Verbändereport AUSGABE 6 / 2012

Neues BFH-Urteil zu Berufsverbänden klärt Zweifelsfragen

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Es kommt nicht oft vor, dass der Bundesfinanzhof zu Fragen der Besteuerung von Berufs- und Wirtschaftsverbänden Stellung nimmt. Daher ist das neueste Urteil (vom 13.3.2012, Aktenzeichen: I R 46/11, veröffentlicht in BFH/NV 2012, S. 1182) von besonderem Interesse.

Der Sachverhalt

Kläger ist ein rechtsfähiger Verein. Mitglied des Vereins kann jede natürliche oder juristische Person des privaten und öffentlichen Rechts werden, die Hersteller von Software für den Energiemarkt, Dienstleister auf dem Sektor der Energiewirtschaft oder Anwender der vorgenannten Software ist. Im Streitjahr waren 55 Firmen Mitglieder des Klägers. Der Kläger verfolgt das Ziel, alle marktrelevanten Geschäftsprozesse des Energiemarktes vollständig und vollautomatisch abwickeln zu können, unabhängig von den jeweils eingesetzten EDV-Systemen und über Unternehmensgrenzen hinweg. Die Mitglieder sollen die EDV-seitige Standardisierung von Geschäftsprozessen im Energiemarkt vorantreiben. Insbesondere sollen Standards zur Formatierung von Datenströmen und Dateien sowie zum Aufbau von Kommunikationswegen einheitlich von allen Mitgliedern umgesetzt werden. Der Kläger verfolgt zudem marktorientierte Ziele, die im Interesse sowohl der Mitglieder wie auch ihrer Zielgruppen liegen. Dies sind beispielsweise die Schaffung von Investitions- und Entscheidungssicherheit bei den Anwendern, die Sicherung der Produktqualität im Bereich der Kommunikation sowie die Optimierung des Entwicklungsaufwands der Hersteller von Software für den Energiemarkt, insbesondere auch in Form der Bereitstellung und Pflege von Testanlagen.

Kläger macht geltend, er sei gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 5 KStG 2002 steuerbefreit. Er trägt u. a. vor, er vertrete die Interessen seiner Mitgliedsunternehmen national und international gegenüber Politik, Ministerien, Behörden, Gerichten, der Öffentlichkeit sowie insbesondere gegenüber der Energieagentur, die im Idealfall die vom Kläger entwickelten Vorschläge bezüglich der EDV-Standards übernehme und allgemein verbindlich für alle Unternehmen dieser Sparte vorschreibe. Der Nutzen der Nichtmitglieder bestünde darin, dass deren Geschäftsabläufe dadurch optimiert
würden.

Weder das Finanzamt noch das Gericht erster Instanz erkannten den Kläger als Berufsverband an. Der Bundesfinanzhof gibt jedoch dem Kläger Recht, im Wesentlichen mit folgender Begründung:

1. Berufsverbände müssen keine branchenidentischen Mitglieder haben

Der BFH definiert den Kreis möglicher Mitglieder eines Berufsverbandes weiter als bisher angenommen und präzisiert damit zugleich den steuerlichen Begriff des Berufsverbandes. Das Körperschaftsteuergesetz selbst enthält keine Definition des Begriffs „Berufsverband“. § 5 Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 KStG lässt jedoch erkennen, dass eine Körperschaft des privaten Rechts nur dann ein Berufsverband i. S. des § 5 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 KStG  ist, wenn sie allgemeine ideelle und wirtschaftliche Interessen eines Wirtschaftszweiges oder der Angehörigen eines Berufs wahrnimmt.

Dementsprechend ist nach der bisherigen, langjährig bestätigten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ein Berufsverband im Sinne des Steuerrechts ein Zusammenschluss natürlicher Personen oder Unternehmen, der allgemeine, aus der beruflichen oder unternehmerischen Tätigkeit erwachsende ideelle und wirtschaftliche Interessen eines Wirtschaftszweiges oder der Angehörigen eines Berufs wahrnimmt. Die Finanzverwaltung hat sich dieser Definition angeschlossen (R 16 Abs. 1 Satz 1der Körperschaftsteuer-Richtlinien 2004). Nach der Rechtsprechung müssen wirtschaftliche Interessen aller Angehörigen des Berufs oder Wirtschaftszweiges wahrgenommen und nicht nur Interessen einzelner Angehöriger des Berufs oder Wirtschaftszweiges (sog. Individualinteressen) vertreten werden.

Im Streitfall ging es insbesondere um die Auslegung des Begriffspaars „Beruf oder Wirtschaftszweig“. Wäre damit nur eine homogene Berufs- oder Wirtschaftszweigstruktur angesprochen (wie es die Vorinstanz gesehen hatte), so hätte der Kläger auch vor dem BFH verlieren müssen. Der BFH legte dieses Begriffspaar allerdings weit aus:

„Es ist nicht erforderlich, dass die Mitglieder aus derselben Branche stammen. Auch Mitglieder verschiedener, nicht verwandter Zweige der gewerblichen Wirtschaft (wie z. B. die Mitglieder einer Fachgruppe) können sich in einem Verband zusammenschließen. Notwendig für die Anerkennung eines Zusammenschlusses als Berufsverband ist nur, dass sich dessen Mitglieder durch ein gemeinsam zu verfolgendes, ihren Berufsgruppen oder Wirtschaftszweigen eigenes Interesse vereint haben.“

Im Streitfall verfolgte der Kläger branchenübergreifende Rationalisierungs-, Produktsicherheits- und Standardisierungszwecke. Ein solcher Zusammenschluss stellt daher einen Berufsverband dar. Es ist dann unschädlich, dass die Tätigkeit des Verbandes unterschiedlichen Berufsgruppen (z. B. Hersteller, Dienstleister oder Anwender) zugutekommt.

Dazu der BFH:

„Die Mitglieder des Klägers kommen zwar aus unterschiedlichen Wirtschaftszweigen. Sie sind jedoch sämtlich entweder unmittelbar in der oder für die Energiewirtschaft tätig. Ihre gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen folgen daraus, dass sie über den Kläger die EDV-seitige Standardisierung von Geschäftsprozessen im Energiemarkt anstreben. Es sollen alle marktrelevanten Geschäftsprozesse des Energiemarktes vollständig und vollautomatisch abgewickelt werden können, unabhängig von den jeweils eingesetzten EDV-Systemen. Dieses Anliegen vertritt der Kläger insbesondere gegenüber der Energieagentur, die im Idealfall die Vorschläge des Klägers bezüglich der EDV-Standards übernimmt und allgemein verbindlich für alle Unternehmen dieser Sparte vorschreibt. Damit fördert er nicht unmittelbar den Erwerb des einzelnen Mitglieds, sondern dient den wirtschaftlichen Belangen aller Unternehmen, die entweder in der Energiewirtschaft tätig sind oder EDV für die Energiewirtschaft entwickeln. Denn durch eine Vereinheitlichung der EDV-Standards ergäben sich für sämtliche in diesen Bereichen tätigen Unternehmen Vorteile, weil hierdurch Kosten erspart, Investitionssicherheit erlangt und die Qualität der Leistungen im Bereich … verbessert würden.“

2. Mittelbare wirtschaftliche Vorteile für Verbandsmitglieder schaden der Berufsverbandseigenschaft nicht

Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Verband nicht als Berufsverband anzuerkennen, wenn er nur Interessen einzelner Angehöriger des betreffenden Berufs oder Wirtschaftszweigs (sog. Individualinteressen) wahrnimmt. Im Streitfall war es so, dass die Mitglieder des Verbandes in besonderem Maße davon profitieren würden, wenn sich die von ihrem Verband präferierten Standards allgemein durchsetzen würden. Der BFH sah in diesem Umstand jedoch keine steuerschädliche Wahrnehmung von Individualinteressen:

„Es ist für einen Berufs- oder Wirtschaftsverband typisch, dass er die allgemeinen wirtschaftlichen Interessen eines Berufsstands (Berufszweiges) oder eines Industriezweiges gegenüber den gesetzgebenden Körperschaften, gegenüber den Verwaltungsbehörden usw. vertritt, seine Wünsche als eine gemeinsame einheitliche Vertretung geltend macht und – wenn möglich – durchsetzt. Dass sich dies wirtschaftlich insbesondere für die Mitglieder des Berufsverbands auszahlt, weil diese über ihre Mitgliedschaft gegenüber anderen Unternehmen derselben Branche einen Informationsvorsprung haben und ihre eigenen Vorstellungen in den Berufsverband einbringen konnten, folgt aus der Natur des Berufsverbands. Werden allgemeine wirtschaftliche Ziele eines Berufs- oder Wirtschaftszweiges verfolgt, schlägt sich dies im Falle des Erfolgs nahezu zwangsläufig wirtschaftlich auch bei den einzelnen Mitgliedern günstig nieder und kann daher der Steuerbefreiung nicht entgegenstehen. Gleichwohl ist das Wirken des Berufsverbands und damit auch des Klägers für sämtliche in ihm vertretenen Berufsstände von Vorteil, weil die Standardisierung von EDV-Prozessen und die Weiterleitung von Datenströmen unabhängig von der jeweils eingesetzten Software allen Unternehmen und auch dem Endverbraucher nützen.“

Der BFH sieht also als entscheidend an, ob die angestrebten Maßnahmen bzw. Erfolge im Prinzip allen Angehörigen der betreffenden Berufs- oder Wirtschaftskreise zugutekommen, und zwar unabhängig davon, ob diese Mitglied des Verbandes sind oder nicht.

3. Ein Berufsverband muss nicht notwendigerweise ideelle Ziele verfolgen

Nach der allgemein anerkannten Definition des Berufsverbandsbegriffs ist die „Wahrnehmung ideeller und wirtschaftlicher Interessen“ kennzeichnend für einen Berufsverband. Im Streitfall verfolgte der klagende Verband jedoch ausschließlich wirtschaftliche Ziele. Sollte dies die Berufsverbandseigenschaft ausschließen? Der BFH verneint diese Frage:

„Die Norm ist … nicht dahingehend auszulegen, dass ein Verband nur dann ein Berufsverband i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 5 KStG 2002 ist, wenn er sowohl ideelle als auch wirtschaftliche Interessen eines Wirtschaftszweiges oder der Angehörigen eines Berufs vertritt. Es reicht aus, wenn allgemeine Interessen wirtschaftlicher Art wahrgenommen werden. Denn die Wahrnehmung allgemeiner wirtschaftlicher Interessen ist zugleich eine Vertretung ideeller Interessen i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 5 KStG 2002 …“

Diese Gleichsetzung wirtschaftlicher mit ideellen Interessen ist rein begriffslogisch bemerkenswert, weil sich diese Begriffe nach normalem Verständnis gegenseitig ausschließen. Aus Sicht der Berufsverbände ist diese Rechtsprechung jedenfalls uneingeschränkt zu begrüßen. Es bleibt jedoch die vereinsrechtliche Problematik, ob ein eingetragener Verein, der ausschließlich wirtschaftliche Ziele verfolgt, gem. § 21 BGB überhaupt zulässig ist und nicht etwa eine Rechtsformverfehlung vorliegt. Steuerlich ist diese Frage allerdings ohne Bedeutung.

4. Die Satzung eines Berufsverbandes muss nicht den strengen Anforderungen des Gemeinnützigkeitsrechts genügen

Das Finanzgericht hatte die Klage in erster Instanz u. a. mit der Begründung abgewiesen, die Satzung des Verbandes entspreche nicht den strengen formalen Anforderungen des Gemeinnützigkeitsrechts (§ 60 AO). Der BFH stellt klar, dass die Vorschrift des § 60 AO für Berufsverbände keinerlei Bedeutung hat:

„Die Steuerbefreiung des Klägers ist entgegen der Auffassung des FG nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Satzung nicht ausdrücklich bestimmt, dass nicht allein die Interessen der Mitglieder wahrgenommen werden. § 60 der Abgabenordnung (AO), der die Steuerbefreiung davon abhängig macht, dass die Satzungszwecke und die Art ihrer Verwirklichung so genau bestimmt sein müssen, dass aufgrund der Satzung geprüft werden kann, ob die satzungsmäßigen Voraussetzungen für die Steuervergünstigungen gegeben sind, gilt nur für Körperschaften, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 AO). Für Körperschaften, die nicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG (§ 3 Nr. 6 des Gewerbesteuergesetzes), sondern aufgrund anderer Regelungen von der Körperschaftsteuer oder der Gewerbesteuer befreit sind, ist § 60 AO nicht einschlägig. Daher gelten auch die Ausführungen des Senats im Senatsurteil vom 6. Oktober 2009 I R 55/08 (BFHE 226, 525, BStBl II 2010, 335) nicht für den Streitfall. Die unterschiedliche Behandlung von gemeinnützigen Unternehmen einerseits und Berufsverbänden andererseits gründet darin, dass sich bei gemeinnützigen Unternehmen die Steuerbefreiung auch auf wirtschaftliche Tätigkeiten erstrecken kann und diese darüber hinaus die Berechtigung zum Spendenabzug vermittelt. Dies erfordert nach Ansicht des Gesetzes auch Nachweise formeller Natur, um Missbräuchen entgegenzuwirken. Bei anderen als gemeinnützigen Körperschaften bestimmt sich die Steuerbefreiung jedoch insbesondere nach der tatsächlichen Geschäftsführung (BFH-Urteil in BFHE 56, 572, BStBl III 1952, 221), wobei die Satzung einen wichtigen Anhalt dafür bietet, welche Zwecke tatsächlich verfolgt werden.“

Der Auffassung des BFH, dass § 60 AO für Berufsverbände nicht gilt, ist zuzustimmen. Allerdings bleibt eine gewisse Unklarheit, welche Rolle die Formulierung des satzungsmäßigen Zwecks für die Anerkennung der Berufsverbandseigenschaft spielt. In dem jetzigen Urteil wertet der BFH die Zweckformulierung als Indiz für die tatsächliche Betätigung des Verbandes. Dies hat der BFH nicht immer so gesehen. Zeitweilig hatte der BFH entschieden, dass es allein auf die tatsächliche Betätigung des Verbandes ankomme, wenn es um die Frage geht, ob er sich als Berufsverband betätigt hat. In der neuen Entscheidung wurde diese Auffassung relativiert.

Richtigerweise kommt es ausschließlich darauf an, ob ein Verband allgemeine ideelle und wirtschaftliche Interessen eines Berufsverbands oder Wirtschaftszweigs tatsächlich wahrnimmt, selbst wenn dies in der Satzung nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt. In Fällen, in denen sich Inhalt und Ziel der tatsächlichen Betätigung des Verbandes nicht hinreichend sicher feststellen lassen, mag die Zweckformulierung in der Satzung hilfsweise herangezogen werden. Letztlich ist aber auch der ausformulierte Satzungszweck für die Steuerbefreiung des § 5 Abs. 1 Nr. 5 KStG ohne Bedeutung, wenn die tatsächliche Betätigung des Verbandes im Unklaren bleibt.

Nicht zu entscheiden hatte der BFH über die allgemeine Frage, ob und inwieweit Vorschriften des Gemeinnützigkeitsrechts (§§ 51 ff. AO) auch – analog – auf Berufsverbände angewandt werden dürfen, wie dies gelegentlich im Schrifttum vertreten wird. Diese Auffassung ist jedoch abzulehnen. Die Vorschriften der Abgabenordnung über steuerbegünstigte Körperschaften enthalten ein Sonderrecht, das ausschließlich für gemeinnützige, mildtätige und kirchliche Körperschaften gilt. Deren Steuerbefreiung ist in § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG – völlig unabhängig von der Steuerbefreiung der Berufsverbände – geregelt. Die Ausführungen des BFH zu den grundsätzlichen Unterschieden zwischen Berufsverbänden einerseits und gemeinnützigen Körperschaften andererseits lassen den Schluss zu, dass auch der BFH einer Anwendung gemeinnützigkeitsrechtlicher Vorschriften auf Berufsverbände ablehnend gegenübersteht.

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Autor/in

Winfried Eggers

erlernte das „Steuerhandwerk” als Regierungsrat in der Verwaltung in NRW. Er war danach neun Jahre Finanzrichter beim Finanzgericht Köln. Bis Mitte 1998 war er in der Steuerabteilung des BDI tätig. Seither ist Dr. Eggers niedergelassener Anwalt mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Steuerrecht für Verbände und Organisationen in Köln.