Verbändereport AUSGABE 9 / 2007

Familienfreundlichkeit – Sicherung der Zukunft

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Hessische Verbände und die „hessenstiftung – familie hat zukunft“ gaben eine umfangreiche Studie unter Führungskräften zum Thema Familienfreundlichkeit in Auftrag.

Das Thema ist en vogue: Familienfreundliche Personalinstrumente gehören zu den Standards von mittleren und großen Unternehmen. Auch andere Organisationen, Behörden oder Ministerien lassen sich dahin gehend überprüfen, ob sie familienfreundlich aufgestellt sind. Doch trotzdem lässt die gelebte Familienfreundlichkeit oftmals zu wünschen übrig. Väter gehen nach wie vor sehr zurückhaltend mit Elternzeit und -geld um. Mütter haben es immer noch schwer, wenn sie nach einer Geburt wieder zu 100 Prozent arbeiten wollen. Wovon hängt es also ab, ob Familienfreundlichkeit in einer Organisation etabliert ist oder nicht?

Nach der Ausgangsthese der Autoren ist die Unternehmenskultur der entscheidende Parameter, nicht die Anzahl der eingeführten Instrumente. Lässt es ein Unternehmen, die Führungskraft oder das Kollegenumfeld zu, dass familienfreundlich gehandelt wird? Werden die Konflikte, die von mangelnder Vereinbarkeit herrühren, erkannt oder verdrängt? Wird Familienfreundlichkeit oder die demografische Entwicklung mit dem damit einhergehenden Fach- und Führungskräftemangel im Unternehmen diskutiert oder tabuisiert?

Wir wollten wissen, wie die Führungskräfte als diejenigen, die das Thema umsetzen und erste Anlaufstelle der Mitarbeiter sind, das Thema sehen. Aus diesem Grunde haben wir mit insgesamt 114 Führungskräften aus 60 Unternehmen aller Größenordnungen jeweils circa eineinhalb Stunden gesprochen und interessante Erkenntnisse gewonnen.

Die Projektpartner

Beauftragt wurde die IGS Organisationsberatung GmbH von gleich vier namhaften Projektpartnern. Die Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände e.V. (VhU) vertritt 52 Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände aus Hessen mit insgesamt 140.000 Mitgliedsunternehmen und 1,5 Millionen Beschäftigten. Sie ist die Spitzenorganisation der hessischen Wirtschaft.

Der Arbeitgeberverband Hessen Metall vertritt 500 Mitgliedsunternehmen aus der Metall- und Elektrobranche in allen Fragen der Sozialpartnerschaft. Angefangen bei Tarifverträgen über arbeitsrechtliche Beratungen bis zu Fortbildungsangeboten reicht das Angebot des Verbandes, dessen Mitgliedsunternehmen 220.000 Mitarbeiter beschäftigen und 52 Milliarden Euro Jahresumsatz erwirtschaften.

270 Mitgliedsunternehmen mit insgesamt 96.000 Beschäftigten vertritt der Arbeitgeberverband HessenChemie. Als drittgrößter Chemiestandort in Deutschland ist Hessen an der gesamten deutschen Chemieproduktion mit 12,5 Prozent beteiligt. Auch durch diesen Verband werden tarif- und sozialpolitische Interessen vertreten. Besonders widmet sich HessenChemie auch einer generationengerechten Arbeits- und Personalpolitik.

Der vierte Auftraggeber ist die hessenstiftung – familie hat zukunft, die von der hessischen Landesregierung, vertreten durch das hessische Sozialministerium, im Jahre 2001 ins Leben gerufen wurde. Sie setzt sich für die Verbesserung der Lebensverhältnisse von Familien ein.

In dieser Partnerschaft konnten wir die Studie erfolgreich durchführen und aus den Ergebnissen Handlungsleitfäden zur Entwicklung einer familienfreundlichen Unternehmenskultur ableiten, die im Buch „Erfolgsfaktor Familienfreundlichkeit“ vorgestellt werden.

Zentrale Aussagen der Studie

Führungskräfte sehen die Familienfreundlichkeit von Organisationen als zentrales Zukunftsthema.

Die befragten Führungskräfte wissen sehr genau, was auf sie zukommt: Fach- und Führungskräftemangel, geminderte Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit der Belegschaft sowie Schwierigkeiten bei der Rekrutierung durch ein nicht immer positiv besetztes Image des entsprechenden Arbeitgebers. Zur Bewältigung dieser Entwicklungen sehen mehr als 88 Prozent einen Bedarf an familienfreundlichen Regelungen. Fast 93 Prozent glauben, dass gelebte Familienfreundlichkeit eine positive Auswirkung auf die Motivation der Beschäftigten hat.

Familienfreundlichkeit ist keine Sozialleistung, sondern die Realisierung einer Win-win-Situation.

Den Befragten ist sehr deutlich bewusst, dass die Zeit, in der Familienfreundlichkeit ein Frauen- und ein soziales Thema im Unternehmen war, vorbei ist. Vielmehr konstatieren 86 Prozent einen positiven Einfluss auf den Unternehmenserfolg. Steigende Motivation und Identifikation bis zu besseren Absatzmöglichkeiten (über 25 Prozent) werden mit gelebter Familienfreundlichkeit in Zusammenhang gebracht. Dabei besteht nach wie vor ein großer Handlungsbedarf, auch Männern Optionen zur Nutzung familienfreundlicher Regelungen einzuräumen. In vielen Organisationen zeigt sich, dass das alte Rollenverständnis des Ernährers und der sich um die Kinder kümmernden Ehefrau noch stark dominiert und die Wahl von anderen Möglichkeiten für die Betroffenen verhindert. Männer können nur selten die gleichen Maßnahmen in Anspruch nehmen wie Frauen, ohne negative Auswirkungen – beispielsweise auf ihre Karriere oder ihr Ansehen im Unternehmen – befürchten zu müssen.

Führungskräfte müssen in die Lage versetzt werden, adäquat mit den eigenen Bedürfnissen und denen der Mitarbeiter umzugehen.

Auch wenn der Bedarf grundsätzlich gesehen wird, werden die Führungskräfte unsicher, sobald es um die Umsetzung im eigenen Bereich geht. Familienfreundlichkeit oder Demografie sind oftmals vernachlässigte Themen im Unternehmen (weit über 30 Prozent der Befragten bekommen keine Diskussion über Demografie im Unternehmen mit). Daraus resultiert, dass die Führungskräfte wenig Orientierung haben, was die Organisation an familienfreundlichem Verhalten fordert oder billigt. So wird der eigene Wertmaßstab zum Ausgangspunkt des Führungsverhaltens. 46 Prozent der befragten Führungskräfte fühlen sich in einem Konflikt, wenn sie zugunsten der Mitarbeiter familienfreundlich handeln wollen oder sollen. Wenn der Konflikt lösbar ist, was wiederum 86 Prozent der Befragten angeben, dann zum größten Teil über ein am eigenen Werteverständnis orientiertes Handeln.

Dort, wo die Führungskraft Familienfreundlichkeit für wichtig erachtet, findet sie bei Entscheidungen Berücksichtigung. Woanders ist sie vernachlässigt, bleibt als strategisch wichtiges Thema unbesetzt und wird nicht gelebt. Dies ist nicht nur im Hinblick auf den Unternehmenserfolg bedauerlich, auch geht die Bewältigungsmöglichkeit demografischer Herausforderungen, die nahezu drei Viertel der Befragten in Familienfreundlichkeit sehen, verloren.

Da auf der anderen Seite von einem Zukunftsthema gesprochen wird, können es sich Organisationen nicht länger leisten, die Führungskräfte alleine zu lassen. Qualifikation, viel mehr aber auch die Thematisierung im Unternehmen oder die gezielte Implementierung eines Veränderungsprozesses bieten Unterstützungen, die zu Bewusstsein und Sicherheit bei den Führungskräften führen.

Besondere Anforderungen an Verbandsführungskräfte

Die Problematik stellt sich in besonderer Weise für Führungskräfte in Verbänden. Eingeschränkte hierarchische und einkommensbezogene Entwicklungen führen dazu, dass sich gerade in Verbänden und vergleichbaren Organisationen weniger an Karriere orientierte General Manager als an bestimmten Themen interessierte Experten zusammenfinden. Diese werden in Zukunft immer stärker in den Fokus anderer Nachfrager am Arbeitsmarkt geraten, da der Mangel an gut qualifizierten Mitarbeitern stetig zunimmt.

Stellt sich die Frage, wie Führungskräfte in Verbänden auf die Situation reagieren können oder wie sie dauerhaft das Image von Verbänden als Arbeitgeber positiv beeinflussen können. Die Schlussfolgerung kann nur lauten, sich auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter stärker einzustellen, um auf diese Weise eine Balance von Privatleben und Beruf zu gewährleisten. Dort, wo sich Fachkräfte angesiedelt haben, die das Privileg genießen, auch private Interessen in ihrer Lebensweise berücksichtigen zu können, werden sich eine geringere Fluktuation und eine höhere Identifikation zeigen. Insofern besteht gerade in Organisationen, in denen Fachwissen die Legitimation für die Existenz darstellt, ein hoher Bedarf, Familienfreundlichkeit für die Beschäftigten zu ermöglichen. Damit müssen sich gerade die Führungskräfte in Verbänden mit einer familienfreundlichen Gestaltung der eigenen Arbeitswelt auseinandersetzen, um dauerhaft qualifizierte Mitarbeiter gewinnen und binden zu können.

In den von uns befragten Unternehmen halten über 90 Prozent der Führungskräfte ihre Mitarbeiter für nicht leicht ersetzbar. Ein wesentlicher Grund dafür ist das Expertenwissen der Beschäftigten. Gerade dieses trifft auch auf Verbände zu. Insofern ist hier in besonderem Maße auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter zu achten. Dabei soll hier auch erwähnt werden, dass Familienfreundlichkeit nicht bei der Vereinbarkeit von Beruf und Kindern aufhört. Auch die Berücksichtigung von Interessen in der Partnerschaft bis zur Pflegebedürftigkeit von Angehörigen sind Themen, die in Zukunft noch bedeutsamer werden. Dieser Ansicht schließen sich im Übrigen fast 80 Prozent der befragten Führungskräfte an.

Fazit

Familienfreundlichkeit kann nicht länger als eine Sozialleistung gelten. Unsere Studie belegt, dass es zur Zukunftssicherung einer Organisation beiträgt, wenn man mit einer familienfreundlichen Kultur auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter eingeht. Dabei kommt es nicht in erster Linie darauf an, dass Instrumente – wie flexible Arbeitszeiten oder Telearbeitslösungen – dies ermöglichen. Vielmehr müssen die Führungskräfte dafür sensibilisiert werden, dass ihnen eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung einer solchen Kultur zukommt. Sie entscheiden darüber, ob Möglichkeiten nachgefragt und genutzt werden können. Ganz nebenbei ist es auch für sie selbst eine Option, die eigenen Bedürfnisse und die der Familie stärker zu berücksichtigen. Auch wenn unsere Studie belegt, dass gerade einmal gut die Hälfte der Führungskräfte für sich selbst solche Möglichkeiten nutzen.

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