Verbändereport AUSGABE 4 / 2010

Plädoyer für ein selbstbewusstes Lobbying von Verbänden

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In Talkshows gehört es wieder einmal zum guten Ton, den Einfluss von Lobbyisten auf die Politik zu beanstanden. Radiosender bieten Features mit Titeln wie „Lobbyismus – zwischen Interessenvertretung und Korruption“ an. Die Debatte über Praktiken des Lobbyismus wird überwiegend mit Schlagworten wie „unkontrollierte Einflussnahme“, „Politik im Griff der Klientelinteressen“ oder „Transparenz-Verweigerer“ geführt. Die Diskussion ist in hohem Maß scheinheilig und undifferenziert. Sie bietet allerdings die Gelegenheit, die Vorzüge des Verbände-Lobbyings intern und extern offensiv zu vertreten.

Scheinheilig ist die Debatte um das Lobbying – verstanden als interessengeleitetes Einwirken auf die an der Gesetzgebung beteiligten Akteure – aus mehreren Gründen. Erstens ist unser demokratisch verfasstes Gemeinwesen auf Interessenvertretung ausgerichtet. Die Möglichkeit jedes Einzelnen, seine Meinungen frei zu äußern und seine Interessen aktiv zu vertreten oder vertreten zu lassen, ist gleichsam Wesensgehalt einer „Volksherrschaft“.

Die fundierte politische Entscheidungsfindung über gegebenenfalls unterschiedliche Interessen wird dabei allerdings immer herausfordernder. Die Halbwertszeit von Wissen und Informationen reduziert sich beständig. Forschung, Erkenntnisgewinn und Innovationen verändern unser Leben in immer kürzeren Abständen.

Vor diesem Hintergrund sind die zugrunde liegenden politischen Entscheidungen sowie ihre komplexen Aus- und Wechselwirkungen für oftmals fachfremde Abgeordnete und ihre Mitarbeiter kaum noch aus eigenem Wissen heraus zu treffen. Hier sind Informationen, fundierte Folgeabschätzungen und (alternative) Gestaltungsvorschläge vonnöten, die Politik und Verwaltung selbst nicht mehr allein vorzuhalten in der Lage sind.

Unterschiedliche Wertung von Lobbyismus und Interessenvertretung

Auf der semantischen Ebene offenbart die Diskussion eine unterschiedliche Wertung von Lobbyismus und Interessenvertretung. Der Pharmaindustrie und Automobilbranche werden eher ebenso anstößige Positionen zugeschrieben wie der Atomindustrie und dem Bankensektor. Diese Akteure betreiben somit verwerflichen Lobbyismus. Verbraucher-, Umwelt- und Sozialverbände können hingegen genauso wie Bürgerinitiativen mit dem Pfund der geborenen Glaubwürdigkeit wuchern. Hier wird folglich redliche Interessenvertretung praktiziert. Lobbyismus ist darüber hinaus überwiegend zum Schimpfwort für politische Gegen-Positionen geworden, während die eigene Ansicht selbstverständlich einen notwendigen, hilfreichen Expertenbeitrag darstellt. Der Lobbyist hat ein Imageproblem, der Experte nicht.

Generalverdacht von Vorteilsgewährung und Intransparenz

Schließlich werden Abgeordnete nicht selten als fremdgesteuerte Marionetten gezeichnet, deren freier Wille und Entscheidungsfähigkeit im Gesetzgebungsverfahren ausgesetzt sind. Abgeordnete haben indes den Auftrag, gute Gesetze zu gestalten. Sie haben die Pflicht, sich über unterschiedliche Positionen, Einschätzungen und Bewertungen zu Wirkungen und Folgen von Gesetzesvorhaben zu informieren und diese für ihre Entscheidungsfindung einzuordnen und abzuwägen. Entziehen sich Abgeordnete dieser Verantwortung oder nehmen die Informationsaufnahme nur einseitig wahr, ist das sicher nicht den Interessengruppen anzulasten.

Die Debatte um politische Interessenvertretung wird zudem in mehrerlei Hinsicht undifferenziert geführt. Beispielsweise erfolgt nicht der Versuch einer Zuordnung von Lobby-Praktiken zu bestimmten Lobby-Akteuren. Mit dem Generalverdacht von Vorteilsgewährung und Intransparenz wird regelmäßig der gesamte Lobbyismus in Deutschland über einen Kamm geschoren. Unterschiedliche Qualitäten der Interessenvertretung von Unternehmen, Kanzleien, Agenturen, freien Lobbyisten, Verbänden, Gewerkschaften und Kirchen bleiben ohne Berücksichtigung.

Es fehlt ferner der Hinweis, dass natürlich auch Minister, Fraktions- und Parteichefs und auch die Kanzlerin, mithin alle Politiker, sowie politische Institutionen wie die Landesvertretungen beim Bund, die Bundesländer und ebenso -Städte und Gemeinden Lobbying für eigene Interessen und politische Meinungen betreiben. Und das mit durchaus harten Bandagen. Entsprechende Aktivitäten werden in der Lobby-Debatte leider kaum als – durchaus spannender – Teil von Interessenvertretung wahrgenommen.

Verbandslobbying

Eine differenzierte Betrachtung ist ebenso nötig hinsichtlich des Lobbyings von Verbänden selbst. Nicht alle der in der Lobbyliste des Deutschen Bundestages akkreditierten Verbände betreiben Interessenvertretung. Und nicht alle Verbände, die Interessenvertretung auf Bundesebene betreiben, sind in der Lobbyliste eingetragen. Zudem ist die Ausgangslage von Lobbying betreibenden Verbänden äußerst unterschiedlich. Der Verband der Automobilindustrie hat sich aufgrund der volkswirtschaftlichen Bedeutung seiner Mitglieder, der dem Verband zur Verfügung stehenden Ressourcen und der Qualität seines Lobbyings zum wohl einflussreichsten Interessenverband entwickelt. Kaum ein anderer Verband kann eine vergleichbare Bedeutung für die bundesdeutsche Volkswirtschaft postulieren, und nur wenige haben ähnliche Ressourcen zur Organisation des Lobbyings zur Verfügung.

Starke Lobbyabteilungen auf Landes- oder Bundesebene sowie in Brüssel, die das Spielen der gesamten Klaviatur der politischen Interessenvertretung ermöglichen, sind aber nicht der Standard. Die übergroße Mehrheit der Verbände ist von solchen personellen, finanziellen und logistischen Möglichkeiten zur institutionalisierten Interessenvertretung weit entfernt und wird es auch bleiben. Dies bedauern viele Organisationen, andere messen der Gestaltung direkter Mitgliederleistungen durchaus eine größere Bedeutung zu als der politischen Interessenvertretung.

Die verquere Lobbyismus-Debatte gibt den Verbänden immerhin Gelegenheit, offensiv an die Vorzüge der verbandlichen Interessenvertretung zu erinnern. Die Bedeutung der Verbände für die Politik gründet – neben der fachlichen Expertise – auf dem Bestreben der Politik, politische Entscheidungen grundsätzlich im größtmöglichen gesellschaftlichen Einvernehmen zu treffen. Verbandspositionen repräsentieren bereits einen Kompromiss aus zusammengeführten Einzelinteressen und erleichtern aus der Sicht der Politik auf diese Weise den thematischen Abgleich mit großen gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Interessengruppen. Bei politischen Entscheidungsträgern ist daher die aktive Positionierung zu gebündelten, gefilterten Interessen einer Branche, -Region oder eines Berufsstands ausdrücklich erwünscht. An dieser Stelle haben Verbände ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Akteuren, das sie strategisch wie inhaltlich aktiver nutzen sollten.

Auch der Forderung nach Trans-parenz über Auftraggeber und eingesetzte Mittel beim Lobbying können Verbände selbstbewusst entgegensehen: Dass Verbände für ihre Mitgliedschaft eintreten, benötigt keine weitere Erwähnung. Und die Mehrheit der Verbände verfügt über erkennbar übersichtliche Ressourcen für die politische Interessenvertretung, deren Einsatz für kaschierte Parteien-finanzierung oder verdeckte PR-Aktionen kaum spürbar -wäre und sich allein deshalb verbietet.

Neue Akteure, Medien und Methoden

Die genannten, systemimmanenten Qualitäten der verbandlichen Interessenvertretung dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein erfolgreiches Lobbying ohne ein systematisches, umfassendes, institutionalisiertes Herangehen nicht auskommt. Innerhalb der letzten Dekade, und erst recht seit Bonner Hauptstadtzeiten, hat sich die Lobby-Landschaft nahezu revolutionär verändert. Die politische Interessenvertretung hat sich zu einem komplexen Vorhaben entwickelt, das auf den Säulen Kompetenz, Vernetzung, Vertrauen und Schnelligkeit beruht. Es herrscht ein scharfer Wettbewerb um die politische und mediale Aufmerksamkeit. Und das gesamte Lobbying ist zudem wesentlich undurchsichtiger geworden, da nicht nur neue Akteure, sondern auch neue Medien und Methoden zum Einsatz kommen.

Neben den immer wieder erwähnten zusätzlichen Akteuren wie Kanzleien, Agenturen und vermehrt freien Lobbyisten sowie der Renaissance der Unternehmensrepräsentanzen wird Interessenvertretung auch durch Informationsplattformen oder „Zukunftsforen“ zu unterschiedlichen Themen organisiert. Hierbei handelt es sich in der Regel um eine Plattform, die verschiedene Organisationen repräsentiert und so Lobbykräfte zu bündeln sucht. Diese durchaus auf kurzfristige Zusammenarbeit angelegten Podien operieren teilweise sehr erfolgreich.

Daneben sind mit Foren und Blogs im Internet neue Medien entstanden, in denen in Echtzeit Nachrichten verbreitet und kommentiert werden. Hier werden Meinungen über gesellschaftlich relevante Themen geprägt, was Verbände nicht unkommentiert und schon gar nicht unbeobachtet lassen können. Diese Medienbeobachtung muss als Bestandteil des systematischen Monitorings verstanden werden, sodass Verbände im besten Fall die Meinungsbildung oder gar die Themensetzung prägen können.

Die Echtzeit-Medien haben ebenso wie die zunehmende Themenfülle und raschere Themenwechsel dazu beigetragen, die Kommunikationsgeschwindigkeit erheblich zu erhöhen. Dies erfordert ein grundsätzliches Überdenken der Entscheidungsprozesse in Verbänden, deren klassische Abstimmungsschleifen für die neuen Kommunikationsanforderungen oft zu behäbig sind.

Es ist offensichtlich, dass für das Lobbying von Verbänden ein belastbares Netzwerk eine Grundvoraussetzung darstellt. Diese strategischen Kontakte in Politik, Verwaltung, anderen Organisationen und Medien werden in für den Verband politisch ruhigen Zeiten geknüpft und gepflegt, damit sie in stürmischen Zeiten Erfolg versprechende Zugänge bieten.

Zu beobachten ist seit Längerem, dass bei der Besetzung hauptamtlicher Leitungspositionen eine Abkehr der Auswahl vornehmlich thematisch-inhaltlich qualifizierter Personen aus dem Verband selbst oder aus dem Kreis der Mitglieder erfolgt. Es werden vermehrt durch die Verpflichtung von (ehemaligen) Akteuren aus dem politischen Betrieb wie Staatssekretären, Abteilungsleitern, Abgeordneten oder Leitungskräften aus anderen Verbänden wertvolle, sofort nutzbare Netzwerke und langjährige Erfahrung eingekauft.Verbände suchen mit diesem Vorgehen, ihre Fähigkeit zur qualifizierten Reaktion um die Möglichkeit zur Mitgestaltung im Gesetzgebungsprozess zu erweitern. Sie erlangen über ihre neue Vernetzungsqualität die Möglichkeit, ihre Interessen in einer früheren Phase anstehender Gesetzgebung effektiver einzubringen: In einem Stadium, in dem das Gesetzgebungs-Papier gewissermaßen noch weiß ist und nicht erst, wenn für fertige Entwürfe auf der parlamentarischen Zielgeraden eine mehr oder weniger Pro-Forma-Anhörung organisiert wird. Die hohe Kunst des erfolgreichen Lobbyings bedeutet das Erlangen von Kenntnissen über Vorhaben von Politik und Verwaltung, bevor diese in Referentenentwürfen öffentlich werden.

In jedem Fall erwarten politische Entscheidungsträger von Verbänden und ihrem Lobbying erstens eine präzise Kenntnis der Materie und entsprechender Zusammenhänge, valide Zahlen und entscheidungserhebliche Fakten sowie eine klare Einschätzung von Auswirkungen. Zweitens wird eine genaue Kenntnis der Zuständigkeiten, Entscheidungsprozesse und Handlungsspielräume der Gesprächspartner vorausgesetzt. Zudem wird neben der Darstellung des Eigeninteresses die Lieferung von gemeinwohlorientierten Argumenten erwartet.

Professionelle Interessenvertretung organisiert vor dem eigentlichen Lobbying das Beobachten und Setzen von Themen sowie das Knüpfen und Pflegen von Kontakten zu Regierung, Verwaltung und Medien. Diese Aufgabenfelder lassen sich im Fall von bundespolitisch ausgerichteten Verbänden nur sehr begrenzt fernab der Hauptstadt organisieren. Ein Verband ohne Geschäftsstelle oder Repräsentanz, das heißt ohne sichtbare Präsenz in Berlin, wird von den politischen Entscheidungsträgern weniger wahr- und damit weniger ernst genommen. Wer die Vielfalt der Kontakt-möglichkeiten, aber auch der obligatorischen politischen und halb-politischen Termine der Hauptstadt kennt, wird schnell nachvollziehen können, dass Telefonnummern in Berlin für Gesprächswünsche und Nachfragen aus Verwaltung, Fraktionen und Abgeordneten-Büros bevorzugt werden.

Die Zugehörigkeit zu einem in Berlin ansässigen Dachverband ist grundsätzlich kein adäquater Ersatz für individuelles Lobbying. Selbst der regelmäßige Flug nach Berlin zur Wahrnehmung politischer Termine stellt – Ausnahmen bestätigen die Regel – keinen angemessenen Ersatz für die persönliche optische und tatsächliche Präsenz in der Hauptstadt dar. Dass Verbände das Vorhalten einer eigenen Infrastruktur in Berlin bereits aus Kostengründen -scheuen, ist verständlich. Aber es gibt seit einiger Zeit verlässliche Dienstleister, die speziell Verbände in diesem Punkt kompetent und ressourcenschonend unterstützen.

Alle Methoden und Ansätze der politischen Interessenvertretung sind im Licht der mitunter herausfordernden Willensbildungsprozesse in Verbänden zu sehen. Heterogene Mitgliedschaftsstrukturen und die Ausdifferenzierung von Einzelinteressen erfordern nicht nur von Dach-, Haupt- und Spitzenverbänden besondere Fähigkeiten der Moderation und Koordination der Interessen sowie der Meinungsbildung. Das erfolgreiche interne Lobbying ist Voraussetzung und Prüfstein für eine erfolgreiche politische Interessenvertretung der vertretenen Mitgliedschaft.

Verbände haben allen Grund, auf die grundsätzlichen Vorteile ihrer politischen Interessenvertretung selbstbewusst hinzuweisen. Mitunter scheint es angebracht, diese Vorzüge nicht nur nach außen offensiver zu vertreten, sondern auch die eigene Mitgliedschaft an diesen Nutzen zu erinnern. Dieser Umstand allein ist allerdings kein Garant für ein erfolgreiches Lobbying. Es gilt, politische Interessenvertretung professionell zu organisieren. Und die meisten Ansätze und Methoden können unabhängig von individuellen Budgetgrenzen erfolgreich eingesetzt werden.

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Autor/in

Dirk Günther

ist Geschäftsführer des Deutschen Hebammenverband e. V. Zudem berät er seit 2007 Verbände mit der Meilenstein! Beratungskanzlei.

http://www.meilenstein-beratung.de

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