Als Mittler zwischen Wirtschaft, Politik und Öffentlichkeit sind Verbände durch Internet, Ad-hoc-Allianzen sowie Lobbying- und PR-Dienstleister überflüssig. Dieses Lied vom Ende der Verbände wird alle Jahre wieder gesungen. Dementgegen stehen Erfolgsgeschichten von Verbänden, die sich gekonnt positioniert und ihre Kommunikation professionalisiert haben. Ihre Strategien und Maßnahmen können Impulse für die Verbandslandschaft geben.
So mancher frisch gebackene Hauptgeschäftsführer dürfte sein erstes graues Haar den Herausforderungen der deutschen Verbändelandschaft zu verdanken haben: Die Gesamtzahl der konkurrierenden Verbände nimmt stetig zu; gleichzeitig kehren immer mehr Mitglieder den Verbänden den Rücken; viele dieser Ehemaligen vertreten ihre Interessen – an den Verbänden vorbei – selbst. Die Wirtschafts- und Finanzkrise verstärkt diese Entwicklungen, als überflüssig empfundene Mitgliedsbeiträge landen auf der Streichliste.
In Einzelfällen sind es auch komplexe regulative Fragen, die Verbände in existenzielle Nöte bringen: Der viel zitierte Verband der Zigarettenindustrie musste 2007 aufgelöst werden, nachdem eines der prominentesten Mitglieder aufgrund innerverbandlicher Auseinandersetzungen zur politischen Positionierung seinen Austritt erklärte. Das Unternehmen ist nach wie vor politisch aktiv und vertritt seine Interessen nun mithilfe professioneller Dienstleister aus dem Lobbying- und Public-Affairs-Bereich. Zwar gibt es mittlerweile wieder einen Verband – aber die Schlagkraft hat sich durch die erzwungene Neugründung nicht verstärkt.
Anders die Situation beim Industrieverband Spectaris. Hervorgegangen aus der bereits seit 1881 existierenden „Deutschen Gesellschaft für Mechanik und Optik“ (nach dem Zweiten Weltkrieg „Feinmechanik und Optik“), konnte Geschäftsführer Dr. Tobias Weiler sogar in den Krisenjahren 2008/2009 einen Zuwachs an Mitgliedern verzeichnen. Zentrale Motive der neuen Mitglieder: professionelle Beratung, brancheninterner Wissenstransfer, Bündelung der Interessen gegenüber Politik und Gesellschaft. Durch regelmäßige Mitgliederbefragungen kennt der Verband die Bedürfnisse seiner Mitglieder genau, evaluiert die bisherige Arbeit und entwickelt neue Angebote. „Wir verstehen uns als Dienstleister unserer Mitglieder. Dienstleister zu sein heißt auch, Trends zu erkennen und diese dann als Verband voranzutreiben“, erklärt Weiler.
Treiber und Dienstleister
Diesem Ansatz ist auch die 2002 vorgenommene Neupositionierung und Umbenennung in den „Verband der Hightech-Industrie“ geschuldet. Spectaris bietet seitdem verstärkt zielgruppengerechte Schulungsangebote sowie vielfältige Austauschmöglichkeiten im vorwettbewerblichen Raum. Gleichzeitig will sich der Verband gegenüber seinen Mitgliedern als Anbieter hochwertiger und präzise auf die Interessen seiner Mitglieder abgestimmter Dienstleistungen positionieren. Die jüngst etablierte Online-Experten-Gruppe illustriert diesen Ansatz beispielhaft: Nach mühsamen Start wurde klar, dass eine Debatte mit Mehrwert nur dann in Gang kommt, wenn die Mitgliedsunternehmen Vertrauen zu dieser Art des Austauschs entwickeln. Also hat Spectaris den Zugang zu der Gruppe streng limitiert. Damit ist die Möglichkeit der Gewinnung neuer Mitglieder durch die Aktivitäten dieser Gruppe entgegen der ursprünglichen Planung faktisch ausgeschlossen – im Gegenzug bringt dieses Instrument aber einen klar erkennbaren Mehrwert für alle, die bereits dabei sind. Das zeigt: Wer nah an den Interessen seiner Mitglieder arbeitet und deren Bedürfnisse in einen exklusiven Vorteil für Mitglieder münzt, wird Erfolg haben. Neumitglieder kommen dann über Empfehlungen von ganz allein, so Weiler.
Mitgliederzuwachs durch Mehrwertangebot
Wozu der starke Fokus auf Dienstleistungen und Mehrwertangebote führen kann, zeigt einer der mitgliedsstärksten deutschen Verbände: Der ADAC gewann im Jahr 2010 rechnerisch jede Minute ein neues Mitglied hinzu. Inzwischen vertritt er rund 17,2 Millionen Auto- und Motorradfahrer. Auch wenn die Mitgliederleistungen erst als zweites Ziel in der Satzung auftauchen (erster Punkt ist die Interessenwahrnehmung), kann der Verband einen eindeutigen, klar abbildbaren und sofort nachvollziehbaren Mehrwert anbieten – und erfreut sich folgerichtig stetig wachsender Mitgliederzahlen. Unser „Erfolg beruht auf den zahlreichen Leistungen“, erklärt der Automobilclub selbstbewusst auf seiner Website. „Vor allem die Qualität der Pannenhilfe, der Luftrettung und die Leistungen des Schutzbriefs gehören zu den herausragenden Angeboten des Clubs.“ Und diese werden auch in der Verbandskommunikation immer wieder in den Vordergrund gestellt: Gelbe Engel, so scheint es, helfen Autofahrern überall und unter allen Umständen – egal, ob es um den Schutzbrief, den Rechtsschutz oder die Hilfe im Ausland geht.
Mitgliedschaft als Qualitätssiegel
Über mangelnden Mitgliederzulauf kann auch der Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen e. V. (BDIU) nicht klagen. Und das, obwohl die Aufnahmekriterien nicht leicht zu erfüllen sind. „Durch in der Satzung festgeschriebene ‚berufsrechtliche Richtlinien‘ haben sich die BDIU-Mitglieder hohe Maßstäbe für den Forderungseinzug von Privatpersonen und Unternehmen gesetzt“, erklärt Marco Weber, BDIU-Referent für Presse und Marketing. Nur wer diese Maßstäbe nachweislich erfüllt, hat die Chance, Mitglied des Verbandes zu werden. Der 1956 gegründete Verband hat sich durch diese Positionierung als eine Art „freiwillige Selbstkontrolle“ in der Inkasso-Branche profiliert. Dazu gehört eine eigene Beschwerdekammer inklusive der Möglichkeit, Sanktionen wie Verwarnung, Geldstrafen oder im schlimmsten Fall sogar den Ausschluss aus dem Verband auszusprechen. Die Verbandsmitgliedschaft dient somit als Qualitätssiegel und sichert jedem Mitglied einen klaren Wettbewerbsvorteil gegenüber Nichtmitgliedern. Die Botschaft: Wer nicht dabei ist, wirkt unseriös.
Neupositionierung durch Rechtsform Änderungen
Jene Verbände, die sich nicht schon bei Gründung mit einem solchen Alleinstellungsmerkmal positionieren konnten bzw. deren Rahmenbedingungen sich änderten, haben es da deutlich schwieriger. Denn die Neuausrichtungen und die Erschließung neuer Mitgliederschichten sind nicht allein Aufgabe der Verbandskommunikation. Das musste auch der Deutsche Fundraising Verband erfahren: Um die Organisation auch für juristische Personen zugänglich zu machen, wollte sich der Verband eine neue Rechtsform geben. Was auf dem Verbandstag zu einer intensiven und zeitweise erregten Diskussion führte. Doch laut dem Vorsitzenden des Vorstandes, Matthias Buntrock, ist die Umwandlung dringend notwendig: „Schon seit vielen Jahren gehen die Aufgaben, die der Deutsche Fundraising Verband erfüllt, über die Tätigkeit eines reinen Berufsverbandes hinaus“, erklärt er. Seine Position setzte sich durch, am Ende stimmten die Mitglieder mehrheitlich für die Umstrukturierung.
Bedürfnisse befriedigen, und zwar zeitgemäß
Derartige Veränderungen stehen beim Wirtschaftsrat der CDU nicht an. In der Berliner Bundesgeschäftsstelle des Verbandes arbeiten die Mitarbeiter dafür an einer umfassenden Modernisierung der Onlinekommunikation der Organisation. Die Ziele sind, die Vernetzung und den fachlichen Austausch zwischen den 12.000 Mitgliedsunternehmen weiter zu fördern. Dabei legt Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrats, trotzdem einen besonderen Schwerpunkt auf die persönliche Begegnung: „Wir richten bundesweit jährlich rund 1.500 Veranstaltungen aus, um den direkten Austausch zwischen Unternehmen und Unternehmern zu fördern. Neben der zentralen Informationsplattform www.wirtschaftsrat.de haben wir daher auch ein Online-Einladungsverfahren aufgebaut, das unseren Mitgliedern einen möglichst unkomplizierten Zugang zu unseren Events ermöglicht. 95 Prozent unserer Mitglieder bewerten dieses neue Angebot als positiv oder sehr positiv“, erklärt er stolz. Inzwischen wurde auch eine App für alle gängigen Smartphones entwickelt, um die Nutzung dieser Services auch unterwegs zu erleichtern. Dort finden sich Informationen zu individuellen Interessenschwerpunkten nach Themen und Regionen, eine bundesweite Veranstaltungsnavigation mittels Google-Maps und die Möglichkeit zur direkten Anmeldung. Die Plattform ermöglicht es heute, die Firmeninhaber und Manager zielgerichtet über ihre Interessengebiete zu informieren, gleichzeitig können sie ihren unternehmerischen Sachverstand aktiv einbringen.
Heterogene Mitgliederstruktur als Chance
Wenn Verbände über Jahre wachsen, kommt es nicht selten zu der Herausbildung vielfältiger Mitgliederstrukturen. Schnell finden sich sowohl kleine, mittlere als auch Großunternehmen im Mitgliederverzeichnis, die unter Umständen sogar unterschiedliche Branchenschwerpunkte haben. Dann droht eine Zersplitterung in Einzelverbände. Bei Spectaris entstammen die Firmen beispielsweise den Sparten Consumer Optics, Photonik, Präzisionstechnik, Mechatronik und Medizintechnik. Dieser Entwicklung trug der Verband durch die Gründung entsprechender Fachverbände Rechnung – und verhinderte damit die Abwanderung in entsprechende Nischenverbände. Die Fachverbände bedienen unter anderem eine der klassischen Verbandsaufgaben: die Formulierung und Bündelung politscher Interessen. Aus Sicht von Geschäftsführer Weiler ein typisches Alleinstellungsmerkmal: „Politische Entscheider wollen nicht mit 20 Unternehmensvertretern reden, sondern eine bereits aggregierte Meinung hören. Wenn diese Meinung dann im persönlichen Gespräch auch noch von einem engagierten Mitglied vorgetragen und mit Details aus der unternehmerischen Praxis angereichert wird, wird sich auch der Erfolg einstellen.“ Die Beispiele für erfolgreiche Verbandsarbeit zeigen: Eine trennscharfe Positionierung und die Fokussierung auf klar erkennbare Mehrwerte für die Mitglieder sind nach wie vor die zentralen Aufgaben der Verbandsführung. Erst durch eine zielgruppengerechte Verbandskommunikation werden diese Vorteile für die Mitglieder erlebbar – in der Folge werben sie Neumitglieder und identifizieren sich nachhaltig mit „ihrem“ Verband.