Verbändereport AUSGABE 9 / 2012

Lobbying: über die Holschuld der Politik

Gedanken zum Lobbyismus, dessen Akteure und Kritiker vom verbaende-talk-Blogger Dirk Günther

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Seit einigen Jahren werden die Akteure des Lobbyings und ihre Methoden immer wieder erörtert. Die Professionalisierung der Szene und neue Player sorgten und sorgen zusammen mit der Veröffentlichung von Skandalen und Skandälchen aus Deutschland, Österreich und Brüssel regelmäßig für Diskussionen.

Talkshows, Publikationen und Organisationen wie LobbyControl, Abgeordnetenwatch oder ALTER-EU thematisieren die Kompatibilität des Lobbyings mit unserem Demokratieverständnis. Kürzlich hat sogar der hessische Landtag die Durchführung einer Anhörung zu den Einflüssen organisierter Interessenvertretung beschlossen.

Das lobbykritische Lager

Die Positionen der gegenüberstehenden Lager sind insofern geklärt, als die lobbyingkritischen und ethisch argumentierenden Akteure – wie neben den genannten beispielsweise auch die Standesorganisation Deutsche Gesellschaft für Politikberatung – das Credo guter Interessenvertretung festmachen an offenem Werben um Argumente, Positionen und Interessen. In dieser Ausprägung sei Lobbying wünschenswert und als Wesensmerkmal der Demokratie zu verstehen.

Sobald und solange die Interessenvertretung dagegen bewusst unbeobachtet von der Öffentlichkeit organisiert werde und damit im Dunkeln bleibe, wer und welche Interessen nun gerade vertreten werden, sei sie nicht hinnehmbar, da sie dem Grundgedanken der Demokratie, also der Herrschaft des Volkes, zuwiderlaufe.

Im Polit-Einmaleins der Lobby-Skeptiker lautet die grundlegende Gleichung somit: Lobbying = intransparente Interessenvertretung. Lobbying wird zum Schimpfwort degradiert.

Aus dieser Sichtweise ergeben sich automatisch Forderungen nach

  • einer Verhinderung des Drehtüreffektes durch eine Wartezeit für Politiker bei der Übernahme bestimmter Tätigkeiten,
  • die centgenaue Offenlegung von Nebeneinkünften von Politikern und Nennung ihrer Auftraggeber,
  • die Ratifizierung der UN-Konvention zur Korruptionsbekämpfung, die unter anderem die Bestechung von Amtsträgern thematisiert, sowie
  • ein verpflichtendes Lobbyregister, das maximale Transparenz bei der Nennung von Auftraggebern und Budgets bietet.

Die Gegenseite

Das andere Lager, ja, welches andere Lager eigentlich? Hier handelt es sich wohl eher um eine Art loser Interessengemeinschaft aus Politik, Industrie und Unternehmen, Kanzleien, Agenturen und Auftragslobbyisten, die das Thema aus unterschiedlicher Motivation heraus tiefer hängen bzw. vermeiden.

Allerdings bröckelt seit Jüngstem die Phalanx zumindest bei den Parteien zu den Themen Karenzzeit für Minister und parlamentarische Staatssekretäre, Offenlegung der Nebeneinkünfte und Ratifizierung der UN-Konvention: SPD, GRÜNE und Linke nehmen hier eine offensivere Haltung ein.

Gleichwohl wird dem Thema kein übergroßes Interesse von der Mehrheit der Bevölkerung entgegengebracht. Und neue Impulse erfährt die Lobbyismus-Debatte seit geraumer Zeit eher auch nicht.

Aktuelle Publikation zum Thema

Die Chefredakteurin der taz, Ines Pohl, hat nun den Versuch gestartet, der Diskussion um Lobbyismus und Transparenz neuen Drive zu verleihen. In 50 Kurzberichten mit Beispielen aus Berlin, Brüssel und der globalisierten Welt hinterfragen verschiedene taz- und auch freie Autoren Argumente und Vorgehen von Interessengruppen sowie diesbezügliche politische Entscheidungen.

Die Lobbyismuskritik soll auf diese Weise auf eine thematisch noch breitere Grundlage gestellt werden, die nur ein Urteil erlaubt: um was es auch immer geht, wo du auch hinschaust, es wird vorsätzlich und systematisch gegen das Interesse des Gemeinwohls getäuscht, getarnt und getrickst. „Alles ist käuflich – Täglich drücken Lobbyisten die Interessen kleiner Gruppen gegen das Gemeinwohl durch, steigern ihre Profite durch Einflussnahme auf politische Entscheidungen. Leidtragende sind in der Regel wir, die Bevölkerung…“ Die Quintessenz stand fest und wurde zum Titel der Publikation: Schluss mit Lobbyismus! – Schluss also mit intransparenter Interessenvertretung.

Sofern der Leser sich vom Klappentext nicht hat abbringen lassen, entdeckt er im Buch einige Informationen und Geschichten über Lobby-Interessen, -Zusammenhänge und -Akteure, wie:

  • die Rolle von überhöhten Firmen- oder Verbandsständen auf Parteitagen als Standbein der Parteienfinanzierung,
  • das seltsame, von den Verlagen geforderte Leistungsschutzrecht gegen die „unentgeltliche Ausnutzung ihrer Online-Angebote durch Suchmaschinen und andere Anbieter“,
  • dass 60 Prozent der neu zugelassenen Autos in Deutschland offiziell Dienstwagen sind und sich der Staat so über das Dienstwagenprivileg jährliche Subventionen von mehreren Milliarden Euro und gleichzeitig Mindereinnahmen in den Sozialversicherungskassen von mehreren Hundert Millionen Euro leistet,
  • was Agrarsubventionen für Großbetriebe bedeuten und warum der Bauernverband als Gegner eines Großteils der deutschen Bauern bezeichnet werden könnte,
  • dass der Einfluss von Siemens/Osram und Phillips bei der EU-Entscheidung zur Abschaffung von Glühlampen im eigenen Interesse des Verkaufs von überteuerten „Energiesparlampen“ lag,
  • die Zunahme der Verschreibung von Psychopharmaka für Kinder aufgrund der Promotion von ADHS als Krankheit durch die Pharmaindustrie,
  • oder dass der größte Shoppingcenterbetreiber in Deutschland seinen Ruf durch die Stiftung mit dem Namen „Lebendige Stadt“ „aufzuhübschen“ versucht.

Trotzdem hält das Buch im Ergebnis keine neuen Impulse für eine Debatte zum Thema Demokratie und Lobbying parat. Es weicht sogar der näheren Betrachtung spannender Aspekte aus, wie der Verantwortung der Politik oder der näheren Betrachtung des Gemeinwohls.

Was ist das Gemeinwohl?

Die Begründung der Herausgeberin für die „Auswüchse“ beim Lobbying überrascht nicht: Es gehe um die Partikularinteressen von Industrieverbänden, Industrieberatern und Großkonzernen zuungunsten des Gemeinwohls. Wie bestimmt sich aber das Gemeinwohl und wer definiert es? Gibt es ein Gemeinwohl per se, das der Allgemeinheit nützt? War die Abwrackprämie nun die Durchsetzung von „Partikularinteressen“ der deutschen Autoindustrie oder diente sie dem Allgemeinwohl, weil alte gegen umweltgerechtere Fahrzeuge ausgetauscht wurden, die dazu noch von mittleren und unteren Einkommensschichten erworben werden konnten?

Hat die Chemieindustrie die Chemikalienrichtlinie REACH erfolgreich gegen das Allgemeinwohl verwässert oder bestand die Berücksichtigung des Gemeinwohls in einem Ausgleich der Interessen auch volkswirtschaftliche Aspekte (Wettbewerb, Arbeitsplatzverluste) und der Geldbeutel des Großteils der Bevölkerung?

Guter versus böser Lobbyismus

Auch wenn Timo Lange von LobbyControl in einem vorangestellten Interview feststellt, dass sich guter Lobbyismus nicht über die Inhalte definieren lässt, verstärkt sich der Eindruck, dass die Publikation genau diesen Eindruck vermitteln soll. Der „böse“ Lobbyismus kommt von Banken, Pharma- und Chemieindustrie, der Automobilwirtschaft, Lebensmittelwirtschaft oder den Agrarmultis. Dass beispielsweise auch Greenpeace in den Ruf geraten ist, intransparent vorzugehen, wird kurz vor Schluss lasch diskutiert und mit einem DuDuDu! abgehakt.

„Wenn Gewerkschaften sich für Arbeitnehmerinteressen einsetzen, wenn Kirchen ihre religiösen Belange vorbringen oder Studierende bessere Bildungsangebote fordern, würde das niemand Lobbyismus nennen“, so heißt es im Vorwort.

Warum denn nicht? Vertreten Gewerkschaften mit ihren fortgesetzt abnehmenden Mitgliederzahlen das Gemeinwohl? Oder die Studierenden? Oder die Kirchen mit ebenso rückläufigen Mitgliederzahlen, die dazu noch ihre Privilegien – die in einem eigenen Beitrag auch dargestellt werden– eben nicht nur transparent und offen (gegenüber dem Gemeinwohl?) verteidigen? Wenn NGOs durch Kampagnen Dutzende, Hunderte, vielleicht sogar Tausende zum aktiven Handeln gegen Atommüllendlager, das widerliche Robbenkillen oder Elefantenschlachten und die Hochseeverklappung organisieren, ist das sicherlich von der passiven Sympathie eines großen Teils der Bevölkerung getragen. Sind sie dadurch Interessenvertreter des Gemeinwohls? Es spricht vieles dafür, dass sich das Gemeinwohl erst als Ergebnis eines mehrheitsfähigen Interessenausgleichs darstellt – mithin also das Ergebnis von Lobbying darstellt.

Worum es wirklich geht

Lobbying ist der organisierte Austausch von Informationen. Interessenvertreter erhalten Einblick in den aktuellen Diskussions- und Abstimmungsprozess von Politik und Verwaltung, während den politischen Entscheidungsträgern Spezialwissen vermittelt wird. Ein Wissen, das sie zur Entscheidungsfindung dringend benötigen, um die Konsequenz von Entscheidungen oder dem Ausbleiben von Entscheidungen möglichst umfänglich zu verstehen. Ein Wissen, das ihnen ohne Lobbying nicht zur Verfügung stünde.

Man muss keine Beispiele aus der Finanzmarktregulierung oder der Energiewende bemühen, um nachvollziehen zu können, dass die Komplexität der Sachverhalte selbst Fachpolitiker regelmäßig  an den Rand der Überforderung bringt, wenn nicht darüber hinaus. Nun geht es beim Lobbying mal transparent zu, mal nicht. Mal schreiben Lobbyisten oder Kanzleien an Gesetzesvorschlägen mit, mal nicht. Einige Interessengruppen bombardieren Abgeordnete mit Mails, Telefonaten und dringenden Gesprächswünschen, andere nicht. Einige Verbände werben Politiker als Hauptgeschäftsführer oder Berater für ihre Geschäftsstelle ab, andere wären froh, überhaupt eine hauptamtlich geführte Geschäftsstelle finanziell stemmen zu können.

Sind das wirklich relevante Tatsachen, die es zu ändern gilt?

Lobbying im Sinne eines möglichst breiten Informationsaustausches, der der Politik neben fundierten Argumenten auch einen Einblick die Mehrheitsmeinung in der Gesellschaft ermöglicht, erfordert den Zugang zu politischen Entscheidungsträgern. Die Politik steht somit in der Verantwortung, alle Informationen sowie fundierte Pro- und Kontra-Argumente zu den anstehenden Sachthemen einzuholen. Dass dies schon lange nicht mehr allein durch die Fachministerien und Fraktionsmitarbeiter sichergestellt werden kann, ist wohl unstreitig. Die Volksvertreter haben somit eine Holschuld gegenüber der Expertise aller thematisch relevanten Interessengruppen.

Die Demokratie steht nicht auf dem Spiel, weil die Mehrheit der Bevölkerung nicht ahnt, wer hinter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft steht, oder weil sie im Vergleich über deutlich größere personelle und pekuniäre Möglichkeiten verfügt. Demokratische Grundsätze werden allerdings aufs Spiel gesetzt, wenn Politiker Interessengruppen bewusst einen selektiven Zugang gewähren oder wenn politische Weichenstellungen – wie beim ersten Atomkonsens – durch Vereinbarungen unter Umgehung der parlamentarischen Wege zustande kommen.

Weder ein Transparenzregister noch die planwirtschaftlich anmutende Idee einer Waffengleichheit der Lobbygruppen werden Abhilfe schaffen, sondern allein der organisierte Zugang zu den politischen Eliten.

Nicht Lobbying oder Lobbyisten gefährden die Demokratie, es sind eher die Politiker selbst. 

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Autor/in

Dirk Günther

ist Geschäftsführer des Deutschen Hebammenverband e. V. Zudem berät er seit 2007 Verbände mit der Meilenstein! Beratungskanzlei.

http://www.meilenstein-beratung.de

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