Verbändereport AUSGABE 6 / 2011

Rückgewinnung von Mitgliedern – ein vernachlässigter Bereich im Verbandsmarketing

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Ob aufgrund demografischer Entwicklungen, zunehmender Konkurrenz untereinander sowie zu kommerziellen Anbietern am Markt oder aufgrund zunehmender Heterogenität der Erwartungen ihrer Mitglieder, viele Verbände sehen sich in der aktuellen Situation mit dem Problem stetig steigender Abwanderungszahlen sowie einer grundsätzlich abnehmenden Mitgliederloyalität konfrontiert. Vor allem Verbände, die mit bestimmten traditionellen Milieus verbunden sind, wie z. B. kirchliche Verbände und Gewerkschaften, verlieren in Zeiten zunehmender Individualisierung ihre Tragfähigkeit und sind daher verstärkt von Abwanderungsproblemen betroffen. Dies kann mit den herkömmlichen Maßnahmen der Mitgliederbindung nicht in ausreichendem Maße aufgehalten werden.

Um dem branchenweiten Trend entgegenzuwirken, wird im Verbandsmarketing seit einiger Zeit intensiv über die Möglichkeit der Mitgliederrückgewinnung diskutiert, und einige Verbände haben bereits erste Erfahrungen mit dieser Schwerpunktsetzung gesammelt. Unter dem Begriff Rückgewinnungsmanagement sind sämtliche Maßnahmen eines Verbandes mit dem Ziel zu subsumieren, abwanderungsgefährdete und abgewanderte Mitglieder zu identifizieren, um daraufhin Rückgewinnungsprozesse einzuleiten. Eine besondere Herausforderung besteht in diesem Zusammenhang darin, diejenigen Mitglieder zu erkennen, die in naher Zukunft den Verband verlassen werden; die sogenannten abwanderungsgefährdeten Mitglieder. In der Regel kündigen diese Mitglieder den Austritt nicht an, sodass aufgrund anderer Kriterien (z. B. abnehmende Leistungsnutzung, Beschwerden usw.) die drohende Abwanderung prognostiziert werden muss.

Zahlen und Fakten zur Erfolgswirksamkeit des Rückgewinnungsmanagements liegen bislang im Verbandsbereich noch nicht vor. Aus diesem Grund wurde am Salzburger Marketing-Institut (SMI) ein Forschungsprojekt initiiert, das einer ersten Bestandsaufnahme des Rückgewinnungsmanagements in deutschen Verbänden dienen soll. Grundlage der Untersuchung ist eine schriftliche Befragung bei Verbänden, die von März bis April 2011 durchgeführt wurde. Der Fragebogen enthielt Fragen zu verschiedenen Teilaufgaben des Rückgewinnungsmanagements, die die Befragten beantworten mussten. Insgesamt wurden 147 Personen, insbesondere aus Geschäftsführung und Marketingleitung, angeschrieben. Retourniert wurden 25 Fragebögen, sodass die Gesamtrücklaufquote von 17 Prozent bereits einen ersten Hinweis auf die geringe Verbreitung des Themas zulässt. Die Ergebnisse der Untersuchung sind insofern nicht repräsentativ, sondern lediglich explorativ im Sinne von Tendenzaussagen zu werten. Trotzdem lassen sich grundsätzliche Aussagen zum Stand und zur künftigen Bedeutung des Rückgewinnungsmanagements treffen.

Mitgliederrückgewinnung aktiv verfolgen

Grundannahme der Studie war, dass in der Verbands-praxis bislang noch nicht von einem systematischen Rückgewinnungsmanagement gesprochen werden kann. Überprüft wurde diese Annahme u. a. durch die Frage, ob die Verbände das Ziel der Mitgliederrückgewinnung aktiv verfolgen. Hierzu gaben lediglich zwei Verbände an, dass das Ziel der Mitgliederrückgewinnung im Verband verankert ist. Weitere drei Verbände stimmten dieser Aussage weitestgehend zu. Drei andere Verbände streben in naher Zukunft ebenfalls an, das Ziel der Mitgliederrückgewinnung aktiv zu verfolgen. Die übrigen 17 Verbandsvertreter/-innen befinden sich noch im Konzeptionsprozess eines Rückgewinnungsmanagements oder verfolgen das Ziel noch gar nicht.

Auf die Frage, ob und, wenn ja, wie detailliert den Verbänden Informationen zu Abwanderungsgründen der Mitglieder vorliegen, gaben lediglich 24 Prozent der Befragten an, die Gründe gut bis sehr gut zu kennen. 64 Prozent der Befragten beurteilten ihren Informationsstand als verbesserungsfähig. Keine Angaben machten 12 Prozent der Verbandsvertreter/-innen. Geht man davon aus, dass diesen Verbänden keine detaillierten Informationen vorliegen, so kommt man zu dem Ergebnis, dass drei Viertel der Verbände nicht detailliert darüber informiert sind, wieso ihre Mitglieder den Verband verlassen.

Auf die Frage nach den zentralen Gründen für Abwanderungen nannten die Befragten – bei aller Verschiedenartigkeit der angeschriebenen Verbände – den Mitgliedspreis, gefolgt von Leistungsschwächen, Fehlern im Leistungsprozess sowie einer schlechten Servicequalität als Ursache für Mitgliederabwanderungen. Bei diesem Ergebnis fällt auf, dass die stets in Mitgliederbefragungen dominierenden Gründe einer mangelhaften Servicequalität (z. B. Unfreundlichkeit, arrogantes Mitarbeiterverhalten, unbefriedigender Dialog u. a. m.) hier eher als nachrangig eingeschätzt werden.

Rückgewinnungsmanagement

Hinsichtlich des Planungsstandes gaben lediglich zwei Verbände an, dass ein schriftliches Konzept des Rückgewinnungsmanagements vorliege. Weitere sieben Verbände befinden sich aktuell in der Erarbeitungsphase eines solchen Konzeptes. Aus strategischer Sicht befindet sich der Stand der Rückgewinnungsplanungen somit noch in seinen Anfängen. Obwohl bislang nur in Ausnahmefällen strategische Konzepte vorliegen, belegen die Ergebnisse auf der Maßnahmenebene vergleichsweise viele Aktivitäten. Hinsichtlich der Eignung der Maßnahmen werden die persönliche und telefonische Ansprache als gut bis sehr gut geeignet angesehen, während die übrigen Maßnahmen als eher nicht geeignet eingestuft werden.

Hinsichtlich des Erfolges einer Rückgewinnung von Mitgliedern konnten in der Studie nur Einzelergebnisse generiert werden. Lediglich zwei Verbände waren in der Lage, exakte Kennzahlen zu dieser Frage zu nennen. Als durchschnittlicher Erfolgsmaßstab wurden Rückgewinnungspotenziale von zwischen ein und zehn Prozent der abgewanderten Mitglieder angegeben. Bei den gefährdeten Mitgliedern wird als Erfolgsgröße ein Wert der Mitgliederrückgewinnung von ca. 20 Prozent angegeben.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Rückgewinnungsmanagement in deutschen Verbänden noch keinen hohen Konkretisierungsgrad erreicht hat. Zahlreiche Verbände arbeiten aber an der Realisation von Konzepten, sodass in naher Zukunft mit einer stärkeren Durchdringung des Themas in der Verbandspraxis zu rechnen ist. Insgesamt ist davon auszugehen, dass sich das Ziel der Mitgliederrückgewinnung etabliert und neben der Mitgliedergewinnung sowie der Mitgliederbindung ein zentraler Aufgabenbereich des Beziehungsmarketings wird.

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Autor/in

Marcus Stumpf

ist Professor für Betriebswirtschaft an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management sowie Vorstandsmitglied des Deutschen Institutes für Vereine und Verbände e. V. (DIVV). Der Verbandsexperte verantwortete u. a. jahrelang als Geschäftsführer die Markenführung und Vermarktung des zweitgrößten deutschen Sportverbandes. Heute ist er zudem als geschäftsführender Gesellschafter der Verbandsberatung relatio GmbH tätig.

https://www.divv.de

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