Die Bewertungen reichen von „groteskem Nonsens“ bis zum „Durchbruch für Bürgerrechte“. Die Rede ist vom Anti-Diskriminierungsgesetz, das eine emotionale politische Debatte ausgelöst hat. Verbändereport stellt den wesentlichen Inhalt des Gesetzes vor.
Mit Bundestags-Drucksache 15/4538 vom 16. Dezember 2004 hat die Regierungskoalition einen Entwurf eines „Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien“ vorgelegt. Das ADG soll:
- drei EG-Richtlinien umsetzen,
- im Vorgriff auf die noch ausstehende EG-Dienstleistungsrichtlinie weitere Bestandteile für Anti-Diskriminierungsmaßnahmen aufnehmen,
- die Zusammenfassung arbeits-, zivil-, beamten- und sozialrechtlicher Benachteiligungsverbote vor antreiben und
- allgemein dem Schutz vor Diskriminierungen im Sinne von Artikel 3 Grundgesetzes (GG) dienen.
Der Gesetzesentwurf ist am 21. Januar 2005 in erster Lesung im Bundestag beraten worden. Am 7. März 2005 hat eine Expertenanhörung stattgefunden, in deren Nachfolge die Regierungskoalition verschiedene Abänderungen ihres Entwurfstextes angekündigt hat, die aber noch nicht vorliegen. Schließlich hat am 22. April 2005 die zweite und dritte Lesung des Gesetzesentwurfes stattgefunden, damit das ADG bereits zum 1. Juli 2005 in Kraft treten kann. Bei den parlamentarischen Beratungen sind kleinere Modifikationen beschlossen worden.
Seit dem der ADG-Entwurf veröffentlicht wurde, befindet er sich in einer umfassenden politischen und rechtlichen Diskussion, auf die unten eingegangen wird.
ADG-Rechtsvorschriften
Das ADG ist in sieben Abschnitte unterteilt, wobei sich Abschnitt 1 dem allgemeinen Teil des ADG widmet und Abschnitt 7 Schlussvorschriften enthält. Die für die arbeitsrechtliche Praxis wesentlichen Regelungen zum Schutz der Beschäftigten vor Benachteiligung enthält Abschnitt 2. Abschnitt 3 enthält Regelungen zum Schutz vor Benachteiligungen im Zivilrechtsverkehr, Abschnitt 4 Vorschriften zum Rechtsschutz, Abschnitt 5 Sonderregelungen für öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse und Abschnitt 6 beinhaltet Vorschriften betreffend die Errichtung einer Antidiskriminierungsstelle und deren Rechtstellung.
Gemäß § 1 ADG sollen Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verhindert oder beseitigt werden. Bedeutsam ist, dass „Behinderung“ nicht mit der festgestellten Schwerbehinderung i.S. des SGB IX gleichzusetzen ist. Behindert ist gemäß § 2 SGB IX bereits, wessen körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, wodurch die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeinträchtigt ist. Dieser Personenkreis dürfte gewaltige Ausmaße haben. Wichtig ist weiter, dass wegen des „Alters“ nicht nur alte, sondern auch junge Menschen benachteiligt werden können.
Nach § 3 ADG sind unmittelbare und mittelbare Benachteiligungen, die aus den vorgenannten Gründen erfolgen oder mit einem der in § 1 ADG genannten Merkmale „in Zusammenhang“ stehen, erfasst. Außerdem erfasst sind Belästigungen, sexuelle Belästigungen und Anweisungen zur Benachteiligung einer Person aufgrund der vorgenannten Merkmale.
Nach § 6 ADG erfasst werden Arbeitnehmer, Auszubildende, Leiharbeitnehmer, Bewerber sowie arbeitnehmerähnliche Personen. Diesem Personenkreis gegenüber ist der Arbeitgeber nach dem ADG verpflichtet. Wichtig ist, dass diese Verpflichtung sich auch auf Personen erstreckt, deren Beschäftigungsverhältnis bereits beendet ist.
Beschäftigte dürfen nach § 7 ADG nicht wegen eines der vorgenannten Merkmale benachteiligt werden. Bestimmungen in individual- oder kollektivrechtlichen Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen, sind unwirksam. Was tritt an die Stelle der unwirksamen Bestimmungen?
In den §§ 8 bis 10 ADG sind zulässige unterschiedliche Behandlungen geregelt, die wegen eines der in § 1 ADG genannten Merkmale erfolgen. Bezieht sich diese Ungleichbehandlung auf eine geschlechtsbezogene Benachteiligung, so ist diese z.B. nur zulässig, wenn das Geschlecht wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine unverzichtbare Voraussetzung für die Tätigkeit ist. Bezüglich der anderen Merkmale (Rasse, Ethik, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität) ist eine unterschiedliche Behandlung zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtsmäßig und die Anforderung angemessen ist.
§ 11 ADG verbietet jede benachteiligende Form einer Stellenausschreibung. Dies gilt für interne und externe Ausschreibungen von Arbeits-, Aus- und Weiterbildungsplätzen. Was geschieht mit der „erfahrenen Bürokraft zwischen 30 und 40 Jahren“ oder dem „Hausmeister mit guten Deutschkenntnissen“?
§ 12 ADG verpflichtet den Arbeitgeber, die zum Schutz vor Benachteiligungen erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wozu auch präventive Maßnahmen (berufliche Aus- und Fortbildung, Hinweise auf die Unzulässigkeit solcher Benachteiligungen) gehören. Verstoßen Beschäftigte gegen das Benachteiligungsverbot, so hat der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zur Unterbindung der Benachteiligung zu ergreifen. Hierzu gehören beispielsweise die Abmahnung, die Versetzung oder auch die Kündigung. Der Arbeitgeber ist darüber hinaus verpflichtet, die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zum Schutz der benachteiligten Beschäftigten zu ergreifen. Ergreift der Arbeitgeber keine oder nur offensichtlich ungeeignete Maßnahmen zur Unterbindung einer Benachteilung, so sind die betroffenen Beschäftigten berechtigt, ohne Verlust des Anspruchs auf Arbeitsentgelt ihre Tätigkeit einzustellen, soweit das zu ihrem Schutz erforderlich ist. (§ 14 ADG).
Zu den wesentlichen Rechtsfolgen des ADG für den Arbeitgeber gehört die Pflicht zur Entschädigung und zum Schadenersatz gemäß § 15 ADG. Der Arbeitgeber hat demnach Schadenersatz in grundsätzlich unbegrenzter Höhe für materiellen Schaden zu leisten. Daneben haftet er auch für den so genannten immateriellen Schaden. Der betroffene Arbeitnehmer kann eine „angemessene Entschädigung“ verlangen, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes eine „wirklich abschreckende Wirkung“ haben muss. Auch dieser Entschädigungsanspruch ist also beinahe unbegrenzt. Von der im deutschen Recht vorhandenen Anbindung an das Monatseinkommen (§ 611a BGB – geschlechtsbezogene Benachteiligung) wird ausdrücklich in der Begründung zum ADG nach oben abgewichen.
Der Betroffene muss den Anspruch innerhalb einer Frist von sechs Monaten schriftlich geltend machen. Eine Verkürzung dieser Frist durch Tarifvertrag, wie es etwa in § 611a BGB vorgesehen ist, wird in der Begründung zum ADG ausdrücklich abgelehnt.
Der Arbeitgeber ist auch dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn die Benachteiligung im Sinne von § 1 ADG nicht durch ihn selbst, sondern durch von ihm beschäftigte Führungskräfte erfolgt. Auf ein Verschulden des Arbeitgebers kommt es insoweit nicht an. Erfolgt die Benachteiligung durch andere Mitarbeiter, oder durch Dritte (Kunden), so haftet der Arbeitgeber, soweit er seine Verpflichtungen aus dem ADG schuldhaft verletzt hat.
Das ADG gilt nicht nur im Arbeitsrecht, sondern gemäß § 20 ADG auch im allgemeinen Zivilrecht, also bei der Begründung, Durchführung und Beendigung von privatrechtlichen Schuldverhältnissen (Verträgen). Es gilt einerseits für Massengeschäfte, insbesondere also für diejenigen Verträge, die typischerweise ohne Ansehen der Person zustande kommen oder aber bei denen der personellen Auswahl untergeordnete Bedeutung zukommt. Andererseits gilt das ADG auch für alle privatrechtlichen Versicherungsverträge, die regelmäßig keine Massengeschäfte im vorgenannten Sinne darstellen.
Nach § 20 Absatz 5 ADG sollen die Vorschriften dieses Abschnitts keine Anwendung finden auf solche Schuldverhältnisse, bei denen ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis der Parteien oder ihrer Angehörigen begründet wird. Bei Mietverhältnissen etwa kann dies der Fall sein, wenn die Parteien oder ihre Angehörigen Wohnraum auf demselben Grundstück besitzen.
§ 21 ADG regelt die Zulässigkeit einer unterschiedlichen Behandlung.
Nach § 22 ADG kann der Benachteiligte die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Den Abschluss eines – verweigerten – Vertrages kann aber nur dann verlangt werden, wenn dieser ohne Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot abgeschlossen worden wäre.
§ 23 ADG regelt die Beweislastverteilung. Die Partei, die sich auf eine Benachteiligung beruft, muss die Tatsachen glaubhaft machen, die die Benachteiligung vermuten lassen. Die andere Partei hat dann die Beweislast dafür, dass andere als die in § 1 ADG genannten sachlichen Gründe die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen oder die unterschiedliche Behandlung nach Maßgabe des ADG zulässig machen.
§ 24 ADG sieht vor, dass Ansprüche aus dem ADG an Antidiskriminierungsverbände abgetreten werden können. Solche Verbände müssen mindestens 25 Mitglieder haben oder einen Zusammenschluss aus mindestens sieben Verbänden bilden. Die Verbände dürfen nicht nur vorübergehend gebildet sein und nicht gewerbsmäßig arbeiten.
Die Antidiskriminierungsverbände sind befugt, im Rahmen ihres Satzungszwecks in gerichtlichen Verfahren, in denen eine Vertretung durch Anwälte nicht geboten ist, also z.B. in Verfahren vor den Arbeits- oder den Amtsgerichten, aufzutreten.
Der Bund wird nach § 27 ADG eine eigene Antidiskriminierungsstelle einrichten, deren Leitung der Bundespräsident auf Vorschlag der Bundesregierung ernennen soll. Bei dieser Stelle wird ein Beirat gebildet, der 16 Mitglieder haben soll.
Zusammenfassung und Bewertung
EG-Richtlinien sind in nationales Recht umzusetzen. Die Frage des „Ob“ der Umsetzung der genannten EG-Richtlinien in deutsches Recht stellt sich daher nicht. Fraglich ist aber das „Wie“ dieser Umsetzung. Der vorgelegte ADG-Entwurf geht an vielen Punkten über EG-Recht hinaus, so beispielhaft bei der Festlegung in § 3 ADG, wonach eine unmittelbare Benachteiligung vorliegt, wenn eine Person eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Mit dieser Formulierung wird jede Wiederholungsgefahr und auch jede ernsthafte, aber trotzdem hypothetisch gebliebene Erstbegehungsgefahr erfasst. Das EG-Recht zieht demgegenüber viel engere Grenzen. So heißt es in der EG-Richtlinie 2000/78/EG in Artikel 2 Abs. 2, dass eine unmittelbare Diskriminierung vorliegt, wenn „eine Person eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde“. Die hypothetische Gefahr wird also eindeutig der Vergleichsperson (andere Person) zugewiesen, der gegenüber keine diskriminierende Benachteiligung erfolgen darf. EG-Recht und ADG-Entwurf sind in dieser wesentlichen Unterscheidung nicht deckungsgleich. Auf andere Beispiele einer Inkongruenz soll an dieser Stelle verzichtet werden. In der Tagespresse sind verschiedene weitere Beispiele nachzulesen, an denen festzumachen ist, dass das ADG das EG-Recht nicht nur übernimmt, sondern übertrifft.
Gesetzliche Diskriminierungsregelungen sind dem deutschen Rechtssystem keineswegs fremd. Im deutschen Rechtssystem sind Benachteiligungen der vorgenannten Art z.B. durch die Artikel 3 Abs 1 und 3 GG, sowie einfachgesetzlich in dem Verbot geschlechtsbezogener Benachteiligung (§§ 611 a, 612 Abs. 3 BGB) und zum Schutz schwer behinderter Menschen (§ 81 Abs 2 SGB IX) geregelt. Insoweit beinhaltet das ADG keinen wirklich neuen Regelungsbereich. Störend an dem ADG-Entwurf sind die vielen unklaren Rechtsbegriffe (z. B. „Weltanschauung“ in § 1; „in Zusammenhang“ mit den Merkmalen des § 1 in § 3). Die Ausdehnung des Geltungsbereiches über EG-Vorgaben hinaus, so genügt z. B. nach dem ADG eine einmal erfolgte Belästigung, während die EG-Richtlinien grundsätzlich die Schaffung „einer feindlichen Atmosphäre“, also grundsätzlich eine bestimmte Wiederholungshäufigkeit fordern, die Ausdehnung der Haftpflicht des Arbeitgebers auch auf Dritte (z. B. auf den unflätig maulenden Kunden im Bäckereifachgeschäft), die unbeschränkte Haftung des Arbeitgebers für materielle und immaterielle Schäden (das österreichische ADG sieht für immaterielle Schäden eine Höchstgrenze von 500 Euro vor), ist weder rechtlich noch sachlich geboten.
Schließlich stellt die Bildung von Antidiskriminierungsverbänden, denen höchstpersönliche Ansprüche zur Eintreibung übertragen werden können, eine neue Variante des seit Jahrhunderten bekannten „Ablasshandels“ dar. Diese Verbände und mancher Anwalt werden das ADG möglicherweise nutzen, um unsinnige Prozesse anzustrengen. Nicht umsonst nennt Jobst Hubertus Bauer (Handelsblatt, 24.01.2005) das ADG ein „Geschenk für Anwälte“.
Über 5,5 Millionen Euro pro Jahr soll allein die Einrichtung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes kosten. Wie dennoch im ADG-Entwurf davon die Rede sein kann, zusätzliche Kosten seien für Unternehmen mit diesem Gesetz nicht verbunden, bleibt rätselhaft.
Das ADG atmet die gesetzgeberische Intention, bestimmte Moralvorstellungen in die Rechtsbeziehungen von Bürgern zu Bürgern zu tragen.
Da das ADG insgesamt geeignet erscheint, Arbeitgebern die Schaffung von Arbeitsplätzen weiter zu verleiden, es daneben die Rechtstellung von Vermietern und sonstigen Gewerbetreibenden unnötig erschwert, ist zu hoffen, dass die angekündigten Abänderungen des ADG-Entwurfes eine deutliche Entschlackung herbeiführen werden. (AJ)