Eine hartnäckige Verbandskritik will wissen, dass kaum eine Institution so veränderungsresistent sei wie Verbände. Wenn das stimmte, müssten Verbände immer weiter an Bedeutung verlieren. Auch dies wird behauptet. Wir wissen andererseits, wie hartnäckig Perzeption Realität überlagert und bestimmt. Wir fragen Experten, vor allem Praktiker mit nachgewiesenem Erfolg und erprobter Reflexionsfähigkeit, nach ihrer Einschätzung. Wolfgang Fürstner, geschäftsführendes Vorstandsmitglied vom Verband Deutscher Zeitschriftenverleger VDZ, kann für sich in Anspruch nehmen, einer der erfahrensten und erfolgreichsten amtierenden Geschäftsführer zu sein. Und einer, der Klartext redet. Also der ideale Gesprächspartner für den Start dieser kleinen Verbändereport-Reihe. Interviewer ist Dr. Henning von Vieregge, ehemaliger Geschäftsführer des Gesamtverbandes Kommunikationsagenturen GWA.
Verbändereport: Herr Fürstner, was zeichnet einen Verband aus, der die Zeichen der Zeit erkannt hat?
Fürstner: Ich habe einmal vor zehn, zwölf Jahren die Auffassung vertreten, der VDZ habe eine Vordenker-Funktion. Da hat mir ein Verleger heftig widersprochen und gemeint, dies wäre nun wirklich nicht die Aufgabe des Verbandes; wenn das die Verlage nicht könnten, dann machten sie etwas falsch. Ich glaube, dass diese Aussage damals falsch war und dass wir heute genau diese Funktion erfüllen müssen.
Verbändereport: 1978 wollten Sie nur kurz bleiben. Heute sind Sie immer noch beim VDZ. Damals störte Sie die mangelnde Reputation des Verbandes. Was fasziniert Sie heute?
Fürstner: Nicht die Reputation des VDZ im Besonderen, sondern vielmehr das Ansehen der Verbände als qualifizierte Vertreter von Brancheninteressen habe ich kritisch gesehen. Ich wäre nicht beim Verband geblieben, wenn ich nicht immer wieder die Chance gehabt hätte, mich und meine Aufgaben weiterzuentwickeln. Der große Durchbruch – und da war ich immer noch nicht sicher, dass ich beim Verband bleiben würde – kam, als es keinen ehrenamtlichen Vorsitzenden für die Publikumszeitschriften gab und ich vom Vorstand aufgefordert wurde, mich als hauptamtlicher geschäftsführender Vorsitzender zur Wahl zu stellen. Ich habe ein gutes Wahlergebnis bekommen und habe diese Aufgabe eine Amtsperiode gemacht. Dann hat sich wieder ein ehrenamtlicher Verleger gefunden – Karl-Dietrich Seikel – und von da an hatte ich auch unter den Mitgliedsverlagen ein Standing, das mir Handlungs- und Entscheidungsfreiheit gegeben hat. Das hat sehr geholfen.
Verbändereport: An der verbandlichen Tätigkeit ist doch reizvoll, dass man schon sehr früh mit richtig guten Leuten aus der Mitgliedschaft zu tun hat.
Fürstner: Richtig. Nur die richtig guten Leute können ja trotzdem ein unterschiedliches Verständnis von Verbandsstrukturen haben. Sie können sich im Überlassen von Freiräumen auch schwertun. Ich kenne hochmögende Verbände, wo dieses genau so ist, was dazu führt, dass sich diese Verbände nie wirklich nach vorne entwickeln. Wenn man heute einen modernen Verband führen will, braucht man diese Freiräume. Man ist dem Präsidenten verantwortlich und sich selbst in der Funktion. Das setzt voraus, dass an der hauptamtlichen Spitze eines Verbandes qualifizierte Manager stehen, andernfalls kann man mit keinem Verbandsmodell erfolgreich sein.
Verbändereport: Also das Ehrenamt arbeitet mit dem Hauptamt auf Augenhöhe und beide zusammen haben eine Vordenkerposition gegenüber den Mitgliedern.
Fürstner: Genau! Früher war es für den Verbandsgeschäftsführer unvorstellbar, den Vorstandsvorsitzenden eines der großen Häuser zu treffen. Heute ist das eine Selbstverständlichkeit. Ich verstehe sie oft genug als Ratgeber oder Aufsichtsräte.
Verbändereport: Apropos Aufsichtsrat, dann sollte der Vorstand eigentlich mehr als Aufsichtsrat agieren, oder?
Fürstner: Ja. Der VDZ hat die Kraft besessen, dass sich seine Leitungsgremien stärker zu Kontrollgremien entwickelt haben und nicht so sehr zu Entscheidungsgremien. Natürlich bleiben die großen Entscheidungen beim Ehrenamt – keine Frage, aber die Hauptamtlichen handeln und die Ehrenamtlichen kontrollieren.
Verbändereport: Nicht nur der Geschäftsführer, alle Hauptamtlichen müssen in diesem Modell exzellent sein.
Fürstner: Ich hatte das große Glück, den VDZ personell an den Schnittstellen neu aufstellen zu können. Das hat zu einer Professionalisierung und auch zu einer bis dahin nie gekannten Loyalität geführt. Der Verband war, wie andere Verbände auch, von heterogenen Personalstrukturen geprägt, in denen unterschiedliche Kräfte gegeneinander konkurrierten. Wenn man die Chance hat, sich eigene Mitarbeiter aufzubauen oder auf einen Mitarbeiterstamm zurückgreifen zu können, der dieses Grundverständnis hat: wir arbeiten und schauen in eine Richtung, dann hat man ganz großes Glück und ich hatte dieses Glück.
Verbändereport: Steht beim VDZ auch das Ehrenamt unter Exzellenzanspruch?
Fürstner: Der Präsident des VDZ, Hubert Burda, ist geradezu eine Ikone von Verbandspräsident. Das Tagesgeschäft obliegt der Geschäftsführung, aber wenn es darum geht, die Politik auf dem obersten Level anzusprechen, dann ist der Präsident, das Ehrenamt, die Plattform, auf der das geschehen soll und muss.
Verbändereport: Für Ihre Mitglieder, die Verlage, heißt die wesentliche Herausforderung herauszufinden, wie Print und Digitalisierung am besten zusammenspielen. Das ist somit auch ein zentrales Thema für den VDZ. Gilt aber nicht für alle Verbände, dass sie ihren Kommunikationsmix ändern müssen?
Fürstner: Die Ansprüche an die Kommunikation vieler Verbände, ganz besonders auch an die des VDZ, haben stark zugenommen. Das liegt an der viel größeren Zahl von Kommunikationsinstrumenten, am schnelleren Tempo und auch an der größeren Bereitschaft zum Austausch der Verlage untereinander in einer Zeit schärferer Konkurrenz der Mediengattungen. So ist der VDZ nicht nur Sprachrohr für die Zeitschriftenbranche nach außen, sondern immer stärker auch Informationsdrehscheibe nach innen geworden. Dem tragen wir unter anderem durch eine intensivere Binnenkommunikation mit neuen Instrumenten Rechnung.
Verbändereport: Die Rolle des Verbandes als Vordenker: Worin kann die bestehen, wenn sie nicht in Konkurrenz mit einzelnen Mitgliederinteressen kommen will?
Fürstner: Wir haben eine Fülle von Möglichkeiten: durch Kongresse, durch die Vermittlung von Best-Practice-Modellen, durch Verlegerreisen, durch White Paper, durch Seminare, durch Weiterbildung. Das wird von vielen Verlagen hoch geschätzt.
Verbändereport: Es ist schon überraschend, dass der Verband hier eine Lücke schließen kann.
Fürstner: Wir hatten vor einigen Jahren die Situation, dass Wachstum für Verlage in Deutschland nicht mehr möglich war, also Wachstum eigentlich nur im Ausland stattfinden konnte. Diese Chance haben wir genutzt und eine Serviceabteilung „Ausländische Märkte“ gegründet. Dazu gehören auch solche Module wie Verleger-Auslandsreisen. Wir haben Reisen nach China, Indien, Korea, Japan, Russland, Ukraine, USA, England und Israel veranstaltet. Wir machen diese Verlegerreisen ganz bewusst, um Verlagen die Gelegenheit zu geben, neue Märkte kennenzulernen. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, wir bieten die Reisen an, die mit der Veröffentlichung des Angebots schon ausverkauft sind. Das Feedback der Teilnehmer zeigt uns, wie wichtig und richtig dieses Angebot ist, und sie sind ihr Geld wert. Der Erlös bietet dem Verband die Chance, sein Wachstum aus eigener Kraft zu finanzieren und weniger aus Mitgliedsbeiträgen.
Verbändereport: Ich denke, dass das für viele Verbände ein Impuls sein könnte, über dieses Thema mal nachzudenken.
Fürstner: Das weist aber auch auf das Profil eines hauptamtlichen Geschäftsführers hin. Der muss auch die Lust verspüren, im Markt tätig zu sein.
Verbändereport: Ich stelle mir vor, wie es war, als Sie vor 32 Jahren durch die Eingangstür in Bonn in den Verband gegangen sind. Da sind Sie wahrscheinlich an einem einzigen VDZ-Schild vorbeigegangen. Und heute in Berlin?
Fürstner: Damit sprechen Sie den VDZ mit seinen drei Fachverbänden an. Er spricht mit seinen Angeboten unterschiedliche Zielgruppen von Verlagen an. Daneben hat sich die VDZ Akademie als ein Kind des VDZ immer besser entwickelt. Die dort verantwortliche Geschäftsführung brennt für ihre Aufgabe und hat fast den Ehrgeiz, dem VDZ zu zeigen, wos langgeht. Und das ist gut so! Sie hat einen „Durchlauf“ von mehr als 2.000 Seminar- oder Workshop-Teilnehmern pro Jahr. Und last but not least haben wir vor zwei Jahren die Deutschlandstiftung Integration gegründet. Warum? Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass ein Verband heute für seine Branche, für seine Mitglieder auch gesellschaftliche Verantwortung zeigen und leben muss. Und eines kommt dazu: Mit dieser Stiftung haben wir einen „weiteren“ unmittelbaren und direkten Zugang zu den Spitzen der Politik bekommen. Hier hat man das erste Mal die Möglichkeit, in Wahrnehmung einer gesellschaftlichen Verantwortung der Politik das Angebot zu machen, sie bei einem wichtigen Thema unserer Gesellschaft zu unterstützen Wir wissen, dass die Politik dieses Angebot sehr gern annimmt – übrigens mit der Bundeskanzlerin als aktiver Schirmherrin der Stiftung.
Verbändereport: Ist es schwierig, den Mitgliedern zu vermitteln, dass Themen wie corporate social responsibility oder good citizenship auch Verbandsthemen sind?
Fürstner: Zunächst war das gar nicht einfach. Ich habe die Gründung der Stiftung weitgehend auf meine Kappe genommen, wusste aber Hubert Burda hinter mir. Aber wenn Sie unsere Publishers´ Night 2010 sehen, dann sind die Verleger stolz, weil das ihr Verband ist, der sich dort präsentiert. Denken Sie beispielsweise an Liz Mohn, die von Jogi Löw die „Goldene Victoria“ für Integration überreicht bekommen hat. Das hatte nicht direkt mit unserer Tätigkeit zu tun. Das ist ja nichts anderes als Inszenierung des Verbandes und der Branche, aber auf eine intelligente Weise, die den Verband, vor allen die Zeitschriften und den Verleger dahinter, in ihrer gesellschaftlich-politischen Verantwortung sichtbar macht und Relevanz zeigt. Das ist überhaupt das Schlüsselwort für alles, was wir tun: Relevanz zeigen. Wir können nicht konturlos unsere Aufgaben tun, sondern wir müssen immer erklären, warum wir etwas tun.
Verbändereport: Ist Reputationsmanagement für einen Verband absolut notwendig?
Fürstner: Es ist unverzichtbar und die größte Klippe, die man erst einmal bezwingen muss, weil Anspruch und Glaubwürdigkeit einer Branche wie die der Zeitschriftenverleger auf dem Prüfstein stehen.
Verbändereport: Wie schafft man es, sich als Verband nicht aufzuplustern, aber auch falsche Bescheidenheit zu vermeiden?
Fürstner: Aufplustern wird sehr schnell als hohl wahrgenommen, aber wenn es gelingt, den Bundespräsidenten als Laudator für seinen Mitbewerber als Bundespräsidenten-Kandidat zu gewinnen, dann ist das ein Beitrag zur Zeitgeschichte, oder – salopp formuliert – großes Kino. Und das ist nur möglich, weil in den Jahren davor ein entsprechendes Niveau entwickelt worden ist.
Verbändereport: Da setzt eines auf dem anderen auf.
Fürstner: Ja, und dann muss man auch sehen, dass die großen Namen im Verband helfen. Persönlichkeiten wie Burda, Döpfner, Buchholz spielen eine große Rolle, weil sie immer wieder auch Gesprächspartner der Politik sind.
Verbändereport: Man fragt sich ja immer wieder: Wie finanziert so ein Verband so etwas? Das geht doch nur, wenn man zu den Mitgliedsbeiträgen noch weitere Einnahmen generiert?
Fürstner: Der VDZ hätte nie die Chance gehabt, sich so erfolgreich zu entwickeln, wenn wir allein von Mitgliedsbeiträgen abhängig gewesen wären. Wir finanzieren uns heute zu etwa einem Drittel aus Drittmitteln, das sind Mittel, die wir durch Veranstaltungen, Sponsoren und Partnerschaft selbst verdienen. Dafür nötige Erkenntnisse gewinnen wir durch ein- bis zweimalige Strategiesitzungen im Jahr, die wir außerhalb des Hauses machen, eineinhalb Tage, in denen wir versuchen, uns jeweils neu zu definieren, zu positionieren, neue Schwerpunkte zu finden, aktueller, zeitnaher an den Herausforderungen zu sein. Ich glaube, das ist eines der Geheimnisse.
Verbändereport: Jetzt noch mal zum Resümieren: Was sind für Sie die entscheidenden Weichenstellungen? Worauf muss man als Geschäftsführer achten?
Fürstner: Inhaltlich die Möglichkeit, die Vordenkerfunktion leben und gestalten zu können. Organisatorisch muss man dafür die Struktur haben, d.h. einen unternehmerischen Ansatz in einer Verbandsgeschäftsführung zu sehen und auch einzufordern. Wir brauchen Freiräume, um die unternehmerische Aufgabe wahrzunehmen. Und wenn ich unternehmerische Verantwortung sage, dann heißt das, dass wir auch Geld verdienen können müssen, um unsere Dienstleis-tungen zeitgemäß und bedarfsgerecht den unterschiedlichen Verlagsgruppierungen anzubieten.
Verbändereport: Der VDZ hat sich immer wieder zertifizieren lassen und er hat sich auch dem Wettbewerb innerhalb der Verbände gestellt. Warum haben Sie das gemacht?
Fürstner: Mir ist wichtig, den Mitgliedern die Sicherheit zu geben, dass ihr Verband in einem guten Zustand ist, und dieses nachprüfbar und transparent zu machen. Wie man von anderen professionell wahrgenommen wird, hat eine positive Signalwirkung. Der Preis der DGVM, Verband des Jahres, ist für einen Verband wie eine Ordensverleihung, und ich weiß, dass die Mitgliedsverlage, vor allem die Landesverbände, das ganz toll fanden. Und wir haben durchaus den Ehrgeiz, diesen Titel noch mal zugewinnen.