In Deutschland beweist eine repräsentative forsa-Umfrage im Auftrag der Deutschen Universität für Weiterbildung (DUW) mit 1.000 Befragten im Juli 2010, dass das Image von Interessengruppen sich verbessert: Fast die Hälfte der Deutschen (48 Prozent) findet es „in Ordnung“, dass Lobbyisten in Berlin und Brüssel Interessen von Unternehmen, Verbänden und anderen Organisationen vertreten. Besonders unter jungen Menschen ist die Akzeptanz hoch: 63 Prozent der Schüler und Studenten finden Lobbyarbeit prinzipiell richtig. Auch unter den 30- bis 44-Jährigen überwiegt die positive Bewertung (53 Prozent).
nteressengruppen verfügen in den USA als Mutterland des Lobbyismus über eine lange Tradition. Während James Madison in den Federalist Papers der Verfassungsgründer noch skeptisch war, bewunderte bereits Alexis de Tocqueville 1835 in seinem Werk „Über die Demokratie in Amerika“ die Fähigkeit, sich zur Durchsetzung von politischen Zielen in Gruppen zu organisieren und dadurch an politischen Entscheidungsprozessen teilzunehmen. Ihre legitime Basis finden Interessengruppen an keiner geringeren Stelle als im ersten Zusatzartikel der US-Verfassung, der das Recht aller Bürger „to petition the government for a redress of grievances“ garantiert. Aufgrund des allgemeinen Regierungsbegriffs folgt daraus die Möglichkeit des Lobbyings von privaten Interessen gegenüber Legislative und Exekutive. Im Grunde trifft diese Beschreibung heute genauso auf Europa zu.
Seit Madison und Tocqueville hat sich freilich das Lobbyisten-Image nicht nur mehrfach und grundlegend gewandelt, sondern ist mittlerweile von vielen (Medien-)Klischees gekennzeichnet. Eddie Murphy etwa spielt im Film „Ein ehrenwerter Gentleman“ einen schlitzohrigen Politiker, der in Washington D. C. mit der harten Welt des Interessenwettbewerbs konfrontiert wird. Den angeblich typischen Lobbyisten verkörpert Joe Don Baker als stiernackiger, ungepflegter und fettleibiger Bulldozer, der sowohl ausnehmend unsympathisch ist als auch mit Methoden irgendwo in der Grau-zone zwischen Bestechung und Erpressung arbeitet. Solche Bilder halten sich hartnäckig in der öffentlichen Meinung, obwohl — durch einige Skandalfälle selbst verschuldet — eine kleine Minderheit der Branche betreffend. Dass die besonders hübsche und am Ende Herrn Murphy wild küssende Umweltaktivistin ebenfalls eine Lobbyistin ist, wird medial kaum wahrgenommen.
Keine Miesepeter, Sexbomben und Gutmenschen
In Wahrheit und im Regelfall gibt es unter den professionellen Vertretern von Interessen in und für Deutschlands Institutionen, Verbände, Unternehmen und Nicht-Regierungsorganisationen weder korrupte Miesepeter noch Sexbomben als Gutmenschen in Lobbyistengestalt. Interessengruppen leiden darunter, dass ihre fachliche Arbeit unterschätzt wird. Tatsächlich sind öffentliche Entscheidungsträger auf Informationen von Interessengruppen angewiesen. Im ureigensten Interesse wird kein Lobbyist das missbrauchen, indem er einmal mit falschen Tatsachen argumentiert, um anschließend für viele Jahre als unseriös zu gelten. Das Ziel ist vielmehr stets der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses durch gut aufbereitete Sachinformationen.
Lobbyisten sind Experten in ihrem Sachgebiet, immer häufiger wird ihr Stab als Servicebüro bezeichnet. Die Verlässlichkeit der Informationen gilt als ungeschriebenes Gesetz. Jeder Erfolg wird weniger von der Härte des Auftretens als durch Kompetenz und Glaubwürdigkeit bestimmt. Deshalb können sich kleinere Gruppen, die sich auf bestimmte Gebiete spezialisieren, profilieren. Der angebotene Preis besteht aus Informationsmaterial und bringt als Gegenleistung für Interessengruppen die Möglichkeit, in der direkten Konfrontation die Entscheidungsträger zu überzeugen. Erst wenn da alle Kommunikationskanäle verstopft sind, wird aus dem Inside Lobbying ein Outside Lobbying durch den Weg in Massenmedien und Öffentlichkeit.
Interessengruppen sind im Grunde nichts anderes als ein Zusammenschluss von Individuen beziehungsweise Organisationen mit gemeinsamen Anliegen. Im Gegensatz zu sozialen Bewegungen verfügen sie über eine deutlich erkennbare, etwa durch die formelle Gründung mit Statut und Formen der Mitgliedschaft gekennzeichnete Struktur und über eine klare, aus dem „Know-how“ resultierende Strategie ihres kontrollierten Vorgehens im politischen System. Mit anderen -Worten: Zentrale Gesellschaftsströme, von der Bürgerrechts- über die Umwelt- bis zur Frauenbewegung, lassen entsprechende Interessengruppen entstehen.
Diese Gruppen gleichen insofern den Parteien, weil sie ein Bindeglied der Kommunikation zwischen den Bürgern und ihrer Regierung sind. Im politischen Prozess dienen sowohl Parteien als auch „Lobbys“ der Artikulation und Aggregation von Interessen, die als Inputs an das politische System herangetragen werden. Doch gibt es Unterschiede, etwa dass Parteien in die Regierung kommen wollen, um die dortigen Entscheidungen zu kontrollieren. Interessengruppen wollen Entscheidungen der Regierung beeinflussen, ohne Teil derselben zu sein. In den USA erfolgte deshalb seit den Anfängen eine analytische, später auch sozial- und politikwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen. Es setzte sich die Auffassung durch, dass für eine Analyse politischer Systeme die Auseinandersetzung mit den Regierungsinstitutionen unzureichend wäre und stattdessen (Interessen-)Gruppen und deren politisches Handeln zu untersuchen sind. Dieser Ansatz fehlte in EU-ropa (zu) lange Zeit, sodass die zitierten Klischees das Bild von Interessengruppen prägten.
self-oriented- und public-interest-groups
Zu unterscheiden ist in a) self-oriented interest groups, welche Ziele anstreben, die unmittelbar den Mitgliedern Nutzen bringen, und in b) public interest groups, die öffentliche Interessen vom Verbraucherschutz bis zur nachhaltigen Entwicklung durchzusetzen versuchen. Ein Beispiel: Wirtschaftliche Interessengruppen müssen, ob sie den Zusammenschluss von Autohändlern oder von Sportveranstaltern darstellen, ihren Mitgliedern wenigstens indirekt einen finanziellen Nutzen bringen. Hingegen werden die Mitglieder einer Vereinigung für die Wahrung der Menschenrechte in Gefängnissen kaum als Schwerverbrecher davon persönlich profitieren.
Es sind fast alle Gesellschaftsbereiche durch mehr oder minder mächtige Interessengruppen vertreten, sodass nach den Themenbereichen folgende Einteilung in Kategorien möglich ist: wirtschaftliche Verbände, Gewerkschaften und Arbeitnehmerorganisationen, Agrarverbände, berufliche Standesvertretungen, ethnische und religiöse Interessenvertretungen, Bürgerrechtsbewegungen sowie nicht zuletzt öffentliche Institutionen wie Gemeinden und Länder, die durch Lobbyisten auf Bundes- und EU-Ebene vertreten sind. Das breite Spektrum zeigt die Unmöglichkeit, ein Gesamtimage zu konstruieren — das wäre ähnlich der irrigen Annahme, es gäbe „den“ Jugendlichen, die wirklich typische Frau, nur einen bestimmten Migrantentypus usw.
Berufsmäßige Lobbyisten und Interessengruppen
Der gemeinsame Nenner des Images ist jedoch, dass zunehmend berufsmäßige Lobbyisten von Interessengruppen engagiert werden können. Insbesondere Großkonzerne machen zusätzlich zu ihrer Re-präsentation in den Wirtschaftsverbänden häufig von dieser Möglichkeit Gebrauch. Ob Berufslobbyisten angestellt, einzeln beauftragt oder als Mitarbeiter einer externen Lobbying-Agentur losgeschickt werden, ist lediglich eine technische und finanzielle Frage. Das Image bezieht sich so oder so neben den genannten Interessenbereichen immer mehr sowohl auf die Branche der Lobbyisten an sich als auch auf einzelne Personen.
Für das Image der Lobbyisten bedeutet das eine große Chance: Das Bild verändert sich weg von der einseitigen Einflussnahme im Hinterzimmer hin zu professionellen Interessenvertretern, die ihre Expertise einbringen. Laut forsa-Umfrage schätzt jeder dritte Befragte den tatsächlichen Einfluss von Interessengruppen auf die Politik sogar als „zu gering“ ein. Auch hier vollzieht sich ein Wandel: Die meisten über 60-Jährigen bewerten den Einfluss von Interessengruppen auf die Politik als zu hoch. Anders sieht es bei den 18- bis 29-Jährigen aus: 36 Prozent sind der Meinung, ihr Einfluss müsse zunehmen, nur 31 Prozent finden den Einfluss zu hoch.
Die Diskussion um schwarze Schafe zeigt freilich, dass es vor allem klarer Regeln bedarf, was Lobbyisten in ihrer Arbeit machen dürfen und welche Qualifikation sie dafür haben sollen. Daraus ergeben sich drei Punkte als dringende Notwendigkeit.