Verbändereport AUSGABE 1 / 2013

Verbände im Wettbewerb, Verbände unter Druck?

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„Verbände stehen untereinander und mit anderen Organisationen im Wettbewerb.“ Diese These wird längst nicht von allen geteilt. Nach wie vor herrscht ein Bild relativ eindeutiger Mitgliedschaftsgrenzen vor, die sich an Branchen oder Berufsgruppen orientieren. Kundige Beobachter und auch die Mitglieder selbst registrieren, dass Branchengrenzen in Bewegung sind, dass sie sich überschneiden, dass neueentstehen, dass Branchen in anderen aufgehen. Dasselbe gilt weitgehend auch für Berufsgruppen.

Sinkende Mitgliederzahlen können ein Indikator für Bewegungen der Branchengrenzen sein. Reagiert ein Verband auf diese Veränderungen nicht oder nur unzureichend, sind relative Unzufriedenheit mit der Verbandsarbeit, geringe Erfolgsquoten von Programmen der Mitgliedergewinnung das Resultat. Doppelmitgliedschaften von Unternehmen oder Personen häufen sich, für die eine Vertretung durch den Ursprungsverband nicht mehr ausreicht. Die Mitglieder suchen und finden Alternativen im wettbewerblichen Umfeld.

Verbände thematisieren diese Situation häufig deshalb unzureichend, weil sie sich nicht konsequent im Wettbewerb sehen. Sie verschenken dadurch die Chance einer vorbehaltslosen Analyse und strategischen Revision.

Wir haben bereits in unserer Studie von 2006, die wir gemeinsam mit IW Consult durchgeführt haben, auf das Phänomen des Wettbewerbs aufmerksam gemacht, als wir die von uns befragten 106 Wirtschaftsverbände nach den stärksten Konkurrenten befragten.

An vorderster Stelle standen andere Verbände der gleichen Ebene sowie das Internet mit jeweils knapp einem Viertel der Befragten. Der Wettbewerb im Internet zielt auf die zentrale Funktion eines Verbandes: die Information der Mitglieder. Andere Verbände treten vor allem dann als Wettbewerber auf, wenn die bereits erwähnten Strukturverschiebungen der vertretenden Branchen ihre Wirkung zeigen oder das Leistungsvermögen des Verbandes als defizitär empfunden wird.

Erstaunlich für uns war, dass auch die eigenen Dachverbände von immerhin 12 Prozent der Befragten als ernsthafte Konkurrenten benannt wurden. Hintergrund und Ursache des Wettbewerbs zwischen Dach- und Mitgliedsverband sind i. d. R. Differenzen in Inhalt und Richtung der politischen Einflussnahme (Lobbying). Unternehmensberatungen wurden im Übrigen nur von einer kleinen Minderheit von sieben Prozent als Konkurrenten wahrgenommen.

Das Bild hat sich in der Zwischenzeit, auch nach unseren Beobachtungen, verändert. Neue Facetten sowohl bezogen auf die Inhalte des Wettbewerbs als auch bezogen auf das Auftauchen neuer Spieler sind hinzugetreten. Dabei sind neue Spieler keineswegs und unbedingt andere Verbände. Verbandsähnliche Strukturen sind im Vormarsch. Beispiele hierfür sind das Demographie-Netzwerk oder die Initiative „Neue Qualität der Arbeit“.

Was meinen wir, wenn wir von Wettbewerb sprechen, dem Verbände ausgesetzt sind?

Dimensionen des Wettbewerbs

Wettbewerb von Verbänden richtet sich letztlich auf Bindung und Engagement der vorhandenen Mitglieder sowie Gewinnung neuer Mitglieder. Indikator für Erfolg ist Wachstum in Relation zur Entwicklung der angesprochenen Klientel.

Wettbewerb von Verbänden spielt sich im politischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsraum ab. Erfolg im Wettbewerb bemisst sich an der Fähigkeit, politische Anliegen der vertretenen Gruppe zu Gehör zu bringen und durchzusetzen.

Wettbewerb um öffentliche Wahrnehmung/Aufmerksamkeit zur Flankierung politischer Einwirkung und Identifikation der vorhandenen und potenziellen Mitglieder mit dem Verband/der Organisation. Entscheidend ist hierbei weniger die quantitative Dimension, sondern die qualitative wie Konsistenz, Glaubwürdigkeit, Attraktivität. Neben Aktualität muss ein „Grundrauschen“ wahrnehmbar sein, das z. B. über Studien u. Ä. das besondere wirtschaftliche und politisch-gesellschaftliche Gewicht systematisch untermauert und immer wieder in die öffentliche Wahrnehmung hebt.

Angebote der Wissensvermittlung, der Qualifizierung und vergleichbare Dienstleistungen gehen von Organisationen unterschiedlicher Art aus. Insoweit stehen Verbände in dieser Hinsicht im Wettbewerb eines stark segmentierten Marktes. Häufig laufen sie Marktentwicklungen hinterher. Deshalb stellt sich die Frage der spezialisierten Dienstleistung des Verbandes.

Vorgehen und Instrumente

Am Anfang eines Projektes steht die Identifikation der relevanten Wettbewerber des Ankerverbandes. Wir wählen sie anhand von Fragen aus, die charakteristische Elemente des Verbandes kennzeichnen. Dabei kommen nicht nur Verbände im engeren Sinn ins Blickfeld, sondern auch Organisationen anderer Rechtsformen bzw. konstitutiver Begründungen.

Welche Organisationen beanspruchen Repräsentanz auch für die Klientel des Ankerverbandes?

Welche Organisationen verfolgen explizit oder implizit politische Ziele – verstehen sich also (auch) als Lobbyorganisationen –, die mit denen des Ankerverbandes korrespondieren oder auch in Konkurrenz stehen, aber Legitimation aus der beanspruchten Repräsentanzfunktion ableiten?

Welche Organisationen sind auch Plattformen zum Erfahrungsaustausch und zu spezifischer Konnektivität?

Welche Organisationen bieten ihren Mitgliedern oder sind zugänglich für themenzentrierte Wissensvermittlung, Qualifizierungsmaßnahmen und vergleichbaren Service?

Wir haben bewährte Verfahren und Instrumente der klassischen Wettbewerbsanalyse für Produkte und Märkte ausgewählt und auf die spezifischen Bedingungen, unter denen Verbände agieren, adaptiert.

Hieraus leitet sich in den deskriptiven Schritten folgendes Vorgehen ab:

  • Beschreibung des Leistungsprofils des Ankerverbandes
  • Beschreibung des Leistungsprofils der Wettbewerber
  • Relative Positionierung des Ankerverbandes im Wettbewerb (Portfolio-Analyse)
  • Ableitungen/Schlussfolgerungen.

Die wichtigsten Instrumente sind:

  • Dokumentenanalyse (Positionspapiere, Stellungnahmen, Medienanalyse etc.)
  • Interviews
  • Gespräche
  • Umfeldanalysen

Interviews führen wir mit Repräsentanten und Führungskräften des Ankerverbandes durch. Kerninhalt sind die Einschätzung der eignen Wettbewerbslage und die Position der benannten Wettbewerber. Gespräche führen wir mit Stake-holder des wettbewerblichen Umfelds.

Beschreibung des Leistungsprofils des Ankerverbandes

Am Anfang steht eine sorgfältige Erfassung der Aktionsfelder und der diesen zugeordneten Aktionen bzw. Themen. Gliederung sowie Breite und Tiefe der Deskription variiert selbstverständlich nach Verbandstyp. Ein Verband, der seine Schwerpunkte im Lobbying setzt, gibt ein anderes Bild als beispielsweise ein vor allem auf Mitgliederservice konzentrierter Verband. (Abbildung 1)

Im nächsten Schritt gilt es, die spezifischen Rahmenbedingungen, Strukturelemente und Prozesse zu beschreiben, unter denen und durch die das Leistungsprofil generiert wird.

Dazu zählen u. a.:

  • Spezifika der Mitgliederstruktur und -entwicklung
  • Ressourcenbasis: finanziell und personell
  • Strukturelemente und Prozesse der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung
  • Öffentlicher Auftritt und Wirkung
  • Die einzelnen Informationssplitter, subjektiv gefärbte und objektive Fakten, gilt es zu einem Bild zusammenzufügen.
  • Da nur ein Teil der Informationen quantitativer Art ist, hängt die Qualität des Ergebnisses dieser Konsolidierung der Informationen in hohem Maße vom Kenntnisniveau und der Beurteilungskompetenz der Berater ab.

Die nächste Stufe der Verdichtung ist ein Stärken-Schwächen-Profil. (Abbildung 2)

Beschreibung des Leistungsprofils der Wettbewerber

Am Anfang steht die Identifikation der relevanten Wettbewerber. Kriterien hierfür  sind u. a. Stakeholder-Analysen, Trennschärfe der Handlungs- und Politikfelder, Interessenlage etc., wie zuvor beschrieben. Infolgedessen gehören zum Wettbewerbsumfeld nicht nur Verbände, sondern auch andere Institutionen und Organisationen. Die Beschreibung des Leistungsprofils der Wettbewerber folgt im Prinzip derselben Systematik wie die Beschreibung des Leistungsprofils des Ankerverbandes.

Unterschiede bestehen insbesondere in der Zugänglichkeit von Daten und Informationen. Die öffentlich zugänglichen Informationen (Webauftritt, Veröffentlichungen, Berichte, Presseveröffentlichungen und -reaktionen etc.) sind zu ergänzen durch Interviews (nur selten zu erreichen) und Gespräche im Sinne einer Beschaffung objektivierbarer Eindrücke, vor allem aus dem Handlungsumfeld der Wettbewerber.

Ergebnis der beiden ersten Schritte der Wettbewerbsanalyse ist ein differenziertes Bild mit einer Gegenüberstellung der Stärken-Schwächen-Profile.

Relative Positionierung des Ankerverbandes im Wettbewerb (Portfolio-Analyse)

Die Portfolio-Analyse ist ein vertrautes und durchgängig eingesetztes Instrument zur Bewertung von relativen Marktpositionen von Produkten und Unternehmen. Wir übertragen sie auf die Wettbewerbsanalyse von Verbänden:

In der Portfolio-Analyse werden jeweils zwei Kriterien/Dimensionen verwendet, um im Bezug hierauf den Ankerverband und seine Wettbewerber zu positionieren. In der Regel sind diese Kriterien wiederum aus Einzelkriterien zusammengesetzt, wie hier beispielhaft aufgeführt (Abbildung 3).

In der Wettbewerbsanalyse setzen wir Zielkriterien und deren Bestimmungsfaktoren ins Verhältnis, um Schritt für Schritt zu einem hinreichend vollständigen Bild der relativen Positionierung des Ankerverbandes zu gelangen.

Die Portfolios (Abbildung 4 bis 7) sind neutralisierte Auszüge aus einem konkreten Projekt.

Auf der Basis der Portfolio-Analysen und deren Umsetzung in ein Polaritätsprofil folgt die zusammenfassende Interpretation. Aus ihr wird erkennbar, ob und bei welchen Kriterien der Ankerverband Unverwechselbarkeit aufweist und damit tendenziell Wettbewerbsvorteile. Welche Wettbewerber Benchmark in wesentlichen Handlungsdimensionen sind. Wie der Ankerverband seine Wettbewerbsvorteile einsetzen kann, um Schwächen auszugleichen. Und umgekehrt, ob und wie Wettbewerber augenblickliche Wettbewerbsvorteile zum Ausgleich ihrer Schwächen einsetzen werden und damit eine Bedrohung für den Ankerverband werden.

In diesem Fall wird deutlich, dass ein Verband bei den wichtigen Kriterien Image-
stärke, Innovationsstärke und Ressourcenstärke gegenüber dem Ankerverband im Vorteil ist, der wiederum unverwechselbar in seinem Profil ist. Die markanten Schwächen bei Innovation und Ressourcen erfordern ein Umsteuern, damit die relativ gute Position in Profil, Lobbystärke und Reputation nicht dauerhaft Schaden nimmt.

Ableitungen

Die zusammenfassende Interpretation der Wettbewerbsanalyse ist Basis für ein weiterführendes Strategie-/Handlungskonzept mit dem Ziel einer deutlichen Stärkung der Wettbewerbsposition. Im Dialog mit dem Auftraggeber (Ankerverband) werden die konzeptionellen Leitlinien entwickelt.

Eine erste strategische Stoßrichtung nimmt die Erfahrung ins Kalkül, dass Wettbewerbsvorteile nicht auf Dauer, sondern häufig akut gefährdet sind. Deshalb stehen an erster Stelle Konzepte und Maßnahmen, diese Vorteile nachhaltig zu stützen, z. B. durch Stärkung der Innovationskraft, der Ressourcen und der Netzwerke.

Eine mögliche Neuorientierung liegt in der Entwicklung strategischer Allianzen, auch mit Wettbewerbern nach dem Motto: If you can"t beat him join him. Dabei kann es und sollte es dazu führen, eigene zu schwach ausgeprägte Aktivitäten potenziell auf den Allianzpartner zu übertragen, sodass in Kombination sich neue Stärken entfalten können. Eine Konkretisierung ist in Abbildung 8 zu finden.

Eine weitere Komponente zur Stärkung der Wettbewerbsposition liegt in der Regel in der Entwicklung eines Servicekonzepts. Alle Ansätze ergänzen sich, sind allerdings nicht für jeden Verband von gleichem Gewicht.

Schlussbemerkungen

Wettbewerbsanalyse, wie hier vorgestellt, ist für Verbände eher ungewöhnlich, obwohl der Wettbewerb um Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, um Wahrnehmung in der Politik, um Akzeptanz bei den Mitgliedern allgegenwärtig ist. Öffentlichkeit kann sich stets anders orientieren, Politik kann sich Alternativen zuwenden und Mitglieder können sich prinzipiell für andere Mitgliedschaften entscheiden. Eine Wettbewerbsanalyse sensibilisiert für die Wirkung von Alternativen, die jedem Stakeholder, jeder Zielgruppe grundsätzlich zur Verfügung stehen. Sie setzt Handlungsimpulse frei, die entweder dazu führen, dass die eigene Positionierung des Verbandes auch zulasten anderer gestärkt wird, oder Optionen für punktuelle Allianzen, für dauerhafte Bindungen bis hin zu Fusionen eröffnen.       

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Autor/in

Hans Werner Busch

ist Gründer und Geschäftsführer des Instituts für Verbandsmanagement Potsdam. Von 2000 bis 2005 führte er als Hauptgeschäftsführer den Arbeitgeberverband Gesamtmetall. Dr. Busch kommt ursprünglich aus dem Krupp-Konzern, in dem er personalpolitische Gesamtverantwortung für den Konzern wahrgenommen hat.

http://www.ivm-busch.de

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