Verbändereport AUSGABE 3 / 2006

Netzwerkanalyse

Logo Verbaendereport

Klaus Liepelt, der frühere Chef von Infas und ein Pionier der politischen Demoskopie in Deutschland, hat kürzlich mit Haiko Lietz ein neues Verfahren zur Einflussforschung vorgestellt. Die Autoren analysierten hierzu mit Hilfe einer neuartigen „Netzwerkanalyse“ die informellen – oft fraktionsübergreifenden – Einflussströme im 15. Deutschen Bundestag. Im Mittelpunkt standen hierbei nicht die üblichen Matadore, wie Mitglieder der Bundesregierung, Fraktionsvorsitzende und Fraktions- und Ausschussvorsitzende, sondern die zahllosen „No Names“ im Parlament.

Mit dem Verfahren der Netzwerkanalyse lassen sich auch die informellen Strukturen und Beziehungen identifizieren, die sachlich begründete Absprachen zwischen den Abgeordneten begünstigen. In den Ausschüssen treffen Parlamentarier aufeinander, die zwar in die Machtstrukturen ihrer Fraktionen eingebunden sind, die darüber hinaus aber mit den anderen Ausschussmitgliedern zahlreiche fachliche, berufliche und persönliche Erfahrungen und Interessen teilen. Diese bringen sie in die ihnen vorgegebene Aufgabe der Konsensfindung ein.

Die Autoren gehen davon aus, dass es für die Konsensfindung kein allgemein gültiges Muster gibt, sondern dass man in verschiedenen Politikfeldern jeweils unterschiedliche Entscheidungsstrukturen antrifft. Daher wurden in einem zweiten Analyseschritt zunächst die fünf parlamentarischen Gestaltungsbereiche jeweils einzeln unter die Lupe genommen, um die informellen Erfahrungs- und Interessenstrukturen der Ausschussmitglieder kennen zu lernen.

Die dabei verwendeten Quellen sind für alle die gleichen. Nach der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags sind leitende Funktionen in Gesellschaften und anderweitigen Einrichtungen sowie Beraterverträge und Unternehmensbeteiligungen anzugeben. So lassen sich Beziehungen von Politikern über Vereine, Stiftungen, Verbände und Unternehmen systematisch betrachten. Da die Abgeordneten ihre öffentliche Berichtspflicht und ihr eigenes Berichtsinteresse unterschiedlich auslegen, wurden in Einzelfällen Angaben auch aus anderen öffentlich zugänglichen Quellen verwendet. Auf diese Weise findet man Hinweise auf informelle Netzwerke, die über Parteigrenzen hinweg für die Konsensbildung von Belang sind.

Hierzu wurden in fünf Themenbereichen die sich überschneidenden Mitgliedschaften und Vertretungen der Abgeordneten systematisch empirisch untersucht. Die Themenkreise waren „Außen- und Sicherheitspolitik“, „Wirtschafts- und Finanzpolitik“, „Innenpolitik“, „Sozialpolitik“ und „Forschungs-, Verkehrs- und Umweltpolitik“. Das folgende Schaubild zeigt die thematische Verflechtung und wechselseitige Beeinflussung dieser Themenbereiche in der laufenden Parlamentsarbeit.

Diese sachliche Verflechtung wurde von den Autoren anschließend personalisiert, indem Funktionen und Aufgaben einzelner Abgeordneter am Beispiel der Außen- und Verteidigungspolitik untersucht wurden. Hierbei wurden auch leitende Funktionen in außerparlamentarischen Organisationen, die von den Abgeordneten wahrgenommen werden, berücksichtigt. Teilweise ließen sich diese Angaben dem Handbuch des Deutschen Bundestages, teilweise sonstigen Quellen entnehmen.

Das Bild auf der rechten Seite zeigt den Themenkreis „Außen- und Sicherheitspolitik“ anhand eines personellen Netzwerkes von 70 Abgeordneten.

Das komplexe Kommunikationsmodell der parlamentarischen Arbeit, das den Autoren als Hilfsmittel zum Verständnis der Kommunikationsprozesse dienen soll, beleuchtet die Beziehungen zwischen den beteiligten Akteuren und die Regeln, nach denen die Kommunikationsprozesse zwischen ihnen ablaufen. Diese Bausteine können sich je nach Fragestellung in einem Kaleidoskop nach gewissen Regeln immer wieder andersartig zu einem neuen Gesamtbild zusammensetzen.

Was leistet die Netzwerkanalyse?

Die Netzwerkanalyse steht noch am Anfang ihrer sozialwissenschaftlichen Anwendung. Schon jetzt ist aber sicher, dass sie in bisher nicht gewohnter Weise die systematische Bewertung von Einflusspotentialen und von Beeinflussungs-Chancen erlaubt. Sie schafft daher nicht nur für Wähler und Gewählte, sondern auch für Interessenvertreter mehr Transparenz.

Nach Liepelt erlaubt die Netzwerkanalyse auch „Brücken zwischen den Lagern“ zu finden. Denn es ist bekannt, dass bei der Kompromissfindung zwischen verschiedenen Lagern meist Personen eine zentrale Rolle spielen, die über lockere Beziehungen zu Personen in Netzwerken der anderen Seite verfügen. Die Kenntnis dieser Brückenköpfe erlaubt es, lager-übergreifende Koalitionen zu bilden.

Allerdings sei eine Netzwerkanalyse aber immer von der Qualität der ihr zugrunde liegenden Daten abhängig. Wenn die Abgeordneten nicht alle Funktionen in Institutionen öffentlich machten, könnten keine vollständigen Netzwerke analysiert werden: Nähmen die Daten zu, würden die Angaben für einen solchen „Kontaktkataster“ immer vollständiger. (HM)

Artikel teilen:
Autor/in

Helmut Martell

ist Rechtsanwalt. Helmut Martell war Gründungsvorsitzender der DGVM und zwanzig Jahre ihr Stellvertretender Vorsitzender. Von 1997 bis 2014 fungierte er als Herausgeber des Verbändereport.

Das könnte Sie auch interessieren: