Dem Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) ist in Krisenzeiten ein Transformationsprozess gelungen, der ihn nicht nur als Wirtschaftsverband im politischen Berlin neu positionierte, sondern auch in der Medienlandschaft sowie in der breiten Bevölkerung. Als diesjähriger Gewinner des DGVM-Awards „Verband des Jahres“ in der Kategorie „Positionierung und Interessenwahrnehmung“ zeigt der vfa mit seiner organisatorischen 360-Grad-Wende beispielhaft auf, wie Verbände auch oder vor allem in schweren Zeiten ihre politische wie wirtschaftliche Position behaupten und sogar stärken können.
Raus aus der kommunikativen Sackgasse
Dass der Bundeskanzler der geplatzten Ampelkoalition, Olaf Scholz, öffentlich sagt: „Was immer wir als Bund tun können, um den Pharmastandort Deutschland noch weiter zu stärken, das werden wir tun“, wäre vor dem Transformationsprozess „vfa 4.0“ nicht denkbar gewesen. Der Verband beschreibt seine vorherige Situation als ein ständiges „Ringen um eine angemessene Vergütung für die Arbeit der forschenden Pharmaunternehmen“. Zudem lag diesem Ringen mit der Politik noch der Vorwurf zugrunde, die Branche sei lediglich Kostenfaktor oder sogar Kostentreiber im System. Der einzige Ansprechpartner war das Gesundheitsministerium. Nur von dort wurde der Verband um Stellungnahmen gebeten, nur dort hatte man Anknüpfungspunkte. Eher eine „kommunikative und strategische Sackgasse“, wie es der vfa reflektiert.
Als 2022 das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz verabschiedet wurde, war dies ein Tiefschlag für die gesamte Branche. „Die Stimmung war extrem schlecht auch bei uns im Verband“, erinnert sich vfa-Präsident, Han Steutel. Das Gesetz hatte etwa zur Folge, dass neue Arzneimittel entweder nicht eingeführt werden konnten oder vom Markt genommen werden mussten. Die Unternehmen der Pharmaindustrie sahen sich gezwungen, Investition, Forschung und den Aufbau neuer Stellen deutlich einzuschränken. Die Branche sah den Pharmastandort Deutschland gefährdet.
Die vfa-Geschäftsführung und das Präsidium zogen einen Schlussstrich unter die bisherigen Strukturen und leiteten einen radikalen Systemwechsel ein. Fortan sollte der vfa nicht mehr allein gesundheitspolitischer Ansprechpartner, sondern auch Wirtschaftsverband sein. Doch damit die thematische Modernisierung gelingt, mussten sich auch die internen Arbeitsprozesse sowie die Kommunikation nach innen und außen wandeln.
Weg von Fachbereichen – hin zu Projektgruppen
„Wir haben über 100 Interviews geführt mit unseren Mitgliedsunternehmen und auch mit unseren Mitarbeitern“, erklärt Dr. Stefan Hennewig, Geschäftsführer Personal und Finanzen, die Vorbereitungen für die Transformation. Aus dieser Bestandsaufnahme folgte der Aufbruch in die Modernisierung.
Fortan wird in Projektgruppen gearbeitet, die die Prozesse flexibler machen und auch die Mitglieder stärker mit einbeziehen. Über 60 Ausschüsse und Unterausschüsse wurden in Expert-Groups und drei crossfunktionale Policy-Committees umstrukturiert. Insgesamt sind es nun rund 30 feste Gremien, die an unterschiedlichen Projekten und Themen arbeiten. Je nach Anlass können diese Gruppen ausgeweitet oder auch neue eingerichtet werden. Dadurch haben die Verbandsmitglieder wesentlich mehr Einfluss auf die Arbeit des vfa.
Der Verband bezieht den Vorstand durch regelmäßige TouchPoints in kurzen Intervallen und durch Strategie-Offsites stärker mit ein. Er wandelte die Sitzungen mit seinen Mitgliedern von reinen Informationsveranstaltungen zu interaktiven Austausch-Plattformen, in denen Positionen gemeinsam erarbeitet werden, und sucht aktiv die Zusammenarbeit mit anderen Verbänden. „Wir sind effektiver in unserer Arbeit, wir sind schneller, wir können mehr Bündnisse schließen und es macht auch mehr Spaß“, resümiert Stefan Hennewig.
Der vfa ist der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen in Deutschland. Seit seiner Gründung 1994 setzt er sich für die Anliegen von Pharma- und Biotech-Unternehmen ein. Der vfa vertritt die Interessen von 48 weltweit führenden forschenden Pharma-Unternehmen und über 100 Tochter- und Schwesterfirmen in der Gesundheits-, Forschungs- und Wirtschaftspolitik. Seine Mitglieder repräsentieren mehr als zwei Drittel des gesamten deutschen Arzneimittelmarktes und beschäftigen in Deutschland rund 102.000 Mitarbeiter. www.vfa.de
Mehr Reichweite durch moderne Kommunikation
Die vfa-Geschäftsführerin für Kommunikation, Kristin Breuer, erinnert sich: „Ein wichtiger Baustein war, mit unseren Mitgliedsunternehmen neue Kommunikationsformate zu entwickeln – auch da neue Kreativität und Dynamik reinzubringen.“ Die Interessenvertretung konzentriert sich auf verlässliche, nachprüfbare und verständliche Daten und Analysen. Der vfa erarbeitet seit der umfassenden Transformation eigene Berechnungen, Studien und Analysen und stellt diese der breiten Öffentlichkeit in Newslettern, Dashboards, Podcasts und Snippets zur Verfügung. Damit tritt er nicht nur sichtbarer auf der Bühne der klassischen Medienwelt auf, sondern auch in der Social-Media-Community. Die digitale Reichweite, so der Verband, hat sich dadurch innerhalb von vier Jahren mehr als verdreifacht. Medien-Riesen wie n-tv oder die Tagesschau nutzten Schaubilder und Dashboards des vfa für ihre Berichterstattung.
„Wir wollen Deutschland als Pharmastandort sichtbar machen. Aber wir wollen nicht nur zu Fachleuten reden. Wir adressieren auch die Öffentlichkeit“, sagt der Forschungssprecher des vfa, Dr. Rolf Hömke. Ein Blick auf die Internetseite zeigt die Bandbreite der Verbands-Beiträge: Unter der Rubrik „#abcGesundheitspolitik“ werden Themen wie die Arzneimittelausgabe, die DiGa (digitale Gesundheitsanwendung) oder etwa das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) kurz und verständlich erklärt. Die Themenunterseite „PharmaDigital“ gibt einen Überblick über die Digitalisierung in der deutschen Medizinversorgung, etwa über die Elektronische Patientenakte oder den digitalen Impfpass.
Ebenfalls auf der vfa-Webseite zu finden ist das „MacroScope-Dashboard“. Das Tool stellt die wichtigsten Daten zur Gesamtwirtschaft und Pharmaindustrie zur Verfügung. Das Besondere daran: Die Inhalte, die Zeiträume der jeweiligen Beiträge und auch die Relevanz für die jeweilige Branche lassen sich je nach Bedarf einstellen. Charts, Dashboards, Podcasts und Youtube-Videos können von hier aus in Social-Media-Kanälen geteilt und genutzt werden.
Der moderne mediale Auftritt der Branche gelingt durch die enge Zusammenarbeit mit den Verbandsmitgliedern, die konkrete Beispiele, Zahlen und Fakten liefern und die Inhalte mit ihrem Dachverband erarbeiten. Auch politische Botschaften und Forderungen erfragt der vfa bei den Mitgliedsunternehmen und stellt diese für die Öffentlichkeit zusammen.
Aus Sackgassen werden starke Wege der Kommunikation
Die Reichweite und Aufmerksamkeit über den neuen medialen Auftritt bewog auch Politiker dazu, von sich aus mit Nachfragen und Bitten um Erläuterungen auf den vfa zuzukommen, berichtet der Verband. Der Erfolg der Transformation zeigte sich bald auch im Thema Finanzstabilisierungsgesetz. Der vfa ließ eine Studie durchführen, die die Auswirkungen des Gesetzes auf Arbeitsplätze und Investitionen untersuchte. Ein Projektteam aus Mitarbeitern der Geschäftsstelle und Mitgliedsunternehmen zeigte den politischen Akteuren die negativen Auswirkungen des Gesetzes auf und erläuterte, wo es korrigiert werden muss, um den Pharmastandort Deutschland zu retten.
Diesmal verloren sich die Gespräche nicht in kleinteiligen Debatten oder kommunikativen Sackgassen. Stattdessen fand der vfa politische Verbündete für seine Position und konnte Impulse setzen. Genau ein Jahr nach dem Beschluss des Finanzstabilisierungsgesetzes gipfelte 2023 die Interessenvertretung des Pharmaverbands in einem Erfolg auf dem Pharmagipfel im Bundeskanzleramt: Die Regierung verabschiedete eine Pharmastrategie zur Stärkung der Branche. Inzwischen wurde mit dem neuen Medizinforschungsgesetz ein wichtiger Baustein der Pharmastrategie umgesetzt. Auch hierbei kam die neue Ausrichtung der Verbandskommunikation zum Tragen. Der vfa lieferte den politischen Entscheidungsträgern mit Studien entscheidende Daten und Fakten, um zur Verbesserung des Forschungs- und Pharmastandortes Deutschland beizutragen.
Eine neue Plattform für Innovation
Ein weiterer sichtbarer Erfolg der neuen Ausrichtung des vfa ist der „Tag der innovativen Gesundheitswirtschaft“, den der Verband im Mai 2023 erstmals ausrichtete. Mehr als 200 Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Unternehmen diskutierten über die Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Im zweiten Jahr kamen bereits 260 Gäste zum „Tag der innovativen Gesundheitswirtschaft“ zusammen. Gemeinsam dachten sie Fragen und Lösungen weiter, die der Verband das ganze Jahr über um- und vorantreibt: Wie können sich Deutschland und Europa im Wettbewerb mit den großen Wirtschaftsräumen behaupten? Wo können Innovationskraft und Produktivität zurückgewonnen werden? Welche Abhängigkeiten müssen aufgelöst werden?
2024 war es Bundeskanzler Olaf Scholz, der am Plattform-Tag in einer Video-Botschaft die Bedeutung der Pharmaindustrie hervorhob und versprach, dafür zu sorgen, dass Deutschland und Europa noch besser und schneller bei der Zulassung von Arzneimitteln und bei der Durchführung klinischer Studien werden.
Inzwischen stehen Politik, Wirtschaft und Verbände nach dem Zerwürfnis der Ampel-Regierung und den bevorstehenden Neuwahlen erneut vor kritischen und ungewissen Zeiten. Eine solide Basis, um auch aus dieser nationalen Krise stark hervorzugehen, hat sich der Pharma-Verband mit seiner 360-Grad-Wende aufgebaut. Die Jury des DGVM-Awards ist davon überzeugt. Mit „vfa 4.0“ hätte sich der Verband in jeder der drei ausgeschriebenen Kategorien bewerben können: „Fortschritt und Management“, „Mitgliederorientierung“ sowie „Positionierung und Interessenwahrnehmung“. Gewonnen hat er als Verband des Jahres in letzterer Kategorie und überzeugt damit, wie er „seine Organisation in Rekordgeschwindigkeit vom reinen Gesundheitsverband zu einem schlagkräftig aufgestellten und dialogbereiten Wirtschaftsverband“ aufgestellt hat, so die Begründung der Jury.
Detaillierte Einblicke zum DGVM-Award 2024 und zu seinen Gewinnern gibt es unter www.dgvm.de. Hier werden auch der vfa und sein Transformationsprozess in einem kurzen Video dargestellt.