Verbändereport AUSGABE 8 / 2001

Offensive als Programm

Die Neuausrichtung der Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke

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1882 wurde der Vorgängerverband der Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke e.V. (wafg) in Berlin gegründet, damals unter dem Namen „Verband der Deutschen Mineralwasser-Fabrikanten.“ Es gibt nicht viele Branchenvertretungen in Deutschland, die auf eine 120jährige Geschichte zurückblicken können.

Im Herbst 1999 rief der neu gewählte Präsident Uller Muttke den Aufbruch zu neuen Ufern aus. Seine Zielvorstellung: Der Verband sollte unternehmerisch geführt und damit nach vorn gebracht werden. Konzentration auf das Kerngeschäft, Profilierung und Ergebnisorientierung lauteten einige der Stichworte zu Beginn seiner Amtsübernahme.

Am 1. Januar 2000 holte er als neuen Geschäftsführer Dr. Andreas Stücke an Bord, der zuvor bei Kienbaum in der Politikberatung tätig war. Und um die gesteckten Ziele zu erreichen, wagte die Verbandsführung grose Schritte.

Neuer Name, neue Ziele

Mehr als 200 Unternehmen mit rund 20.000 Mitarbeitern sind in der Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke vertreten, darunter Coca-Cola, Pepsi Cola, Sinalco, Apollinaris und Schweppes. Zusammen erwirtschafteten sie im Jahr 2000 einen Umsatz von über sieben Milliarden DM. Angeregt durch Präsident Uller Muttke setzte im Frühjahr 2000 im Verband, der zu diesem Zeitpunkt noch Bundesverband der Deutschen Erfrischungsgetränke-Industrie (BDE) hies, eine intensive interne Diskussion über Selbstverständnis und Service der Interessenvertretung ein. Am Ende stand eine fundamentale Neuausrichtung, diese wurde letztendlich ausgelöst durch die Ergebnisse einer Mitgliederbefragung zu Stärken und Schwächen des BDE. 

Die Ansatzpunkte für die Verbandsreform konzentrierten sich auf drei Kernbereiche:

1. Der Verband erhält einen neuen Namen

Der Auftritt unter dem Namen „Erfrischungsgetränke-Industrie“ spiegelte die aktuelle Marktsituation nicht mehr wider. Denn längst produzieren viele der Mitgliedsunternehmen mehr als nur Erfrischungsgetränke. Sie decken mit ihren Produkten alle Kategorien Alkoholfreier Getränke ab: Erfrischungsgetränke sowie (Mineral-)Wasser, Fruchtsäfte und –nektare.

Darüber hinaus wurde in der Diskussion wieder deutlich, dass sich viele neue Trendgetränke den traditionellen Kategorien nicht mehr trennscharf zuordnen lassen. Eines haben die Produkte der Mitgliedsunternehmen jedoch gemeinsam: Sie sind alkoholfrei. Der neue Verbandsname „Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke e.V.“ , seit Anfang 2001 offiziell, schafft für diesen Umstand eine unmissverständliche Klammer.

2. Neuer Standort Berlin

Die Mitglieder ließen in der Befragung eine eindeutige und vorrangige gemeinsame Interessenlage erkennen: Die Mitsprache bei politischen Entscheidungsprozessen, die die Interessenvertretung zum Teil existenziell betreffen. Diese Gemeinschaftsaufgabe kann nur der Verband übernehmen. Mit dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin war der bisherige Standort Bonn nicht mehr zeitgemäß. Um wirksame Lobbyarbeit zu leisten, musste der Standort des Verbandes wieder Berlin sein.

Sowohl für den neuen Namen als auch für den neuen Standort Berlin stimmten 87 Prozent der Mitglieder.

3. Profilschärfung

Die bisherige Kommunikation des Verbandes war eher reagierend das Profil unscharf. Inzwischen arbeiten die Gremien der Wirtschaftsvereinigung an einer exakten von Positionsbestimmungen im Bereich der Ernährungs- und Umweltpolitik und intensivieren parallel hierzu die Kontakte zu Politik und Medien. Erklärtes Ziel ist es, die Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke als eine unverwechselbare Stimme der deutschen Ernährungsindustrie zu positionieren.

„Die Analyse unserer Aufgaben hat uns eines ganz deutlich gemacht: Wir sind eine klassische Interessenvertretung. Dieses Selbstverständnis ist tief in unserer Tradition verwurzelt. Um unsere Ziele durchzusetzen, müssen wir dort sein, wo Politik und Medien präsent sind, also in Berlin“, so Präsident Uller Muttke. Sieben Monate nach der Entscheidung der Mitgliederversammlung für Berlin wurden im Mai 2001 die neuen Büroräume in der Friedrichstraße 231 bezogen. Bereits im Juni 2001 stand ein Termin mit hochrangigen Vertretern des Bundesministeriums für Verbraucherschutz und Ernährung auf dem Programm, hier wurde ein dauerhafter Dialog vereinbart. 

 

Der Vorstand des wafg

Engagement auf vielen Feldern

Hauptgeschäftsführer Dr. Andreas Stücke umschreibt prägnant das Hauptmotiv vieler Unternehmen, in den Ausschüssen der Wirtschaftsvereinigung die Politik der Interessenvertretung mitgestalten zu dürfen: „Sprechen wir nicht für uns, bestimmen andere über uns.“ Das Engagement der Gremien und der Mitarbeiter in der Geschäftsstelle richtet sich dabei an die Politik in den Bereichen:

  • Ernährung
  • Umwelt und Verpackung
  • Wirtschaft und Wettbewerb
  • Arbeit und Soziales

Da die Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke nicht nur als Wirtschaftsfach-, sondern auch als Arbeitgeberverband organisiert ist, nimmt darüber hinaus die Tarifpolitik einen breiten Raum in der Verbandsarbeit ein. Es gibt in Deutschland acht Tarifregionen, um den regionalen Unterschieden gerecht zu werden. Gesteuert werden alle acht Tarifregionen von der Geschäftsführung der Wirtschaftsvereinigung in Berlin. Als eines der jüngsten Projekte steht der Vertrag über eine tarifliche Altersvorsorge vor dem Abschluss. 

 

Hauptgeschäftsführer Dr. Andreas Stücke

Der Service: Information, Beratung, Gestaltung

Auch die Anpassung der Serviceleistungen an die Bedürfnisse der Unternehmen geht auf die Mitgliederbefragung im Frühling 2000 zurück. „Wir konzentrieren uns heute auf drei Dienstleistungsbereiche, die dem gestiegenen Informationsbedarf der Unternehmen und dem Wunsch nach einer Intensivierung der Lobbyarbeit nachkommen,“ skizziert Stücke die Servicebausteine der Wirtschaftsvereinigung.

Baustein Nr. 1 sind Informationen über die nationale und internationale Branchenentwicklung. Neben den Daten über das aktuelle Marktgeschehen werden Nachrichten über branchenbezogene politische Entwicklungen in Berlin und Brüssel aufbereitet und bewertet. Diese Informationen werden heute im monatlichen Informationsdienst verbreitet, sollen aber sehr bald noch aktueller im mitgliedergeschützten Bereich des Internet-Auftritts angeboten werden. Regionalkonferenzen und Seminarangebote zu Spezialthemen der Branche runden die Informationsdienstleistungen der Wirtschaftsvereinigung ab.

Der zweite Servicebaustein ist die unternehmensindividuelle Beratung vorrangig im Bereich Lebensmittelrecht. Hier suchen die Mitglieder Expertenrat, den die Wirtschaftsvereinigung zur Verfügung stellt. Selbstverständlich gehört zum Leistungsportfolio des Verbandes auch die Beratung in arbeitsrechtlichen Fragen.

Anspruchsvolle dritte Servicekomponente ist die Gestaltung der weiteren Entwicklung der AFG-Branche in einem engmaschigen Lobbynetzwerk durch intensiven Austausch mit allen branchenrelevanten Akteuren in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien. In den Gremien der wafg werden die Kernbotschaften formuliert, mit denen sich der Verband nach außen artikuliert. Jeweils im Frühjahr und Herbst treten die Ausschüsse (Hauptausschuss, Lebensmittelrecht, Sozialpolitik und Technik) zusammen und legen dem Präsidium ihre Empfehlungen vor. Dabei werden auch die Brüsseler Meetings des europäischen Dachverbandes UNESDA vorbereitet, um auch europaweit mit einer Stimme zu sprechen. 

Aktuelle Arbeitsschwerpunkte

Die Mitgliedsunternehmen der wafg wenden gegen jede Form staatlicher Marktregulierung, soweit diese nicht dem Schutz der Verbraucher vor gesundheitlichen Gefahren oder dem Schutz vor Täuschung dient. Diese marktliberale Grundhaltung gerät

in Konflikt mit einem regulierungsfreundlichen Umfeld.

So wendet sich die Wirtschaftsvereinigung aktuell gegen Bestrebungen, die Anreicherung von Lebensmitteln mit Vitaminen und Mineralstoffen einzuschränken oder zu untersagen. A-C-E-Getränke oder Mineralstoffgetränke sind längst keine Nischenprodukte mehr, sondern erfreuen sich bei den Verbrauchern großer Beliebtheit. Angesichts der wachsenden Bedeutung alkoholfreier Getränke mit Zusatznutzen sind restriktive Anreicherungsregeln eine ernstzunehmende Bedrohung für die weitere Entwicklung der Branche.

Darüber hinaus setzt sich die wafg mit den Nachbarverbänden der zuckerverarbeitenden Industrien in Deutschland und Europa derzeit für eine grundlegende Reform der europäischen Zuckermarktordnung ein. Die planwirtschaftliche Regulierung des Produkts Zucker verteuert den europäischen Zucker im Vergleich zum Weltmarktpreis um das Dreifache. Der EU-Rechnungshof rechnete kürzlich vor, dass die Verbraucher in Europa jährlich mit 6,3 Milliarden Euro für die Subvention zur Kasse gebeten werden und kritisierte die kartellähnlichen Zustände im Zuckersektor. Die zuckerverarbeitenden Unternehmen der AFG-Branche, die mit ihren Produkten einem scharfen Wettbewerb ausgesetzt sind, wollen die künstlich überhöhten Zuckerpreise und die Monopolstrukturen in der Zuckerindustrie nicht länger akzeptieren.

Im Bereich Umwelt und Verpackung sind sich die in der Wirtschaftsvereinigung vertretenen Unternehmen in ihrer großen Mehrheit darin einig, dass die Einführung des Zwangspfandes auf Einweg ein untauglicher Versuch ist, das Mehrwegsystem zu stabilisieren. Insofern registrierte die Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke mit Genugtuung, dass die Pläne der Bundesregierung im vergangenen Sommer im Bundesrat keine Mehrheit fanden. „Das Zwangspfand ist ein milliardenschweres Bürokratiemonster, dessen Folgen bis heute niemand plausibel prognostizieren kann. Wir haben neben vielen anderen Akteuren einen bescheidenen Beitrag dazu geleistet, dieses vorerst zu verhindern,“ reklamiert Uller Muttke für die wafg.

Ein Ausblick

Die Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke hat sich zur Runderneuerung in den vergangenen zwei Jahren in hohem Umfang mit sich selbst beschäftigt. Dieser aus Sicht aller Beteiligten notwendige Prozess gilt heute als weitgehend abgeschlossen, der Perspektivenwechsel nach außen ist längst vollzogen. Die Grundlagen für eine erfolgversprechende Interessenvertretung sind gelegt. Dennoch soll auch in Zukunft regelmäßig überprüft werden, ob die Organisation neuen Rost ansetzt. Das letzte Wort haben bei dieser Beurteilung die Mitglieder. Die nächste Mitgliederbefragung folgt 2003.

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