Verbändereport AUSGABE 1 / 2008

Freiräume sichern

Verbände als Aufklärer: Der wachsenden Skepsis gegenüber Globalisierung und Marktwirtschaft muss offensiv begegnet werden

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Die politische Diskussion in Deutschland und in der EU ist zunehmend vom „Zauberwort“ (Otfried Höffe, 2004) der sozialen Gerechtigkeit dominiert. Angesichts der Herausforderungen des globalen Wettbewerbs und des Gefühls wachsender sozialer Ungleichgewichte wird der Ruf nach staatlicher Fürsorge, nach Schutzvorkehrungen und Transferzahlungen immer lauter. Die Mehrzahl der politischen Parteien richtet sich nach dieser Grundströmung aus, weil sie glaubt, nur dadurch die Abwanderung der Wähler zu Protestparteien am linken und rechten Rand verhindern zu können.

Diese von einigen Beobachtern sogenannte Sozialdemokratisierung der Politik hat aber ihren Preis. Er besteht darin, dass die Freiräume der Wirtschaft an vielen Stellen beschnitten werden. Der Hang des Staates zur Intervention reicht von der Tarif- über die Energie- bis hin zur Gesundheitspolitik. Auf all diesen Feldern setzt sich eine Tendenz durch, die das Versprechen der sozialen Gerechtigkeit der unternehmerischen Freiheit überordnet. Die Wirtschaft muss deshalb in Deutschland und auf europäischer Ebene die Auseinandersetzung mit der Politik forcieren, um Freiräume zu verteidigen, die für ein nachhaltiges Wachstum und damit die Sicherung von Beschäftigung unabdingbar sind.

Welchen Weg sollte die Wirtschaft — und sollten insbesondere ihre Verbände — dabei beschreiten? Welche Mittel sollte sie anwenden, welche Dialogformen gegenüber der Politik wählen? Zunächst einmal müssen Unternehmer und Verbandsmanager akzeptieren, dass Gesetzgebung nach anderen Regeln abläuft, als sie in der Wirtschaft gelten. Was Vorstände oder Verbandspräsidien beschließen, wird gewöhnlich auch umgesetzt. Ein Beschluss des Bundeskabinetts hingegen markiert oftmals nur den Anfang langer Beratungsprozeduren, an deren Ende ein ursprünglicher Entwurf sein Gesicht erheblich verändert haben kann. Wer diesen Prozess konstruktiv begleiten will, benötigt Ausdauer und Beharrlichkeit.

Chance und Verantwortung

Die Verbände verfügen über das notwendige Wissen, die Glaubwürdigkeit und die Kontakte, die es braucht, um ein politisches Anliegen wirksam zu transportieren. Um nachhaltig Aufmerksamkeit zu erlangen, bedarf es einer differenzierten, strategischen Aufbereitung von Schlüsselthemen. Dabei handelt es sich zum einen um Fragen, die aus dem unmittelbaren Brancheninteresse heraus resultieren. Zum anderen haben die Verbände die Chance, aber auch die Verantwortung, Zukunftsthemen an die Politik heranzutragen, die für die Volkswirtschaft insgesamt von Bedeutung sind. Die Liste dieser Themen ist unendlich lang — sie reicht von der Gestaltung der Globalisierung über den Umbau der sozialen Sicherungssysteme bis hin zu Fragen der Umwelt- und Verbraucherpolitik. Frei von den Zwängen der Politik können die Verbände gründlich durchdachte, aber auch mutige Entwürfe und Positionen entwickeln, um diese anschließend in die Planungsstäbe der Parteien, Fraktionen und Ministerien einzuspeisen. Eine konsequent marktwirtschaftliche Ausrichtung der entsprechenden Papiere stellt dabei das notwendige Gegengewicht zu den einleitend beschriebenen Tendenzen der Tagespolitik dar, die typischerweise stärker vom nächsten Wahltermin als von den Grundsätzen der Ordnungspolitik geleitet ist.

Bei der Verschriftlichung ihrer Positionen müssen die Verbände sich konsequent am Empfänger orientieren. Oftmals flattern den Abgeordneten und Medien Verbändeverlautbarungen auf den Tisch, deren Lesbarkeit im Verlaufe interner Abstimmungsprozeduren erheblich gelitten hat. Hier sind die Kommunikationsprofis in den Verbänden gefragt: Erst eine klare, eingängige Sprache öffnet die Türen zu den Entscheidern der Politik, ihren Aufmerksamkeitsfenstern und Gedankenströmen. Ein souveräner Verbandschef gibt seinem Pressesprecher in dieser Hinsicht „freie Hand“.

Vorteilhaft ist es im Dialog mit der Politik, sich nicht auf die Partikularinteressen einer Branche zu beschränken. Eine solche Vorgehensweise kommt Abgeordneten und Beamten oftmals suspekt vor. Mit einer übergeordneten, ordnungspolitisch fundierten Argumentation können Verbände hingegen darauf hinwirken, dass künftig keine Gesetze mehr verabschiedet werden, die über kurz oder lang zu Arbeitsplatzverlusten führen. Eine entsprechende Argumentation sollte mit Zahlen, Fakten und Beispielen untermauert sein: Wir wirkt sich der Mindestlohn aus? Warum brauchen wir ausländische Investoren? Wie stehen wir im internationalen Steuervergleich da? Politiker verschließen sich den Positionen der Wirtschaft nicht von vornherein, wenn diese in sachlicher Form vorgetragen werden.

Verbände als Aufklärer

Verbände sollten sich somit als Aufklärer im umfassenden Sinne, ja: als „Botschafter der Marktwirtschaft“ verstehen — übrigens auch gegenüber den Medien. Eine gezielte und ausgewogene Wissensvermittlung in Form von möglichst neutral aufbereiteten Fact Sheets, Branchendialogen, Referenten- oder Journalistenseminaren kann dazu beitragen, das Verständnis der Politik und der Medien für die Anliegen der Wirtschaft zu erweitern. Auch durch Unternehmensbesuche „vor Ort“ können Berührungsängste abgebaut und — zuweilen auch unpopuläre — Entscheidungen besser nachvollzogen werden. Der Fall Nokia ist ein Beispiel dafür, wie schnell die Fronten zwischen Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit verhärten, wenn eine Standortmaßnahme höchst unglücklich kommuniziert und dadurch als kalt und ungerechtfertigt abgetan wird. Durch eine vorausschauende Kommunikation hätte ein Teil des Imageschadens möglicherweise verhindert werden können.

Hilfreich für ein besseres Verständnis zwischen Wirtschaft und Politik wäre ein forcierter Personalaustausch auf Zeit. So ist vorstellbar, dass ein Mitarbeiter eines Verbandes für einige Monate in ein Fraktionsbüro wechselt. Im Gegenzug wechselt der Referent eines Abgeordneten auf den Platz des Verbandskollegen oder in ein Mitgliedsunternehmen des Verbandes. Auf diesem Wege lernen beide Seiten sich besser kennen und können nach Ablauf des Ringtausches noch konstruktiver zusammenarbeiten.

Schließlich ist es unverzichtbar, neben der nationalen auch die europäische Ebene in jegliche Form der Verbandspolitik und der Verbandskommunikation einzubeziehen. Der Einfluss der EU-Gesetzgebung auf die Spielräume der Unternehmen steigt signifikant. Nationale Abgeordnete verzahnen sich zunehmend mit ihren Kollegen in Straßburg und Brüssel. Verbände, die diese Ebene nicht bedienen, drohen mit ihren Themen hinten herunterzufallen. Umgekehrt besteht gerade in Brüssel die Möglichkeit, neue, zukunftsweisende Themen früh in die Köpfe der Entscheider hineinzutragen — in den über eintausend Konsultationsgremien der EU-Kommission sind viele Stühle zu besetzen.

Am Ende stellen sich — auch für gut aufgestellte Verbände — angesichts knapp bemessener Stäbe noch einige ganz praktische Fragen: Wie verschaffe ich mir einen aktuellen Überblick über die für unsere Branche relevanten Gesetzgebungsvorhaben? Welche Positionen vertreten die beteiligten Parteien — wo verlaufen die Gefechtslinien, und wer sind die wichtigsten Akteure? In der Regel sind es die Verbändebüros in Berlin und Brüssel, die die entsprechenden Unterlagen erstellen. Im Zeitalter des Internets und der mobilen Kommunikation eröffnen sich ergänzend auch andere Wege: So bieten auf politische Kommunikation spezialisierte Dienstleister heute internetbasierte Informationsportale an, in denen aktuelle politische Vorgänge strukturiert abgebildet und digital nachverfolgbar sind. Gerade die zunehmend komplexe Verzahnung der europäischen und der nationalen Politikebene wird durch diese Form der Informationsaufbereitung besser verständlich.

Debatten wie diejenige um den Mindestlohn oder das verschärfte Außenwirtschaftsgesetz (Stichwort Staatsfonds) belegen es: Der Erfolg ganzer Branchen hängt zunehmend von den politischen Rahmenbedingungen ab. Je weitsichtiger dieser Rahmen gestaltet wird, desto besser können sich die Unternehmen im fairen Wettbewerb entfalten, wachsen und Arbeitsplätze schaffen. In der Bevölkerung wie auch in den Medien wird der Einsatz der Wirtschaft für bessere Rahmenbedingungen oftmals sehr kritisch gesehen — der Lobbyist gilt als suspekt. Tatsache ist aber: Oftmals ist es erst der Wissenstransfer aus der Wirtschaft in die Politik, der aus einem stark fachlich basierten Kabinettsbeschluss ein globalisierungstaugliches Gesetz werden lässt. Die Wirtschaft und ihre Verbände müssen — auch mit Blick auf die Wahlen zum Deutschen Bundestag und zum Europäischen Parlament im Jahr 2009 — alle verfügbaren Kräfte mobilisieren, um Vertrauen wiederherzustellen, Verständnis für die Wirkungszusammenhänge der globalisierten Marktwirtschaft zu entwickeln und so die notwendigen Freiräume für die Unternehmen zu sichern.

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