VerbÀndereport AUSGABE 8 / 1999

Interessenvertretung in der EuropÀischen Union

Logo Verbaendereport

Die Interessenvertretung auf der europĂ€ischen Ebene lĂ€uft bei weitem nicht nur ĂŒber die EU-VerbĂ€nde, sondern hier mischen auch die nationalen WirtschaftsverbĂ€nde und die multinationalen Unternehmen krĂ€ftig mit. Das ist ein Ergebnis der Umfrage „Interessenvertretung in der EuropĂ€ischen Union“, die von Juni 1998 bis MĂ€rz 1999 von Prof. Dr. Beate Kohler-Koch, vom Jean Monnet Chair of European Integration an der UniversitĂ€t Mannheim durchgefĂŒhrt wurde.

Die wichtigsten Ergebnisse sind soeben in englischer Sprache vorgelegt worden. Hierzu wurden deutsche, britische, französische WirtschaftsverbĂ€nde sowie eine Reihe von europĂ€ischen DachverbĂ€nden zu ihrem VerhĂ€ltnis zu den europĂ€ischen und nationalen Institutionen befragt. Insgesamt wird eine deutliche „EuropĂ€isierung der Interessenvertretung“ beobachtet, die nicht nur auf die gewachsenen Befugnisse der europĂ€ischen Institutionen, sondern auch auf die Auswirkungen des EU-Binnenmarktes zurĂŒckzufĂŒhren ist (vgl. hierzu auch den Beitrag „Internationalisierung von nationalen VerbĂ€nden“ in dieser Ausgabe).

Unterschiedliche Zugriffsmöglichkeiten auf europÀische Institutionen

WĂ€hrend die Kontakte zur Kommission allgemein als gut bezeichnet werden, weil die Kommission seit jeher eine Politik verfolgt, die beteiligten Interessengruppen bereits im Vorfeld der Politikvorhaben einzubinden, werden die Zugriffsmöglichkeiten auf den Rat als schwieriger beurteilt. Als Grund hierfĂŒr wird die internationale Zusammensetzung aus den Regierungsvertretern angegeben, so dass fĂŒr eine Einflussnahme auf den Rat es nicht genĂŒgt, nur die eigenen Regierungsvertreter von der LegitimitĂ€t und Angemessenheit der jeweiligen Forderungen zu ĂŒberzeugen, sondern es muss zusĂ€tzlich auch noch die UnterstĂŒtzung anderer Mitgliedsstaaten gesucht werden, sei es in Form eines Vetos, sei es in Form einer Mehrheitsentscheidung.

Im Blick auf das EuropĂ€ische Parlament, das aufgrund des Maastrichter und des Amsterdamer Vertrages zusĂ€tzliche Kompetenzen erhalten hat, haben offenbar die nicht-wirtschaftlichen Interessenvertreter wie VerbraucherverbĂ€nde und UmweltschutzverbĂ€nde die Nase vorn. Diese verstehen es bedeutend besser als die traditionellen WirtschaftsverbĂ€nde, einen „Sprecher“ im Parlament fĂŒr ihre Anliegen zu gewinnen. Das hat offenbar mit der inhĂ€renten populistischen Tendenz von Parlamenten zu tun, die auf WĂ€hlerstimmen schauen.

Auf welcher Ebene arbeiten Interessenvertreter?

Die Studie bestĂ€tigt die allgemeine Erfahrung, dass die meisten Kontakte auf Arbeitsebene der EuropĂ€ischen Kommission gepflegt werden. FĂŒr die meisten WirtschaftsverbĂ€nde und Unternehmen sind Kontakte auf der politischen Ebene der Kommissare und Kabinetts-Chefs außerordentlich rar. Das gleiche Bild zeigt das EuropĂ€ische Parlament: Auch hier sind Kontakte zu individuellen Abgeordneten die Regel, wĂ€hrend Verbindungen zu den parlamentarischen Gruppen (Parteien) und den Parlamentsgremien seltener sind.

Insgesamt wird den europÀischen Institutionen bescheinigt, dass es ausgesprochen einfach ist, sie zu kontaktieren und Informationen zu erhalten. Als Ausnahme gilt wiederum der Ministerrat, dem 14 Prozent der befragten VerbÀnde und Unternehmen bescheinigen, dass es ausgesprochen schwierig ist, von diesem Gremium rechtzeitig die erforderlichen Informationen zu erhalten.

Gutes Lobbying abhÀngig von Budget

Die Studie hat mit großer Klarheit ergeben, dass die QualitĂ€t des europĂ€ischen Lobbyings in erster Linie von dem Budget bestimmt wird, das hierfĂŒr bereitgestellt wird. So können sich wöchentliche Kontakte mit dem EuropĂ€ischen Parlament nur 10 Prozent der VerbĂ€nde leisten, die ĂŒber einen EU-Etat von maximal 100.000 Ecu verfĂŒgen, wĂ€hrend es bei den VerbĂ€nden mit einem Budget von mehr als 5 Millionen Ecu deutlich ĂŒber 50 Prozent sind. Noch deutlicher wird diese Spreizung in der IntensitĂ€t der Interessenvertretung beim Rat. Hier liegt der Prozentsatz der „Low-Budget“-VerbĂ€nde“, die wöchentliche Kontakte unterhalten, bei deutlich unter 10 Prozent, wĂ€hrend die finanziell gut ausgestatteten VerbĂ€nde zu mehr als 50 Prozent solche intensiven Kontakte zum Rat unterhalten. Die Untersuchung zeigt gleichzeitig, dass hinsichtlich der Kontakte zur EU-Kommission die Budgetfrage nicht ganz so entscheidend ist, weil auch ein knappes Viertel der finanziellen mager ausgestatteten VerbĂ€nde wöchentlich bei der Kommission antichambriert. Bei den „High-Budget“-VerbĂ€nden sind es dagegen knapp 60 Prozent.

Einfluss der Großunternehmen

Der wachsende Einfluss des direkten Firmenlobbyings durch Großunternehmen wird im wesentlichen auf zwei Ursachen zurĂŒckgefĂŒhrt: Sie stellen eine erhebliche Macht im Blick auf Investitionskapital und ArbeitsplĂ€tze dar, die kaum von den EU-Behörden außer acht gelassen werden kann. Da die Multinationalen beim Lobbying als „Einzelspieler“ auftreten können und nicht zum „Mannschaftsspiel“ verpflichtet sind wie dies bei VerbĂ€nden der Fall ist, können sie kurzfristiger und direkter als die institutionellen Interessenvertretungen agieren.

Von Seiten der europĂ€ischen Gremien ist immer wieder unterstrichen worden, dass sie einen steten GesprĂ€chspartner einem Gremium von zehn oder fĂŒnfzehn Interessenvertretern vorziehen. Dies fĂŒhrt bei den europĂ€ischen InteressenverbĂ€nden zu einem gewissen Zwang, sich in Spitzenorganisationen zusammenzuschließen, die dann ihrerseits die Interessen der angeschlossenen MitgliedsverbĂ€nde vertreten.

Die Untersuchung zeigte auch, dass es fĂŒr die EU-VerbĂ€nde bei weitem einfacher ist, Zugang zu den wichtigen europĂ€ischen GesprĂ€chspartnern zu finden als dies bei den nationalen VerbĂ€nden der Fall ist.

WĂ€hrend mehr als 60 Prozent der EU-VerbĂ€nde wöchentliche Kontakte zu der EuropĂ€ischen Kommission unterhalten, gilt dies nur fĂŒr 36 Prozent der deutschen und 28 Prozent der französischen WirtschaftsverbĂ€nde. Immerhin unterhalten mehr als 80 Prozent der befragten Großunternehmen wöchentliche Kontakte zur EuropĂ€ischen Kommission.

VerbindungsbĂŒro in BrĂŒssel?

Neben der Mitgliedschaft in einem EU-Verband gehen immer mehr VerbĂ€nde dazu ĂŒber, eigene VerbindungsbĂŒros in BrĂŒssel zu eröffnen. Dieser Prozess hat sich seit der „Einheitlichen europĂ€ischen Akte“ deutlich beschleunigt. 23 der befragten nationalen WirtschaftsverbĂ€nde verfĂŒgen mittlerweile ĂŒber ein VerbindungsbĂŒro in BrĂŒssel, weitere VerbĂ€nde planen in Zukunft dort ein BĂŒro zu eröffnen.

Wer wird kontaktiert, wie und warum?

FĂŒr die Auswahl geeigneter GesprĂ€chspartner in den EU-Institutionen ist in erster Linie die administrative ZustĂ€ndigkeit entscheidend (77 Prozent bei den EU-VerbĂ€nden, 87,5 Prozent bei den deutschen WirtschaftsverbĂ€nden, 56,7 Prozent bei den britischen VerbĂ€nden). Persönliche Verbindungen spielen dagegen nur bei 54,6 Prozent der EU-VerbĂ€nde (45,3 Prozent bei den deutschen und 38,9 Prozent bei den britischen VerbĂ€nden) eine Rolle. Die Sprache ist fĂŒr 12,6 Prozent der EU-VerbĂ€nde, 22 Prozent der deutschen und 36,2 Prozent der britischen VerbĂ€nde ein entscheidendes Auswahlkriterium. Dagegen spielt die NationalitĂ€t und Parteizugehörigkeit nur eine untergeordnete Rolle.

Die ideale Kontaktperson auf der europĂ€ischen Ebene ist daher ein persönlicher Bekannter, der die gleiche Sprache wie der Interessenvertreter spricht und einen bedeutsamen Verantwortungsbereich inne hat. Interessanterweise zeigt die Studie, dass auf nationaler Ebene in Deutschland auch die regionale Herkunft des GesprĂ€chspartners fĂŒr 34,8 Prozent bedeutsam ist. Dies ist eine Auswirkung des föderalen Systems in der Bundesrepublik.

NĂŒtzliche Lobbyinstrumente

Als Arbeitswerkzeuge werden in allen befragten LĂ€ndern mit fallender Tendenz genannt:

  • Positionspapiere
  • Persönliche Kontakte
  • RegelmĂ€ĂŸige Kontakte und Hintergrundinformationen
  • Gezielte Kontakte und Informationen
  • Anwesenheit in Gremien und bei Anhörungen
  • Beweis wissenschaftlichen Sachverstandes
  • Mobilisierung der Öffentlichkeit und der Medien

Dienstleister oder Interessenvertreter?

Interessante Unterschiede gab es im SelbstverstĂ€ndnis der VerbĂ€nde in den drei untersuchten LĂ€ndern. WĂ€hrend sich französische VerbĂ€nde in erster Linie als Dienstleister fĂŒr ihre Mitglieder verstehen, stellen sich deutsche, britische und EU-VerbĂ€nde in erster Linie als Interessenvertreter dar, die der politischen Information und der Vertretung ihrer Mitgliedschaft dienen.

Die Interessenvertreter werden in aller Regel wĂ€hrend drei Phasen des Gesetzgebungsverfahrens gefordert: Einmal, wenn entsprechende VorschlĂ€ge auf europĂ€ischer Ebene von der Kommission formuliert werden, ferner, wenn die EU-Gesetzgebung in das nationale Recht umgesetzt wird und schließlich, wenn das nationale Recht durch die dafĂŒr zustĂ€ndigen Behörden angewendet werden muss.

Jede Phase stellt Anforderungen eigener Art und hat ihre spezifischen Spielregeln. Sie zu verwechseln, gefÀhrdet den Erfolg.

Artikel teilen:

Das könnte Sie auch interessieren: