Unternehmerisch Handeln im Verband hat seine satzungsgemäßen Grenzen, unternehmerisch Denken hingegen ist der Königsweg für die Zukunft moderner Verbände. Darin waren sich alle Teilnehmer einig, die als Verbandsverantwortliche auf Einladung der Cologne Business School am 6. Dezember 2005 in die neue Arena des MSV Duisburg gekommen waren. Geschäftsführer, Präsidenten und Fachreferenten aus 22 Verbänden trafen sich, um sich von den Berichtsautoren aus erster Hand die Ergebnisse einer NRW-Befragung zum Thema „Unternehmerisches Handeln im Verband“ präsentieren zu lassen.
Anlass, eine NRW-Studie zur Praxis des Verbandsmanagements anzustellen, war die provokante Behauptung in der Zeitschrift „Capital“, Verbände ohne unternehmerisches Denken seien nicht zukunftsfähig. Begleitet wurde die Aussage von einem Ranking der Verbände in Bezug auf Image, Effizienz und Einfluss. Ganz vorne in der Gesamtbewertung landeten ADAC, Verband der Automobilindustrie, Bundesverband der Deutschen Industrie und Greenpeace, ganz hinten der Deutsche Gewerkschaftsbund, Verdi, das Nationale Olympische Komitee und die IG Metall.
In der Tat gibt es viele, durchaus prominente Verbände und Non-Profit-Organisationen, die nicht nur Imageprobleme haben, sondern ums Überleben kämpfen, ihre Existenz rechtfertigen müssen und über dramatische Mitgliederaustritte klagen. Grund für die Krise dieser Verbände ist in der Regel ein unverantwortlicher Dauerschlaf, der die seit langem spürbare Entwicklung geänderter Bedarfe schlichtweg ignoriert. Das kann halt Unternehmen nicht so schnell passieren, denn da gibt es einen systemimmanenten Aufpasser, der heißt Wettbewerb.
Deshalb haben es auch Manager von Wirtschaftsunternehmen ungleich leichter, ihr Unternehmen wirtschaftlich auszurichten. Verbände zu führen ist wesentlich anders und wesentlich schwieriger, denn sie sind Non-Profit-Organisationen und werden ehrenamtlich geführt. Unternehmen dagegen sind am Gewinn orientierte, erwerbswirtschaftliche Organisationen, deren Sinn und Zweck darin liegt, seinen Eigentümern und Kapitalgebern Gewinn, Profit, Verzinsung zu erwirtschaften.
Im Klartext: Unternehmen müssen sich wirtschaftlich verhalten, denn die Konkurrenzsituation spürt jeder Beteiligte zu jeder Zeit, egal ob Unternehmer, Anteilseigner, Mitarbeiter, Kunde oder Lieferant. Die Spielregeln sind denkbar einfach: Wer sich bei den Marktteilnehmern als der Beste darstellt, ist vorne, wer zu teuer, zu langsam, zu unzuverlässig ist, verlässt über kurz oder lang das Spielfeld. Aus der Marktsituation ergeben sich automatisch Kunden- und Bedarfsorientierungen, Effektivitäts- und Effizienznotwendigkeiten, Zwänge zu zukunftsorientierten Sichtweisen.
Das ist bei einem Verband grundsätzlich anders. Als Non-Profit-Unternehmen fehlt es ihm an Gewinnerzielungsabsicht, es fehlen die klassischen Marktbedingungen. Der Zweck eines Verbandes ist meist mehrschichtig und in der Gewichtung seiner Aufgaben interpretationsfähig. Die Marktsteuerung wird durch politische Steuerung ersetzt und erfolgt über das demokratische Prinzip gewählter ehrenamtlicher Vertreter, die die relevanten Entscheidungen fällen. Ziele sind nicht durch Marktzwänge vorgegeben, sondern müssen ausgehandelt werden. Daraus müssen dann sinnvolle Erfolgsgrößen destilliert werden, die sich mitunter schwer messen lassen und nicht einfach aus der Markt- und Wettbewerbssituation abzuleiten sind.
Umso wichtiger ist eine konsequente Marketingausrichtung für den Verband, die sich an den Prinzipien unternehmerischen Denkens orientiert. Marketing und unternehmerisches Denken in Verbänden ist dabei vor allem eine Einstellungs- und Verhaltensänderung: Weg von der Innensicht, von der Aufgabenorientierung hin zur Außen- und Marktorientierung, zu Mitgliederwünschen und Dienstleistungsorientierung.
Ein deutliches Abbild des Status Quo der Verbandslandschaft in Nordrhein-Westfalen liefert die Studie, die im Herbst 2005 von COMPASS im Auftrag der Cologne Business School ausgewertet wurde. 850 hauptberuflich besetzte Verbände in NRW waren befragt worden, um der eingangs gestellten These auf den Grund gehen zu können. Die postalisch versandten Fragebögen erzielten eine für diese Erhebungsmethode erstaunlich hohe Rücklaufquote von 10 Prozent. Besser kann die Aktualität der Fragestellung und das große Interesse der Verantwortlichen am Thema nicht verdeutlicht werden.
Ein bekanntes Phänomen schriftlicher Befragungen auf freiwilliger Basis galt es bei der Interpretation der Ergebnisse zu berücksichtigen: es antworten erfahrungsgemäß eher diejenigen, die sich ohnedies für das angesprochene Thema interessieren und tendenziell bereits entsprechend handeln. Diese systematische Beeinflussung der Ergebnisse lässt die Folgerung zu, dass alle ableitbaren Schlüsse und Anregungen für das Gros der Gesamtheit noch eher zutreffen, als für die vorliegende Stichprobe.
Aufgrund der unterschiedlichen Strukturen von Verbänden und Unternehmen können zwar keine allgemein gültigen und transferierbaren Erfolgsrezepte definiert werden, gleichwohl ist es aber möglich, Erfolgsfaktoren aus der Unternehmenspraxis zu analysieren und auf die speziellen Anforderungen von Non-Profit-Organisationen zu adaptieren.
Im Rahmen der Studie wurde konkret untersucht, inwiefern die folgenden Erfolgsfaktoren Einzug in das Management von Verbänden gehalten haben:
- Kundenorientierung, bzw. eine klare Ausrichtung des Dienstleistungs-angebotes auf die Verbandsmitglieder
- Wirtschaftliches Handeln
- Zielorientiertes Handeln
- Langfristige, strategische Planung
- Professionelles Management und Qualitätsmanagement
Kundenorientierung
In Bezug auf die Kundenorientierung zeigt sich auf den ersten Blick ein klares, positives Bild. Über 90 Prozent der Verbände geben an, sich stark oder sehr stark an den Wünschen ihrer Mitglieder zu orientieren. Im Rahmen der Diskussion mit den Verbandsverantwortlichen zeigte sich jedoch schnell, dass die Mitglieder ihre Anliegen überwiegend selbst an den Verband herantragen müssen. Eine systematische Erhebung der Mitgliederwünsche findet nur in den seltensten Fällen statt. Zwar werden alle Kommunikationskanäle genutzt, aber auch hier scheint zu gelten: wer am lautesten schreit, hat den größten Einfluss. Unzufriedenheiten können so nicht rechtzeitig erkannt werden, der Sinn einer Mitgliedschaft wird nur unzureichend kommuniziert — die rückläufigen Mitgliederzahlen dürften unter anderem hier ihre Begründung finden. Im Laufe der Diskussion wurde deutlich, dass die üblichen Instrumente aus der Marktforschung zur Erhebung der Marktinteressen in Verbänden nicht zum Einsatz kommen.
Wirtschaftliches Handeln
Ähnliche Antworten wurden hinsichtlich des wirtschaftlichen Handelns in Verbänden gegeben. Nur 53 Prozent der Befragten gaben an, dass Budgetierung und Ressourcenplanung eine sehr wichtige Rolle in ihrem Management spielen. Um die Bedeutung dieses Ergebnisses einordnen zu können, dient ein Vergleich mit der Wirtschaft. Im Wettbewerb des Marktes hätten sich langfristig nur diese 53 Prozent halten können. Der Rest wäre höchstwahrscheinlich aufgrund wirtschaftlicher Probleme vom Markt verschwunden. Eine Projektion dieses Verhaltens auf die zukünftige Entwicklung in einem auch für Verbände zunehmenden Konkurrenzdruck lässt nichts Gutes für die erwarten, die mit der Mittelverwendung ihrer Mitglieder derart lässig umgehen. Das Ergebnis passt zu der Selbsteinschätzung der Verbandsmanager, was ihre persönlichen Kenntnisse über Betriebswirtschaft und Marketing betrifft. 53 Prozent bewerten ihr Know-how im Bereich Betriebswirtschaft mit „Sehr gut“ oder „Gut“. Marketingkenntnisse werden nur von 45 Prozent der Befragten entsprechend eingeschätzt.
Zielorientierung
Mitglieder eines Verbandes erwarten heutzutage eine eindeutige Zielorientierung. Die allgemeine wirtschaftliche Situation zwingt Unternehmen und Einzelpersonen zu einer Prioritätensetzung bei den Ausgaben. Dementsprechend muss das eingesetzte Kapital eine entsprechende „Rendite“ einbringen. Dies wiederum setzt voraus, dass die Ziele des Verbands eindeutig definiert sind, denn diese „Rendite“ kann in Verbänden in den seltensten Fällen in Euro und Cent ausgedrückt werden, sondern muss sich an anderen Kriterien messen lassen. Diese Kriterien jedoch müssen klar definiert sein. Im Rahmen der Studie hat sich dieser Bereich als Achillessehne im Verbandsmanagement erwiesen. So geben zwar 86 Prozent der Verbände an, dass klare Zielsetzungen bestehen. Das bedeutet hochgerechnet im Umkehrschluss, dass in Nordrhein-Westfalen mehrere hundert Verbände ohne jegliche konkrete Zielorientierung arbeiten.
Kontrollen zur Zielerreichung
Deutlicher wird das Bild, wenn man sich vor Augen führt, dass von diesen 86 Prozent nur 34 Prozent grundsätzlich Kontrollen zur Zielerreichung durchführen. Die Zielvorgaben werden damit auf ein Mittel zur internen Kommunikation herabgestuft und können keinesfalls einem zielorientierten Management dienen. Es ist zu erwarten, dass eine steigende Zahl von Mitgliedern diesen Bereich zukünftig stärker hinterfragen und ihre Mitgliedschaft davon abhängig machen, inwiefern Zielvorgaben und deren Kontrollen durchgeführt und kommuniziert werden.
Nun erscheint es vielen Verbandsmanagern mit Recht unmöglich, alle Facetten der Verbandsarbeit messbar zu machen. So kann der Einfluss eines Verbandes auf die öffentliche und politische Meinungsbildung nicht quantifiziert werden. Die Aktivitäten und Maßnahmen, die dies zum Ziel haben und deren Effizienz, können hingegen klar bewertet werden! Eine konkret definierte Zielsetzung und deren Kontrolle ist in den meisten Fällen notwendig und machbar. Denn nur so können die Verbandsmitglieder eine Kontrolle der Aktivitäten vornehmen und am Jahresende beurteilen, ob das eingesetzte Kapital zielbringend eingesetzt worden ist — oder eben nicht.
Es zeigte sich im Laufe der Diskussion, dass der unverbindliche Charakter vieler Verbandsziele mit dem Missverständnis zusammenhängt, dass die in der Satzung verankerten Zielsetzungen für das operative Geschäft übernommen werden könnten und die Zielkontrolle durch die Mitglieder stattfinden würde. Satzungsziele und die Ziele des Managements befinden sich jedoch auf unterschiedlichen Ebenen. Wenn auch die Abstimmung der Zielsysteme von hervorragender Bedeutung ist, so dürfen die Zielsetzungen keinesfalls substituierend verwendet werden.
Strategische Planung
Es stellt sich nun die Frage, unter welchen Umständen Ziele überhaupt sinnvoll definiert werden können? Zunächst ist hierfür eine Analyse des Status Quo, der Stärken und Schwächen des Verbandes, des Konkurrenzumfeldes und der Kundeninteressen vonnöten. Daraus kann dann ein Leitbild entwickelt werden, in dem neben der Zielsetzung auch das Selbstverständnis des Verbandes festgehalten wird. Dies geschieht in der Regel für einen langfristigen, mehrjährigen Zeitraum. In der Studie wird offenbar, dass eine solche langfristige strategische Planung nur in den wenigsten Verbänden stattfindet. So gaben nur 14 Prozent an, Planungen für einen Zeitraum von vier Jahren durchzuführen, der Großteil setzt sich nur für die kommenden ein bis zwei Jahre Ziele. Begründet wird dies mit einem sich rapide ändernden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfeld. Dieser Argumentation liegt jedoch die irrige Annahme zugrunde, dass in einem schnell verändernden Markt taktiert werden müsse und eine Orientierung an ehemals gesetzten Zielen hinderlich sein könne. Erfolgreiche Unternehmen zeigen, dass das Gegenteil der Fall ist. Nur wenn ein eindeutiges langfristiges Ziel vorhanden ist, kann man auf die sich schnell ändernden Rahmenbedingungen im Sinne des Unternehmens eingehen, ohne die eigene Positionierung zu verlieren.
Qualitätsmanagement
Der untersuchte Erfolgsfaktor Qualitätsmanagement vereint die bisher genannten Aspekte in sich. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass Qualitätsmanagement bei den Verantwortlichen in Non-Profit-Organisationen einen überaus hohen Stellenwert besitzt, jedoch kaum wirklich zum Einsatz kommt. Es wurde gefragt, inwiefern die Aufgabenerfüllung, die Zielerreichung und die Leitung des jeweiligen Verbandes bewertet werden. Zwar findet in der Regel eine Bewertung statt, jedoch nur bei den wenigsten (15 Prozent) auf eine systematische Art und Weise. Das Befragungsergebnis weist eher darauf hin, dass die Arbeitsbewertung eher spontan und intuitiv erfolgt. Gängige Methoden, wie die Einführung eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP), Prozessanalysen oder gar ein umfassendes Qualitätsmanagementsystem (z.B. EFQM, ISO) finden sich in der Praxis kaum.
Fazit
Die erfreuliche Feststellung der Studie lautet, dass die Grundsätze unternehmerischen Denkens im Verbandsmanagement durchaus Einzug gehalten haben und vielerorts erfolgreich praktiziert werden. Die schlechte Nachricht hingegen ist, dass die Umsetzung dessen im operativen Geschäft den Anforderungen des Marktes noch nicht genügt. Hierbei ist klar geworden, dass eine langfristige, zielorientierte und strategische Planung hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfelds nur in den seltensten Fällen stattfindet. Die große Bandbreite der hierfür sinnvoll anwendbaren Methodik aus dem Bereich des Change Management kommt nur in den wenigsten Fällen zur Anwendung, wenngleich sich die klare Ausrichtung und Anpassung der Leistungsabgaben an die Wünsche, Erwartungen und Anforderungen der „Kunden“ (sprich: Mitglieder) bei modern aufgestellten Verbänden offensichtlich immer mehr durchsetzt. Die anwesenden Teilnehmer der Präsentation waren dafür beredtes Beispiel.