Verbändereport AUSGABE 6 / 2013

Eine junge Frau sucht Rat: Karriere in Verbänden?

Brief eines gestandenen Verbandsmanagers an seine Patentochter

Logo Verbaendereport

Liebe Caroline,

ich gratuliere Dir zum Abitur. Nun willst Du entscheiden, was Du studierst. Du fragst mich, ob Du Dich beruflich auf die Verbände ausrichten sollst. Als Dein Patenonkel bin ich Dir zu einer ehrlichen Antwort verpflichtet. Als jemand, der lange für Verbände tätig war, zuletzt als Hauptgeschäftsführer, reklamiere ich Expertengewicht. Da ich beratend und interviewend dem Sektor weiter verbunden bin, bin ich mir ziemlich sicher, dass meine Antwort nicht auf veralteter Erkenntnisbasis beruht.

Ich kann aber nur einige Hinweise geben; die Entscheidung selber kann ich Dir nicht abnehmen. Dazu kannst Du Dir die Selbstbefragung nicht ersparen, so mühsam sie auch ist. Was ist Dir persönlich ganz wichtig, wichtig, weniger wichtig?

Die Stereotypen über Verbände sind keine positiven. Demnach sind Verbände eher bürokratische Gebilde, ganz überwiegend bestückt mit Juristen. Und die tragen Schlips um den Hals und Bedenken im Herzen, drücken sich ungern klar aus („Das kommt darauf an …“) und sind also Langeweiler wie die Organisationen, für die sie arbeiten.  Nur wenn Mitglieder via Ehrenamt Gewicht haben, lässt sich verhindern, dass Verbände wie Behörden agieren. Womit die nächste  Sammlung von Stereotypen in Griffnähe liegt: Beamte und Behörden. Wir wissen aus Umfragen, dass auch die Mitglieder von Verbänden, die über den eigenen Verband ein positiveres Bild haben, Verbände generell für verkappte Behörden halten. Insbesondere die Kammern, bei denen Unternehmen Pflichtmitglieder sind, leiden darunter.

Nimm eine Werbeagentur oder einen anderen kleinen Dienstleister als Gegenmodell: jung, schnell, kreativ, Du-Kultur mit Chef inklusive, klamottentolerant, dienstleistungsorientiert bis zum Umfallen, Frauen auf dem Vormarsch, viel fun and risk. Flache Hierarchie, die Tür zu den wenigen Oberen immer offen oder sie (zumeist er) mittenmang im fantasiereich eingerichteten Großraumbüro. Der Arbeitsplatz kundenabhängig, also nicht sicher. Die Chance, schnell viel Geld zu verdienen. Oder auch nicht. Offene Zukunft.

Bevor Du Dir die Frage, was Du bevorzugst, also in welchem Umfeld Du lieber arbeitest, beantwortest, unterziehe die Stereotypen einem Realitätscheck. Das ist ja das Schöne am demografischen Wandel: Deine Generation ist begehrt. Wenn Du eine Rundreise bei Verbandsverantwortlichen machst („Auf ein Wort bei einer Tasse Kaffee“), wird man Dir Termine geben. Und dann kannst Du Dir eine Hitliste der Verbände aufstellen, die nach Deinem Urteil für Praktika infrage kommen. Ich bin mir sicher, dass Dir jeder Gesprächspartner sagen wird: „Alle Verbände sind verschieden.“ Diese Antwort ist richtig und banal. Sie hilft Dir nicht. Kommen denn Stereotypen von ungefähr und bilden sie die Realität nicht zwischen „völlig“, „weitgehend“ und „zu Teilen“ ab?

Anders gefragt: Entdeckst Du bei der Erkundungstour Muster, die die skizzierte  Realitätsbehauptung belegen oder widerlegen? Auch kannst Du klären, welches Studium aussichtsreich für eine Verbandskarriere ist. Und ob Frauen in dieser ehemaligen Männerdomäne inzwischen mehr als  Außenseiter-Chancen haben. Ich denke, sie haben alle Chancen.

Wie lange sich Stereotypen halten, illustriert folgende Anekdote, die in einem hessischen Arbeitgeberverband erzählt wird: Die Sekretärin wehrt Anrufer ab, die den Geschäftsführer zwischen 13 und 14 Uhr sprechen möchten, mit dem Hinweis „Der Herr Geschäftsführer ist auf der Bank“.  Was die Anrufenden nicht wissen: Es handelt sich um eine Holzbank im Büro des Geschäftsführers und folglich beruht die Verhinderung des Herrn auf täglichem Mittagsschlaf. Aber, so wird versichert: „Das liegt weit zurück.“ Die Geschichte sei aus der unmittelbaren Nachkriegszeit, „als man noch in den Büros schwer Alkohol becherte, eigentlich alle rauchten und die Arbeitsessen mit Mitgliedern gern mal einen halben Arbeitstag dauerten“. Nicht die Fortsetzung, sondern die Veränderung gegenüber damals ist die Botschaft dieser Story, also nicht die Bekräftigung, sondern Aufhebung der Stereotype „So sind die Verbände“. Wirkt sie so beim voreingenommenen Zuhörer? Ich habe meine Zweifel.

Bei meinem Berufseinstieg habe ich tatsächlich zwischen einem Verband und einer Werbeagentur gewählt. Da ich mich nicht entscheiden konnte, habe ich erst das eine und dann das andere gemacht. Die Entscheidung fiel zugunsten der Verbände, die letzten Berufsjahre für den Verband der Werbeagenturen GWA. Da kamen die Interessen wieder zusammen; auch das Berufsleben verläuft nicht selten mäandernd. Übrigens ist nach meiner Beobachtung der Unterschied zwischen Verband und Agentur weit weniger ausgeprägt als behauptet. Verbände passen sich in Arbeitszeit, Stil und Tempo ihren Mitgliedern an. Achte mal bei Deiner Praxiserkundung darauf.

Ich hatte mich damals zugunsten der Verbände entschieden, weil ich Lust hatte an großer Themenbreite, an Themenfindungsaktivitäten, am direkten Umgang mit Mitgliedern, und das sind oft die Unternehmensverantwortlichen, die Spitzenleute der Branche. Meine Vorstellung, dass auch einem Youngster bei persönlichem Vertrauen viel Spielraum eingeräumt wird, fand ich bestätigt. Ein Paradox: Wo viel  Kontinuität  ist, lässt sich viel verändern, allein oder besser noch im Team. Die Doppelstruktur von innerverbandlicher Hierarchie und Ehrenamt kann lästig sein, aber auch chancenreich. Wer sich nicht ausbremsen lassen will, hat mehr Handlungsmöglichkeiten als in festgefügten Institutionen in Staat und Wirtschaft.

Ein Freund aus der Studentenpolitik, der mich in den Verband holte, warnte mich: „Einmal Verband, immer Verband.“ Man komme nicht wieder heraus aus diesem Beschäftigungsfeld. Zum einen, weil das Arbeiten an der Nahtstelle zwischen Wirtschaft und Politik so reizvoll sei, dass man zum Arbeiten außerhalb der Verbände wenig Lust verspüre, zum anderen – siehe Stereotypen –, weil Dritte dem Verbandsmanager nicht recht zutrauen, auch andere Positionen, zum Beispiel in Unternehmen oder in Selbstständigkeit, erfolgreich auszufüllen. Diese Warnhinweise empfand ich damals nicht als bedrohlich. Wenn das Arbeiten in Verbänden so reizvoll ist wie behauptet, dann kann man doch auch dort bleiben.  Ich bin mir, liebe Caroline, nicht sicher, ob die seinerzeitige Warnung überhaupt noch in vollem Umfang gültig ist. Frage mal nach. „Aber reich wirst du nicht“, warnte mich mein Freund damals auch. In Unternehmen lasse sich mehr verdienen, als Beamter sei man spätestens im Alter auf der besseren Seite. Und wenn man in den Verbänden nicht froh werde, dann sitze man möglicherweise zwar recht gut abgesichert, aber im Käfig einer falschen Wahl. Meine Erfahrung ist: Ich habe frustrierte Verbandskollegen getroffen. Im Alter wurden sie zynisch und konnten sich und alle anderen nicht leiden. Sie wussten alles besser, aber niemand wollte auf sie hören. Aber ob der Prozentsatz der Frust-Alten in Verbänden größer ist als anderswo, bezweifle ich. Die Kollegen erinnerten an Vögel, die sich durch eine offene Käfigtür nicht von ihren Klageliedern abbringen lassen wollen. Lieber das gewohnt Schlechte als Neues, das ja noch schlechter sein könnte.
 

So wie ich Dich, liebe Caroline, einschätze, hast Du den Ehrgeiz, irgendwann in der ersten Reihe  anzukommen. „Chefin werden“ kann man nicht studieren. Können, Fleiß, Ehrgeiz und Fortune sind die Transportriemen. Das ist in Verbänden nicht anders als überall. Noch nicht einmal die paradox anmutende Anforderung, wie sie gern und zu Recht den hauptberuflichen Spitzenleuten der Verbände ins Pflichtenheft geschrieben wird, ist wirklich einmalig. Verlangt wird, dass du im Denken und Handeln mit deinem Team Zukunftsräume erschließt und gleichzeitig die im Wettbewerb nach hinten gefallenen Mitglieder nicht abhängst, sondern schützt, solange es geht. Erforderlich ist, dass du den Verband führst, aber die ehrenamtliche Führung nicht verprellst. Du darfst deinem Präsidenten nie im Licht stehen, das haben die nicht gern. Wer diesen Spagat durch Katzbuckeln zum Ehrenamt und Treten der Mitarbeiter löst, ist eine Falschbesetzung. So was soll vorkommen. Aber sind die Aufgaben eines CEO gegenüber Aufsichtsrat oder eines Spitzenbeamten gegenüber seiner politischen Führung so viel anders? Junge Leute, das zeigen Umfragen, achten bei ihrer Arbeitgeberwahl nicht nur auf das attraktivste Gehaltsangebot oder die Attraktion des Arbeitsortes als Lebensmittelpunkt. Entscheidend für viele ist zudem die Reputation des Unternehmens. Wer hoch motiviert arbeiten will, will sich identifizieren können. Auch mit den Produkten. Das gilt natürlich auch für die Verbände als Arbeitgeber. Wer die Interessen seiner Mitglieder nur professionell vertritt, aber emotional neutral oder gar ablehnend, der wird sich schwertun. Wem Umweltfragen wurscht sind, der geht auch nicht zu Greenpeace.

In Zukunft wird sich die Rolle der Hauptamtlichen verändern. Viele Schätze, die durch die Nutzung digitaler Kommunikation und systematische Ressourcenerschließung von Mitglieder-Know-how noch gehoben werden könnten, werden endlich die notwendige Beachtung finden. Denn anders ist weder Wissens- noch Reputationswachstum herstellbar, wenn die Aufgaben komplexer werden, die Beitragskassen aber nicht voller. Und: Der Kulturwandel zu mehr Weiblichkeit und weniger Förmlichkeit ist auch in dieser Branche nicht aufzuhalten.

Das hohe Veränderungstempo in den Unternehmen könnte auch Verbände stärker treffen als bisher, also nicht nur ein bisschen, sondern existenziell. Interessenvertretung ist im Kern sicher nicht entbehrlich, in keiner politischen Konstellation. Aber der einzelne Verband, der sich, ob nun Unternehmen oder Personen seine  Mitgliedschaft bilden, immer auf Freiwilligkeit stützt, kann unter die Räder kommen. Branchen schmelzen, sortieren sich neu. Gewerkschaften schwächeln und mit ihnen die Arbeitgeberverbände. Ungewohnte Verbindungen entstehen zwischen Unternehmen, warum nicht auch zwischen Verbänden? Die Kompetenzverlagerung politischer Entscheidungen nach Brüssel hat Auswirkungen auf die Verbandszuschnitte. Die digitale Revolution verändert Entscheidungsprozesse nach innen und außen; mit welchen Konsequenzen für Verbände? Die Führungspositionen, da bin ich mir sicher, werden wie in Unternehmen schneller wechseln. Zehn Jahre sind das Maximum, ob Haupt- oder Ehrenamt, danach schlägt Erfahrung in Beharrung um.  Aber sind das alles Gründe, nicht in Verbänden zu arbeiten? Verbände und Unternehmen gleichen sich in vielem an, aber nach wie vor gibt es Unterschiede. Wen genau die reizen,  der sollte ins hauptamtliche Verbandsleben einsteigen.

Liebe Caroline, viel Glück auf Deiner Erkundungstour. Ich bin neugierig zu erfahren, ob Du meine Hinweise bestätigt findest oder nicht. Davon profitieren zwei.

Dein Patenonkel Henning    

Artikel teilen:
Autor/in

Henning von Vieregge

ist u. a. Buch- und Hörbuchautor, Blogger (www.vonvieregge.de), Lehrbeauftragter an der Universität Mainz sowie Verbändecoach. Von Vieregge war viele Jahre Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Kommunikationsagenturen (GWA).

Das könnte Sie auch interessieren: