Selbstverwaltungskörperschaften werden häufig mit dem Vorwurf eines demokratischen Legitimationsdefizits konfrontiert. Denaturiert die Pflichtmitgliedschaft eine lebendige Betroffenen-Selbstverwaltung in einen autonomen Dienstleistungsbetrieb, der von hauptamtlichen Funktionären beherrscht wird? Hat die Basis nichts zu sagen? Wer eine unmittelbare Mitwirkung an den vom Staat auf die Kammern übertragenen öffentlichen Aufgaben ermöglichen will, muss Partizipationsrechte einräumen, die das Demokratieprinzip ergänzen und verstärken.
Träger des Selbstverwaltungsrechts ist schließlich nicht die Organisation als solche, sondern deren Mitglieder. Freiräume der Selbstverwaltung zu gestalten ist daher Sache aller Mitglieder, nicht allein der Organe. Deren demokratische Wahl kann nicht „das letzte Wort“ der Berufsangehörigen im politischen (Mit-)Gestaltungsprozess sein. Wer die beruflichen Belange seiner Mitglieder effizient wahrnehmen will, muss vielmehr sicherstellen, dass unterschiedliche Interessen durch interne Willensbildungsprozesse gebündelt werden, um daraus ein Gesamtinteresse zu formulieren, das in Richtung Staat und Gesellschaft zur Richtschnur politischen Handelns wird und auch im Binnenverhältnis zu den Mitgliedern die Basis beispielsweise für die berufsbezogene Beratung in Sachfragen bildet.
Kreative Unruhe ausnutzen
Angesichts erheblicher Umbrüche, die sich bereits im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 12. November 2006 ankündigten, entschied sich der Vorstand der Bayerischen Landeszahnärztekammer (BLZK), die dadurch ausgelöste „kreative Unruhe“ im Berufsstand zu nutzen, um gemeinsam mit den bayerischen Zahnärztinnen und Zahnärzten — mehr als 13.000 Pflichtmitglieder zählt die zahnärztliche Berufsvertretung im Freistaat — Konzepte für die „Praxis der Zukunft“ zu entwickeln. Die Basis bildete eine groß angelegte Befragung, entworfen vom Institut für Freie Berufe (IFB) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, mit der ein Meinungsbild zu wichtigen Zukunftsfragen erarbeitet werden sollte.
Mitgliederbefragung
Die Befragung startete die Bayerische Landeszahnärztekammer im März 2007 mit Versendung eines Rundschreibens an alle Mitglieder der Berufsvertretung. Der umfangreiche (anonyme) Fragebogen forderte zunächst Angaben zum Geschlecht, zum Erhalt der Approbation, zur selbstständigen Tätigkeit oder abhängigen Beschäftigung sowie zur Praxisstruktur, um dann in weiteren Themenkomplexen Angaben sowohl zum Umfang der zahnärztlichen Tätigkeit, zur Einschätzung aktueller Entwicklungen im Bereich der Gesundheitspolitik wie auch zur wirtschaftlichen Perspektive sowie zur Einschätzung der „Marktsituation“ zu erhalten. Außerdem wurde danach gefragt, welche Kooperationsmöglichkeiten gesehen werden und welche Nachteile bzw. Vorteile in der Kooperation mit anderen (Heil-)Berufen liegen. Weitere Themenschwerpunkte waren die Fragen nach Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement, nach dem Umfang der Fortbildung.
Wie sehr Mitglieder ihre Meinung kundtun und in den Gestaltungsprozess einbringen wollen, zeigte die Rücklaufquote von 22,8 Prozent binnen eines Monats. Das im April 2008 schließlich vorgelegte Ergebnis erlaubt einen tiefen Einblick in die Ausübungsformen des Zahnarztberufes, wie auch auf Einstellungen und Urteile der bayerischen Zahnärzteschaft zu einer Vielzahl aktueller Aspekte der Berufsausübung unter veränderten gesetzlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Ausgewählte Ergebnisse
Dabei ist die Zufriedenheit der Zahnärzte mit ihrer beruflichen Situation nach wie vor hoch. Allerdings sinken die Werte mit zunehmendem Alter und längerer Zulassungsdauer. Einfluss auf die berufliche Zufriedenheit haben vor allem das Arbeitsklima und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Letzteres ein deutlicher Hinweis auf die „Feminisierung“ des Heilberufs. Ein Missverhältnis zwischen Verantwortung und Honorierung sowie die Überlastung mit bürokratischen Tätigkeiten haben deutlich negativen Einfluss auf die berufliche Zufriedenheit. Sorge bereiten der wachsende Einfluss der Krankenkassen und die Überlagerung ärztlichen Handelns durch die Ökonomie. Bezüglich der Entwicklung ihres Realeinkommens blicken Zahnärzte pessimistisch in die Zukunft. Damit in Einklang steht die Einschätzung, dass die derzeitigen Arbeitsbedingungen für Zahnärzte in Deutschland zu einer Abwanderung von Kollegen ins Ausland führen.
Umso erstaunlicher die Feststellung, dass die selbstständige Tätigkeit für 97,5 Prozent der Befragten nach wie vor ein hohes Gut darstellt. Andererseits kann sich mehr als ein Drittel der selbstständig tätigen Zahnärzte vorstellen, künftig Zahnärzte als Angestellte zu beschäftigen. Die „Angestellten-Praxis“ ist insbesondere unter jüngeren Zahnärztinnen und Zahnärzten ein Thema. Überaus kritisch bewertet der Berufsstand insgesamt Medizinische Versorgungszentren, die ganz überwiegend nicht als Alternative zur freiberuflichen Selbstständigkeit gesehen werden. Indirekt lassen sich aus der Studie auch Antworten auf die Frage nach der Zufriedenheit mit dem Dienstleistungsangebot der Kammer entnehmen. So stellte sich heraus, dass ein von der BLZK entwickeltes Qualitätsmanagementsystem in den Praxen am weitesten verbreitet ist (72,1 Prozent der Nennungen).
Weißbuch der Zahnmedizin
Parallel zur Mitgliederbefragung wurden Autoren aus Wissenschaft und Forschung, aber auch Verantwortungsträger aus der Selbstverwaltung aufgefordert, die künftigen Anforderungen an die Praxis vor dem Hintergrund der gesellschafts- und gesundheitspolitischen Entwicklung, der Entwicklung von Berufspolitik und Selbstverwaltung sowie von Ökonomie und Selbstverwaltung aus ihrer (externen) Sicht zu beschreiben. Die professionspolitische Ausrichtung beschrieben anerkannte Hochschullehrer der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, wobei mit einer kritischen Bestandsaufnahme zur Ausbildungssituation an den Universitäten nicht hinter dem Berg gehalten wurde. Die z. T. provokanten Handlungsempfehlungen wurden in einem zweibändigen Weißbuch der ZahnMedizin veröffentlicht. Für das „Weißbuch“ fanden sich als Partner die Zahnärztekammern Nordrhein und Hessen, die Koordination erfolgte durch eine bei der BLZK eigens eingerichtete Stabsstelle.
Notwendige Positionsbestimmungen
Zwangsläufig musste sich aus der Gegenüberstellung von Binnen- und Außensicht ein Diskussionsprozess entwickeln. Letzterer ist — wie ein Blick in die aktuelle Standespresse zeigt — in vollem Gange, wobei sich die Berufspolitik viel zu sehr auf Einzelaspekte, vor allem auf die Debatte über künftige Spezialisierungen in der Zahn-, Mund und Kieferheilkunde, verengt. Manche sehen darin eine Gefahr für den zahnärztlichen Generalisten. Entscheidungen der Selbstverwaltungsorgane in den Ländern, aber auch der Bundeszahnärztekammer werden die eingebrachten Argumente aufnehmen müssen.
Dabei ist ein Blick in die vorliegenden Arbeitsergebnisse, Mitgliederbefragung einerseits, Weißbuch andererseits, hilfreich. Die oft beschworene Basis sieht die Frage nach der beruflichen Spezialisierung differenziert: Gefragt nach Gründen für eine mögliche Ausweitung der Praxistätigkeit nannten die Befragten zu 40,2 Prozent die „Verbesserung des Angebotes/Spezialisierung“. Erst danach rangieren wirtschaftliche Gründe. Wie schreibt der Präsident der BLZK in seinem Vorwort zur Studie „Zukunft der Praxis — Praxis der Zukunft“: „Der Einfluss dieser Befragung auf die Standespolitik sollte nicht unterschätzt werden.“
Rechtsanwalt Peter Knüpper (54) war von 1983 bis 1985 Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Rat der Stadt Mainz, dann bis 1987 Baureferent der Stadt. 1987 wurde er zum Bürgermeister der Verbandsgemeinde Bernkastel-Kues gewählt. 1992 wählte der Stadtrat von Koblenz den Verwaltungsjuristen zum Bürgermeister. Von dort wechselte Knüpper 1995 als Hauptgeschäftsführer der Bayerischen Landeszahnärztekammer nach München.
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