Verbändereport AUSGABE 1 / 1999

Risikomanagement in Verbänden

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Der Begriff Risikomanagement mag für Verbände noch ungewohnt sein. Gleichwohl bezeichnet er eine notwendige Perspektive und ein Maßnahmenbündel, das für Verbände immer wichtiger werden kann. Der folgende Beitrag gibt einen ersten Überblick. Dabei stehen in diesem Heft Fragen im Vordergrund - mögliche Antworten und praxiserprobte Lösungen folgen in unregelmäßigen Abständen in den kommenden Ausgaben.

Was ist Risikomanagement?

Unter Risikomanagement ("risk management") versteht man die systematische Analyse und Bewertung möglicher Risiken und die rechtzeitige Entwicklung von Präventivmasnahmen. In Branchen, in denen der Umgang mit Gefahren zum Alltag gehört, ist Risikomanagement seit jeher fest in den beruflichen Alltag integriert. So verfügen die grosen Versicherungsgesellschaften über Institute für ‚Risk Management‘, in denen sich abzeichnende Gefahren-Szenarios vorweggenommen, Gegenstrategien konzipiert und damit bereits im Vorfeld eine Schadensprophylaxe oder Schadenseindämmung vorgenommen wird.

Aber auch für Verbände ist ein geschärftes Risikobewusstsein angesagt, wie die grose Zahl der sang- und klanglos oder mit auch grosem Aplomp vom Markt verschwundenen Verbände zeigt. Noch nie haben sich die Rahmenbedingungen unter so rasch und so grundlegend geändert, dass nur eine weit vorausschauende Verbandspolitik dem hohen Tempodruck standhalten kann, unter dem die strategische Neuausrichtung zahlreicher Verbände erfolgen muss.

Einige der für Verbände typischen Risikolagen sollen im Folgenden schlaglichtartig skizziert werden.

Risiko: Konkurrenzverbände und neue Wettbewerber

Dass sich Verbände in einem grundlegend neu definierten Wettbewerbsumfeld bewegen, war schon wiederholt Gegenstand von Beiträgen im Verbändereport. Die erstarkende Rolle von EU- und internationalen Verbänden ist hierbei nur ein Aspekt, wenngleich ein bedeutsamer, da er über die künftige ‚Allokation der Mittel‘ mehr entscheiden wird, als alle traditionellen Eifersüchteleien der nationalen Verbände untereinander. "Geld folgt den Entscheidungszentren" - und da sich die Entscheidungen der nur noch teilsouveränen Staaten auf die europäische oder internationale Ebene verlagern, seien es die europäischen Integrationsmotoren wie Kommission, Rat und Parlament, seien es supranationale Institutionen wie die WTO, ist es nur eine Frage der Zeit, wann die nationalen Verbände finanziell zur Ader gelassen werden.

Aber auch die nicht-institutionellen Interessenvertretungen lassen immer öfter ihre Muskeln spielen und grasen mit viel Professionalität auf den angestammten Weiden der Verbände. Hier stehen wir noch ganz am Anfang der Entwicklung: Wie sie am Ende aussehen könnte, zeigt der Stand der Interessenvertretung in den Vereinigten Staaten. Die ‚hired guns‘, die Lobby-Agenturen, werden immer dann eine selbstverständliche Ergänzung der laufenden Interessenvertretung durch Verbände werden, wenn Krisenmanagement angesagt ist.

Schließlich regt sich immer deutlicher eine die Wettbewerbsbereitschaft zwischen den bestehenden Verbänden. Sei es der "Verteilungskampf" zwischen Dach- und Fachverbände, sei es, dass man am Mitgliederbestand von benachbarten Verbänden knabbert. Traditionelle Abgrenzungen verlieren an Bedeutung und neue Branchenschwerpunkte entstehen: Überleben und gestärkt aus dem Macht- und Einflussgerangel werden diejenigen Verbände hervorgehen, die rechtzeitig neue Visionen entwickeln und den potentiellen Neumitgliedern überzeugende, nachhaltige Perspektiven bieten können.

Jeder Verband sollte sich daher in einer Art ‚Zukunftskonferenz‘ die folgenden Fragen stellen und sich nicht mit voreiligen Lösungen zufrieden geben:

Besteht die Möglichkeit, dass Ihnen konkurrierende Verbände Mitglieder abwerben? Ändern sich die Märkte und die Sortimentspolitik Ihrer bestehenden Mitglieder, so dass diese ihre Interessen in Zukunft eher bei anderen Verbänden vertreten sehen? Wenn ja, warum betreiben Sie nicht selbst so eine aktive Wettbewerbspolitik, indem Sie sich branchenübergreifend für neue Mitglieder attraktiv machen? Bewegen Sie sich in einer absterbenden oder in einer zukunftsträchtigen Branche? Definieren Sie den Zuständigkeitsbereich Ihres Verbandes neu!

Risiko: Mitgliederschwund

Das Erfolgsbarometer der Verbände sind ein hoher Organisationsgrad und wachsende Mitgliederzahlen. Ein Blick auf die Realität zeigt indes, dass bei vielen Verbänden Organisationsgrad und Mitgliederzahlen schrumpfen. Das kann mehrere Ursachen haben - in jedem Fall ist eine aktive Gegensteuerung erforderlich, will der Verband nicht bei Überschreiten einer kritischen Untergrenze zu einem ‚Schwarzen Loch‘ implodieren.

Welche Antworten hält Ihr Verband auf die folgenden Fragen bereit?

Hält die Konzentrationswelle auch in Ihrer Branche an? Nimmt dadurch die Zahl Ihrer Mitglieder ab? Können Sie den Zuständigkeitsbereich Ihres Verbandes ausweiten, um zukunftsfähige Felder besetzen zu können? Reichen dazu die personellen und finanziellen Mittel aus? Wie beschaffen Sie sich das nötige neue Know-how? Welche organisatorischen Weichenstellungen sind nötig? Müssen Sie beispielsweise auf die Entwicklung durch eine grundlegende Beitragsreform antworten, um das gemeinsame "burden sharing" akzeptabel zu halten? Haben Sie sich einen systematischen Überblick über mögliche Beitragssysteme im Verbändewesen verschafft? Wie wollen Sie die Mitglieder für einen "gemeinsamen Aufbruch"‘ begeistern? Wie bauen Sie bei Mitgliedern Bedenken und Befürchtungen ab?

Risiko: Loyalitätsverlust

Spätestens seit Ralf Dahrendorfs Analyse aus den siebziger Jahren ist geläufig, dass überkommene Loyalitäten bröckeln und alte ‚Ligaturen‘ immer weniger den notwendigen organisatorischen Kitt für den verbandlichen Zusammenhalt bieten. Auch hier hat ein nüchternes Kosten-Nutzen-Denken Einzug gehalten. Brechen auch bei Ihnen die alten Bindungen zu Ihrem Verband auf? Wie stellen Sie sicher, dass sie solche Entwicklungen seismografisch genau bereits im Vorfeld registrieren? Tritt eine neue Generation in die Verantwortung, die ein unemotionales Verhältnis zur Kosten-Nutzen-Verhältnisrelation des Verbandes hat?

Wenn ja, wie kommunizieren Sie den fortbestehenden Nutzen Ihres Verbandes? Sprechen Sie diese neue Generation durch Modernisierungsprogramme der Verbandsarbeit an? Wie involvieren Sie die neue Generation in eine aktive Mitgestaltung der Verbandsarbeit oder herrscht bei Ihnen noch die "Gerontokratie" vor? Dann sollten Sie alsbald die junge Generation an den Verband heranführen. Dazu haben sich beispielsweise "Juniorenzirkel" und ähnliche Treffen der Nachwuchskräfte gut bewährt.

Risiko: Schwindende Homogenität der Interessen

Verbände sind meist um so schlagkräftiger, je homogener die Interessen sind, die sie vertreten. Allerdings sind homogene Interessen ein flüchtiges Medium: eine technische Innovation und schon kann es mit der schönen Interessenhomogenität ein schlagartiges Ende haben. Die immer raschere ‚Ausdifferenzierung von Interessen‘ ist zum Kennzeichen der modernen Wissens- und Industriegesellschaften geworden.

Wie ist es auf mittlere Sicht in Ihrem Verband um die Identität und Homogenität der Mitgliederinteressen bestellt? Wo liegen die Differenzierungspotentiale der Zukunft? Lässt sich bei schwindender Homogenität diese durch die Bildung von autonomen Fachgruppen wiedergewinnen?

Risiko: Fehlende Existenzberechtigung des Verbandes

Verbände leben von der Überzeugung ihrer Mitglieder, dass der Nutzen einer Mitgliedschaft die ideellen und materiellen Kosten übersteigt. Verbände brauchen daher eine überzeugende Nutzenargumentation, die auch die "weichen Werte" der Verbandsmitgliedschaft nicht außer Augen lässt. Können Sie drei überzeugende Gründe nennen, warum Ihr Verband als selbstständiger Verband auch in der Zukunft notwendig ist? Warum würde ein Zusammenschluss mit anderen Verbänden weniger Nutzen stiften? Warum ist Ihre Verband in der bestehenden oder einer modifizierten Struktur auch in Zukunft für die Mitglieder unerlässlich?

Risiko: Beitragsausfälle

Wie reagieren Sie auf drohende Beitragsausfälle, sei es aufgrund schwindender Mitgliederzahlen, sei es aufgrund geringerer Zahlungsbereitschaft der Mitglieder? Bis zu welcher Beitragsuntergrenze können Sie ohne Leistungseinbußen Ihre bisherige Arbeit aufrechterhalten? Wo liegen Ihre Rationalisierungsreserven? Können Leistungen, die nur hin und wieder abgefragt werden, "outgesourct" werden? Bestehen Möglichkeiten der kostensparenden Zusammenarbeit mit anderen Anbietern, Institutionen und Verbänden?

Risiko: Schwindende Personalressourcen

Verbände als Wissenspool benötigen exzellente Mitarbeiter, die keine ‚job hopper‘ sind. Denn Vertrauen lässt sich nur langfristig aufbauen. Betrachtet man die Personalpolitik der Verbände, dann kann ihnen oft kein gutes Zeugnis ausgestellt werden.

Folgende Fragen sollten Sie sich in kritischer Absicht vorlegen:

  • Bieten Sie talentierten Nachwuchskräften eine ausreichende berufliche Perspektiven oder vertrauen Sie nur auf den ohnehin überlasteten Arbeitsmarkt?
  • Wo liegen im Blick auf die flachen Hierarchien der Verbände besondere Anreize, sich heute noch für eine Verbandslaufbahn zu entscheiden?
  • Bieten Sie Ihren Mitarbeitern - insbesondere denen, die Sie langfristig an sich binden wollen - genügend Entwicklungsmöglichkeiten und Weiterbildungschancen auch außerhalb des ‚trainings on the job‘?

Risiko: Berlin-Umzug

Besteht die Möglichkeit, dass Ihr Verband seinen Sitz nach Berlin verlegt? Wie viele Ihrer Mitarbeiter werden Sie hierbei verlieren? Wie wird sich dies auf den Verband auswirken? Welche unmittelbaren und mittelbaren Kosten unter Einschluss des "good will" sind damit verbunden? Auf welchen Feldern wird Ihnen bei mobilitätsunwilligen Mitarbeitern künftig entscheidender Sachverstand fehlen? Wie bereiten Sie sich darauf vor, das "personelle Ausbluten" der Verbände zu minimieren?

Risiko: Modenwechsel

Wie alles im Leben unterliegt auch die Wahrnehmung von Verbänden einer ständig wechselnden Mode, sei es bei Mitgliedern, sei es bei Ihren Gesprächspartnern oder sei es schließlich in der öffentlichen Wahrnehmung. Mode heißt, dass Überkommenes schnell altmodisch wirkt. Und die Zyklen der Moden werden immer kürzer, wie beispielsweise ein Blick auf die Managementliteratur belegt.

Wie reagieren Sie auf veränderte Erwartungen Ihrer Mitglieder und der Öffentlichkeit? Was tun Sie, um sich und Ihr Verbandsimage regelmäßig zu modernisieren?

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Autor/in

Helmut Martell

ist Rechtsanwalt. Helmut Martell war Gründungsvorsitzender der DGVM und zwanzig Jahre ihr Stellvertretender Vorsitzender. Von 1997 bis 2014 fungierte er als Herausgeber des Verbändereport.

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