Arbeit hat auf die meisten Menschen einen bereichernden, sinnstiftenden, positiven Effekt. Aber die Arbeitswelt ist einem stetigen Wandel unterworfen, der regelmäßig über alle Alters- und Berufsgruppen hinweg zu teilweise vielfältigen Veränderungen führt. Nicht alle Personen kommen mit diesen Veränderungen jederzeit gut zurecht. Der kürzlich veröffentlichte „Stressreport Deutschland 2012“ thematisiert daher bewusst negative Wirkungen von Arbeit.
Tagelang war es nicht möglich, der Medienbericht-erstattung über den im Januar 2013 veröffentlichten „Stressreport 2012“ auszuweichen. Auf allen digitalen und Print-Kanälen dominierte das Thema wie sonst kein zweites. Das Medienecho ist selbstverständlich ebenso erklärlich wie die scheinbar nicht enden wollende Thematisierung von Burn-out, denn Arbeit nimmt eine überragende Bedeutung in unserem Leben ein.
Der „Stressreport Deutschland 2012 – Psychische Anforderungen, Ressourcen und Befinden“, so der volle Titel, ist von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin herausgegeben worden. Auf 208 Seiten werden auf Grundlage einer Befragung von etwa 17.000 Beschäftigten über 15 Jahre mit mindestens zehn Wochenarbeitsstunden Stressfaktoren in der Arbeitswelt identifiziert.
Was bleibt vom großen Medien-Interesse über die Zunahme von Stress und psychischen Belastungen an deutschen Arbeitsplätzen? Welche Hinweise können Verbandsmanager für eine moderne Personalführung gewinnen? Welche Rückschlüsse können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für ihre Arbeitsorganisation ziehen?
In der nebenstehenden Tabelle sind zunächst einige zentrale Aussagen des „Stressreports Deutschland 2012“ zusammengefasst.
Da die Herausgeber uns nicht den Gefallen getan haben, die Arbeitssituation in Verbänden, Kammern, Innungen und Stiftungen gesondert zu ermitteln, müssen wir uns mit der Auskunft begnügen, dass sich „… z. B. in Verwaltungs- und Büroberufen … vergleichsweise selten überdurchschnittliche und Spitzenwerte [bezüglich ermittelter Stressfaktoren und Belastungssituationen, Anm. des Verfassers] zeigen …“
Verbandsarbeit mit hohem Spaßpotenzial
Verbände sind in der Tat eher nicht bekannt für ein Arbeitsumfeld mit überdurchschnittlichem Stresspotenzial, hohen Krankenständen, extremer Mitarbeiterfluktuation oder Entlassungsängsten. Dies sagt allerdings wenig aus über die tatsächlichen Anforderungen an die Verbandsarbeit, das individuelle Engagement des Personals oder das Arbeiten über die normalen Bürozeiten hinaus.
Es ist wohl eher ein Beleg für die Tatsache, dass Verbandsarbeit – die interne Interessenkoordinierung und Meinungsbildung, die externe Interessenvertretung und Repräsentanz sowie Beratung und Services – kaum als monoton, sondern eher als vielfältig und abwechslungsreich wahrgenommen wird. Die Arbeitsinhalte, die Sinnhaftigkeit des Tuns, Freiräume bei der Umsetzung, das Maß an individueller Verantwortung sowie die grundsätzliche Sicherheit des Arbeitsplatzes mögen zusätzlich für eine vergleichsweise eher positive Arbeitszufriedenheit und Arbeitsmotivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sorgen.
Natürlich ist es eine herausfordernde und manchmal auch belastende Aufgabe, allen Informations- und Kommunikationsanforderungen der mannigfaltigen internen und externen Ziel- und Anspruchsgruppen immer wieder zeitnah zu begegnen.
Aber es ist eben grundsätzlich eine hoch spannende Aufgabe, interne Service- und Beratungswünsche kompetent zu erfüllen und sich ferner als Transmissionsriemen von Interessen und Positionen im Dreieck von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu bewegen und damit eine mitgestaltende Rolle für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung wahrzunehmen.
Verbandsarbeit ist grundsätzlich interessant, vielschichtig und abwechslungsreich und hat damit durchweg ein hohes Spaßpotenzial. Und herausfordernde Arbeit, die tendenziell Spaß macht, führt eher selten zu einem negativen Stressempfinden, zu Belastungssituationen, psychischer Erschöpfung und Krankheit.
Das Aushöhlen des Dienstendes
Trotz alledem müssen sich Personalverantwortliche in Verbänden damit befassen, dass auch die Verbandsarbeit einem enormen Wandel unterworfen war und ist. Wer bereits vor 15 oder 20 Jahren eine Aufgabe im Verbandsleben innehatte, wird leicht ein erhebliches Anziehen qualitativer wie quantitativer Arbeitsanforderungen beschreiben können.
Neben anderen Faktoren ist insbesondere der Einzug von Mobiltelefonen, dann Smartphones und weiteren mobilen Endgeräten beachtenswert. Die Informations-, Kommunikations- und Abstimmungsprozesse auch in Verbänden sind auf die mit den Endgeräten verbundenen Möglichkeiten abgestellt. Beteiligte sind jederzeit erreichbar und unmittelbar aussagefähig, auch nach 17:30 Uhr.
Das mobile Zeitalter unterhöhlt schleichend ein definiertes Dienstende und damit eine für viele Menschen notwendige Möglichkeit abzuschalten.
An dieser Stelle besteht die Gefahr, dass sich der positive, mitunter auch schützende und stabilisierende Effekt von Arbeit auf die Psyche in ihr Gegenteil verkehrt. Und dies gilt insbesondere für Personen, die sich mit viel Leidenschaft einbringen und die Möglichkeiten der Kommunikation auch nach formalem Dienstende selbstverständlich und regelmäßig nutzen. Das was diesen Menschen vermeintlich guttut und für sie selbstverständlich erscheint, kann ebenso schleichend zu einer dauerhaften Belastung werden.
Burn-out und psychische Erkrankungen
Auch wenn die Wissenschaft den Anteil von arbeitsbedingter psychischer Belastung an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen noch nicht genau beziffern kann, ist eines gesicherte Erkenntnis: Ein Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankungen besteht und die Folgen für betroffene Organisationen sind erheblich.
Nun ist Burn-out nicht als Krankheit definiert, sondern eher als Zustand. Die Fachwelt beschreibt Burn-out als emotionalen Erschöpfungszustand mit verminderter Leistungsfähigkeit, der sich als Ergebnis eines Prozesses einer permanenten Belastungssituation darstellt.
Es gibt keine Standarddiagnose für Burn-out. Mal ist ein Hörsturz festzustellen, mal extreme Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, mal Angstzustände oder Herzbeschwerden oder eine Kombination der Symptome. Oft lässt sich eine Depression diagnostizieren. In der Literatur werden etwa 130 Symptome beschrieben.
Eine mögliche Burn-out-Entwicklungslinie kann folgendermaßen verlaufen:
- Verstärktes Engagement
- Pausenloses Arbeiten
- Verzicht auf Pausen
- Beschränkung sozialer Kontakte
- Verdrängen von Misserfolgen
- Schlafstörungen und chronische Müdigkeit
- Erschöpfung und Konzentrationsschwäche
- Angstzustände
- Emotionale Schuldzuweisungen
- Innerer Rückzug und ausbleibendes Engagement
Interessanterweise wird eine Depression von Betroffenen nach wie vor eher verschwiegen, während Menschen mit der Diagnose Burn-out deutlich offensiver umgehen. Die Depression ist wohl immer noch mit dem Stigma des persönlichen Versagens und Scheiterns verbunden. Burn-out dagegen setzt quasi einen heldenhaften Einsatz voraus, ein fortgesetzt überdurchschnittliches Engagement und hohe Leistungsbereitschaft.
Nun kann eingewandt werden, dass auch oder vielleicht sogar ausschließlich private Gründe zu einem Burn-out-Symptom führen können. Ferner lässt sich die Zunahme von Erkrankungen und Krankheitstagen hinterfragen, denn offensichtlich ist der Anstieg teilweise durch eine größere Offenheit der Betroffenen beim Thema zu erklären.
Die angesprochenen Einwände sind den Betroffenen mit ihren Qualen allerdings herzlich egal. Und der betriebs- wie volkswirtschaftliche Schaden ist ebenso Fakt.
Stark gefährdet scheinen Arbeitnehmer in Leitungsfunktionen zu sein. Denn bei Managern und Führungskräften liegen drei Faktoren vor, die Burn-out begünstigen können: hohe Verantwortung, hoher Arbeitsaufwand und die permanente Forderung nach mehr Leistung. So äußerten in einer Umfrage des Deutschen Führungskräfteverbands 76 Prozent der Mitglieder, dass die Häufigkeit von Burn-out in ihrem Umfeld zugenommen habe.
Wie Vorgesetzte und Mitarbeiter (re)agieren können
Eine Grundregel, die für alle Aspekte der Mitarbeiterführung und -entwicklung maßgeblich ist, lautet: Gehen Sie als Führungskraft niemals davon aus, dass Ihre Mitarbeiter auf Herausforderungen, Entwicklungen, Veränderungen oder zusätzliche Aufgaben im Wesentlichen gleich oder ähnlich reagieren oder so empfinden wie Sie selbst.
So wie intrinsische Motivation bei jedem Menschen individuell wirkt, gilt dies natürlich ebenso für die Inhalte und die Rahmenbedingungen, unter denen die Arbeit geleistet wird. Für die einen ist eine Reorganisation spannend und motivierend, für die anderen beängstigend und lähmend. Halten Sie es als Führungskraft daher mit § 6 des rheinischen Grundgesetzes: „Jede Jeck es anders“! Diese Einsicht fördert eine differenzierte Betrachtung der Mitarbeiter und ermöglicht es individuelle Belastungsempfindungen zu identifizieren und auf diese adäquat zu reagieren.
Das Misstrauen vieler Vorgesetzter betreffend Burn-out ist bekannt: „Modediagnose“ und „Hype“ sind einige der Urteile. Dies ist an sich nicht falsch, verstellt aber den Blick leichtfertig darauf, dass diagnostiziertes und behandeltes Burn-out reversibel ist, eine Nichtbehandlung allerdings zu Krankheiten führen kann, die dann nicht mehr so leicht heilbar sind.
Zudem verbirgt sich hinter Burn-out-Diagnosen nach Einschätzungen der Fachwelt zu mindestens 30 Prozent eine Depression, so dass eine bereits feststellbare Krankheit aus Gründen der Fokussierung auf Burn-out schlicht übersehen wird.
Der Aufruf an Führungskräfte lautet daher: Nehmen Sie psychische Belastungssymptome jederzeit ernst und suchen Sie unbedingt das vertrauliche Gespräch mit betroffenen Mitarbeitern, um Verständnis zu signalisieren, Vertrauen aufzubauen und entlastende Maßnahmen zu vereinbaren.
Selbstverständlich hat aber auch und gerade jeder Mitarbeiter die Pflicht, Frühwarnzeichen bei sich zu identifizieren und ernst zu nehmen, um dann im Zweifel das Gespräch mit dem Hausarzt und dem Vorgesetzten zu suchen.
In der nebenstehenden Tabelle sind Hinweise für Vorgesetzte und Mitarbeiter benannt, die die Prävention von und den Umgang mit besonderen Belastungssituationen ermöglichen.
Führungskräfte wie Betroffene haben eine elementare Verantwortung für das körperliche und seelische Wohlbefinden der Mitarbeiterschaft, der sie mit der verstärkten Nutzung von Erkenntnissen und Empfehlungen zur Verringerung von Arbeitsintensität und Belastungssituationen nachkommen können.