Jeden Monat werden Millionen von Verbandszeitschriften produziert und verteilt. Während die Zeitschriftenverlage ihre Erzeugnisse registrieren lassen müssen, werden Verbandsorgane in Deutschland nicht systematisch erfasst. Zählt man die veröffentlichten Stückzahlen einiger auflagenstarker Verbandszeitschriften zusammen, so kommt man schnell auf eine Jahresgesamtauflage im dreistelligen Millionenbereich. Egal ob „dfb-Journal“, „allgemeine fleischer-zeitung“, „Journalist“, „Der Steuerzahler“ oder „Die Biene“ - Mitgliederzeitschriften stehen für: Information und Leistungsschau, Mitgliederbindung und Einflussnahme. Obwohl sich bis dato niemand berufen fühlte, all die Organe und Mitteilungsblätter der Vereine und Verbände zu erfassen und deren Auflagen zu zählen, gehen Experten davon aus, dass neben den Fach- und Publikumszeitschriften die Verbandszeitschriften die drittgrößte Gruppe am Medienmarkt darstellen - die monatlichen Auflagen dürften sich in einem Bereich von 300 bis 500 Millionen bewegen. Jan Zeese forscht derzeit zum Thema „Mitgliederkommunikation als Instrument modernen Lobbyings? Bedeutung und Funktion der Verbandspresse für die politische Interessenvertretung“ und befasste sich daher intensiv mit den Verbandsorganen, der „Medienszene, die im Verborgenen blüht“ (wuv, 2001)
Die Verbandspresse ist ein schlafender Riese. Trotz Millionenauflagen werden die Verbands- und Mitgliederzeitschriften von der Medienwelt mit einer erstaunlichen Konsequenz ignoriert. Auch über die politische Wirkung der Verbandspresse ist wenig bekannt. Das muss nicht mehr lange so bleiben: Zurzeit weht schon mal der Wind einer Professionalisierungswelle über die weite und vielfältige Landschaft.
Kennen Sie die VDK-Zeitung? Das Mitgliedermedium des Sozialverbandes erreicht mit einer Auflagenstärke von rund 1,4 Millionen Exemplaren Monat für Monat nicht nur seine Mitglieder in ganz Deutschland, sondern auch Politiker im Bundestag und Landtagen sowie die Entscheidungsträger in Ministerien und Verwaltungen. Die Vermutung liegt auf der Hand, dass ein solches Engagement nicht ohne politische Wirkung und ohne Einfluss auf die in einer Mediendemokratie viel beschworene „öffentliche Meinung“ bleiben kann.
Nach Zählung der DGVM gibt es in Deutschland fast 14.000 Verbände, von denen etwa 8.500 in eigener Geschäftsstelle hauptamtlich geführt werden. Ein großer Teil dieser Verbände verlegt mindestens eine eigene Zeitschrift oder Zeitung zumindest jedoch einen Newsletter für die interne Information der Mitglieder; viele Organisationen engagieren sich in gemeinschaftlichen Publikationen oder sind an Fachzeitschriften beteiligt. Der Hoppenstedt Adressverlag führte im Jahr 2003 in seinem Verzeichnis der „Verbände, Behörden, Organisationen“ mehr als 2.000 Verbandszeitschriften auf. Nach einer vom Autor vorgenommen Befragung haben mindestens die Hälfte der etwa 2.000 beim Bundestag registrierten Verbände ein eigenes Verbandsorgan. Nur: Niemand in Deutschland erfasst diese Verbandspresse zentral.
Niemand kennt alle Auflagen- und Verbreitungszahlen genau. In der öffentlichen Diskussion wird die Verbandspresse geflissentlich ignoriert. Schließlich hängen Verbandszeitschriften nachteilhafte Vorurteile an: Sie gelten als grafisch und journalistisch dröge Verkündungsorgane, in denen auf seitenlangen Bleiwüsten das Vereinsleben ausgebreitet wird – immer zwei Schritte hinter der Aktualität zurück.
Vier Faktoren des Professionalisierungstrends
Richtig ist: Es finden sich leicht und schnell viele Beispiele, um diese Klischees zu belegen. Es finden sich aber auch genügend Gegenbeispiele. Zeitschriften, die mit journalistischer Qualität und einem auf die Zielgruppen ausgerichteten, grafischen Konzept überzeugen sind. Es seien als drei unter Vielen das Magazin der Deutschen Rheuma-Liga „mobil“, die Wochenzeitung des Zentralverbandes der Juden in Deutschland „Jüdische Allgemeine Zeitung“ oder die kernsanierte „Bauindustrie aktuell“, herausgegeben vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie angeführt.
Wer sich etwas eingehender mit der deutschen Verbandspresse beschäftigt, dem wird der umfassende Trend zur Professionalisierung der Kommunikationsarbeit im Allgemeinen sowie der Konzeption, Redaktion und Produktion der Verbandszeitschriften im Speziellen nicht verborgen bleiben. Dieser Trend lässt sich konkret an vier Faktoren festmachen:
• Das Anzeigenmarketing wird professioneller. Verlage wie Verbände haben entdeckt, dass Verbandszeitschriften spezielle Zielgruppen oft mit sehr viel weniger Streuverlusten erreichen, als Publikumsblätter. Wenn der Anzeigenkunde dann noch in ein geeignetes redaktionelles Programm eingebunden ist, wird die Werbung vom Leser nicht selten sogar als zusätzliche Information und damit als Bereicherung empfunden.
• Immer mehr Verbände vertrauen bei der Produktion und dem Marketing, teilweise sogar für redaktionelle Dienstleistungen auf spezialisierte Agenturen und professionelle externe Kräfte. Das hat einerseits mit den drastisch gesunkenen Preisen zu tun, die am Markt für grafische und journalistische Dienstleistungen verlangt werden. Andererseits braucht beispielsweise der Anzeigenverkauf wirklich nicht zu den Kernaufgaben etwa eines Geschäftsführers zu gehören. Das können andere – natürlich immer mit Unterstützung und unter der Hoheit des Verbandes – tatsächlich oftmals besser.
• Dank des medientechnischen Fortschritts ist es deutlich einfacher geworden, eine Zeitschrift mit professioneller Anmutung zu gestalten. Zugleich revolutionieren Internet und Häppchen-Layouts das Leseverhalten. Darauf reagieren die ersten Verbandsblätter. Die Varianz der journalistischen Stilformen nimmt zu. Grafiken, eingeschobene Info-Kästen und ein variablerer Einsatz der Bildmotive beleben die Mitgliederzeitschriften. Lange Textstrecken mit den immergleichen Gruppenmotiven im viereckigen Bildkasten haben wenig Zukunft. Der grafische Relaunch der Zeitschrift der Deutschen Bauindustrie ist nur eines von vielen Beispielen für diese Entwicklung.
• Zeitschriften wollen ihren Lesern einen Mehrwert bieten – das ist ein wichtiger Trend bei Publikumszeitschriften, der auf die Verbandspresse überzugreifen beginnt. Ob Tipps für Verbraucher, zu Rechtsfragen oder Reisezielen, Einkaufsrabatte, Versicherungen oder Kochrezepte: Immer mehr Verbandsorgane verstehen sich als Dienstleister am Leser, dem Mitglied. Damit nähern sie sich der Publikumspresse sowie dem Publikumsgeschmack und werden zugleich professioneller.
Kernkompetenzen im Blick behalten
Die beschriebene Professionalisierung der Kommunikationsarbeit der Verbände und vor allem Verbandszeitschriften ist dringend notwendig. Damit holen die Verbände die ersten Schritte auf einem Weg nach, den andere Teilen der Gesellschaft, etwa die Wirtschaftsunternehmen, schon ein ganzes Stück weit gegangen sind.
Es ist eine Illusion zu glauben, man könne in einer immer lebendiger werdenden medialen Öffentlichkeit ohne ein fundiertes Marketing weite Kreise erreichen. Wer ohne fundierte Strategie auftritt und Möglichkeiten auslässt, riskiert einen schleichenden Bedeutungsverlust. Untersuchungen haben zudem gezeigt: Verbände, die sich über Mitgliederzuwächse freuen können, führen dass am häufigsten auf Werbung und eine allgemeine Attraktivitätssteigerung des Verbandes zurück – zwei Faktoren, die sich sehr gut publizistisch entwickeln und ausbreiten lassen.
„Kernkompetenz von Verbänden ist es, Netzwerke aufzubauen und zu pflegen, Informationen zu generieren und die Informationen nach Innen an ihre Mitglieder zu vermitteln. Sie müssen einen Wissensvorsprung für ihre Mitglieder schaffen und dabei Sensor beziehungsweise Frühwarnsystem im politischen Umfeld sein […] Kernkompetenz von Verbänden ist die Beratung von Politiker…“, schreibt Eric Romba, Hauptgeschäftsführer des Verbands Geschlossener Fonds in der Zeitschrift ‚Public Affairs Manager’. Er bezieht sich dabei auf Wirtschaftsverbände. Aber seine Warnung sollte jeder Verbandsmanager überdenken.
Wenn Verbandszeitschriften ausschließlich dazu dienen, den Mitgliedern Beratungen und Fortbildungen anzubieten oder Rahmenverträge mit Rabattierungsvorteilen zu bewerben, geraten möglicherweise die eigenen Prioritäten aus dem Blick. Verantwortliche Blattmacher müssen prüfen, ob entsprechende Konzepte auch Sinn machen. Kurzfristig sinnvolle, Aufmerksamkeit erregende oder vertriebsfördernde Maßnahmen gefährden nicht selten die Rolle des Verbandes als langfristig glaubwürdiger Gesprächspartner der Politik. Am wirtschaftlichen Erfolg des Formats ADAC Motorwelt besteht kein Zweifel. Aber entfaltet das Magazin tatsächlich eine politische Wirkung, die seiner Auflage von rund 14 Millionen Exemplaren entspricht?
Technische Möglichkeiten zunutze machen
Eine erfolgreiche Verbandskommunikation muss auch und gerade in den unruhiger erscheinenden Zeiten der modernen Mediendemokratie auf langfristige Wirkung angelegt sein. Verbände sollten sich zu Nutze machen, dass die technischen Möglichkeiten variabler geworden sind. Dies erfordert eine umfassende Analyse der eigenen Ziele, der Zielgruppe und der vorhandenen Rahmenbedingungen: Kommen die Mitglieder beispielsweise regelmäßig und selbstständig auf einen Verband zu, um bestimmte Informationen abzufragen, können mit Internet- und Intranet-Lösungen hervorragende Archiv-Instrumente entwickelt werden. Wer aber eine große Gruppe eher passiver Mitglieder erreichen will, wird dies mit einer Zeitschrift eher als mit einer Online-Seite schaffen.
Ähnlich differenziert sind elektronische Newsletter zu bewerten: Diese können zu aktuellen Themen, mit hoher Frequenz und zu relativ niedrigen Kosten an bestimmte Gruppen verschickt werden. Wer aber auf eine hochwertige optische Wirkung und ausreichenden Platz für das Ausbreiten von Argumenten Wert legt oder eine dem PC-ferne Zielgruppe erreichen will, setzt mit Newslettern auf das falsche Pferd.
Vertrauen, Glaubwürdigkeit und langfristige Beziehungen sind und bleiben entscheidende Faktoren für den Erfolg der Mitgliederkommunikation von Verbänden. Ziel muss es sein, bei den eigenen Mitgliedern, in der engeren Zielgruppe und im politischen Vorfeld gehört zu werden. Hier gilt: In den gesellschaftlichen Diskurs ergreifen und in den Dialog treten. Richtig ist, dass ein Dialog nicht von einer Seite allein geführt werden kann. Wer seine Kommunikation an den eigenen organisatorischen Erfordernissen ausrichtet, Traditionen unkritisch beibehält oder in der Mitgliederzeitschrift das „eh vorhandene Material einfach noch mal verwertet“, findet irgendwann nur noch dort Aufmerksamkeit, wo das Eigeninteresse an der Verbandsarbeit sowieso vorhanden ist. Dann besteht die Gefahr, nur noch vor bereits Bekehrten zu predigten. Wer sich allerdings zu sehr nach dem vermeintlichen Geschmack der Leser richtet, verliert am Ende sein eigenes Profil.
Unternehmen haben es vorgemacht
Wirtschaftsunternehmen haben in den vergangenen zehn bis 15 Jahren inhaltlich und handwerklich hochwertig Instrumente zur Kommunikation mit bestimmten Gruppen entwickelt. Im guten Fall liegt deren Einsatz eine differenzierte Strategie zugrunde: Online oder Print, Mitarbeiter- und Kundenmagazin, Werbung oder Information? – jedes Medium ist auf seine spezifische Eignung zu prüfen, die Zielgruppe im Sinne des Absenders zu erreichen. Die ersten Verbände haben mit etwas Verspätung begonnen, diese Marketingerkenntnisse auf ihre Erfordernisse zu übertragen. Meine Prognose ist, dass die Verbände diesen Trend analog zur Entwicklung in der Wirtschaft nachholen werden. Anfangs waren es vor allem die größeren Companies, die ein professionelles Marketing betrieben. Inzwischen sind der Mittelstand und die kleineren Unternehmen nachgezogen. Ähnliches wird die Verbandslandschaft erleben. Die Verbandszeitschriften werden dabei als zentraler Baustein der Mitgliederkommunikation eine entscheidende Rolle spielen. Wer zu lange an Altbewährten hängt, dem droht Bedeutungsverlust. Eine vorherige, selbstkritische Analyse schützt vor den Gefahren neuer Konzepte.
Autor:
Jan Zeese arbeitet als Berater für die Landscape Gesellschaft für Marketing & Consulting mbH in Köln. Neben dem Beruf forscht er zur „Mitgliederkommunikation als Instrument modernen Lobbyings? Bedeutung und Funktion der Verbandspresse für die politische Interessenvertretung“. Seine Dissertation, verfasst am Lehrstuhl von Prof. Dr. Gerd Langguth (Politikwissenschaftliches Seminar/Uni Bonn), wird voraussichtlich Ende 2007 abgeschlossen sein.