Verbändereport AUSGABE 9 / 2007

Ein Plädoyer für Member Relationship Marketing (MRM)

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Seit Jahren wird die „Kundenorientierung“ als ein zentraler Erfolgsgarant für das Bestehen eines Unternehmens am Markt diskutiert. Verstärkt wurde die Diskussion um das Thema Kundenorientierung insbesondere durch den Bestseller von Peters/Waterman (1982) „In Search of Excellence“, in dem die Autoren die „Nähe zum Kunden“ als einen von acht Faktoren identifizieren, der für den Erfolg von Unternehmen maßgeblich ist. Auch im Verbandsbereich setzte in den vergangenen Jahren eine Phase der intensiven Auseinandersetzung mit Maßnahmen zur Steigerung der „Kundenorientierung“ ein, die sich in diesem Fall auf die Mitglieder von Verbänden richtet. Messungen der Mitgliederzufriedenheit wurden durchgeführt (wie: Befragungen des Deutschen Olympischen Sportbundes) und Mitgliederbindungssysteme implementiert (wie: GymCard des Deutschen Turner-Bundes). Allem Aktionismus zum Trotz stellte sich jedoch in vielen Organisationen die gewünschte Steigerung der Mitgliederorientierung nicht ein. Als entscheidender Faktor für das Scheitern bisheriger Bemühungen in diesem Zusammenhang kann das Fehlen eines umfassenden, integrativen Konzeptes zur Durchsetzung von Mitgliederorientierung im Kontext von Verbänden herausgestellt werden. Ausgehend von diesen Defiziten wird in diesem Beitrag ein Bezugsrahmen präsentiert, der das Thema Mitgliederorientierung in einen breiten Kontext stellt. Im Vordergrund steht das Ziel, den Zusammenhang zwischen Mitgliederorientierung und Verbandserfolg aufzuzeigen sowie erste Ansätze der Erfolgsfaktoren der Mitgliederorientierung zu benennen.

Mitgliederorientierung als zentrales Prinzip des Marketings von Verbänden

Die notwendige Ausrichtung der Verbände auf die Wünsche und Bedürfnisse der Mitglieder ist nicht zuletzt auf die Veränderungen im Verbandsbereich zurückzuführen. Unter anderem führt die demografische Entwicklung in zahlreichen Personenverbänden zu rückläufigen Mitgliederzahlen. Die Verbände konkurrieren untereinander immer stärker, aber auch die Konkurrenz zu kommerziellen und sonstigen Anbietern am Markt nimmt zu. Des Weiteren werden die Erwartungen der Mitglieder zunehmend heterogener. Die Mitglieder verfolgen inter- als auch intraindividuelle Nutzenerwartungen, mit denen ein Verband sich auseinanderzusetzen hat. Neben einer zunehmenden Individualisierung ist zudem bei den Mitgliedern eine kritische Kosten-Nutzen-Kalkulation zu beobachten.

Die veränderten Anforderungen an Verbände führen schließlich dazu, dass die Mitglieder als wichtige Zielgruppe des Verbandes zunehmend ins Zentrum der Überlegungen rücken. Das Thema Mitgliedergewinnung und -bindung gewinnt für Verbände zunehmend an Bedeutung. Zudem scheint eine Steigerung der Mitgliederzufriedenheit und der Mitgliederbindung ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Verbände zu sein. Das Erkennen und Reagieren auf die beispielhaft aufgezeigten Veränderungen gehört dabei zu jenen Aufgaben eines Verbandes, die dem Verbandsmarketing zugeordnet werden. Insofern besteht zwischen den beiden Themenbereichen Marketing und Mitgliederorientierung ein enger Zusammenhang. Entsprechend hat eine Definition des Verbandsmarketings die Forderung der Mitgliederorientierung explizit oder implizit zu enthalten, wie dies auch in der folgenden Definition des Begriffes geschieht. Sie bildet den Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen.

Verbandsmarketing konkretisiert sich in der Analyse, Planung, Umsetzung und Kontrolle sämtlicher interner und externer Verbandsaktivitäten, die durch eine Ausrichtung der Angebote und Leistungen des Verbands am Mitgliedernutzen im Sinne einer konsequenten Mitglieder-orientierung darauf abzielen, verbandspolitische Ziele zu erreichen (in Anlehnung an Bruhn 2002, S. 14).

In den letzten beiden Jahrzehnten erfolgte eine Entwicklung des Marketingbegriffs von einer transaktions- zu einer beziehungsorientierten Sichtweise. Damit in Verbindung setzen lässt sich der Begriff des „Member Relationship Marketing“ (MRM), in dessen Zentrum die konsequente Ausrichtung sämtlicher Verbandsaktivitäten an den Bedürfnissen und Wünschen der Mitglieder steht. Demzufolge stellt das Member Relationship Marketing eine Neuakzentuierung des Verbandsmarketings in dem Sinne dar, dass nicht die Angebote und Leistungen mit den vier Ps (product, price, promotion, place) die Blickrichtung bestimmen, sondern die Beziehung zu den Mitgliedern die Aktivitäten des Verbandsmarketings strukturiert und differenziert. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einem „Paradigmenwechsel“, ohne dass damit eine völlige Neudefinition des Marketinggedankens erfolgt. In Anlehnung an Bruhn (2001, S. 9) kann Member Relationship Marketing vor diesem Hintergrund wie folgt definiert werden:

Member Relationship Marketing (MRM) umfasst sämtliche Maßnahmen der Analyse, Planung, Durchführung und Kontrolle, die der Initiierung, der Stabilisierung, Intensivierung und Wiederaufnahme von Beziehungen zu den Mitgliedern des Verbands mit dem Ziel des gegenseitigen Nutzens dienen.

Bei der Frage, ob der Begriff der „Kundenorientierung“ mit dem der „Mitglieder-orientierung im Verband“ gleichgesetzt werden kann, ist zunächst die Gemeinsamkeit festzustellen, dass eine Orientierung an den Bedürfnissen und Wünschen sowohl bei den Kunden als auch den Mitgliedern im Vordergrund steht. Daneben sind jedoch auch folgende Unterschiede zwischen den Begrifflichkeiten festzuhalten: Verbände sind Interessenorganisationen und die Ziele des Verbands entsprechen den Interessen der Mitglieder. Das Verhältnis der Mitglieder beruht auf einem Gesellschaftsvertrag von Individuen mit gleichgerichteter Zielsetzung im Gegensatz zu einer punktuellen, bilateralen Tauschbeziehung bei erwerbswirtschaftlichen Betrieben. Kann eine Identität zwischen den Zielen der Organisation und den Interessen der Mitglieder hergestellt werden, ist das aus Sicht der Mitglieder das Motiv zu Mitgliedschaft und Engagement im Verband.

Auch in der Position des Mitglieds und des Kunden sind Unterschiede festzustellen. So ist das Mitglied im Verband zugleich Konsument, Produzent, Finanzier und Entscheidungsträger, woraus sich eine verbandsspezifische Rollenidentität ergibt. Die unterschiedlichen Rollen des Mitglieds lassen sich aus den konstitutiven Merkmalen des Verbands ableiten, der Freiwilligkeit, der Ehrenamtlichkeit, den demokratischen Entscheidungsstrukturen und der Unabhängigkeit von Dritten.

Den Mitgliedern stehen im Vergleich zu Kunden einer Unternehmung vielfältige Steuerungsmechanismen zur Verfügung, um eine Mitgliederorientierung zu erzielen. Sie haben die Möglichkeit, durch Abwanderung, Widerspruch und Engagement die Ziele des Verbands entsprechend ihren Interessen auszurichten. Diese Möglichkeiten stehen einem Kunden in dieser Form nicht zur Verfügung.

Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass ein sehr enger Zusammenhang zwischen Kundenorientierung und Mitgliederorientierung besteht, allerdings unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Verbands und der Mitgliedsbeziehung.

Konzepte des Member Relationship Marketings

Als Basis für die Gestaltung der Mitgliederbeziehung lassen sich einige grundlegende Ansätze heranziehen. Erfolgt eine konzeptionelle Auseinandersetzung mit dem Member Relationship Marketing, sind zwei zentrale Denkkonzepte strukturleitend (in Anlehnung an Bruhn 2003, S. 7): das „Denken im Mitgliederbeziehungslebenszyklus“ und das „Denken in der Erfolgskette“. Unterstellt man einen Zusammenhang zwischen der Dauer der Beziehung zwischen Mitgliedern und Verbänden sowie der Intensität der entsprechenden Beziehung, so lässt sich ein dynamischer Charakter der Beziehung feststellen. Entsprechend Abbildung 1 kann ein idealtypischer Verlauf einer Mitgliederbeziehung in den Phasen Mitgliederakquisition, Mitgliederbindung und Mitgliederrückgewinnung unterschieden werden. Grundlage und Ausprägung der einzelnen Phasen des sog. Mitgliederbeziehungslebenszyklus ist dabei die Zufriedenheit der (potenziellen) Mitglieder mit dem Angebot und den Leistungen des Verbands (in Anlehnung an Klee 2000; Stauss 2000, Bruhn 2001). Als zweite konzeptionelle Grundlage für die Aktivitäten eines Member Relationship Marketings soll an dieser Stelle das Denken in der Erfolgskette (Heskett et al. 1997) dienen (vgl. Abbildung 2). Drei Glieder bestimmen die Grundstruktur einer Erfolgskette: Aktivitäten einer Organisation als Input (beispielsweise Mitgliederorientierung und Maßnahmen des Member Relationship Marketings), Wirkungen der Aktivitäten einer Organisation bei den Zielgruppen (beispielsweise Zufriedenheit mit dem Verband), Zielerreichung als Output der Organisation (beispielsweise Nutzung und Weiterempfehlung des Verbandsangebotes). Diese Glieder werden innerhalb der Erfolgskette miteinander inhaltlich verknüpft, sodass eine strukturierte Analyse und Maßnahmenableitung möglich ist. Jedoch stellt die Erfolgskette keinen „Automatismus“ dar, das heißt, externe und interne moderierende Faktoren beeinflussen die Kettenglieder sowie deren Zusammenhänge. Diese gilt es für den Verband kontrollierbar und in den Griff zu bekommen. Aufseiten der externen Faktoren kann beispielsweise das Image des Verbands dazu führen, dass trotz bestimmter Maßnahmen des Verbandsmarketings keine Erhöhung der Mitgliederzufriedenheit erreicht wird.

Einem idealtypischen Verlauf der Erfolgskette können mit den internen Faktoren weitere Punkte entgegenstehen. Beispielsweise führt die vertragliche Bindung der Mitglieder dazu, dass es sich für das einzelne Mitglied als unmöglich gestaltet, die Bindung an den Verband zu beenden, obwohl eine Unzufriedenheit des Mitglieds vorliegt. In diesem Zusammenhang lassen sich verschiedene Arten der Bindung an den Verband differenzieren, wie sie nachfolgend beschrieben werden.

Exkurs: Arten der Bindung an den Verband

Analog zu den verschiedenen Arten der Kundenbindung können drei verschiedene Arten der Bindung zwischen dem Verband und dem Mitglied differenziert werden (in Anlehnung an Homburg/Bruhn 2000, vgl. Abbildung 3): verbandsspezifische und fachliche Bindung: Aufgrund der Einzigartigkeit des Verbands ist ein Wechsel nicht uneingeschränkt möglich. Vertragliche Bindung: Die Zielgruppe wird im Rahmen von Verträgen (Mitgliedsvertrag) an den Verband gebunden. Ökonomische Bindung: Die Beziehung zum Verband wird so gestaltet, dass eine Abwanderung für die Zielgruppe ökonomisch unvorteilhaft erscheint. Emotionale Bindung: Die Zielgruppe wird über den Zufriedenheitsfaktor an den Verband gebunden. Ein Wechsel ist jederzeit möglich, unterbleibt aber aufgrund vorhandener Präferenzen.

Während die verbandsspezifische, die vertragliche und die ökonomische Bindung als „Gebundenheit“ bezeichnet werden kann, ist die emotionale Bindung als eine Art der „Verbundenheit“ zu verstehen. Wenn ein Mitglied sich dem Verband emotional verpflichtet fühlt und eine enge soziale Beziehung zum Verband pflegt, dürfte die Wahrscheinlichkeit für den Austritt sehr gering sein. Nagel (2006) hat für Sportverbände ermittelt, dass bei sehr hoher solidargemeinschaftlicher Einbindung, die sich durch Verbundenheit oder Identifikation mit dem Verband ausdrückt, die Mitglieder nur sehr selten über einen Austritt nachdenken und die dauerhafte Mitgliedschaft selbstverständlich ist.

Zusammenhang zwischen Mitgliederorientierung und Zielerreichung des Verbands

Zunächst kann davon ausgegangen werden, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen der Dauer und der Stärke der Mitgliedsbeziehung gibt: Je länger die Beziehung von einem Mitglied zu seinem Verband besteht, umso stärker wird die Beziehung zu dieser Organisation sein. Unabhängig davon wird die Bindung von Mitgliedern an den Verband jedoch nicht durch die Einführung einzelner Mitgliederbindungsinstrumente, wie beispielsweise eine Mitgliedskarte, erreicht, vielmehr sind die Erwartungen der Mitglieder aufgrund eines mitgliederorientierten Angebotes zu erfüllen und das Mitglied ist mit den Leistungen des Verbands zufriedenzustellen. Es wird somit ein positiver Zusammenhang zwischen Mitgliederorientierung und Mitgliederzufriedenheit unterstellt.

Der Begriff „Mitgliederzufriedenheit“ beschreibt dabei das Resultat eines komplexen Informationsverarbeitungsprozesses. Entsprechend dem Confirmation-Diskonfirmation-Paradigma erfolgt ein Abgleich zwischen den Erwartungen an die Mitgliedschaft im Verband (Sollleistung) und der subjektiven Wahrnehmung der Leistungen. Das Ergebnis dieses Vergleichs ist ein bestimmtes Niveau der Zufriedenheit und Unzufriedenheit des einzelnen Verbandsmitglieds. Stimmen die Erwartungen mit den wahrgenommenen Leistungen überein (Konfirmation und positive Diskonfirmation), entsteht Zufriedenheit, während bei negativer Diskonfirmation (Untererfüllung der Erwartungen) Unzufriedenheit die Folge ist.

Fällt die Bewertung des Mitglieds positiv aus oder werden seine Erwartungen sogar übertroffen, so hat dies Loyalität zum Verband zur Folge. Man spricht in diesem Fall auch von „Fans“ des Verbands. Ein zufriedenes Mitglied wird eine stärkere Beziehung zum Verband aufbauen und sich aus diesem Grund vergleichsweise seltener mit dem Verbandsaustritt beschäftigen als ein unzufriedenes Mitglied. Zudem fühlen sich zufriedene Mitglieder der Organisation stärker verpflichtet, sind resistenter gegenüber Konkurrenzangeboten anderer Verbände, engagieren sich möglicherweise stärker im ehrenamtlichen Bereich, können als „Botschafter“ für den Verband angesehen werden und haben eine wesentliche Funktion für die Mitgliederneugewinnung. Mitgliederzufriedenheit ist damit nicht nur entscheidender Faktor für die Entstehung von Bindung an den Verband, sondern auch für die Erreichung der übergeordneten Ziele des Verbands.

Die funktionale Beziehung zwischen Mitgliederzufriedenheit und Mitgliederbindung ist bereits seit einiger Zeit Gegenstand intensiver Diskussionen und Analysen. Im Mitgliederfocus Deutschland 2005, einer Studie, die die FORUM Marktforschung GmbH erstellt hat und bei der 7.070 Mitglieder aus 34 Organisationen telefonisch befragt wurden, konnte ermittelt werden, dass sehr zufriedene Mitglieder deutlich häufiger den Verband weiterempfehlen als unzufriedene Mitglieder.

Ein weiterer Indikator für diesen Zusammenhang konnte bei der gleichen Untersuchung mit der Frage „Warum sind Sie Mitglied geworden?“ gefunden werden. So sind 52 Prozent der Mitglieder in der entsprechenden Organisation mit der höchsten Mitgliederzufriedenheit aufgrund von Weiterempfehlung Mitglied geworden, während im Durchschnitt über alle befragten Mitglieder aller berücksichtigten Organisationen nur 17 Prozent über Weiterempfehlung den Weg zu der Organisation gefunden haben.

Insgesamt kann aus diesen Ergebnissen abgeleitet werden, dass Mitgliederzufriedenheit einen wesentlichen Einfluss auf die Zielerreichung des Verbands hat. Zudem werden auch eine hohe Partizipation der Mitglieder am Verbandsangebot sowie ein hohes ehrenamtliches Engagement durch eine starke Mitgliederbindung erreicht. Eine hohe Mitgliederzufriedenheit lässt sich im Verband vor allem durch eine hohe Mitgliederorientierung und damit ein Member-Relationship-Marketing erreichen. Die Orientierung an den Bedürfnissen und Erwartungen der Mitglieder ist damit ein konstitutives Element des Verbands und kann als wesentliche Erfolgsgrundlage angesehen werden.

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Autor/in

Marcus Stumpf

ist Professor für Betriebswirtschaft an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management sowie Vorstandsmitglied des Deutschen Institutes für Vereine und Verbände e. V. (DIVV). Der Verbandsexperte verantwortete u. a. jahrelang als Geschäftsführer die Markenführung und Vermarktung des zweitgrößten deutschen Sportverbandes. Heute ist er zudem als geschäftsführender Gesellschafter der Verbandsberatung relatio GmbH tätig.

https://www.divv.de

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