Verbändereport AUSGABE 2 / 2011

Spagat ohne Scheuklappen

Verbandsmagazine im Spannungsfeld zwischen Journalismus und Interessenvertretung

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Verbandsmagazine entstehen im Spannungsfeld zwischen Journalismus und Interessenvertretung, zwischen Nachrichtenwert und internem Ausgleich. Daraus entstehende Fehlentwicklungen können konzeptionell aufgefangen werden.

„Die Stiftung Warentest hat deutsche Apotheken auf den Prüfstand gestellt. Ihr Ergebnis: Die Kunden werden selten gut beraten. Nur sieben von insgesamt 50 Apotheken schnitten bei dem Test mit der Note gut ab. Bei elf Apotheken wurde die Qualität sogar mit ‚mangelhaft‘ bewertet“. Die ersten drei Sätze einer aktuellen Meldung aus tagesschau.de
(22. April 2010), stellvertretend für den Tenor, mit dem die Öffentlichkeit in Deutschland von den Massenmedien über das Ereignis informiert wurde. Die Öffentlichkeit – mit Ausnahme der Apotheker. Das Onlineportal der Deutschen Apotheker Zeitung interpretiert den Schwerpunkt der Nachricht ganz anders. Die ersten drei Sätze: „Beim großen Apothekentest der Stiftung Warentest haben wohnortnahe Vor-Ort-Apotheken besser abgeschnitten als Versandapotheken. Vor allem in der Beratung zeigten sich deutliche Unterschiede: Versandapotheken beraten schlechter als wohnortnahe Apotheken.“ (DAZ Online, 22. April 2010)

Auch wenn die DAZ keine „Verbandszeitschrift“ ist, zeigt sich in diesem Beispiel eine typische Herausforderung: Redakteure werden zu Journalisten und Interessenvertretern in einer Person. Hier der Journalist, der in seinem nachrichtlichen Textaufbau die Kritik an den Vor-Ort-Apotheken in den Vordergrund stellen würde, weil sie insgesamt verbreiteter und „lebensnäher“ sind. Dort der Interessenvertreter, der einer Interessengruppe Nutzen stiften soll. Entsprechend setzt er einen anderen Akzent: das im Binnenverhältnis offenbar schlechtere Abschneiden der Versandapotheken.

Der Zielgruppe erscheint das gewiss zweckmäßig. Liegt der Nutzen der Publikation nicht gerade in einer „Gegenstimme“ zum kritischen Mainstream? Wäre es nicht defätistisch, wenn ihr Standesmedium in dasselbe Horn tutete
wie der Rest? Andererseits: Kann ein Branchenmedium ernsthaft ein Gegengewicht zur Mehrheit der Berichterstattung aufbauen? Wirkt es für Außenstehende nicht bizarr, wenn Apotheken insgesamt kritisiert werden und dann mit dem Finger aufeinander zeigen? Wäre es nicht auch für die Meinungsbildung der Apotheker wichtig, mit der Kritik so konfrontiert zu werden, wie sie die Öffentlichkeit durch die Medien wahrnimmt?

Spannungen überbrücken

Verbandszeitschriften müssen erhebliche Spannungen überbrücken. Während für Themen und Akzente unabhängiger Medien letztlich die Nachfrage am Markt entscheidend ist, gehört das Abonnement der Verbands-publikationen zur Mitgliedschaft. Die dadurch verkürzte Distanz zwischen Verbandspolitik und Redaktion erzeugt einen Spagat zwischen Nachrichtenwert und internem Interessenausgleich. Ganz lässt sich dies nicht auflösen. Ob es sich bei den praktischen Folgen um unvermeidliche Ambivalenzen oder ein Stadium handfester Fehlentwicklungen handelt, kann mithilfe einiger Indikatoren erörtert werden:

Scheuklappen: Aus Rücksicht auf vermutete Interessen der eigenen Mitgliedschaft setzt in der Redaktion eine Selbstzensur ein. Auswahl und Darstellung der Informationen richten sich so selektiv nach der Organisationsperspektive, dass relevante äußere Entwicklungen nicht angemessen wahrgenommen oder bei der Willensbildung berücksichtigt werden. Indikator: Leitartikel von FAZ, Handelsblatt und Tagesschau werden als „Tendenzjournalismus“ verfemt.

Honoratiorismus: Um sich den Rücken freizuhalten, fixiert sich die Redaktion auf die mächtigsten Interessenvertreter. Es kommen überwiegend Funktionäre zu Wort und das „Würdenträger-Gruppenbild“ dominiert – auch dort wo eine andere Abbildung den Anlass eingängiger illustriert hätte. Indikator: Die Anzahl von Fotos einzelner Spitzenfunktionäre nähert sich der Rekordmarke von 43, mit der die Zeitung „Neues Deutschland“ in ihrer Ausgabe am 16. März 1987 Erich Honecker abbildete.

Proporz: Nachdem sich der Vorsitzende des Fachausschusses X über mangelnde Würdigung durch das Verbandsmagazin beschwert hat, versucht die Redaktion, sämtliche Mitgliederspektren ausgeglichen zu berücksichtigen. Schwerpunkte und Vertiefungen müssen dahinter zurücktreten. Indikator: Inhaltsverzeichnis und Organigramm des Verbandes sind identisch.

Protokollfixierung: Autorenbeiträge werden um des lieben Friedens willen ohne strukturelle Änderungen übernommen: „Der Ausschuss für A. hat sich auf seiner Sitzung in Düsseldorf erneut mit dem Problem der C. befasst. Nach der Einleitung durch den Vorsitzenden im Beisein der Stellvertreter und des Vizepräsidenten würdigten die Teilnehmer die Bedeutung des Themas. Die kontroverse Diskussion verlief in angenehmer Atmosphäre. Die Teilnehmer kamen überein, das Thema auf der folgenden Sitzung in Bremen zu vertiefen und die Relevanz des Themas durch eine Veröffentlichung im Verbandsmagazin zu unterstreichen.“ Indikator: Streiche A., C., Düsseldorf und Bremen; setze B., D., Stuttgart und Leipzig usw.

Häuft sich die subjektive Wahrnehmung von Indikatoren, ist der Produktionskontext des Magazins möglicherweise bereits zu stark politisiert, um auf operativer Ebene etwas daran ändern zu können. Dann empfiehlt sich ein grundlegender Relaunch im Sinne eines Organisationsentwicklungsprozesses. Ausgangspunkt ist eine Erhebung der Leserwünsche, bei der allerdings besondere Sorgfalt auf Methode bzw. die Vermeidung von Verzerrungen zu legen ist. Die Validität originärer „Leserbefragungen“ ist mit Vorsicht zu genießen, wenn man neue Leser gewinnen will.

Für den weiteren Prozess ist es wichtig, die Willensbildung einerseits zu legitimieren, andererseits arbeitsfähig zu halten. Das geschieht durch eine überschaubare Arbeitsgruppe, die die Interessenspektren im Verband repräsentiert und nach dem Relaunch als Redaktionsbeirat etabliert werden kann. Ziel ist, dass dieses Gremium ein Regelwerk selbst erarbeitet, mit dem die Redaktion eine gewisse Unabhängigkeit erhält: Ein solcher Redaktionskodex schreibt die Ziele und publizistischen Grundsätze des Magazins fest, er kann auch Entscheidungsprozesse kodifizieren und wird schließlich durch Organbeschluss in Kraft gesetzt. Im Alltag hat die Redaktion dann eine Geschäftsgrundlage, auf der sie sich mit den verbandspolitischen Interessen mehr oder minder rational auseinandersetzen kann. Die Mitglieder des Redaktionsbeirates, der das Regelwerk mit erarbeitet hat, können dabei eine hilfreiche Vermittlungsfunktion übernehmen.

Fazit

Die Spannungen, die ein Verbandsmagazin überbrücken muss, wird ein solches Regelwerk nicht beseitigen. Aber die dadurch erzeugte „professionelle Distanz“ zur Binnenpolitik macht es der Redaktion einfacher, ihre Rolle als Journalisten und Interessenvertreter in Personalunion zu bewältigen. Beim Thema Apothekentest ließe sich beides ohne „Scheuklappen“ handwerklich vereinbaren: für den journalistischen Part als Nachricht eine Analyse des Tenors und der Rezeption in den Medien. Für die berufsständische Raison ein ergänzender Kommentar, der die Ergebnisse und die Methode des Tests kritisch reflektierte.

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Autor/in

Adrian Teetz

ist Strategie- und Organisationsberater mit langjährigen Praxiserfahrungen im Verbands- und Krisenmanagement und als Fachautor sowie Trainer und Lehrbeauftragter an verschiedenen Hochschulen und Bildungseinrichtungen tätig. Im Hauptberuf leitet er den Fachbereich Kommunikation in der Akademie am Zentrum Informationsarbeit Bundeswehr.

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