Obwohl schon seit 2002 geltendes Recht, ist die Ausschüttungsfiktion bei Wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben (WGB) mit ihren steuerlichen Auswirkungen bei vielen Verbänden immer noch völlig unbekannt. Dass diese Regelung nicht bloß auf dem Papier steht, zeigt sich jetzt in unangenehmer Weise bei steuerlichen Betriebsprüfungen.
Seit 2002 gilt die Regelung, dass unter bestimmten Voraussetzungen bei Wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben (WGB) von Berufsverbänden und gemeinnützigen Verbänden der in dem WGB erwirtschaftete Gewinn automatisch als an den ideellen Verbandsbereich ausgeschüttet gilt (Ausschüttungsfiktion). Negative Konsequenz: Diese fiktive Ausschüttung wird grundsätzlich mit einer definitiv wirkenden Kapitalertragsteuer von 10 Prozent belastet. Der Verband hat eine entsprechende Kapitalertragsteuer-Anmeldung bei seinem Finanzamt einzureichen. Dasselbe gilt unter bestimmten Voraussetzungen für Betriebe gewerblicher Art (BGA) von Körperschaften des öffentlichen Rechts. Nur gemeinnützige, mildtätige und kirchliche Körperschaften sowie die Kirchen bleiben vor dieser Steuer verschont (§ 44 a Abs. 7 EStG).
Unübersichtlich wird die gesamte gesetzliche Regelung dadurch, dass die Ausschüttungsfiktion nicht für alle Verbände relevant ist. Vielmehr greift die Ausschüttungsfiktion nur ein, wenn
- der WGB bzw. BGA seinen Gewinn durch Bilanzierung (sog. Bestandsvergleich) ermittelt, oder
- der Umsatz des WGB bzw. BGA den Betrag von 360.000 Euro im Jahr überschreitet, oder
- der Gewinn des BGA bzw. BGA den Betrag von 30.000 Euro im Jahr überschreitet, und
- der Jahresgewinn nicht zulässigerweise einer Rücklage im WGB bzw. BGA zugeführt wird.
Die Unkenntnis vieler Verbände über diese Regelungen beruht nicht zuletzt auf einer heillos unübersichtlichen Gesetzestechnik mit zahllosen Verweisungen. Selbst erfahrene Steuerberater verheddern sich bisweilen in diesem Regelungsdickicht.
Darüber hinaus wirft die gesamte Regelung aber auch viele Zweifelsfragen auf, die die Finanzverwaltung bisher in zwei BMF-Schreiben (vom 11.9.2002, BStBl 2002 I 935 und vom 8.5.2005, BStBl 2005 I 831) in den Griff zu bekommen suchte. Diese BMF-Schreiben betreffen die BGA von Körperschaften des öffentlichen Rechts. Mit einem weiteren Schreiben vom 10.11.2005 (Aktenzeichen IV B 7 – S 2706a – 6/05; Veröffentlichung im BStBl ist vorgesehen) nimmt das Bundesfinanzministerium nun zu Fragen Stellung, die bei WGB privatrechtlicher steuerbefreiter Verbände (insbesondere auch Berufsverbänden und gemeinnützigen Verbänden) auftreten können.
Folgende Äußerungen des BMF sind hervorzuheben:
- Ausgangsgröße für die fiktive Ausschüttung ist der Gewinn des WGB, der verbleibt, nachdem die auf diesen Gewinn entfallenden Ertragsteuern (KSt + GewSt) abgezogen worden sind.
- Wird Vermögen des WGB für den steuerbefreiten Bereich des Verbandes verwendet, so führt dies zu Entnahmen aus dem WGB. Diese Entnahmen dürfen den Gewinn des WGB nicht mindern.
- Unterhält ein Verband mehrere WGB, so kommt es auf das Gesamtergebnis aller WGB an; mit anderen Worten: die Ergebnisse aller WGB sind zusammenzufassen.
- Der Gewinn des WGB gilt auch dann als durch Bilanzierung ermittelt, wenn der Verband für den WGB keine gesonderte Bilanz erstellt, sondern für alle verbandlichen Betätigungsbereiche einen einheitlichen Betriebsvermögensvergleich erstellt.
- Ist der Verband an einer (gewerblichen) Personengesellschaft beteiligt, so stellt die Beteiligung einen eigenständigen WGB dar. Bilanziert diese Personengesellschaft, so schlägt dies auf den Verband durch.
- Ist der Verband an einer (gewerblichen) Personengesellschaft beteiligt und beträgt der dem Verband zuzurechnende Anteil am Gewinn bzw. Umsatz die Größen von 30.000 Euro bzw. 360.000 Euro, so gilt ebenfalls die Ausschüttungsfiktion, es sei denn, es wird eine zulässige Gewinnrücklage gebildet.
Das neue BMF-Schreiben lässt erwarten, dass es künftig im Anschluss an Betriebsprüfungen häufiger zu Rechtsstreitigkeiten mit den zuständigen Finanzämtern über die Frage der Ausschüttungsfiktion und die daraus folgende Kapitalertragsteuerbelastung kommen wird. Denn die Auffassung des BMF erscheint in einzelnen Punkten durchaus kritikwürdig. Dies gilt insbesondere für die Auffassung, die Aufstellung einer einheitlichen Gesamtbilanz für alle verschiedenen Tätigkeitsbereiche des Verbandes sei gleichbedeutend damit, dass auch der Gewinn des WGB durch einen Bestandsver-gleich ermittelt werde.
Insgesamt hat man den Eindruck, dass eine bereits im Ansatz unausgegorene Gesetzesregelung nunmehr eine Fülle ebenso unausgegorener Verwaltungsregelungen nach sich zieht – das exakte Gegenteil einer Steuervereinfachung! (WE)