Das Bundesarbeitsgericht hatte kürzlich zwei häufig verwechselte Begriffe klarzustellen, die für sozialpolitische Verbände von grundsätzlicher Bedeutung sind: Die Tarifzuständigkeit von Verbänden einerseits und die Tarifbindung von Mitgliedern andererseits. In seinem Beschluss vom 18.7.2006 (1 ABR 36/05) hat das Gericht die rechtlichen Grundlagen und die satzungsmäßigen Dispositionsbefugnisse hierzu eingehend dargelegt. Das Gericht hält eine so genannte OT-Mitgliedschaft, die die Tarifbindung trotz Verbandsmitgliedschaft ausschließt, für rechtlich einwandfrei. Nachstehend die wesentlichen Entscheidungsgründe.
Das Gericht befasst sich zunächst mit Fragen der Tarifzuständigkeit um dann gegen Ende des Beschlusses auf die Fragen der Tarifbindung einzugehen.
Aus den Gründen:
Der Antrag von ver.di ist begründet. Der Einzelhandelsverband ist zuständig für den Abschluss von Tarifverträgen, unter deren räumlichen, betrieblich/fachlichen und persönlichen Geltungsbereich der Arbeitgeber fällt. Das folgt aus seiner Verbandssatzung. Er konnte seine Tarifzuständigkeit nicht wirksam auf die jeweiligen Mitglieder beschränken. Wie die Auslegung seiner Satzung ergibt, hat er dies auch nicht getan. Über die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers hatte der Senat nicht zu entscheiden.
a) Eine Arbeitgeber- oder Arbeitnehmervereinigung kann ihre Tarifzuständigkeit in ihrer Satzung räumlich, betrieblich, branchenmäßig oder auch personell begrenzen. Eine Beschränkung auf die jeweiligen Verbandsmitglieder ist dagegen rechtlich nicht möglich.
aa) Die Tarifzuständigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Fähigkeit eines an sich tariffähigen Verbands, Tarifverträge mit einem bestimmten Geltungsbereich abzuschließen (Zitate). Als eine Frage der Tarifzuständigkeit wird in Rechtsprechung und Schrifttum häufig auch die Zulässigkeit der Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband ohne Verbandstarifbindung (OT-Mitgliedschaft) behandelt (Zitate). Gleichwohl handelt es sich bei der Tarifzuständigkeit einerseits und der Tarifgebundenheit andererseits um zwei Rechtsbegriffe/Rechtsinstitute, die in Inhalt, Voraussetzungen, verfassungsrechtlichen Grundlagen, materiellrechtlichen Folgen und prozessualer Behandlung völlig unterschiedlich ausgestaltet sind (Zitate).
bb) Inhalt, Voraussetzungen und Folgen der Tarifzuständigkeit sind gesetzlich nicht geregelt. Sie wird in § 2a Abs. 1 Nr. 4, § 97 ArbGG vorausgesetzt. Demgegenüber regelt das Tarifvertragsgesetz in § 3, § 4 Abs. 1 die Voraussetzungen und die Folgen der Tarifgebundenheit.
Die Tarifzuständigkeit ist eine rechtliche Eigenschaft der Arbeitgeber- oder Arbeitnehmervereinigung. Sie kommt dem Verband als solchem und nicht dessen einzelnen Mitgliedern zu. Dagegen betrifft die Tarifgebundenheit den einzelnen Arbeitgeber oder Arbeitnehmer.
Die Befugnis des Verbands zur Festlegung seiner Tarifzuständigkeit ist Ausdruck der grundrechtlich geschützten kollektiven Betätigungsfreiheit. Die Freiheit des einzelnen Arbeitgebers oder Arbeitnehmers, durch den Beitritt zu einem Verband eine Tarifgebundenheit zu begründen, beruht demgegenüber auf seiner individuellen Koalitionsfreiheit.
Die Tarifzuständigkeit richtet sich nach der Verbandssatzung. Sie erfährt durch das Gesetz grundsätzlich weder eine Erweiterung noch eine Beschränkung. Die Tarifgebundenheit des einzelnen Arbeitgebers oder Arbeitnehmers hängt demgegenüber grundsätzlich von dessen individueller Entscheidung über seine Mitgliedschaft im betreffenden Verband ab. In bestimmten Fällen wird sie allerdings auch unabhängig von seinem Willen durch § 3 Abs. 3 TVG und durch § 5 Abs. 4 TVG erweitert.
Die Tarifzuständigkeit beider Tarifvertragsparteien ist notwendige Voraussetzung für den Abschluss eines wirksamen Tarifvertrags und dessen Geltung. Der Geltungsbereich eines Tarifvertrags kann nicht weiter reichen als die sich überschneidende Tarifzuständigkeit der Tarifpartner. Auch durch eine Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG wird nicht der Geltungsbereich des Tarifvertrags, sondern nur der Kreis der tarifgebundenen Personen erweitert. Die Tarifgebundenheit einzelner Arbeitgeber oder Arbeitnehmer hat wiederum keine Bedeutung für den Abschluss eines Tarifvertrags und dessen Geltungsbereich.
Unterschiedliche Folgen hat das Vorliegen der Tarifzuständigkeit und der Tarifgebundenheit oder deren Fehlen auch im Bereich der Betriebsverfassung. Während der in § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG normierte Tarifvorbehalt gerade auch die Betriebe und Unternehmen erfasst, die nicht tarifgebunden sind, aber in den Geltungsbereich eines Tarifvertrags fallen, gilt er nicht für Betriebe und Unternehmen außerhalb des tariflichen Geltungsbereichs. Da der Geltungsbereich nicht über die Tarifzuständigkeit der Tarifvertragsparteien hinausgehen kann, begrenzt diese zugleich die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG.
Differenziert ausgestaltet ist schließlich die prozessuale Behandlung von Tarifzuständigkeit und Tarifgebundenheit. Zur Feststellung der Tarifzuständigkeit sieht das Arbeitsgerichtsgesetz in § 2a Abs. 1 Nr. 4, § 97 Abs. 1 zwingend ein eigenständiges, durch den eingeschränkten Amtsermittlungsgrundsatz geprägtes Beschlussverfahren vor. Dagegen ist die Tarifgebundenheit des einzelnen Arbeitgebers oder Arbeitnehmers, sofern es auf sie ankommt, inzident im jeweiligen Rechtsstreit zu prüfen. Dementsprechend entfaltet eine im Verfahren nach § 97 Abs. 1 ArbGG ergehende Entscheidung über die Tarifzuständigkeit einer Arbeitnehmer- oder Arbeitgebervereinigung Bindungswirkung auch für am Verfahren nicht beteiligte Dritte. Demgegenüber ist die Wirkung einer inzidenten Entscheidung über die Tarifgebundenheit einzelner Arbeitgeber oder Arbeitnehmer auf die jeweiligen Verfahrensbeteiligten beschränkt.
cc) Die Tarifzuständigkeit eines Verbands richtet sich nach dem in der Verbandssatzung festgelegten Organisationsbereich (vgl. BAG 29. Juni 2004 – 1 ABR 14/03 – BAGE 111, 164, zu B II 2 b aa der Gründe mwN; 27. September 2005 – 1 ABR 41/04 – AP TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 18 = EzA TVG § 2 Tarifzuständigkeit Nr. 9, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B II 1 a der Gründe mwN). Erforderlichenfalls ist die Verbandssatzung auszulegen. Dabei ist auf den objektivierten Willen des Satzungsgebers abzustellen. Maßgeblich sind insbesondere der Wortlaut, der Sinn und Zweck, die Entstehungsgeschichte und der Gesamtzusammenhang der Satzung. Auch die tatsächliche Handhabung und die Anschauungen der beteiligten Berufskreise können bei der Auslegung von Bedeutung sein (BAG 29. Juni 2004 – 1 ABR 14/03 – aaO mwN; 27. September 2005 – 1 ABR 41/04 – aaO, zu B II 1 a bb der Gründe mwN) . Ebenso wie bei Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen ist im Zweifelsfall derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, die sich als gesetzeskonform und als praktikabel erweist.
dd) Die Ausgestaltung des Organisationsbereichs und die damit verbundene Festlegung der Tarifzuständigkeit steht grundsätzlich jedem Verband frei. Er kann seinen Organisationsbereich betriebs- oder unternehmensbezogen oder nach sonstigen Kriterien abgrenzen (Zitate). Grundsätzlich zulässig sind insbesondere räumliche, betriebliche, branchenbezogene oder auch personelle Abgrenzungsmerkmale. Die Tarifzuständigkeit muss nicht notwendig nach abstrakten Kriterien festgelegt werden. So ist es zulässig, dass eine Gewerkschaft die Tarifzuständigkeit für die Arbeitnehmer bestimmter konkret bezeichneter
(Groß-)Unternehmen beansprucht (Zitate). Dementsprechend können Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften ihren Organisationsbereich und die beanspruchte Tarifzuständigkeit auch personell festlegen und begrenzen. Das ist Teil ihrer durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten kollektiven Koalitionsfreiheit.
ee) Dagegen kann eine Arbeitgeber- oder Arbeitnehmervereinigung ihre Tarifzuständigkeit nicht wirksam auf ihre jeweiligen Mitglieder beschränken. Der Umfang der Tarifzuständigkeit des Verbands wäre dann von der Entscheidung einzelner Mitglieder über ihren Ein- und Austritt abhängig. Das wäre mit der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie und den darauf bezogenen Erfordernissen eines funktionierenden Tarifvertragssystems unvereinbar.
(1) Durch eine Satzungsbestimmung, nach welcher der Verband ausschließlich für seine jeweiligen Mitglieder tarifzuständig sei, regelt er seine Tarifzuständigkeit nicht unmittelbar selbst. Vielmehr vermeidet er die ihm obliegende Bestimmung des Umfangs der Tarifzuständigkeit. Nicht er selbst bestimmt abschließend, für welchen Bereich er gewillt ist, Tarifverträge zu schließen. Stattdessen wird sein Organisationsbereich und seine Tarifzuständigkeit abhängig von der Entscheidung der einzelnen Arbeitgeber oder Arbeitnehmer über ihren Ein- oder Austritt. Umfang und Reichweite der Tarifzuständigkeit des Verbands sind damit nicht festgelegt, sondern ändern sich mit jeder Veränderung des Mitgliederbestands. Beim Eintritt eines Mitglieds erweitert sich die Tarifzuständigkeit, beim Austritt verringert sie sich. Die Tarifzuständigkeit ist letztlich von einer im Willen der aktuellen oder potenziellen Mitglieder stehenden „Potestativbedingung” abhängig (vgl. Kempen/Zachert/Stein TVG 4. Aufl. § 2 Rn. 119).
(2) Eine Satzungsbestimmung, welche den Umfang der Tarifzuständigkeit einer Vereinigung vom Ein- und Austritt einzelner Mitglieder abhängig macht, ist mit den Erfordernissen eines funktionierenden Tarifvertragssystems und der darauf bezogenen Ausgestaltung der Tarifautonomie durch die Regelungen des TVG und durch § 77 Abs. 3 BetrVG unvereinbar.
(a) Durch eine mitgliedschaftsbezogene „Regelung” der Tarifzuständigkeit verliert das Merkmal der Tarifgebundenheit seine für das Tarifvertragssystem nach der Konzeption des TVG konstitutive Bedeutung. Bei einer mitgliedschaftsbezogenen Tarifzuständigkeit kann eine Arbeitgeber- oder Arbeitnehmervereinigung wirksam schon keine Tarifverträge mit einem Geltungsbereich schließen, der über die jeweiligen Mitglieder hinausgeht. Damit haben die Regelungen im TVG, die an die Tarifgebundenheit anknüpfen, keinen unmittelbaren Anwendungsbereich mehr. Wenn sich die Tarifzuständigkeit auf die jeweiligen Mitglieder beschränkt und deshalb Tarifverträge mit einem Geltungsbereich, der sich auch auf Nichtmitglieder erstreckt, nicht mehr wirksam geschlossen werden können, wird das Merkmal der Tarifgebundenheit weitgehend funktionslos.
(aa) Dies zeigt sich zum einen bei einem Verbandsaustritt. Beim Austritt eines Verbandsmitglieds tritt gemäß § 3 Abs. 3 TVG die Nachbindung des Tarifvertrags ein. Würden dagegen – entsprechend der beschränkten Tarifzuständigkeit des Verbands – Tarifverträge nur noch mit einem auf die jeweiligen Verbandsmitglieder beschränkten Geltungsbereich geschlossen, so würde das aus dem Verband austretende Mitglied aus dem Geltungsbereich des Tarifvertrags herauswachsen. Beim Herauswachsen aus dem Geltungsbereich eines Tarifvertrags ist aber § 3 Abs. 3 TVG nicht anwendbar; vielmehr kommt nur eine analoge Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG in Betracht (Zitate). Damit entstünde für den Arbeitgeber die Möglichkeit und der Anreiz, durch Austritt aus dem Verband die Tarifbindung mit sofortiger Wirkung zu beenden und die bloße Nachwirkung des § 4 Abs. 5 TVG durch eine abweichende Vereinbarung abzulösen. Das widerspricht den konzeptionellen Vorstellungen des Gesetzgebers, wie sie in § 3 Abs. 3 TVG ihren Niederschlag gefunden haben.
(bb) Schwerwiegende Unstimmigkeiten entstünden bei einer mitgliedschaftsbezogenen Tarifzuständigkeit auch hinsichtlich einer etwaigen Allgemeinverbindlicherklärung. Durch die Allgemeinverbindlicherklärung werden gemäß § 5 Abs. 4 TVG die bisher nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer von den Rechtsnormen eines Tarifvertrags erfasst. Diese Wirkung erstreckt sich jedoch nur auf den Geltungsbereich des Tarifvertrags. Ist dieser auf die jeweiligen aktuellen Verbandsmitglieder beschränkt, kann eine Allgemeinverbindlicherklärung nicht zu einer Erstreckung des Tarifvertrags auf bislang nicht tarifgebundene Mitglieder führen. Sie würde damit weitgehend sinnlos. Ein Verband hätte es dann in der Hand, durch eine entsprechende Satzungsbestimmung Allgemeinverbindlicherklärungen jedenfalls hinsichtlich seiner Seite unmöglich zu machen oder leer laufen zu lassen.
(cc) Auch der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG würde bei einer mitgliedschaftsbezogenen Tarifzuständigkeit seine Funktion weitgehend verlieren. Der Tarifvorbehalt hat Bedeutung insbesondere für die Fälle, in denen unter den Geltungsbereich eines Tarifvertrags fallende Arbeitgeber nicht tarifgebunden sind. In deren Betrieben können im Interesse der Tarifautonomie die tariflich geregelten Gegenstände nicht durch – konkurrierende – Betriebsvereinbarungen geregelt werden (Zitate). Dies setzt allerdings voraus, dass der betreffende Tarifvertrag für den entsprechenden Betrieb im Falle der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers gilt. Würde sich sein Geltungsbereich auf Grund der auf die jeweiligen Mitglieder des Verbands begrenzten Tarifzuständigkeit auf die aktuellen Verbandsmitglieder beschränken, so könnte die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG die Betriebe der lediglich potenziellen Mitglieder schlechterdings nicht erfassen. Dazu steht die Entscheidung des Senats vom 22. März 2005 nicht im Widerspruch. Dort ging es um die Frage, ob ein bestimmter Tarifvertrag – entsprechend der Übereinkunft beider Tarifvertragsparteien – seinen Geltungsbereich auf die aktuellen Mitglieder des beteiligten Arbeitgeberverbands beschränkt oder auch auf potenzielle Mitglieder erstreckt hat. Hier geht es darum, ob ein Verband seine Tarifzuständigkeit einseitig auf die jeweiligen Mitglieder beschränken und damit von vorneherein den Abschluss von Tarifverträgen verhindern kann, die geeignet sind, die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG zu entfalten.
(b) Gegen die Zulässigkeit einer mitgliedschaftsbezogenen Festlegung der Tarifzuständigkeit spricht entscheidend auch, dass andernfalls ein Dritter allein anhand der Satzung die Tarifzuständigkeit nicht zuverlässig erkennen könnte. Die Tarifzuständigkeit betrifft nicht lediglich die vereinsinterne Organisation. Ihre Festlegung ist vielmehr Voraussetzung der den Tarifvertragsparteien durch § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG zukommenden Normsetzungsbefugnis. Sie erfordert ein Mindestmaß an Transparenz. Daher muss sich die beanspruchte Tarifzuständigkeit der Satzung einer Arbeitnehmer- oder Arbeitgebervereinigung zuverlässig entnehmen lassen. Andernfalls können Dritte, insbesondere die etwa tarifunterworfenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht sicher erkennen, ob der Geltungsbereich eines Tarifvertrags mit der Tarifzuständigkeit der Tarifvertragsparteien vereinbar ist. Auch liefe der soziale Gegenspieler Gefahr, Tarifverträge zu schließen, die nicht mit der Tarifzuständigkeit der anderen Tarifvertragspartei im Einklang stehen. Er könnte dies nur vermeiden, wenn er sich damit einverstanden erklärte, den Geltungsbereich des Tarifvertrags auf die jeweiligen Mitglieder der anderen Tarifvertragspartei zu beschränken. Dies ist zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen (Zitate). Gleichwohl würde der bereits in der Satzung des Verbands vorgegebene Ausschluss der Möglichkeit, Tarifverträge mit einem über die jeweiligen Mitglieder hinausgehenden Geltungsbereich abzuschließen, die Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems erheblich gefährden. Noch verstärkt gälte dies, wenn beide Sozialpartner dazu übergingen, ihre Tarifzuständigkeit in der Satzung auf ihre jeweiligen Mitglieder zu beschränken.
(3) Die Anerkennung der Möglichkeit einer mitgliedschaftsbezogenen Tarifzuständigkeit ist nicht etwa wegen der durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Betätigungsfreiheit der Koalitionen geboten. Diese ist jedenfalls dann gewährleistet, wenn Verbände die Möglichkeit haben, in ihrer Satzung eine Form der Mitgliedschaft vorzusehen, die keine Tarifgebundenheit iSv. § 3 Abs. 1 TVG erzeugt. Diese Möglichkeit besteht zumindest grundsätzlich. Sie folgt aus der Satzungsautonomie der Verbände und dem Grundsatz der Koalitionsfreiheit. Der Streitfall verlangt allerdings keine Entscheidung darüber, an welche Voraussetzungen eine derartige OT-Mitgliedschaft gebunden ist und welchen Beschränkungen sie unterliegt.
(a) Das Bundesarbeitsgericht hat über die Zulässigkeit einer Mitgliedschaft in einer Arbeitnehmer- oder Arbeitgebervereinigung, die keine Tarifgebundenheit auslöst, noch nicht abschließend entschieden. Der Vierte Senat hat allerdings in einem Urteil vom 23. Februar 2005 (Zitate) ausgeführt, „für die Annahme einer generellen Unwirksamkeit einer OT-Mitgliedschaft unabhängig von den konkreten Regelungen der Satzung zu der organisatorischen Struktur der betroffenen Verbandsbereiche und den Rechten der OT-Mitglieder, insbesondere im Hinblick auf den Abschluss von Tarifverträgen, mit der weiteren Konsequenz eines Verbleibens der Mitglieder im Zustand der Tarifgebundenheit trotz entgegenstehender Erklärung, (gebe es) … keine rechtliche Grundlage”. Außerdem hat der Erste Senat in einem Urteil vom 16. Februar 1962 (- 1 AZR 167/61 – BAGE 12, 285) nicht beanstandet, dass eine Verbandssatzung neben der Vollmitgliedschaft eine „Gastmitgliedschaft” vorsah. Er hat aus dem Umstand, dass den Gastmitgliedern keines der wesentlichen Mitgliedschaftsrechte zustand, den Schluss gezogen, sie seien nicht Mitglieder des Vereins iSv. § 3 TVG. Dem hat sich der Sechste Senat in einem Urteil vom 20. Februar 1986 (- 6 AZR 236/84 – BAGE 51, 163, zu 4 der Gründe) angeschlossen.
(b) Im Schrifttum ist die Zulässigkeit der OT-Mitgliedschaft im sog. Stufenmodell umstritten. Sie wird bejaht unter anderem von Besgen (Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung – Tarifflucht statt Verbandsflucht S. 98 ff.), Buchner (NZA 1994, 2, 3 f. und NZA 1995, 761, 764 ff.); Dieterich (ErfK 6. Aufl. Art. 9 GG Rn. 39, allerdings mit dem Hinweis, dass die sich daraus ergebenden tarif- und arbeitskampfrechtlichen Folgen noch ungeklärt seien); Löwisch/Rieble (§ 2 Rn. 88 ff. und Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht 2. Aufl. Bd. 3 § 255 Rn. 64 ff.); Oetker (in Wiedemann § 3 Rn. 102); Ostrop (Mitgliedschaft ohne Tarifbindung 1997 S. 63 ff.); Schaub (NZA 1998, 617, 622; vgl. aber auch BB 1994, 2005, 2007 und ArbR-Hdb. § 206 Rn. 28); Schaub/Franzen (ErfK § 2 TVG Rn. 9); Sven-Joachim Otto (NZA 1996, 624); Reuter (RdA 1996, 201); Thüsing (ZTR 1996, 481); Thüsing/Stelljes (ZfA 2006, 527) sowie Wilhelm/Dannhorn (NZA 2006, 466).
Sie wird verneint insbesondere von Peter Berg (AuR 2001, 393); Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen (TVG und Arbeitskampfrecht 2005 § 3 TVG Rn. 24); Däubler (ZTR 1994, 448 und NZA 1996, 225); Deinert (AuR 2006, 217); Glaubitz (NZA 2003, 140); Lorenz (in Däubler TVG 2. Aufl. § 3 Rn. 37); Röckl (DB 1993, 2382) und Stein (in Kempen/Zachert § 2 Rn. 116 ff.).
(c) Grundsätzlich bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken dagegen, dass ein Arbeitgeberverband in seiner Satzung die Möglichkeit einer Mitgliedschaft ohne (die Folge der) Tarifgebundenheit vorsieht. Mitglieder, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, sind dann keine Mitglieder iSv. § 3 Abs. 1 TVG.
(aa) Die Möglichkeit, im Wege eines abgestuften Modells neben einer Vollmitgliedschaft oder einer reinen Gastmitgliedschaft auch eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung vorzusehen, folgt im Grundsatz aus der Verbandsautonomie und der Koalitionsfreiheit. Dieses durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Freiheitsrecht schützt ua. die Selbstbestimmung der Koalitionen über ihre eigene Organisation, das Verfahren ihrer Willensbildung und die Führung der Geschäfte (BVerfG 4. Juli 1995 – 1 BvF 2/86 ua. – BVerfGE 92, 365 = AP AFG § 116 Nr. 4 = EzA AFG § 116 Nr. 5, zu C II 1 der Gründe) . Dementsprechend unterfällt auch die Art und Weise der innerverbandlichen Organisation der Betätigungsfreiheit der Koalition (Zitate). Die Koalitionen sind daher grundsätzlich nicht gehindert, in ihren Satzungen die Rechte und Pflichten ihrer Mitglieder unterschiedlich auszugestalten. Dies schließt die Möglichkeit ein, Mitgliedschaften vorzusehen, welche nicht die Rechtsfolgen des § 3 Abs. 1 TVG auslösen. Die Tarifbindung der Mitglieder der tarifschließenden Verbände beruht auf deren freiwilligen Eintritt in den Verband und darauf, dass der Tarifabschluss auch durch einen Beschluss der Mitgliederversammlung oder einen Willensakt des durch Satzung oder konkreten Mitgliederbeschluss dazu ermächtigten Vereinsorgans erfolgt (Zitate). Tarifautonomie als kollektive Privatautonomie gründet sich entscheidend auf mitgliedschaftliche Legitimation (Zitate). Die Befugnis der Koalitionen, durch kollektive Vereinbarungen mit dem sozialen Gegenspieler (Tarif-)Normen zu vereinbaren, ergibt sich zumindest auch daraus, dass sich die Mitglieder der tariflichen Normsetzungsbefugnis unterworfen haben (Besgen aaO S. 95; Ostrop aaO S. 119). Allerdings bedarf es zur Tarifgebundenheit keiner ausdrücklichen Unterwerfungserklärung der Verbandsmitglieder. Hierfür genügt regelmäßig der Verbandsbeitritt. Darin kommt der Wille zum Ausdruck, sich an die vom Verband geschlossenen Tarifverträge zu binden (Sven-Joachim Otto NZA 1996, 624, 628). An der mitgliedschaftlichen Legitimation für die Tarifgebundenheit bestimmter Mitglieder fehlt es aber, wenn diese grundsätzlich nicht bereit sind, die Tarifverträge gegen sich gelten zu lassen.
(bb) Eine OT-Mitgliedschaft widerspricht grundsätzlich weder einfachem Recht noch Verfassungsrecht.
§ 3 Abs. 1 TVG schließt eine OT-Mitgliedschaft nicht generell aus. Die Norm regelt eine – wichtige – Rechtsfolge der Mitgliedschaft in einer Koalition, indem sie bestimmt, dass die Mitglieder an einen Tarifvertrag, den der Verband schließt, gebunden sind. Sie regelt aber nicht, wer Mitglied im Sinne der Bestimmung ist. Auch beschränkt sie nicht die Satzungsautonomie.
Allein durch die Eröffnung der Möglichkeit einer OT-Mitgliedschaft verstößt ein Verband nicht gegen seine Verpflichtung, die Mitglieder gleich zu behandeln. Zum einen steht den Verbandsmitgliedern die Wahl zwischen Voll- und OT-Mitgliedschaft frei. Die unterschiedlichen Rechte und Pflichten beruhen daher auf der freiwilligen Entscheidung des jeweiligen Mitglieds. Zum anderen werden die OT-Mitglieder gegenüber den Vollmitgliedern nicht in unzulässiger Weise benachteiligt oder bevorzugt. Mit der Tarifgebundenheit sind sowohl Rechte als auch Pflichten verknüpft. Daher kann dahinstehen, ob ein etwaiger Verstoß gegen den vereinsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz überhaupt Außenwirkung entfalten könnte.
Auch der Einwand, durch die Möglichkeit einer OT-Mitgliedschaft würde die Verhandlungsparität zwischen Arbeitgeberverband und Gewerkschaft in unzulässiger Weise zu Lasten der einen oder anderen Seite gestört (Zitate), greift nicht durch. Zwar setzt eine funktionierende Tarifautonomie voraus, dass zwischen den Tarifvertragsparteien ein ungefähres Kräftegleichgewicht besteht. Unvereinbar mit Art. 9 Abs. 3 GG wäre daher die Anerkennung der OT-Mitgliedschaft, wenn diese dazu führen würde, dass die Verhandlungsfähigkeit einer Tarifvertragspartei bei Tarifauseinandersetzungen einschließlich der Fähigkeit, einen wirksamen Arbeitskampf zu führen, nicht mehr gewahrt wäre (Zitate). Von einer strukturellen Störung der Verhandlungsparität durch jede Form der OT-Mitgliedschaft kann jedoch nicht generell ausgegangen werden.
Durch die Möglichkeit der OT-Mitgliedschaft als solcher entsteht entgegen der Auffassung von ver.di keine die Funktionsfähigkeit des Tarifsystems gefährdende Intransparenz. Anders als die Tarifzuständigkeit des Verbands, die anhand der Satzung zuverlässig feststellbar sein muss, muss die Tarifgebundenheit einzelner Mitglieder nicht unmittelbar erkennbar sein. Die Gewerkschaft mag ein berechtigtes Interesse daran haben zu wissen, welche Mitglieder des Arbeitgeberverbands an einen Tarifvertrag gebunden sind. Dieses Interesse steht jedoch der Zulässigkeit einer OT-Mitgliedschaft nicht entgegen. Die Frage der Tarifgebundenheit einzelner Arbeitgeber stellt sich nicht nur in Fällen einer OT-Mitgliedschaft, sondern in gleicher Weise, wenn es darum geht, ob ein Arbeitgeber überhaupt Mitglied des Verbands ist.
(cc) Ob Verbände in ihrer Satzung eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung einschränkungslos vorsehen können oder ob und ggf. in welchem Umfang die OT-Mitglieder von der tarifpolitischen Willensbildung des Verbands ausgeschlossen sein müssen und welche Fristen etwa bei einem Statuswechsel zum Schutze der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie einzuhalten sind, bedurfte im Streitfall keiner Entscheidung (vgl. dazu Oetker in Wiedemann § 3 Rn. 102; Sven-Joachim Otto NZA 1996, 624, 627, 628; Röckl DB 1993, 2382, 2383 f.; Thüsing/Stelljes ZfA 2006, 527, 552; Wilhelm/Dannhorn NZA 2006, 466, 471) .
b) Danach blieb der Einzelhandelsverband auch nach dem 21. Februar 2000 für den Arbeitgeber tarifzuständig. Dessen Schreiben vom 20. Februar 2000, in dem er den “Ausschluss der Tarifbindung” erklärte, beseitigte nicht die Zuständigkeit des Einzelhandelsverbands, Tarifverträge zu schließen, die im Falle der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers auch für diesen gelten. Der Einzelhandelsverband veränderte durch die im Jahre 1999 vorgenommenen Satzungsänderungen seine Tarifzuständigkeit nicht. Wie sich aus § 2 Nr. 1, § 3 Nr. 2 seiner Satzung ergibt, erstreckt sich sein Organisationsbereich und die damit verbundene Tarifzuständigkeit nach wie vor auf die Unternehmen des Einzelhandels, die Niederlassungen in Bayern betreiben oder eine mit dem Einzelhandel im Zusammenhang stehende Funktion oder Dienstleistung ausüben. Der in die Satzung neu eingefügte § 4a sollte nichts an der Tarifzuständigkeit ändern, sondern lediglich die Möglichkeit einer OT-Mitgliedschaft eröffnen.
aa) Bereits nach der Überschrift des § 4a der Satzung betrifft die Bestimmung nicht die Tarifzuständigkeit, sondern die „Tarifbindung”. Auch in ihr selbst geht es nicht um die in § 2 Nr. 1, § 3 Nr. 2 der Satzung geregelte Tarifzuständigkeit des Verbands, sondern um die Tarifbindung der Mitglieder. Diese sollen nach § 4a Satz 1 der Satzung bei Tarifverträgen, die nicht für allgemein verbindlich erklärt sind, den „Ausschluss der Tarifbindung” erklären können. Nach § 4a Satz 5 der Satzung sind die “nicht tarifgebundenen Mitglieder” nicht berechtigt, an der Abstimmung über tarifpolitische Entscheidungen mitzuwirken. Von „nicht tarifgebundenen” Mitgliedern oder Delegierten ist auch in den geänderten § 14 Nr. 4a Buchst. ff, § 32 Satz 2 und § 32a Nr. 1 Satz 5 der Satzung die Rede. Dagegen heißt es an keiner Stelle, die Tarifzuständigkeit des Verbands erstrecke sich nicht mehr auf diese Mitglieder.
bb) Auch der Zweck der Satzungsänderung lag erkennbar nur darin, eine OT-Mitgliedschaft zu ermöglichen, also eine Mitgliedschaft, mit der nicht die Tarifgebundenheit des § 3 Abs. 1 TVG einhergeht. Dabei soll ersichtlich den die Tarifbindung erweiternden gesetzlichen Regelungen des § 3 Abs. 3 TVG sowie des § 5 Abs. 4 TVG Rechnung getragen werden. Zum einen wird in § 4a Satz 1 der Satzung der „Ausschluss der Tarifbindung” auf Tarifverträge beschränkt, die nicht für allgemeinverbindlich erklärt sind. Zum anderen soll die Erklärung der Mitglieder nach § 4a Satz 3 der Satzung erst zum Ablauf der jeweils geltenden Tarifverträge wirken. Dies entspricht § 3 Abs. 3 TVG.
cc) Das Verständnis, nach dem durch die Satzungsänderung nicht die Tarifzuständigkeit des Einzelhandelsverbands geändert wurde, sondern lediglich die Möglichkeit einer OT-Mitgliedschaft eingeführt werden sollte, entspricht dem Grundsatz der möglichst gesetzeskonformen Auslegung. Wie ausgeführt, wäre der Verband rechtlich gehindert, seine Tarifzuständigkeit auf seine jeweiligen Mitglieder zu beschränken. (HM)