einflüsse die sozialen Medien auf die Führung der Verbände haben werden, lässt sich wie folgt zusammenfassen: Der überwiegende Teil der Befragten erwartet Auswirkungen auf die Führung, ist sich aber noch recht unsicher, wie diese ausfallen werden. Deshalb möchte man das Management der sozialen Medien zunächst einmal bei den Experten belassen. Erst wenn sich das Bild der Funktionsweise und der Auswirkungen der sozialen Medien lichtet und präzise Urteile möglich sind, wird sich die Führung für die stärkere Integration der sozialen Medien öffnen.

Die Projektion in die Zukunft ist also ebenso wie die bisherige Einstellung zu den sozialen Medien und deren Handhabung noch sehr von Unsicherheit geprägt.

Voraussetzungen, Indikatoren, Hilfsmittel

Die im Anschluss an die Umfrage durchgeführten Fallstudien (*2.) zeigen bereits in einer ersten Vorauswertung, welche fördernden und welche hemmenden Faktoren eine wichtige Rolle bei der Modernisierung der Verbandsarbeit mit Unterstützung moderner Online-Medien spielen. (Siehe Tabelle links)

Grundvoraussetzungen sind insgesamt ein Verständnis und die Akzeptanz der Bedeutung der Neuen Medien seitens der Geschäftsleitung und eine Organisationsstruktur und -kultur, die genügend Optionen zur bereichsübergreifenden Zusammenarbeit bieten — idealerweise in Form speziell aufgestellter Projektteams. Auch können sich Verbände insbesondere in der Außenwirkung nur dann erfolgreich in den sozialen Online-Medien bewegen, wenn sie zeitnah und authentisch in Dialog mit den anderen Teilnehmern treten. Dies erfordert schnelle und dezentrale Kommunikations- und kurze Abstimmungs- und Entscheidungswege.

Eine erste Orientierung bezüglich des Modernisierungsstands der eigenen Organisation im Hinblick auf die beschriebenen Maßnahmen bietet die oben dargestellte, vereinfachte Reifegradskala.

Auf die an der Umfrage beteiligten Verbände entfällt in etwa folgende Verteilung, wie in Abbildung 8 dargestellt.

Die Verteilung spiegelt den Stand bereits umgesetzter Maßnahmen wider. Berücksichtigt man die in Umsetzung oder Planung befindlichen Maßnahmen ist bereits heute eine klare Schwerpunktverschiebung von den Einzelmaßnahmen in Richtung kombinierter Maßnahmenbündel zu erkennen.

Wie alle untersuchten Fallstudien gezeigt haben, lassen sich hervorstechende Ergebnisse jedoch meist erst mit einer nahtlosen Einbindung dieser Maßnahmen in die Organisationsstruktur und Verbandsstrategie erzielen.

Hierzu Manfred Ritz, seit 24 Jahren Pressesprecher beim VCI und seit Dezember 2010 Bereichsleiter Presse / Politik-Themen-Service beim Chemieverband in Frankfurt: „Erst mit der Gesamtstrategie VCI Online 2010 war es möglich, konzertierte Maßnahmen zu entwickeln, mit denen die Information und Kommunikation von und mit Mitarbeitern, Mitgliedern, Branche, Politik und Öffentlichkeit einheitlicher, effizienter und wirksamer gestaltet werden.“

*1. Ein Artikel mit ausgewählten Ergebnissen der Fallstudien erscheint im aktuell von der DGVM vorbereiteten Reader mit dem Arbeitstitel „Social Media in Verbänden“.

*2. Berücksichtigt sind hier der Arbeitgeberverband Gesamtmetall, BITKOM, VCI, ASU, VdTÜV, IVD und ZVEI

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Autor/in

Hans Werner Busch

ist Gründer und Geschäftsführer des Instituts für Verbandsmanagement Potsdam. Von 2000 bis 2005 führte er als Hauptgeschäftsführer den Arbeitgeberverband Gesamtmetall. Dr. Busch kommt ursprünglich aus dem Krupp-Konzern, in dem er personalpolitische Gesamtverantwortung für den Konzern wahrgenommen hat.

http://www.ivm-busch.de
Autor/in

Thomas Klauß

ist Geschäftsführer der Netzwerkorganisation Xpoint0 – Moderner Verband, die strategische Beratung, Lösungssuche, -Entwicklung, Projekt- & Changemanagement für die digitale Transformation der Verbandsarbeit anbietet. Er ist Autor des Ende 2014 im Springer-Fachmedienverlag erschienenen, ersten umfassenden Praxisbuchs zur digitalen Verbandstransformation.

http://verband.xpoint0.de

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