Verbändereport AUSGABE 2 / 2024

Eine Fusion ist niemals ein Selbstzweck

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Ende letzten Jahres fusionierten der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunter­nehmen e. V. (iGZ) mit Sitz in Münster und der Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister e. V. (BAP) in Berlin. Auf Bundesebene vertritt die Interessen der Branche nun der gemeinsame wirtschafts- und sozialpolitische Gesamtverband der Personaldienstleister e. V. (GVP). Der Verbändereport sprach mit Hauptgeschäftsführer Florian Swyter über die Herausforderungen eines solchen Fusions-Marathons, erste Erfolgserlebnisse und die Bedeutung von „Elefanten im Raum“. 

Verbändereport: Herr Swyter, die Personaldienstleister sind seit einigen Monaten in einem Verband organisiert. Wie kam es zu diesem Entschluss?

Florian Swyter: Man muss sagen, dass es in unserer Branche vor über 15 Jahren noch vier oder fünf Verbände gab. Nach der letzten Konsolidierungsphase 2011 blieben der iGZ in Münster und der BAP in Berlin übrig. Schon 2013 wurden erste Überlegungen angestellt, ob es nicht sinnvoll sei, komplett zu fusionieren. Auf Münsteraner Seite gab es allerdings einen einstimmigen Beschluss dagegen. Dennoch wurde damals der Startschuss zur Zusammenarbeit in bestimmten Bereichen gegeben, wie etwa bei der gemeinsamen Tarifverhandlungsgruppe oder beim Ausbildungsberuf der Personaldienstleistungskaufleute. Vor rund zwei Jahren sind wir dann den letzten Schritt angegangen und haben die Fusion der beiden verbliebenen Verbände in die Wege geleitet.

Was gab letztendlich den Anstoß zur Verschmelzung?
Ich denke, die Zeit war einfach reif. Seit 2013 wurde das Thema Fusion immer mal wieder diskutiert. Man hat eine größere Schlagkraft, man hat mehr Ressourcen zur Verfügung und man wird auch klarer wahrgenommen. Die Personaldienstleistungsbranche im Allgemeinen – und die Zeitarbeit im Besonderen – steht bis zum heutigen Tag unter Druck und wird in der öffentlichen Wahrnehmung leider viel zu schlecht dargestellt. Das gilt vor allem im Vergleich zu dem gesellschaftlichen und wirtschaftspolitischen Nutzen, den unsere Branche stiftet. Vor diesem Hintergrund gab es Anregungen aus der Mitgliedschaft und aus dem Vorstand zu fusionieren. Ich selbst bin ja erst seit vier Jahren dabei, kann hier also von der Zeit davor nur aus Lektüre und natürlich aus Erzählungen berichten.

Nachdem die Coronakrise unsere Branche kräftig durchgeschüttelt hatte, war ein Momentum gegeben, dass die Vorstände beider Seiten intensiv diskutiert und anschließend vertraulich besprochen haben, ob es einen gemeinsamen Weg geben kann. Immerhin hatten wir ja ein Votum von 2013 auf Münsteraner Seite gegen den Zusammenschluss. Das musste man berücksichtigen und sich überlegen, ob man noch einen Anlauf wagen will.

Der finale Startschuss fiel also 2022?
Ja, vor zweieinhalb Jahren begannen wir zunächst im Hauptamt, die Vor- und Nachteile intensiv zu diskutieren. Sehr bald wurde auch die Mitgliedschaft einbezogen, um die Bereitschaft zu einer Zusammenarbeit und einer Fusion abzutasten. Der für uns entscheidende Punkt waren dann die Mitgliederversammlungen 2022. Hier haben der Vorstand des iGZ und das Präsidium des BAP den Mitgliedern nahezu gleichlautende Fragen gestellt, sinngemäß: „Seid ihr dafür, dass wir eine Zusammenarbeit intensivieren, die eine Fusion zum Ziel hat?“ Und das wurde auf beiden Seiten mit großer Mehrheit positiv beantwortet.

Es gab keine Hemmnisse oder unterschiedliche Lager?
Selbstverständlich gab es Fragen und auch Vorbehalte und Hinweise auf die unterschiedlichen Kulturen in der Mitgliedschaft. Insbesondere im Hinblick auf die sehr verschiedene Beitragsstruktur. Zu prüfen, wie wir da zusammenkommen können, war dann wiederum der Auftrag an das Hauptamt und die Vorstände der beiden Verbände.

Ab diesem Zeitpunkt haben wir Projektgruppen gegründet, in denen das Hauptamt, aber auch Vertreter der Mitglieder, also das Ehrenamt vertreten waren. Die befassten sich unter anderem mit den Themen Finanzen, Satzung, Tariffragen, aber auch mit dem Servicespektrum des neuen Verbandes.

Was waren die größten Hürden, die aus dem Weg geräumt werden mussten?
Zum einen muss man klären, wie die Führungsspitze des neuen Verbandes und die Besetzung der Gremien aussehen sollen. Denn natürlich spielt das eine Rolle bei einer Fusion, wer danach auf der Brücke steht und wie die Rollen im Team verteilt werden. Wir hatten uns vorgenommen, diese Frage eher früher als später anzugehen, denn sonst steht das wie ein „weißer Elefant“ die ganze Zeit im Raum.

Und zum anderen war das die Beitragsstruktur des neuen Verbands, die ja von den Mitgliedern akzeptiert werden muss.

Am Anfang spielte außerdem noch eine Rolle, wo der neue Verband seinen Sitz haben soll. Da waren wir uns relativ früh einig, dass wir die beiden Standorte erhalten wollen. Es gab für mich bis heute keine Veranlassung, einen großen Umzug in Gang zu setzen. Stattdessen haben wir zwei Kompetenzzentren in Sachen Zeitarbeit – eins in Münster und eins in Berlin. Hier hilft uns die digitale Weiterentwicklung, gerade in puncto Videokonferenzen, sehr dabei, standortübergreifend zu arbeiten.

Und welche Lösung gab es für die Beitragsordnung?
Wir haben uns darauf geeinigt, die iGZ-Beitragsordnung mit gewissen Modifikationen zu übernehmen. Die umsatzbezogene Beitragsstruktur des BAP wurde nicht fortgeführt.

Haben sich alle Kollegen der beiden Standorte schon persönlich kennengelernt?
Ja, und zwar schon mehrfach bei verschiedenen Formaten. Wir haben zum Beispiel letztes Jahr ein wirklich großes Teamevent für beide Organisationen veranstaltet. Und es gibt Treffen der standortübergreifenden Fachbereiche, zum Beispiel bei der Kommunikation. Da sehen sich die Kollegen und Kolleginnen ebenfalls persönlich vor Ort – sowohl in Münster als auch in Berlin. Außerdem haben wir mehrere Workshops für alle Fachbereiche organisiert, auch für die Führungsspitze. Der persönliche Kontakt und das Verständnis für die Kolleginnen und Kollegen des früheren anderen Verbands sind unerlässlich.

Man darf auch nicht vergessen, dass die beiden Verbände in einem gewissen Wettbewerb zueinander standen. Wir haben daher in den letzten zwei Jahren intensiv daran gearbeitet, Vertrauen aufzubauen. Das ist ganz entscheidend. Wir müssen deutlich zeigen, dass wir jetzt in einem Team sind und zusammen auf ein anderes Tor spielen und nicht mehr gegeneinander.

Welche Vorteile liegen nach der Fusion für Sie auf der Hand?
Die größten Vorteile werden wir wahrscheinlich erst in zwei, drei Jahren vollständig realisieren. Ganz wesentlich ist schon jetzt, dass wir mit einer Stimme sprechen und die Gefahr vermieden wird, gegeneinander ausgespielt zu werden – ob von der Politik, der Öffentlichkeit oder auch gelegentlich von Gewerkschaften.

Außerdem haben wir den Servicelevel für alle Mitglieder erhöht, indem wir die besten Angebote beider Verbände gebündelt haben. Zwei Beispiele dazu: Der iGZ hatte eine sehr starke Regionalstruktur mit sehr aktiven Landesverbänden, die auch viele Veranstaltungen durchgeführt haben. Das ist natürlich ein großer Vorteil, wenn man in der Fläche stattfindet und kürzere Wege hat. Das wurde beim BAP nicht so stark gelebt. Der neue Verband GVP hat das übernommen, weil es ein Vorteil für alle ist.

Auf der anderen Seite war der BAP in Berlin durch große Verbände wie der BDA und den internationalen Verband gut vernetzt. Diese Kanäle machen wir jetzt den früheren iGZ-Mitgliedern zugänglich. So bekommen sie stärker mit, was im Ausland läuft. Das erhöht die Informationsdichte und Schlagkraft.

Diese Liste lässt sich fortsetzen. Allein bei den Veranstaltungen und Seminaren ist natürlich das Angebotsspektrum für unsere Mitglieder jetzt größer. Auch die Veranstaltungen selbst sind besser aufeinander abgestimmt, es gibt keine Kannibalisierung mehr.

Langfristig profitieren wir meiner Meinung nach davon, dass wir mit einem starken Verband, in dem wir Ressourcen und Interessen bündeln, eine Plattform für die gesamte Branche schaffen, die in Zukunft einer ganz gewaltigen Transformation unterworfen sein wird. Ein Wettbewerb der Verbände untereinander bringt an dieser Stelle tatsächlich mehr Nachteile.

Ganz allein schaffen kaum Verbände eine solche Fusion. Gab es externe Berater oder Dienstleister?
Ja, da sind wir keine Ausnahme. Das ist bei einer Organisation mit zwei Standorten und zusammengerechnet fast 60 Beschäftigten auch nicht vermeidbar. Die anwaltliche Beratung war bei uns sicher etwas umfangreicher, vor allem in Bezug auf die tarifvertraglichen Auswirkungen. Beide Verbände hatten Tarifverträge für rund 700.000 Beschäftigte in der Zeitarbeit. Und da darf nicht der geringste Zweifel daran aufkommen, dass diese wirksam bleiben, bis wir mit den Gewerkschaften einen neuen Manteltarifvertrag verhandelt haben.

Darüber hinaus haben wir noch eine Unternehmensberatung hinzugezogen, um die Prozesse begleiten zu lassen. Und eine HR-Beratung für unsere neu zusammengefügten Fachbereiche.

Die Fusion ist durch und nun?
Wir haben schon noch ganz schön was vor uns. Zum einen müssen wir mit einem deutlich vergrößerten Vorstand und Präsidium eine Strategie für die nächsten Jahre beschließen, damit klar ist, in welche Richtung sich der neue Verband auch in Anbetracht des Wandels hin entwickeln soll. Dieser Prozess kann ja jetzt erst begonnen werden. Wir haben quasi das Betriebssystem programmiert und jetzt geht es darum, die Apps zu entwickeln, die uns dann wirklich von anderen unterscheiden.

Ein weiteres Thema, das uns in den nächsten Monaten beschäftigen wird, ist eben die tarifvertragliche Zusammenführung. Wir haben uns vorgenommen, perspektivisch nur noch ein Tarifwerk für eine Branche mit einem Verband zu haben.

Haben Sie Tipps oder Empfehlungen für Nachahmer?
Ich bin vorsichtig mit Ratschlägen für andere, weil es ja immer individuelle verbandliche Herausforderungen sind. Sicher ist es empfehlenswert, zunächst in kleiner Runde sehr scharf zu prüfen, warum man das macht. Eine Fusion ist kein Selbstzweck. So ein Schritt muss der Branche helfen und ein echter Mehrwert für sie sein. Denn dieser Marathon erfordert Kraft und manchmal auch Flexibilität und führt gelegentlich auch zu Verdruss.

Als zweiten Punkt würde ich empfehlen, schnellstmöglich die Mitglieder mitzunehmen und auch die Kollegen im Hauptamt früh einzubinden, vorzubereiten und zu erklären, warum man das macht, was sich ändern und was gleich bleiben wird.

Der dritte Punkt, den ich als Learning mitgenommen habe, ist es, unausgesprochene Fragen möglichst ehrlich auf den Tisch zu bringen und vorab zu klären. Auch wenn man kontrovers unterwegs ist, sollte man wichtige Dinge vorher klären, um keine weißen Elefanten im Raum stehen zu haben. Bei uns war das zum Beispiel die Beitragsstruktur. Erst wenn man solche Dinge vom Tisch hat, weiß man, dass sich auch der Rest klären lässt.

Und man sollte sich eine gewisse Flexibilität vorbehalten, wenn man merkt, dass im Fusionsprozess manche Dinge falsch eingeschätzt wurden. Da sollte man beweglich genug sein, noch Korrekturen vorzunehmen.

Gerade im Maschinenraum war auch bei uns ordentlich was los. Allein schon bei der Zusammenführung der beiden CRMs mussten Weichen gestellt werden. Das vielleicht noch als weiterer Tipp: nicht proportional vorgehen. Also nicht sagen: Wenn man eine Sache von dem einen Verband übernommen hat, musss das nächste aus dem anderen Verband kommen. Man sollte allein dem Gedanken folgen, was jetzt für die neue Organisation das Beste ist. Man muss auch Dinge über Bord werfen.

Vielen Dank für das offene Gespräch.

(KS)


Der GVP ist ein Zusammenschluss des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister (BAP) und des Interessenverbandes Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ). Er verfügt deshalb über jahrzehntelange Erfahrung in der Interessenvertretung der Branche. Die Mitglieder beider Verbände haben sich 2023 für ein gemeinsames, starkes Branchen-Sprachrohr entschieden. Eine Vertretung, die künftig die Personaldienstleistung in ihrer ganzen Vielfalt umfasst. Als Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband ist er die Stimme und Plattform der Personaldienstleister in Deutschland.

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Autor/in

Florian Swyter

Hauptgeschäftsführer Gesamtverband der Personaldienstleister e. V. (GVP)

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