Die meisten Nonprofit-Organisationen (NPO) können auf eine lange Tradition zurückblicken und sind aus dem „alltäglichen Leben“ der Schweiz kaum mehr wegzudenken. Dennoch ist über deren Strukturen, Leistungsfähigkeit und Erfolgschancen vergleichsweise wenig bekannt. Auch die Wissenschaft tut sich schwer damit, quantitative Daten über diese Organisationen des so genannten Dritten Sektors zu gewinnen. Dies unter anderem aufgrund der oft fehlenden staatlichen Kontrolle in diesem Bereich und der daraus folgenden ungenügenden gesetzlichen Datenerfassung.
Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector Project (CNP)
Doch diese Probleme gelten nicht nur für die Schweiz, auch in Westeuropa war die Datenlage zu den NPO, wozu grundsätzlich auch die Verbände gezählt werden, lange Zeit ungenügend. Durch diese fehlenden Zahlen wurde der Dritte Sektor gegen außen nicht als eigenständiger Bereich wahrgenommen und in der Regel nur mit einzelnen gesellschaftlichen Tätigkeitsfeldern, wie etwa dem Sport oder der Kultur, in Verbindung gebracht. Den gemeinnützigen Organisationen und Verbänden beispielsweise fehlte somit auch eine fundierte statistische Grundlage für politische Debatten. Es fiel den NPO schwer, ihren gesellschaftlichen Beitrag klar aufzuzeigen. Den vorgefassten Meinungen und althergebrachten Vorstellungen über die Zusammensetzung und Arbeitsweise des Nonprofit-Sektors konnten sie kaum entgegenwirken.
Ähnliche Gegebenheiten in praktisch sämtlichen Ländern der Welt veranlassten Helmut K. Anheier und Lester M. Salamon zu Beginn der 1990er Jahre das Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector Project (CNP) zu initiieren. Es gilt mittlerweile als das „Referenzprojekt“ in der empirischen Erhebung des Nonprofit-Sektors. Aussagen liefert diese internationale Studie über die Größe, Struktur, Finanzierung und die gesellschaftliche Rolle des Dritten Sektors. Das CNP ermöglicht es, nun die Diskussion über Chancen, Leistungen und Potenziale des Sektors auf ein gesichertes empirisches Fundament zu stellen, und bildet somit die Grundlage für weiterführende wissenschaftliche Untersuchungen. Das CNP befindet sich bereits in seiner dritten Phase. Mit Hilfe dessen Projekt-Analyserasters wurden mittlerweile Daten von 39 Ländern aus sämtlichen Regionen der Erde systematisch erfasst und ausgewertet.
Die Schweiz beteiligt sich neu am CNP
Die Schweiz ist das einzige Land in Westeuropa — abgesehen von den Kleinststaaten —, welches an der Studie bisher noch nicht teilgenommen hat. Dies wird sich nun ändern, denn das Verbandsmanagement Institut (VMI) in Fribourg wird in den nächsten drei Jahren die Aufgabe übernehmen, die gesellschaftliche Rolle und Bedeutung der NPO in der Schweiz darzustellen und den gesellschaftlichen Beitrag der Institutionen dieses Sektors aufzuzeigen.
Die Daten des NPO-Sektors sind in der Schweiz unter anderem deshalb so dürftig, weil die NPO eine sehr heterogene Struktur aufweisen. Diese ergibt sich nicht nur aufgrund der Größenunterschiede der einzelnen Organisationen, wie beispielsweise zwischen den großen Wirtschaftsverbänden und kleinen lokalen Umweltschutzgruppen, sondern auch aufgrund der unterschiedlichen Tätigkeiten, welche vom Sport über die Interessenvertretung bis hin zur humanitären Auslandshilfe reichen. Dies dürfte mitunter ein Grund dafür sein, warum das schweizerische Bundesamt für Statistik (BfS) die Gesamtheit der Organisationen bisher nicht gesondert erfasst hat und in der amtlichen Statistik über die NPO nur wenige Daten ausgewiesen werden.
Bisherige Praxis des Schweizerischen Bundesamtes für Statistik (BfS)
Bei den zahlreichen amtlichen Statistiken werden die Institutionen des Dritten Sektors nur selten explizit als NPO ausgewiesen. Einer der Orte, wo dies geschieht, ist die Analyse der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) , welche als Synthesestatistik eine Zusammenfassung aller Transaktionen einer Volkswirtschaft darstellt. Mit Hilfe ihres Konzeptrahmens und ihrer Definitionen wird versucht, die wirtschaftliche Realität, so gut wie möglich, widerzuspiegeln. Ein Teilbereich, der gesondert ausgewiesen wird, sind dabei die Privaten Organisationen ohne Erwerbscharakter (POoE). Zu diesen POoE werden vom BfS namentlich die Gewerkschaften, Verbraucherverbände, politische Parteien, Kirchen sowie karitative und wohltätige Vereine gezählt.
Obwohl die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände zu den wichtigsten Interessenorganisationen in der Schweiz zählen und typischerweise zu den NPO gezählt werden, sind die Arbeitgeber- und Berufsverbände von dieser Statistik ausgeschlossen. Dies aufgrund der Definition, welche besagt dass die Dienstleistungen einer POoE für die privaten Haushalte zu erbringen sind. Da die Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände aber primär für die Unternehmen „produzieren“ und Dienstleistungen anbieten, werden sie nicht erfasst. Dies sind jedoch nicht die einzigen Organisationen, welche aufgrund unterschiedlicher Definitionen des BfS und des CNP nicht korrekt als NPO ausgewiesen werden.
Im Jahre 2003 erwirtschafteten die POoE mit dieser Berechnungsart 8,102 Milliarden Schweizer Franken (zu laufenden Preisen). Diese Größe entspricht in etwa einem Anteil von 1,9 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Schweiz. Die zentrale Erkenntnis des CNP belegt aber, dass über alle Länder hinweg der Dritte Sektor einen Anteil am BIP von durchschnittlich 4,7 Prozent ausweist. Mittlerweile erwirtschaften alle NPO weltweit über 1.3 Billionen US-Dollar jährlich, was im Gesamtumfang größer ist als beispielsweise die Volkswirtschaften von Russland, Kanada oder Brasilien. Das lässt vermuten, dass die ausgewiesene Kennzahl des BfS weit unter dem korrekten „volkswirtschaftlichen Wert“ der NPO liegt. In Folge dessen wird die Bedeutung des Sektors bei der amtlichen Berechnungsart stark nach unten verzerrt und verleitet schließlich dazu, falsche Rückschlüsse zu ziehen.
Verbände spielen eine wichtige Rolle im politischen System
Die Wichtigkeit der NPO im Allgemeinen und der Verbände im Besonderen in der Schweiz lassen sich nicht nur anhand von Zahlen belegen. Ein Ziel des CNP ist es, wie bereits angedeutet, den Mechanismus und die Wichtigkeit der Organisationen, anhand von Beispielen, speziellen Gegebenheiten und deren Geschichte darzulegen.
Im politischen System der Schweiz spielen beispielsweise gerade die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Der Staat war in den beiden Weltkriegen und während der Weltwirtschaftskrise zur Lösung von wirtschaftspolitischen Problemen auf diese Verbände angewiesen und bezog diese stark in die politischen Prozesse mit ein. Die Interessengruppierungen gewannen dadurch rasant an Bedeutung und konnten starken Einfluss auf die Politik nehmen. Dies führte 1947 sogar dazu, dass in den Wirtschaftsartikeln der schweizerischen Bundesverfassung die verfassungsmäßige Mitwirkung von Interessenorganisationen an Gesetzen oder deren Ausarbeitung festgeschrieben wurde. Den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, welche als privatrechtlich organisierte Vereine konstituiert sind, wurden damit weitgehende Befugnisse eingeräumt und sie erhielten sozusagen die staatsrechtliche Anerkennung. Gewerkschaften und Verbände in der Schweiz kommt heute vor allem eine wichtige Rolle in den vorparlamentarischen Entscheidungsverfahren zu, wo sie Vorschläge zuhanden des Parlamentes ausarbeiten können. In diesem Zusammenhang spricht man daher auch von einer institutionalisierten Konfliktregelung. Diese speziellen Gegebenheiten führten zu einer noch stärkeren und schnelleren Verbandsbildung.
Internationaler Vergleich
Das CNP ist international angelegt und will durch einheitliche Vorgaben die Ergebnisse international vergleichbar machen. Die Bedeutung der Berufsverbände oder anderer Gruppierungen wird somit in sämtlichen teilnehmenden Ländern des CNP ersichtlich. Diese unterscheiden sich zum Teil erheblich:
In Westeuropa dominieren vor allem die Wohlfahrtsbereiche, wie Gesundheitswesen, Bildung und Forschung sowie die sozialen Dienste. Der Anteil der Beschäftigten im Bereich der Interessen- und Berufsverbände ist im Vergleich dazu eher gering, wie die beistehende Abbildung zur Bedeutung der Berufsverbände im internationalen Vergleich verdeutlicht.
Ein anderes Muster ergibt sich hingegen in den lateinamerikanischen Ländern sowie in Mittel- und Westeuropa, wo die Interessenorganisationen einen Anteil von bis zu 15 Prozent an der Gesamtbeschäftigung im NPO-Sektor einnehmen. In Lateinamerika sind die Gewerkschaften und Berufsverbände viel stärker professionalisiert und weisen daher einen vergleichsweise hohen Anteil an Beschäftigten aus. Die Verbände in Deutschland bewegen sich hingegen mit rund vier Prozent sogar unter dem Durchschnitt aller betrachteten Industrienationen. Der geringere Anteil in Deutschland liegt auch an der Dominanz des Sozial- sowie des Gesundheitsbereiches, welche mit bis 70 Prozent der Beschäftigten den Dritten Sektor deutlich dominieren.
Unterschiedliche Finanzierungsstruktur der Nonprofit-Organisationen
Um Aussagen über die Größe und Struktur der einzelnen NPO-Gruppen zu erlangen, gibt es noch weitere Schlüsselgrößen, welche für die Studien relevant sind. Eine davon ist die Einnahmenstruktur der verschiedenen Organisationen. Hier konnte das CNP aufzeigen, dass entgegen der gängigen Meinung, die Spenden nicht die Hauptquelle der Einnahmen im Dritten Sektor darstellen. Ganz im Gegenteil machen diese freiwilligen Zuwendungen durchschnittlich nur etwa elf Prozent der Einnahmen gemeinnütziger Organisationen aus. Die Haupteinnahmequelle in Westeuropa bilden vielmehr die Gebühren und Zuwendungen der öffentlichen Hand sowie die Einnahmen aus den eigenen angebotenen Dienstleistungen und Mitgliederbeiträgen.
Nicht verwunderlich sind die Unterschiede der Sektoren, welche ihre Kosten auf unterschiedliche Art und Weise decken. Die Berufsverbände finanzieren sich folglich hauptsächlich aus den Beiträgen ihrer Mitglieder sowie Erträgen aus weiteren kostenpflichtigen Dienstleistungen. Die übrigen Einnahmequellen sind mit fünf beziehungsweise sechs Prozent eher vernachlässigbar.
Ausblick
Ähnlich wie in Westeuropa dürften diese Größenverhältnisse bei der Einnahmestruktur der Interessenverbände auch in der Schweiz liegen. Doch die quantitative Erfassung des Nonprofit Sektors in der Schweiz steckt, wie beschrieben, noch in ihren Anfängen. Aussagen zu den einzelnen NPO-Sektoren sucht man hierzulande also nahezu vergebens. Das Ziel des VMI ist es daher, mit der Erhebung des NPO-Sektors eine solide Grundlage für künftige Forschungsprojekte darzustellen und den gesellschaftlichen Beitrag der NPO im Allgemeinen sowie der Verbände im Besonderen aufzuzeigen. Denn wie auch die Diskussionen im Zusammenhang mit der Revision des schweizerischen Stiftungsrechts sowie jüngste parlamentarische Vorstöße zeigen, ist die wissenschaftliche Aktualität und gesellschaftliche Relevanz dieser Thematik auch in der Schweiz gegeben.
Literatur:
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