Man muss kein Hellseher sein, um Journalistenfragen vorhersehen zu können. Interviews laufen nach Mustern ab. Jeder Beteiligte hat seine Funktion dabei. Denkstrukturen und Fragetechnik sind zu erahnen. Wer journalistische Handlungsweisen versteht, findet sich in einem Interview besser zurecht. 10 Einblicke in die Welt eines fragenden Journalisten.
1. Die Plage mit den Antworten
Der Journalist denkt: „Ich könnte die Antwort selbst besser texten. Ich würde mir sogar Zeit sparen. Aber ich brauche ein Originalzitat oder Statement.“
Warum? Ein O-Ton erbringt den Beweis für die Echtheit, eine Nähe, gibt dem Beitrag einen Wahrheitsgehalt. Ein Verantwortlicher oder ein Experte muss her. Der Journalist wird sich Fragen ausdenken, deren Antworten seine Recherchen bestätigen, seinem Beitrag die nötige Authentizität verleihen. Fragen, in der Hoffnung, dass sie so beantwortet werden, wie er es für seinen Beitrag braucht.
2. Die Antwort zählt, nicht die Frage
Ein Interview wird vom Ergebnis her konstruiert. Von den Antworten. Der Journalist denkt: „Welche Antwort möchte ich hören? Was möchte ich herauskitzeln?“
Wenn ein Journalist die Antworten bekommt, mit denen er gerechnet hat, dann weiß er, dass seine Fragen gut waren. Fragen, die vorher nicht zu erahnen sind, sind daher selten. Denn für einen Beitrag mit Hintergrund, der Raum für Reflexionen lässt, ist selten Platz. Und selten Zeit. Deshalb ist das Vorgespräch für den Journalisten das Wichtigste am Interview. Hier lässt sich erfragen, auf was der Journalist inhaltlich abzielt. Tipp: Fragen Sie den Journalisten vorab zum geplanten Beitrag aus, so viel Sie können.
3. Der Ort ist die halbe Miete
Ein Interview ist kein Gespräch. Der Journalist fragt nicht nur, sondern sagt auch, wo’s langgeht.
Der Ort wird bewusst gewählt. Telefoninterview, im Studio, live, vorproduziert. Nimmt sich ein Journalist viel Zeit, meint er es entweder sehr gut, ist wirklich am Thema interessiert und will sich genau über Hintergründe informieren. Oder aber er will in einer entspannten Situation, am besten in der gewohnten Umgebung des Interviewten, etwas herauslocken. Deshalb gilt: Keine Angst vor Telefon- oder Studiointerviews, denn je lockerer die Atmosphäre, je vertrauter die Umgebung, desto gefährlicher ist es, dass man etwas sagt, was man später bereuen könnte.
4. Zeitvorgabe als Druckmittel
Schnell soll es immer gehen, denn Journalisten sind ja immer unter Zeitdruck. Dass dies so ist, ist meist nicht von der Hand zu weisen. Aber Journalisten wissen mit Zeitdruck umzugehen. Für sie ist es keine Stresssituation. Zeitdruck ist sogar praktisch: Es ist kluges Kalkül, den Interviewten unter Zeitdruck zu setzen. Man überlässt dem Interviewten so wenig Zeit wie möglich, damit dieser sich keine geschliffenen Antworten überlegen kann. Wer unter Druck ist, ist meist nicht souverän und unsicher. So ist es für den Journalisten viel leichter, „interessantere“ Antworten zu bekommen.
Lassen Sie sich daher niemals unter Druck setzen. Und wenn es nur zehn Minuten vor einem Live-Telefoninterview sind. Die Zeit ist immer da. Bedenken Sie: Der Journalist braucht Sie, sonst würde er Sie nicht kontaktieren.
5. Was gesagt ist, ist gesagt
Sobald der Journalist sein Interview in der Tasche hat, ist die Sache meist gelaufen. Eine interviewte Person kann ihre einmal erteilte Einwilligung in die Veröffentlichung nicht nach Belieben widerrufen. Die Umstände und Ereignisse müssen sich so verändert haben, dass die Veröffentlichung des Interviews nunmehr eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts zur Folge haben könnte.
Niemand kann Sie zwingen zu antworten. Wenn Sie eine Frage nicht verstehen oder nicht antworten wollen, dann stellen Sie eine Rückfrage oder antworten lieber nicht. Wenn Sie Unsinn erzählen, dann liegt es alleine an Ihnen, nicht am Journalisten.
6. Profilierungssucht
Auch Journalisten wollen sich durch ein „gutes“ Interview profilieren. Beim Sichten des Interview-Materials, beim Aussortieren von Statements oder Zitaten werden daher gerne extreme Positionen oder ausgefallene Antworten genommen, die den Beitrag „griffig“ machen. Als Interviewter sieht man die Situation aber von der zentralen Botschaft her, die man vermitteln wollte. Man meint, die Inhalte, auf die es ankommt, dem Journalisten ausführlich dargelegt zu haben. Vielleicht zu ausführlich, vielleicht zu kompliziert. Eine zentrale Botschaft, wenn sie nicht gut, d. h. mediengerecht, formuliert ist, kann bei der Veröffentlichung in den Hintergrund rücken. Aus „beitragstechnischen“ Gründen wird dann die Antwort nicht so berücksichtigt, wie es der Interviewte gerne gehabt hätte. Deshalb sollte man auch auf die Art und Weise achten, wie man seine Botschaften in einem Interview dem Journalisten anbietet.
7. Ich gebe Dir, Du gibst mir
Ein gegebenes Interview eröffnet die Möglichkeit, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Gerne kommen Interviewanfragen aber, wenn kritische Situationen aufgetreten sind. Dann öffentlich Stellung zu beziehen, ist als Chance zu sehen, auch wenn man „härter“ angefasst wird.
Geben Sie das richtige „Futter“. Journalisten wollen immer Einblicke in Persönlichkeits- und Denkstrukturen, Meinungen, Wertungen, Konsequenzen. Politiker beherrschen das Metier, Interviews in allen Situationen zu geben, vortrefflich. FDP-Chef Philipp Rösler hat immer eine verbindliche Art, auch wenn er unverbindlich bleibt bzw. wie bei Verantwortungsträgern häufig üblich unverbindlich bleiben muss.
Beispiel: In einem Interview für „Die Zeit“ gibt er eine seiner für ihn typischen Antworten: „Herr Rösler, mit Ihnen an der Spitze wollte die FDP attraktiver und sympathischer werden. Finden Sie, dass das mit dem Personalgerangel der vergangenen Tage gelungen ist?“ Rösler: „Wir wollen vor allem wieder erfolgreicher werden ...“ („Die Zeit“, 12.5.2011)
8. Keine Ahnung, kein Problem
Häufig müssen Journalisten viele unterschiedliche Themen aufbereiten. Wer keine Ahnung vom Gesundheitswesen hat, muss plötzlich über Krankenkassen schreiben. Dann über Mindestlohn usw. warum funktioniert das? Man muss zum Beispiel kein Sozialpädagoge sein, um über Straftaten von Jugendlichen zu berichten. Eine Sichtweise als „Außenstehender“ kann für die mediale Vermittlung von Themen sogar hilfreich sein. Journalisten haben die Aufgabe, das zu fragen, was die Bevölkerung interessiert, zu hinterfragen und aufzuklären, Fakten von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Die Rechercheergebnisse werden so aufbereitet, dass jeder sie verstehen kann. Die Öffentlichkeit soll über Sachverhalte, die von allgemeiner, politischer, wirtschaftlicher oder kultureller Bedeutung sind, Kenntnis bekommen. Damit tragen die Medien zur Meinungs- und Willensbildung bei und erfüllen eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe.
Wichtig ist vor einem anstehenden Interview, dass von Verbands- bzw. Unternehmensseite die Fakten so übersichtlich und unkompliziert wie möglich zusammengetragen und dem Journalisten am besten schriftlich zur Verfügung gestellt werden, um Missverständnissen aus dem Weg zu gehen. Dies erleichtert die Verständigung erheblich, auch wenn der Journalist natürlich noch anderweitig recherchiert.
9. Ich arbeite für mein Medium – basta
Journalisten sind ihrem Arbeitgeber verpflichtet wie andere Arbeitnehmer auch. Jedes Medium hat sein eigenes Profil. Dazu muss die Art und Weise der Bericht-erstattung passen.
Auch wenn versucht wird, ein möglichst gutes Verhältnis zu bestimmten Journalisten aufzubauen, so wird der Journalist immer auf der Seite seines Mediums stehen.
Ein Artikel für die „Bild“-Zeitung wird immer einen anderen Tenor und Schreibstil haben als einer, der für die „FAZ“ geschrieben wird.
Distanz zu Interviewpartnern ist nötig, aber auch vertraute Kontaktpersonen sind ein unverzichtbarer Bestandteil für journalistische Arbeit, um journalistische Konkurrenten durch schnellere und exklusive Informationen auszustechen. Um ein dickes Kontaktadressbuch zu bekommen, wird von journalistischer Seite gerne ein „nahes“ Verhältnis gesucht. Und da besteht die Gefahr, dass man mal mehr ausplaudert, als man darf. Hintergrundgeschichten gehören nicht an den Biertisch, sondern in offizielle Hintergrundgespräche, die nach klaren Vereinbarungen ablaufen.
10. Es ist mein Job, nicht Deiner
Wer ein Interview vor der Veröffentlichung sehen will, kann sich schroffe Abfuhren einhandeln. Wo käme man auch hin, wenn jedes Interview vor der Veröffentlichung von Unternehmensseite kontrolliert würde? Meinungsfreiheit ist im Grundgesetz verankert.
Und wenn jemand Ihnen sagen will, wie Sie Ihren Job machen sollen, werden Sie auch Einspruch erheben. Journalismus ist ein Beruf wie jeder andere auch. Und Journalisten sind meist gut ausgebildet. Ohne Studium und Volontariat hat man heute kaum Chancen, eine journalistische Karriere zu machen. Dass andere eine andere Sichtweise auf Sachverhalte haben, ist natürlich. Es finden sich immer Gegenargumente.
Laut einer repräsentativen Umfrage des ifk Institut für Kommunikationswissenschaft im Jahr 2005 wollen 89 Prozent der Journalisten „möglichst neutral und präzise informieren“. Die Ambitionen von Kritik und Kontrolle hätten deutlich abgenommen, es dominieren die Journalisten, die „komplexe Sachverhalte erklären und vermitteln“ wollen. Vorsätzlich falsch berichten will selbst die „Bild“-Zeitung nicht. Das schadet letztendlich dem Medium und dem Reporter. Ein Journalist, der ständig falsch recherchiert, wird in keinem Medium lange arbeiten.
Wer schlechte Presse bekommt, ist oft selbst schuld
In den Medien kann eine kritische oder gar falsche Berichterstattung für ein Unternehmensimage fatal sein. Ein Ruf ist schnell beschädigt. Trotz Freispruchs wird Wettermoderator Jörg Kachelmann nie wieder sein altes positives Image herstellen können. Kaum einer will inzwischen Gurken aus Spanien essen, auch wenn der Ehec-Virus anscheinend gar nicht ursächlich mit spanischem Gemüse zusammenhängt.
Ein möglicher Imageverlust ist mit Fakten nicht so einfach wiederherzustellen. Das Image eines Unternehmens, einer Branche, einer Person beruht auf subjektiv empfundenen Vorstellungen. Und ein „komisches“ Gefühl einer Person, einem Produkt oder einer Branche gegenüber ist nicht leicht wegzuradieren.
Bei der Ehec-Epidemie trägt schlechte Informationspolitik zu Verunsicherung und schlechtem Image bei. Es sind nicht die Journalisten, die die Krise gestaltet haben. Daher gehört eine präventive Krisen-PR im Unternehmen oder Verband zu den wichtigsten Instrumenten der Öffentlichkeitsarbeit. Kritische Berichterstattung ist nicht zu vermeiden. Es liegt aber nicht nur an den Medien, wenn man darin schlecht aussieht. „Krisis“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet „(Ent-)Scheidung, entscheidende Wendung“. Es ist immer ein Prozess, den die Medien durch ihre Berichterstattung beschleunigen. Er muss aber von Unternehmens- bzw. Verbandsseite auch intensiv mitgegangen werden. Der ständige und aktive Umgang mit den Medien spielt dabei eine entscheidende Rolle, wenn man aus einem Imagetief wieder herauskommen will.
Ein Journalist muss eine andere Sicht der Dinge haben dürfen, sonst wären Journalismus und Pressefreiheit überflüssig. Für Kontrolle und Korruption in den Medien wären die Türen geöffnet.