Verbändereport AUSGABE 5 / 2006

Unternehmerisch Denken – familienfreundlich Handeln!

Modernes Personalmanagement im Verband

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Große Wirtschaftsunternehmen haben es schon längst verstanden: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern ist nicht mehr ein ‚hobby horse’ für ‚Frauenversteher’, Softie-Manager und BWL-Ignoranten. Familienfreundliche Maßnahmen im Betrieb wandeln sich zunehmend in wirtschaftlich sinnvolle und messbare Wettbewerbsvorteile.

Zu dieser Aufforderung gelangt eine empirische Studie der Uni Münster, die positive betriebswirtschaftliche Wirkungen Familien bewusster Personalpolitik nachweist. Kein Wunder also, dass Bundeswirtschaftsminister Michael Glos persönlich am 14. Juni zusammen mit Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen die 141 deutschen Unternehmen, Verbände und Öffentlichen Institutionen auszeichnete, die sich für familiengerechte Arbeitsbedingungen besonders engagiert haben. Der Westdeutsche Fußball- und Leichtathletikverband (WFLV) gehörte dazu.

Eingeladen zur öffentlichen Zertifikatsverleihung des „audit berufundfamilie“ im ehemaligen Staatsratsgebäude in Berlin-Mitte hatte die gemeinnützige Hertie-Stiftung, die sich seit 1998 besonders für die Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie einsetzt. Gemeinsam mit Roland Berger Strategy Consultants und der Universität Münster entwickelte die Stiftung eine betriebswirtschaftliche Datenbank, die die Wertschöpfung bemisst, die das Audit in den Unternehmen bewirkt. „Familien bewusste Personalpolitik ist kein Sozialklimbim und keine Aktivität einer weltverbessernden Minderheit“, erklärte Vorstandsvorsitzender Dr. Michael Endres, „sondern ein harter Wettbewerbsfaktor, der im beruflichen Alltag durchaus eine Rolle spielt.“ Erfreulich für ihn, dass sein ehrgeiziges Projekt „Mit Familie zum Unternehmenserfolg“, aus dem das „audit berufundfamilie“ hervorging, so viele Unternehmen überzeugen konnte. Alle ausgezeichneten Firmenvertreter von den Ford-Werken, über die Sparda Bank München. AOK-Rheinland-Pfalz, Deutsche Telekom, Dyckerhoff, KPMG Deutsche Treuhand-Gesellschaft, Michelin Reifenwerke, Robert Bosch GmbH, RWE, bis hin zur WestLB gingen mit dem Fazit von Michael Glos konform. „Hinter einer familienfreundlichen Unternehmenspolitik stehen handfeste ökonomische Interessen“, erläuterte der Minister bei der persönlichen Übergabe der Zertifizierungsurkunden.

Nach den Gründen befragt, warum sie Maßnahmen einer familienbewussten Personalpolitik eingeführt haben, nennen Unternehmen vor allem die Verbesserung der Motivation und der Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten sowie den Abbau von Stress und die damit einhergehenden niedrigeren Fluktuations- und Krankheitsquoten. Und dass sie mit dieser Einschätzung recht haben, ist jetzt amtlich: Unternehmen mit einem umfassenden Angebot an familienfreundlichen Maßnahmen haben eine vergleichsweise niedrige Fehlzeitenquote (4,7 Prozent im Vergleich zu 7,6 Prozent) und Mitarbeiter kehren nach der Elternzeit im Durchschnitt bereits nach 19 Monaten (gegenüber sonst 28 Monaten) zurück. Außerdem verbessert sich die Chance auf Rekrutierung von qualifiziertem Personal. Nicht zuletzt ist durch starke Beachtung der Maßnahmen in der Presse ein positiver Imagegewinn feststellbar. Zu diesem Ergebnis kam die Universität Münster in ihrer Studie aus 2005. Damit werden Umfragen von Emnid (2002), prognos (2003) und work & life (2004) bestätigt, die in familienfreundlichen Unternehmen deutlich verringerten Krankenstand, weniger Fluktuation, gelungenen Know-how-Erhalt, verbesserte Motivation und Qualitätsverbesserungen der Arbeit feststellten.

Dr. Burkhard Schwenker, CEO bei Roland Berger Strategy Consultants, bringt es auf den Punkt. Die demographische Entwicklung in Deutschland wird dafür sorgen, dass bis 2040 – trotz Zuwanderung – etwa sieben Millionen Arbeitskräfte fehlen werden. Ohne Zuwanderung sieht die Prognose noch düsterer aus. Da volkswirtschaftlich betrachtet wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand grundsätzlich vom Kapitalstock, der Produktivität und der Beschäftigung abhängt, schrumpft das Wachstumspotenzial in Deutschland bereits bis 2020 spürbar von 1,3 Prozent auf 0,3 Prozent.

Die Wirtschaftsmanager sind sich dieses Zusammenhangs sehr wohl bewusst. Sie messen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf einen hohen, sogar unverzichtbaren Stellenwert bei. Verantwortlich für die ungenügende Verwirklichung halten sie jedoch in erster Linie die Politik.

Zudem spricht vieles für Familienfreundlichkeit im Betrieb, gerade aus Sicht der Unternehmen. DaimlerChrysler, Dresdner Bank, Adidas-Salomon, BASF, Siemens, RAG, Merck, AOL Deutschland oder Henkel, um nur einige zu nennen, haben das bereits vor Jahren erkannt und in Maßnahmen umgesetzt.

Auch das Management des Westdeutschen Fußball- und Leichtathletikverbandes hat die Notwendigkeit, Dienstleistungsqualität zu steigern, Fehlzeiten gering zu halten, die Rückkehrzeit nach Elternschaft zu verkürzen und damit Verbands-Know-How zu erhalten, früh genug erkannt. Hilfreich waren dabei die Erkenntnisse der St. Gallener Managementlehre, die seit 1997 zu den Leitlinien der Geschäftsführung gehören. Für die überzeugenden Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf erhielt der WFLV das Grundzertifikat aus der Hand des Wirtschaftsministers.

Dabei war eine Zertifizierung in diesem Rahmen zunächst gar nicht angestrebt gewesen. Im Rahmen der verbandlichen Überlegungen und nach politischer Entscheidung zur Berücksichtigung von „Gender Mainstreaming“ rückte die Analyse systematischer Geschlechterbenachteiligung in den Blick. Zeitgleich wurde das Thema durch aktuelle Schwangerschaft, Elternschaften und Pflegebedarf von Elternteilen bei Betriebsangehörigen akut. Da zahlreiche Sachverhalte in der Unternehmenskultur des WFLV bereits praktiziert und gelebt wurden, folgte die Geschäftsleitung der Empfehlung des Gender-Projektträgers, sich einem Auditierungsverfahren zu unterziehen. Mit der erfahrenen Auditorin Elena de Graat aus Bonn wurde ein Maßnahmen-Mix identifiziert und weiter entwickelt, der zur Praxis im Betrieb passt und betriebswirtschaftlich sinnvoll ist.

Eingerichtete Telearbeitsplätze für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit Heimarbeitsanteilen, flexible Arbeitszeiten mit Kernzeit-Regelung, mitarbeiterorientierte Mehrarbeitsregelungen in einer Abteilung mit extremen Schwankungen im Arbeitsanfall, die Möglichkeit, eigene aufsichtspflichtige Kinder notfalls in den Betrieb mitbringen zu können, bei der arbeitsplatznahen Ferienunterbringung in Sportcamps des Fußballs behilflich zu sein oder das hausinterne Weiterbildungsprogramm kostenlos nutzen zu können, schienen eine gute Grundlage zu sein, um die Messlatte des positiven Zusammenspiels von Beruf und Familie höher zu legen.

Die erfahrbaren Ergebnisse können sich sehen lassen: Die Motivation der Mitarbeitenden ist mit der Entwicklung von familienbewussten Arbeitgeberinitiativen auf hohem Niveau geblieben bzw. noch gewachsen. Sie äußert sich in einer „rückgekoppelten“ Identifikation und Bindung zum Verband. In Belegschaftsgrößen, die namentliche, persönliche Kommunikation aller Mitarbeitenden untereinander ermöglichen, wirken sich Verständnis und Lösungen des Arbeitgebers für persönliche Problemstellungen grundsätzlich in doppelter Hinsicht positiv aus: In der Beurteilung der Wertschätzung der eigenen Person und in dem Verständnis für arbeitsorientierte Flexibilität am Arbeitsplatz. Es eröffnen sich dadurch Chancen für beide Seiten: Eine offene und aktuelle Informations- und Kommunikationspolitik macht der Belegschaft Erfordernisse und Bedarfstellungen der Arbeit transparent. Die Beteiligung der Mitarbeitenden an Arbeitsorganisationsmodellen und Arbeitseinsatzplänen (Teamarbeit, Kommunikationszeiten, Qualitätszirkel) sorgt für ein hohes Maß an Akzeptanz und Motivation. Der flexible Einsatz von Personalressourcen ermöglicht die Bewältigung von Hochsaisoneffekten, arbeitsintensiven, begrenzten Projektphasen, Fachkongressen und Kampagnen sowie Zeitvorgaben von Veranstaltungen, Tagungen und Sitzungen am Abend oder an Wochenenden, die durch die speziellen Erfordernisse der Zusammenarbeit mit ehrenamtlichen Gremien zustande kommen.

Über die konkreten Notwendigkeiten für den WFLV hinaus lassen sich eine Reihe der Motive auch für andere Verbände verallgemeinern. Der zeitweilige oder gänzliche Verlust von langjährigen Mitarbeitenden lässt sich nämlich in Verbänden in der Regel weniger schnell ausgleichen als in Unternehmen. Viele Tätigkeiten verlangen sehr konkretes, spezifisches Hintergrundwissen oder auch die persönliche Kontaktebene zu ehrenamtlichen Entscheidungsträgern. Da die Arbeitsbeziehung starke Anteile mit gewachsenen Vertrauensgrundlagen beinhalten, sind Personalwechsel betriebswirtschaftlich nicht zu vertreten. Zu stark sind verbandliche Organisationen strukturell miteinander verflochten, zu komplex sind Untergliederungen, Ausschüsse, Arbeitsgruppen, Gremien und ihre Beziehungen untereinander, zu häufig die personelle Verflechtung in verschiedenen Strukturen, als das ein schlichtes Organigramm die Wirklichkeit nachzeichnen könnte. Ohne Kenntnis dieser mitunter komplizierten Strukturen, ohne Kenntnis der Personen, die innerhalb und zwischen den formalen Ebenen interagieren, bleibt hauptberufliche Mitarbeit und Unterstützung ehrenamtlicher Gremien suboptimal. Das Wissen um und das Know-how von Strukturen und Beziehungen und die Vertrauensbasis zu den handelnden Personen baut sich über Jahre auf. Es ist nur schwer kommunizierbar und noch schwerer transferierbar. Deshalb ist das Bemühen, Fehlzeiten gering zu halten, die Rückkehr nach Elternschaft zu beschleunigen und das erworbene Know-how zu erhalten, gerade für Verbände ein Gebot der Stunde.

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat zusammen mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag und „berufundfamilie“ darüber hinausgehende Überlegungen angestellt und für kleinere und mittlere Unternehmen angepasst. Die 50-seitige Checkliste kann zwar in größeren Unternehmen leichter praktiziert werden, scheint aber auch für Verbände praktikabel zu sein.

Dass sich durch die Anwendung familienfreundlicher Maßnahmen für Verbände dicke Chancen ergeben, ist weitgehend unstrittig. Betriebswirtschaftliche Effekte familienfreundlicher Maßnahmen erschließen nicht nur Einsparpotenziale bei Personalbeschaffungskosten, Überbrückungs- und Wiedereingliederungskosten, sie wirken sich vor allem auf die für Verbände besonders wichtigen Bereiche der folgenden Abbildung aus.

Dennoch ist das „familienfreundliche Unternehmen“, geschweige denn der „familienfreundliche Verband“, noch nicht der Regelfall. Dem Schlusswort von Dr. Endres anlässlich der Zertifizierungsfeier ist deshalb wenig hinzuzufügen: „Es ist gut 45 Jahre her, dass der damalige Erzbischof von Köln, Josef Kardinal Frings, in einer Predigt sagte: „Die Zukunft eines Volkes hängt nicht von der Zahl der Neuwagen, sondern von der Zahl der Kinderwagen ab.“ Eine sehr griffige Formulierung, die auch in Zeiten guter Automobilkonjunktur ihre Richtigkeit hat. Lassen Sie uns also alle gemeinsam dazu beitragen, der Kinderwagen-Industrie einen höheren Absatz zu bescheren.“

Checkliste

Zeitmanagement:

- Pausen

- Urlaubsregelung

- Sonderurlaub

- Gleitzeit

- Jahresarbeitszeit

- Abgestufte Teilzeit

- Teilzeit während der Elternzeit

Arbeitsablaufmanagement:

- Arbeit mit nach Hause nehmen

- Alternierende Telearbeit

- Teamarbeit

- Wiedereinstieg nach der Elternzeit

- Eltern-Kind-Arbeitszimmer

Unternehmenskultur in der Außen- und Innenwahrnehmung:

- Akzeptanz von „Familienkarrieren“

- Mitarbeitergespräch

- Krankenrückkehrgespräch

- Ansprechpartner „Balance von Familie und Arbeitswelt“

- Kontakthaltemöglichkeit

- Schwarzes Brett

- Betriebsfest

Familienservice für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter:

- Essen aus der Betriebskantine

- Haushaltsservice

- Geburtsbeihilfe

- Unterstützung von Elterninitiativen

- Unterstützung bei der Kinder-betreuung in Notsituationen

- Belegplätze in Kindergärten

- Zuschuss zur Kinderbetreuung

- Unterstützung bei der Seniorenbetreuung

- Aushilfstätigkeit für Angehörige

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