Die Aschewolke nach dem Vulkanausbruch in Island bescherte Tausenden Passagieren in ganz Europa schlaflose Nächte an Flughäfen – und den Airlines Verluste in Millionenhöhe. Über 100 Millionen Euro Minus mussten die Fluggesellschaften an einem einzigen Tag verkraften, erklärte der Sprecher der Association of European Airlines (AEA) der Berliner Zeitung. Was sich für die Airlines zu einer handfesten Krise entwickelt, bedeutet für den europäischen Verband der Fluggesellschaften Alltagsgeschäft. Die Kommunikation der Interessen ihrer Mitglieder und Austragung von Konflikten mit anderen politischen Gruppierungen wie in diesem Fall der europäischen und nationalen Flugsicherung sind Aufgabe jedes Verbandes. Zwar kann ein Verband durch die Krise bei einem oder mehreren seiner Mitglieder einmal turbulentere Wochen durchleben, imagegefährdend oder gar existenzbedrohend ist das aber nicht.
Was also zeichnet eine Krise in einem Verband aus? In der Krisenkommunikation bezeichnet der Begriff Krise einen Vorfall (oder eine Serie von Vorfällen), der negative Medienberichterstattung in erheblichem Umfang auslösen kann und das Image oder die Glaubwürdigkeit einer Organisation oder einer Marke gefährdet. Parallel hierzu kommt es zu einer dramatischen Einschränkung der Handlungsfreiheit der Organisation. Wie bei jeder Organisation hat die Krise eines Verbandes viele Gesichter. Auch die Verbände in Deutschland können Opfer von Gerüchten werden, durch das Fehlverhalten einzelner Vorstände oder Führungskräfte in Misskredit geraten oder eine Datenpanne durchleben. Im Sommer 2008 geriet beispielsweise Verdi-Chef Bsirske unter Druck, da er für seinen Sommerurlaub einen Gratisflug der Lufthansa, in deren Aufsichtsrat er saß, in Anspruch nahm, während in Deutschland Verdi gegen die Lufthansa für Lohnerhöhungen streikte. Es kam zu Rücktrittsforderungen auch von Mitgliedern an Bsirske und die Medien berichteten.
Andere Krisenszenarien ergeben sich speziell aus der Funktion und Struktur von Verbänden. Durch ihre Ausrichtung auf die politische Lobbyarbeit sind sie anfällig für unerwartete politische Entwicklungen. Leicht kann es zu einem Verlust an politischem Einfluss führen, wenn beispielsweise Verbände des Gesundheitswesens zu optimistische Erwartungen an eine neue Regierungskonstellation hegen und dabei ihre inhaltliche und kommunikative Arbeit – nach innen und nach außen – vernachlässigen. Wenn sich ein neuer liberaler Gesundheitsminister dann wider Erwarten als Vertreter der gesetzlichen Versichertengemeinschaft positioniert, haben Verbände der Pharmaindustrie, aber auch der privaten Krankenversicherung oder der Ärzteschaft Mühe, den Unmut ihrer Mitglieder zu kanalisieren und Austritte zu vermeiden.
Krisenauslöser Mitgliederstruktur
Ein weiterer Krisenauslöser verbirgt sich in der Mitgliederstruktur des Verbandes. Er vertritt die Interessen seiner Mitglieder in der Öffentlichkeit und gegenüber der Politik. Bilden sich aufgrund der zunehmenden Ausdifferenzierung der Gesellschaft im Mitgliederkreis konkurrierende Interessen heraus oder fühlen sich Mitglieder nach einem Strategie- oder Vorstandswechsel nicht mehr ausreichend vertreten, kann der Verband bei seinen Mitgliedern in Misskredit geraten. Verleihen diese ihrem Unmut öffentlich Ausdruck, ist auch der Ruf des Verbandes bedroht. So verkündete der mitgliedsstärkste Verband Deutschlands, der ADAC, kürzlich seine Pläne, nach China expandieren zu wollen. Und zwar in Kooperation mit den deutschen Automobilherstellern. Inwiefern dies im Interesse der eigenen Mitglieder ist, die in dem Automobilclub ihre unabhängige Schutzorganisation gegenüber gerade jenen mächtigen Unternehmen sehen, diskutieren nun die Medien.
Risiko Service- und Beratungsleistungen
Neben der Interessenvertretung bergen auch die weiteren Service- und Beratungsleistungen, die Verbände häufig ihren Mitgliedern anbieten, Risiken. Beispielsweise sind Schulungen oder Informationsmaterialien denkbar, in denen Mitglieder fehlerhaft beraten werden. Der Verband und seine Informationen und Ratschläge genießen bei den Mitgliedern üblicherweise ein hohes Maß an Vertrauen. Insofern trägt der Verband auch eine Verantwortung gegenüber seinen Mitgliedern. Fühlen sich Mitglieder falsch beraten, ist es aufgrund dessen vielleicht gar zu betriebswirtschaftlichen Fehlentscheidungen im Unternehmen gekommen, muss sich der Verband schnell Beschwerden aus dem Kreise seiner Mitglieder und schlimmstenfalls der Kritik der Medien stellen.
Die Rolle der Medien
Die angesprochenen Beispiele verdeutlichen bereits die wichtige Rolle der Medien für den Verlauf einer Krise. Ein Verbandsvorstand, der sich aufsehenerregend verhält, Mitgliedsunternehmen, die öffentlich Unmut über ihren Verband zur Schau stellen, oder schlicht ein allzu offensichtlicher Mitgliederschwund rufen schnell die Journaille auf den Plan. Eine neue Dimension erhalten Krisen durch das Web 2.0. Facebook, Twitter, YouTube und Co. haben die Nachrichtenverbreitung in der Informationsgesellschaft sogar noch beschleunigt: Was sich bislang innerhalb weniger Tage in der Zeitung wiederfand, taucht nun schon nach wenigen Stunden auf Microblogging-Diensten und Social Networks auf. Hier verbreiten sich Themen wie ein Lauffeuer. Auf diese Weise werden Verbandsmitarbeiter oder Mitgliedsunternehmen zu Kommunikatoren, die im Web 2.0 direkt mit Journalisten, Politikern und interessierter Öffentlichkeit in Kontakt treten. Und die Hemmschwelle, sich negativ zu äußern, liegt im Internet deutlich niedriger. Das Gefühl einer gewissen Anonymität ist verlockend.
Was im Web 2.0 hochkocht, kann seinen Niederschlag schnell in klassischen Medien finden. Einträge in den Online--Foren der Nachrichtensender werden nicht selten zur Primetime in der TV-Nachrichtensendung zitiert. Eine operative Krise kann sich so schnell in eine mediale -Krise ausweiten. Im Web 2.0 werden Krisen nun dokumentiert und nachbereitet. Das Internet vergisst nicht: Im Gegensatz zu „Offline-Medienberichten“ ist per Google oder Wikipedia jederzeit per Klick wieder alles präsent.
Das Phänomen Angst spielt bei der Entwicklung von Krisen immer eine entscheidende Rolle. Ist ein Vorfall oder eine Entwicklung bei einem Verband erst in Medien und Web geraten, haben Mitarbeiter Angst um ihren Arbeitsplatz, fürchten Mitglieder wirtschaftliche Konsequenzen für ihr Unternehmen, bangen Kooperationspartner in Politik und Branche um ihren Ruf. Aufgabe der Kommunikation in der Krise ist es daher, das Vertrauen in den Verband zu erhalten. Ist das Vertrauen einmal beschädigt, kann es nur schwer zurückgewonnen werden. Eine langfristige, verlässliche Zusammenarbeit mit Mitgliedern, Mitarbeitern und Partnern sowie auch den Medien in guten Zeiten zahlt sich hingegen in der Krise in Form eines Vertrauensvorschusses aus.
Natürlich muss nicht jede Panne gleich zu einer Krise werden. Nicht jede kontroverse Meinung sollte zum Einschreiten animieren. Dies kann sogar äußerst kontraproduktiv sein und aus leichter Kritik erst eine Krise hervorrufen. Es gibt keine Patentrezepte für die richtige Kommunikation im Krisenfall, aber einige Regeln helfen, in schwierigen Situationen das Vertrauen in den Verband aufrechtzuerhalten:
Offene Kommunikation und Zugang zu Informationen helfen, Vertrauen zu erhalten und die Deutungshoheit über den Krisenvorfall zu bewahren. Mitarbeiter, Mitglieder und Öffentlichkeit müssen zeitnah, umfassend und wahrheitsgetreu über den Krisenverlauf informiert werden – sofern dem Verband dadurch kein zusätzlicher Schaden entsteht. Im Zeitalter des Web 2.0 verschärft sich der Zeitfaktor noch.
Ein Fehler der Krisenkommunikation liegt oft in der reinen Versachlichung von Zusammenhängen. Vertrauen lässt sich aber nicht in Zahlen ausdrücken. Es ist wichtig, mit der Information auch die Gefühlsebene der Menschen anzusprechen. Engagement der Führungsebene muss sich in den kommunikativen Botschaften, der Sprache, Stimme, Haltung und Mimik, niederschlagen. Verbände, die in Blogs oder in Social Networks Stellung beziehen, sollten die jeweiligen Spiel- und Sprachregeln der Web-2.0-Kommunika-tion beherrschen.
Professionelle Krisenprävention
Etwa die Hälfte aller Verbände in Deutschland musste sich bereits einer handfesten Krise stellen. So das Ergebnis einer neuen Studie der Internationalen Forschungsgruppe Krisenkommunikation an der TU Ilmenau über die Krisen-PR deutscher Verbände (siehe Verbändereport Ausgabe 3/2010). Die Einfallstore für solch schwierige Situationen öffnen sich fast immer sehr überraschend. Denn die meisten Verbände sind auf Krisenfälle nicht oder nur unzureichend vorbereitet. Auch dies belegen die Forscher aus Ilmenau. Angesichts der rasanten Verbreitung von Nachrichten im Social-Media-Zeitalter kommt der Krisenprävention zunehmende Bedeutung zu. Viele Risiken lassen sich frühzeitig erkennen und so ihre Ausweitung zur Krise in dieser Phase, wenn auch nicht ganz verhindern, so doch eindämmen. Jedes verantwortungsvolle Krisenmanagement setzt deshalb eine professionelle Krisenprävention voraus. Was auch im Tagesgeschäft zählt, nämlich sowohl die Beobachtung des Verbandsumfelds und der Entwicklung politischer und gesellschaftlicher Trends als auch die Kenntnis seiner eigenen Position, seines eigenen Images als auch des Branchenimages, dem kommt in der Krise ein besonderer Stellenwert zu. Getreu dem Motto „Krisen meistert man am besten, indem man ihnen zuvorkommt“ sollte das Ohr dicht am digitalen Rauschen gehalten, politische Geschehnisse sollten verfolgt werden und der Verband sollte über die aktuelle Medienberichterstattung auf dem Laufenden sein. Denn nur so ist es möglich, die sich ändernden Ansprüche gegenüber einer Organisation frühzeitig zu erkennen und diesen zu begegnen. Der entscheidende Handlungsspielraum im Falle einer Krise entspringt aus einem Informationsvorsprung.
Medienmonitoring und Social Media-Monitoring
Neben dem klassischen Medienmonitoring ist ein weiterer wichtiger Baustein des Frühwarnsystems das Social-Media-Monitoring. Durch Netzwerk- und Themenanalyse werden frühe Signale, Muster und Trends im digitalen Raum erkannt. Einen schnellen Eindruck über aufkommende Themen und Trends liefert Twitter. Aber auch die relevanten Foren, Blogs, Wikis sollten professionell analysiert und bewertet werden. Unternehmen sollten die Fähigkeit aufbauen, relevante Entwicklungen zu erkennen und zielgerichtet zu handeln. Das Web gibt die Möglichkeit, genau zuzuhören. Dies ist hier auch besonders wichtig, um mit dem Phänomen der exponentiell wachsenden Schwarmintelligenz umzugehen: Ähnlich wie Ameisen, die Pheromonen in umso größerer Anzahl folgen, je stärker -diese sind, schließen sich umso mehr Internetautoren einer Meinung an, je häufiger diese bereits vertreten wird. Sprich: Wer nicht aufmerksam dem Online-Gezwitscher zuhört, verspielt die Chance, Kritik oder Falschmeldungen im Web sehr frühzeitig entgegenzutreten, bevor sie sich tausendfach verbreiten. Wird Kritik erst von den klassischen Medien aufgegriffen, gilt sie als „wahrhaftige“ Nachricht und wird schnell durch eine Aufnahme im größten Lexikon unserer Zeit, bei Wikipedia, als unumstößliches Faktum geadelt. So geschehen beim Bundesverband für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft: Nach dem geschlossenen Rücktritt des gesamten Präsidiums erklärt die Welt am 3. Juli 2009 diesen Schritt mit „merkwürdigen Vorfällen im Vorstand“. Dessen Chef solle seine Kollegen gegenüber dem Präsidenten der „Unkorrektheiten im finanziellen und vertraglichen Bereich“ bezichtigt haben, was diesen nach einigem Hin und Her mit dem Vorstand zum Ausstieg aus dem Verband veranlasst habe. Prompt tauchte beim Eintrag über den Bundesverband bei Wikipedia der Welt-Artikel als Quelle für eine kritische Auseinandersetzung mit der Organisation auf. Auf Bitten eines Verbandsmitarbeiters wurde der kritische Abschnitt aufgrund mangelnder Objektivität wieder entfernt. Der gesamte Prozess ist als Dialog zwischen Verbandsmitarbeiter und Wikipedia-Autor allerdings bis dato unter der Rubrik „Diskussion“ in dem Online-Lexikon unwiderruflich festgehalten.
Wenn eine Organisation unfreiwillig plötzlich in den Fokus der Öffentlichkeit gerät, sind in ruhigen Zeiten vorbereitete Ablaufpläne und Verhaltensregeln eine hilfreiche Unterstützung. Risiken müssen sorgfältig analysiert, spezifische Krisen- und Alarmierungsabläufe definiert werden, zuständige Personen und ihre Funktionen festgelegt werden. Das gesammelte Know-how wird in einem Krisenplan zusammengefasst – das Herzstück jeglicher Krisenarbeit.
Eine besonders flexible Lösung der Krisenprävention im Zeitalter des Web 2.0 bietet auch ein digitales Krisenhandbuch. Es ermöglicht im Ernstfall noch schnellere und ortsunabhängige Reaktionen und ist sicher über das Internet für alle Mitglieder des Krisenstabs im Verband zu jeder Zeit und an jedem Ort zugänglich. Vorlagen für Pressemitteilungen, Informationen zum Verband können schnell aktualisiert, über die Verteilerdatenbank versendet und parallel mit einem Klick auf eine spezielle Verbandsweb-seite gestellt werden. Relevante Foren und Blogs können be-obachtet und direkt angesteuert werden.
Ein Krisenpräventionssystem muss im Verband bekannt und akzeptiert sein. Zur Implementierung gehören daher Workshops zum Umgang mit -Krisen- und Ablaufplänen. Auf den Ernstfall bereiten Medien- und Telefontrainings, Ablauftrainings oder Live-Simulationen einer möglichen Krise vor. Auch Anti-Stress-Trainings und Zustandsmanagement können sinnvoll sein, wenn in der Krise alles reibungslos laufen soll.
Egal ob als Auslösende, Kommunikatoren oder Leidtragende einer Krise, bei Verbänden spielen die Mitglieder für die Entwicklung schwieriger Verbands-lagen eine zentrale Rolle. Die unabhängig agierenden Unternehmen können einen Verband in der Öffentlichkeit schnell entwerten. Ihr Vertrauen gilt es unbedingt aufrechtzuerhalten, sei es vor, während oder nach der Krise. In die skizzierten Maßnahmen eines professio-nellen Krisen-managements sollten die Mitgliedsunternehmen daher einbezogen sein. Diese schaffen einen Schutz der „weichen Werte“ wie Vertrauen und Reputation. Werte, in deren Aufbau große Summen für Werbung und PR geflossen sind. Werte, die die Basis jeder Verbandsarbeit sind. Eine frühzeitige Vorbereitung schafft Handlungsspielräume, um die -Krise schadensbegrenzend zu managen und die investierten Gelder in das Verbandsmarketing zu schützen.