Im erwerbswirtschaftlichen Bereich wird die Notwendigkeit von Risikomanagement-Systemen nicht mehr in Frage gestellt – lediglich die Diskussion um die wirksame Ausgestaltung hält noch an. Das Management von Verbänden hat sich in den letzten Jahren zunehmend verändert und professionalisiert. Rahmenbedingungen und Anforderungen werden in der Verbandsarbeit komplexer, die Risiken nehmen durch die wirtschaftliche Betätigung am Markt zu. Die wirtschaftliche Betätigung von Verbänden unterscheidet sich immer weniger von Unternehmen der freien Wirtschaft und so ist es wenig erstaunlich, dass neben der Krisenberichterstattung über Unternehmen immer regelmäßiger auch Pressemeldungen über Verbände in wirtschaftlicher Schieflage erscheinen.
Ziel eines Risikomanagements ist jedoch, unabhängig von Erfüllung gesetzlicher Anforderungen, erstens die Begrenzung von Risiken aus der unternehmerischen Betätigung und zweitens die instrumentelle Unterstützung des Managements bei der Erfüllung seiner Sorgfaltspflichten. Eine systematische Erfassung und Begrenzung identifizierter Risiken schützt damit nicht nur das verantwortliche Management und dessen Aufsichtsorgane, sondern auch Kunden, Lieferanten, Beschäftigte und ggf. Finanzierungsträger.
Ferner beinhaltet das Risikomanagement in dem hier vertretenen Verständnis neben der Analyse der Risikofelder eine Identifizierung und Bewertung der Chancen sowie deren Nutzbarmachung für den Verband und stellt damit ein Element der Strategieentwicklung und Strategieüberprüfung dar.
Die wechselnden Rahmenbedingungen für die Leistungserbringung, steigende Anforderungen von Finanzierungsträgern oder Geschäftspartnern an die Transparenz der Leistungserbringung, sowie Kontroll- und Steuerungsdefizite im Rahmen einer Dezentralisierung von Verantwortungen und Kompetenzen bewirken auch in Verbänden eine zunehmend höhere Sensibilität im Umgang mit Unsicherheiten.
Beispielhaft lassen sich folgende typische Risiken von Verbänden benennen:
- Ausfall finanzieller Ressourcen, z.B. Mitgliedsbeiträge oder staatliche Förderungen,
- Negative oder unklare steuerrechtliche Auswirkungen wirtschaftlicher Geschäftsaktivitäten,
- Steigende bzw. veränderte Qualitätsanforderungen an die Leistungserbringung und an das Know-how der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
- Erstarken von Konkurrenzverbänden und Etablierung neuer Wettbewerber am Markt
- Mitgliederrückgang und Legitimationsverlust
- Restrukturierungsmaßnahmen
- Berlin-Umzug
Aufgaben und Funktion eines Risikomanagements
Der Begriff Risikomanagement steht zunächst für alle organisatorischen Regelungen und Maßnahmen zur Identifizierung und zum Umgang mit den Risiken aus unternehmerischer Tätigkeit. Um Missverständnisse zu vermeiden, sollen an dieser Stelle zwei Gesichtspunkte ausdrücklich erwähnt werden: Erstens, Risiken können nicht vollständig ausgeschlossen werden, außer der Verband zieht sich aus dem Geschäft zurück. Zweitens ist Risikomanagement nichts völlig Neues, denn wesentliche Komponenten hiervon, wie beispielsweise Controlling oder interne Revision, sind in der Regel in Verbandsorganisationen zumindest teilweise vorhanden.
Das folgende Schaubild stellt beispielhaft den Zusammenhang zwischen den Risikofeldern und der Reduktion des Gesamtrisikos dar:
Risikomanagement, aber auch das Erkennen von Chancen, ist nicht die Aufgabe Einzelner. Vielmehr ist es durch möglichst viele Organisationsmitglieder systematisch, strukturiert und wiederholt zu betreiben. Den Führungskräften kommt dabei eine besondere (Promotoren-) Rolle zu. Ihre Aufgabe ist es, die Bereitschaft und Sensibilität zur Risikoerkennung und -kommunikation in allen Leistungs- und Servicebereichen zu stärken.
Für den Auf- und Ausbau des Risikomanagement-Systems werden — soweit vorhanden - bereits vorhandene Funktionsbereiche bzw. Instrumente genutzt. Die nachfolgende Abbildung gibt einen Überblick über sinnvolle Komponenten des Risikomanagement-Systems.
Vorgehensskizze bei der Entwicklung eines Risikomanagement-Systems
Klassische Risikomanagement-Systeme durchleuchten Organisationen vor allem nach bestandsgefährdenden wirtschaftlichen Risiken und deren finanziellen Auswirkungen mit Hilfe von Kennzahlensystemen. Die Analyse und Bewertung von Risiken, die qualitative Aspekte abdecken, wird meist nur in geringem Umfang durchgeführt. Gerade für Organisationen aus dem (Wohlfahrts-) Verbände-Bereich erscheinen uns qualitative Aspekte, z.B. zu Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität, von entscheidender Bedeutung, denn Zuwendungsgeber und andere Finanzierungsträger stellen Finanzmittel in der Regel nur dann zur Verfügung, wenn definierte Qualitätsstandards (z.B. Personalqualifikation) nachprüfbar eingehalten werden. Die Nichteinhaltung dieser Standards kann somit für die betroffene Organisation rasch zur Bestandsgefährdung führen.
Die Entwicklung eines Risikomanagement-Systems erfolgt idealtypischer weise in vier Prozessbausteinen, die im Folgenden skizziert werden:
Identifizieren und Bewerten der Chancen und Risiken
Der Risikomanagement-Prozess umfasst zunächst die Arbeitsschritte Chancen- und Risikoidentifikation und die Bewertung der Chancen und Risiken. Hier bietet sich ein Vorgehen an, das sukzessive alle Geschäfts- und Verwaltungsbereiche einbezieht. Die Identifizierung der Chancen und Risiken hat einen klaren Bezug aufzuweisen, der ableiten muss, welche Chancen und Risiken das Erreichen der zentralen Ziele des Verbands ermöglichen oder gefährden.
Die wesentlichen Chancen und Risiken werden dabei identifiziert, bewertet und nach unterschiedlichen Kriterien systematisiert (z.B. Wirkung, Wirkungsdauer, Ursachen). Soweit möglich, werden die Auswirkungen quantifiziert und nach ihrer Relevanz für den Verband in einem Katalog der Chancen und Risiken dargestellt.
Dabei sind Wechselwirkungen bzw. Korrelationen zwischen den einzelnen Chancen und Risiken zu berücksichtigen, die zu einer Verstärkung oder Abschwächung der Auswirkungen der Chancen und Risiken führen können. Denn während das Beherrschen eines Risikos reine Routine sein kann, ist der Zusammenhang verschiedener Risiken ggf. als bestandsgefährdend einzustufen und dürfte damit eine weitaus drastischere Reaktion erfordern.
Die so ermittelten einzelnen Chancen und Risiken werden anschließend in sog. Chancen- und Risikofeldern zusammengefasst. Erfahrungsgemäß ergeben sich sechs Felder:
- Strategie (z.B. strategische Ausrichtung des eigenen Leistungsspektrums, Konzentration auf bestimmte Kundengruppen, Leitbilder)
- Finanzen (z.B. Finanzierung der Leistungen über Kostenträger, Kreditaufnahmen und deren Finanzierung, Liquidität)
- Leistungserbringung (z.B. Wertschöpfungskette in den Einrichtungen und Diensten, Unterstützungsfunktionen der Geschäftsstelle des Verbands, interne und externe Schnittstellen)
- Umwelt (z.B. Sozialpolitik und deren Konsequenzen, Finanzierung der Leistungen, gesellschaftliche Trends, Rechtsprechung)
- Kontrolle (z.B. Verfahrens-, Kontroll- und Organisationsregeln im Verband)
- Marktbedingungen (z.B. Wettbewerber, Kundenerwartungen, Image)
Entwickeln von Maßnahmen zur Nutzung der Chancen und Bewältigung der Risiken
In dem Schritt der Chancennutzung und Risikobewältigung erfolgt die Formulierung entsprechender präventiver und reaktiver Maßnahmen und damit eine Vordefinition von situationsbezogenen Reaktionen bei schwerwiegenden, bedeutsamen Risiken. Dabei werden anhand einer Handlungsbedarfsmatrix die Chancen und Risiken mit akutem und mit möglichem Handlungsbedarf segmentiert. Die erarbeiteten Maßnahmen werden in einer Prioritätenliste für die weitere Bearbeitung (Verantwortlichkeiten, Meilensteine, Zwischentermine für die Umsetzung, ggf. notwendiger weiterer Schritte, Überwachungs- und Berichtszyklus) in der Verantwortung des Verbands zusammengestellt.
Systemgestaltung und Berichterstattung
Damit die einzelnen Risikomanagement-Prozesse ineinander greifen, kommt der Systemgestaltung eine besondere Bedeutung zu. In dieser Phase sind zunächst Regeln der Risiko- und Chancenkommunikation festzulegen. Für einen präzisen Report sind die Inhalte, wie neue und bereits identifizierte bestandsgefährdende Risiken bzw. zukunftssichernde Chancen, die Beteiligten, die Medien und der Rhythmus des Reportings zu definieren und möglichst zu standardisieren. Ferner ist die in bestehende Berichtssysteme zu integrierende Kommunikation für die wesentlichen Verbandsrisiken zu bestimmen. Eine schnelle und zuverlässige Weitergabe von Informationen ist nicht zu unterschätzen und setzt eine hohe Disziplin und Risikokultur voraus. Zu kommunizieren sind Ziel- bzw. Planabweichungen aus dem laufenden Geschäft, die Bewältigungsmaßnahmen ebenso wie die Veränderung vorhandener oder die Identifikation neuer Risiken und Chancen.
In Bezug auf die Weitergabe von Informationen ist zu beachten, dass es zu keiner Informationsüberflut für das Verbandsmanagement kommt. Dies setzt voraus, dass die weiter zu leitenden Informationen sinnvoll aggregiert und empfängerorientiert sind.
Neben der Kommunikation sind Prozessbeteiligte und ihre Verantwortlichkeiten in den relevanten Verbandsbereichen festzulegen. Dies wird eine Anpassung der Aufgaben- bzw. Stellenbeschreibungen nach sich ziehen. Schließlich ist die Einhaltung der Regelungen in die Prozesse zu integrieren und die Dokumentation durch ein Risikomanagement-Handbuch sicher zu stellen. Das Handbuch beschreibt die Grundsätze, die Risikofelder, die Bewertung der Risiken, sowie alle aufbau- und ablauforganisatorischen Maßnahmen einschließlich der Berichtsregeln.
Das Risikomanagement-System muss laufend an veränderte Rahmenbedingungen und Anforderungen und dadurch ggf. an neue bzw. veränderte Risikostrukturen angepasst werden. Eine regelmäßige Systemüberprüfung sichert eine rechtzeitige Weiterentwicklung des Risikomanagement-Systems.
Das folgende Schaubild zeigt den typischen Kreislauf des Risikomanagement-Prozesses im Überblick.
Wie viel Risikomanagement benötigt mein Verband?
Bei der Realisierung eines Risikomanagement-Systems ist neben der mit Blick auf die Anzahl und des Ausmaßes der Risiken (und Chancen) notwendigen Dimensionierung stets seine Handhabbarkeit im Auge zu behalten.
Die grundsätzlichen Gestaltungsfaktoren und die Gestaltungstiefe eines Risikomanagement-Systems sind letztlich von der zu betrachtenden Organisation abhängig. Ein Verband mit 20 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat andere Erfordernisse und Möglichkeiten beim Betrieb eines Risikomanagement-Systems, als eine großer Verband mit 500 und mehr Beschäftigten. Entscheidend ist, dass das Risikomanagement-System die spezifischen Erfordernisse der jeweiligen Organisation abbildet. Das einfache Übertragen oder Überstülpen vorhandener Systeme ist daher nur sehr eingeschränkt zielführend.
Viele Organisationen werden bereits über einzelne Bausteine für ein Risikomanagement verfügen. Kernfragen, die Hinweise auf den Entwicklungs- oder Anpassungsbedarf eines Risikomanagement-Systems aufzeigen können sind:
- Werden die Chancen und Risiken des Verbandes regelmäßig analysiert und bewertet?
- Sind Ihnen insbesondere die bestandsgefährdenden Risiken, aber auch die zukunftsichernden Chancen vollständig und umfänglich bekannt?
- Sind die Ursachen für die Chancen und Risiken analysiert?
- Sind die monetären und nicht-monetären Wirkungen der Chancen und Risiken bekannt?
- Sind die Eintrittswahrscheinlichkeiten der identifizierten Chancen und Risiken bewertet?
- Sind die Verantwortlichen für die Chancen- und Risikenerfassung, -bewertung und —kommunikation eindeutig und vollständig definiert und dokumentiert?
- Sind Maßnahmen in ausreichendem Umfang definiert und Verantwortlichkeiten festgelegt, um drohende Risiken zu begrenzen bzw. identifizierte Chancen zu nutzen?
- Werden Durchführung und Erfolg der Maßnahmen kontrolliert und dokumentiert?
- Ist das Risikomanagement-System dokumentiert und sind die Abläufe des Risikomanagements den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vollständig bekannt?
- Ist das Risikomanagement bezogen auf die aktuellen Anforderungen und Rahmenbedingungen zeitgemäß?
Lassen sich nur wenige Fragen positiv beantworten, sollte eine professionelle Überprüfung bzw. Einführung eines Risikomanagement-Systems durchgeführt werden. Denn ein geschärftes Risikobewusstsein kennzeichnet nicht den pessimistischen, sondern zeichnet den realistischen und strategisch handelnden Verbands-Manager aus. Risikomanagement ist daher als obligatorischer und integraler Bestandteil einer professionellen Führung zu betrachten.
Zusammenfassung
Auch im Bereich der Verbandsorganisationen haben sich der Wettbewerb und die finanzielle Situation durch den gesellschaftlichen Wandel der letzten Jahre verschärft. Die Entwicklung der Unternehmensstrategie und deren regelmäßige kritische Überprüfung, Anpassung und Umsetzung kann den Organisationen helfen, neue oder veränderte Marktbedingungen frühzeitig zu erkennen und präventiv zu reagieren. Ein auf die Organisation zugeschnittenes Risikomanagement-System ist ein wichtiges Instrument, verbandsinterne und externe Einflussfaktoren vor dem Hintergrund potenzieller Chancen und Risiken sowie deren Auswirkungen für die eigene Organisation zu analysieren, um daraus entsprechende Maßnahmen zur Zukunftssicherung und Bestandserhaltung zu entwickeln.
Die Praxis zeigt, dass die Verbände, die sich regelmäßig und systematisch mit den internen und externen Rahmenbedingungen ihres Wirkens befassen, besser auf Krisenentwicklungen vorbereitet sind.