Work-Life-Balance, Leistung, Glück, Zeitnot, Unverbindlichkeit, soziale Erosion – die durchschnittliche Führungskraft im Kfz-Gewerbe muss nicht nur auf Dauer gute Arbeit leisten und über die normale Arbeitszeit hinaus verfügbar sein. Ihr soziales Umfeld und die Medien stellen zusätzlich Anforderungen in der Freizeit: körperliche Fitness, Urlaube mit der Familie an trendigen Orten, gute Freundschaften zu pflegen und kulturelle Bildung. Da ist die Frage schon angebracht, ob man diesen Menschen wirklich noch ein Ehrenamt „aufs Auge drücken“ möchte.
Um diese Frage wirklich beantworten zu können, muss zunächst betrachtet werden, wie ein ehrenamtliches Engagement von dem Betroffenen empfunden wird. Ist es eine weitere Anforderung, die zusätzlich Energie zieht, oder kann die Betätigung im Ehrenamt zu einer Energiequelle werden, die langfristig bereichert? Konsequent weitergedacht ergibt sich daraus, dass Ehrenamtsträger nicht sich selbst überlassen werden dürfen, sondern wie in jedem Unternehmen als Mitarbeiter geführt werden. Wem fällt diese Aufgabe zu? Dem Präsidium, den hauptamtlichen Geschäftsführern und Führungskräften. An drei Szenarien, die einen hohen Bezug zur Wirklichkeit haben, soll dieses verdeutlicht werden.
Szenario 1: ein Obermeister
Der Obermeister verbringt neben seinem beruflichen Alltag und familiären Verpflichtungen seine Zeit mit der Aufstellung des Haushaltsplans, Sponsorensitzungen und Schlichtungsverfahren unter zerstrittenen Mitgliedern. Wenn er spätabends seiner Frau über seine ehrenamtlichen Aktivitäten berichtet, stellt sie die nüchterne Frage: „Warum tust du dir das an?“ und er weiß keine Antwort. Beginnen dann zusätzlich gesundheitliche Probleme, gibt das den Ausschlag, die ehrenamtliche Tätigkeit endgültig aufzugeben. Dieses Beispiel zeigt, dass Ehrenamt leider zu einem Energieräuber geworden ist – und das möchte man sicherlich niemandem antun.
Überprüft man, wie dieser Obermeister bei seiner ehrenamtlichen Tätigkeit geführt wird, ist das Ergebnis schnell klar: Aufgaben werden zwar an ihn delegiert, es wird aber weder überprüft, ob ihm diese dauerhaft Zufriedenheit geben, noch wird für ausreichend Anerkennung aus der Gemeinschaft gesorgt.
Szenario 2: Sitzung des Prüfungsausschusses
Es ist 20.30 Uhr, die Mitglieder des Prüfungsausschusses für den praktischen Leistungswettbewerb sitzen in entspannter Atmosphäre in einem Golfclub an der deutschen Westküste. Zuvor haben die Prüfer die praktischen Aufgaben des Wettbewerbs für den nächsten Tag vorbereitet. Es ist ihnen ein großes Anliegen, den Besten des Jahrgangs optimale Bedingungen für den Wettbewerb zu präsentieren. Der Landesverband bedankt sich für ihr ehrenamtliches Engagement mit einem Abendessen in stilvollem Ambiente. Neben den fachlichen Aspekten der Prüfung gehen die Gespräche am Tisch über zu den Herausforderungen des beruflichen Alltags. Schließlich tauschen sich die Mitglieder des Ausschusses auch über private Themen aus. Selbst ein außen stehender Beobachter spürt sofort, dass dieser Abend für alle eine Bereicherung war. Daher verwundert es auch nicht, dass die Mitglieder dieses Kreises seit einigen Jahren immer wieder gerne ihre Freizeit dafür einsetzen, um diesen Wettbewerb für Nachwuchskräfte aus dem Kfz-Gewerbe durchzuführen. Dabei fällt auf, dass neue Mitglieder nicht nur schnell in diese gewachsene Gemeinschaft integriert werden, der Ausschuss hat darüber hinaus auch keine Probleme, junge Ehrenämtler zu rekrutieren. Teilweise muss noch nicht einmal um die Mitarbeit gebeten werden. Junge Kfzler bieten sogar initiativ ihre Mithilfe an.
In der Tat macht dieses Szenario eher Mut zum Ehrenamt. Dabei stellt sich allerdings eine weitere wichtige Frage: „Wie schafft man eine dauerhaft gute Atmosphäre, die sich bereichernd auf Ehrenamtsträger auswirkt?“ Anhand der Organisationsstruktur des Deutschen Kfz-Gewerbes soll diese Frage beantwortet werden.
Verantwortung, Freundschaft, Engagement für das Gemeinwohl: Die Stunde des Ehrenamts
Die Gesellenprüfung stellt den krönenden Abschluss der Berufsausbildung im Kfz-Gewerbe dar und wird traditionell von ehrenamtlichen Prüfern abgenommen. Jeder dieser Prüfer hat das Prüfungsverfahren als angehender Geselle selbst durchlebt und sowohl Gutes als auch Negatives aus dieser Zeit zu berichten. Üblicherweise folgen in den Jahren nach der Gesellenprüfung zunächst die berufliche Etablierung und zumeist die Gründung einer dauerhaften Partnerschaft bzw. einer Familie. In der folgenden Lebensphase (ab ca. 35 Jahren) fährt die Achterbahn des Lebens auf ruhigeren Gleisen. Das Erreichen von immer neuen und höheren Karrierezielen verliert dabei nach und nach an Reiz. So mancher Familienvater möchte gerne auf einer anderen Bühne präsent sein. Hier wird nicht das Stück „Erfolg um jeden Preis“ gespielt: Stattdessen bekommen Begriffe wie Verantwortung, Freundschaft, Engagement für das Gemeinwohl einen höheren Stellenwert. Jetzt ist die Stunde des Ehrenamts gekommen.
„Klassische Sozialkarrieren sterben aus“
Es ist bemerkenswert, dass viele Kfz-Innungen – per Gesetz für die Abnahme von Gesellenprüfungen zuständig – in der Lage sind, neue dynamische Mitglieder für diesen Ausschuss zu gewinnen. Gleichwohl weiß Zukunftsforscher Prof. W. Horst Opaschowski in seinem Buch „Deutschland 2030“ zu berichten, dass „klassische Sozialkarrieren, bei denen Mitgliedschaften, Ämter und Funktionen in Organisationen von den Eltern an die Kinder weitergegeben wurden, langsam aussterben“. An anderer Stelle erklärt der Wissenschaftler: „Jeder Mensch braucht eine Aufgabe. Das Gefühl, gebraucht zu werden, zählt mehr als Geld verdienen. Etwas Sinnvolles für sich und etwas Nützliches für die Gemeinschaft zu tun, verdient gesellschaftliche Anerkennung.“ Demnach müsste sich das Kfz-Gewerbe um ehrenamtlichen Nachwuchs im ehrenamtlichen Bereich keine Sorgen machen.
Ein Grundvoraussetzung für die langfristige Bindung der jungen dynamischen Ausschussmitglieder ist jedoch – wie eingangs erwähnt –, dass die ehrenamtliche Arbeit als Energiegenerator wahrgenommen wird. An dieser Stelle kommt der Faktor der professionellen Mitarbeiterführung durch die hauptamtlichen Mitarbeiter in den Innungsgeschäftsstellen und Landesverbänden wieder ins Spiel. Schwerpunkt ihrer Arbeit mit den Ehrenamtsträgern sollte der Transfer von der ehrenamtlichen Arbeit hin zu den Sinnfragen im sozialen Engagement sein. Aussagen wie „Du wirst bei uns gebraucht, hast neue lang anhaltende Freundschaften geschlossen und erweiterst deine Lebenserfahrung durch diese Tätigkeit. Diese Art der Lebensgestaltung gibt dir einen Sinn und du erhältst soziale Anerkennung, weil du der nächsten Generation den Weg ins Berufsleben ebnest.“ sind wichtig. Verbunden mit Lob und Anerkennung für das Geleistete, wird damit dem Ehrenamtler gezeigt, dass er einen Platz in der Gemeinschaft gefunden hat. Ein Platz, der mit dem reinen Geldverdienen nicht zu erreichen gewesen wäre.
Szenario 3: Ehrenamt von Kaufleuten
Ein Kfz-Unternehmer, der mehrere Autohäuser führt, kommt zur Vorstandssitzung seiner Innung. Er gibt dem Gesprächsverlauf eine prägende Note, ist daran interessiert, strategische Maßnahmen termingerecht umzusetzen. Natürlich genießt er auch die kollegialen Gespräche. Vornehmlich ist er jedoch eher an der Sache als am Menschen orientiert. Die Aufrechterhaltung von Tradition steht für ihn nicht im Vordergrund. Stattdessen steht für ihn der Nutzen einer Maßnahme im Fokus. Ihn interessiert vorrangig, dass die im Gremium getroffene Entscheidung zum Vorteil seines eigenen Unternehmens ist. Aus dieser Perspektive leitet er ab, was für die gesamte Innung von Nutzen sein müsste. Für ihn bedeutet die Innung vornehmlich eine Interessenvertretung, bei der die gemeinschaftlichen Belange eher in den Hintergrund treten. Ehrenamtliches Engagement bedeutet für diesen Unternehmer, innerhalb der Organisation den Platz einzunehmen, an dem er den höchsten Wirkungsgrad bei der Umsetzung seiner Ideen hat.
Wie führt ein Präsident oder hauptamtlicher Geschäftsführer einen ehrenamtlichen Mitarbeiter mit diesem Verhaltensprofil? Eine weitere Einladung zum Grünkohlessen und Stammtischatmosphäre werden diesen Menschen nicht in seinem ehrenamtlichen Engagement motivieren. Stattdessen sollte man seine strategischen Ansätze anerkennen und in kürzester Zeit umsetzen. Hierbei muss eine hohe Qualität erreicht werden. Über die Vorgänge in der Organisation möchte er stets auf dem neuesten Stand gehalten werden, ohne dass er viel Zeit in eine Rückmeldung investieren muss. Auch wenn er es sicherlich schätzt, wenn an „höherer“ Stelle über seine weisungsrichtende Idee lobend gesprochen wird, hat seine Loyalität der Organisation gegenüber auch Grenzen. Sollte er zu irgendeiner Zeit zu der Erkenntnis gelangen, dass ihm sein Engagement keinen weiteren Nutzen einträgt, wird er die ehrenamtliche Mitarbeit einstellen.
Gewinnung von ehrenamtlichen Mitarbeitern
Die Gewinnung von ehrenamtlichen Mitarbeitern hat im Verband des Kfz-Gewerbes Schleswig-Holstein e. V. eine lange Tradition. Ende der 80er-Jahre wurde eine revolutionäre Idee geboren: Junge Führungskräfte kamen regelmäßig zu Gesprächskreisen zusammen, bei denen ein Mentor betriebswirtschaftliche Zusammenhänge erläuterte. Daraus folgten Betriebsbesichtigungen bei den Junioren. Nach einer anfänglichen Euphorie wurde aus dem Juniorclub ein Treffen von wenigen Hartgesottenen. Am Ende blieben drei interessierte Führungskräfte übrig. Einer davon war der Vorsitzende.
Umdenken und eine neue Strategie waren gefragt, um junge Menschen auf Dauer für ehrenamtliches Engagement zu begeistern. Dieses war die Geburtsstunde der Herbstakademie auf Sylt. Zum ersten Treffen kamen 40 interessierte angehende Führungskräfte nach Kampen. Der Erfolg dieser Veranstaltung lebt von folgenden Rahmenbedingungen:
- Referenten beherrschen die hohe Kunst des Infotainments: Relevante Informationen werden rhetorisch geschickt präsentiert. Dabei haben die Vorträge keinerlei Werbebezug.
- Der Dialog mit den Teilnehmern wird gesucht.
- Verbandspolitische Aspekte bleiben im Hintergrund.
- Die Teilnahme an der Herbstakademie ist kostenfrei. Die entstehenden Kosten für die Location, das Catering und die Referenten werden von Partnern des Kfz-Gewerbes getragen.
- Der Veranstaltungsort ist bewusst exklusiv gewählt.
- Das Programm lässt Raum für eigene Freizeitaktivitäten wie Strandspaziergänge, anregende Gespräche und Wellness.
- Am Samstagabend treffen sich die Teilnehmer zum Essen, Schnacken und Feiern in der Alten Bootshalle von Gosch in List.
Dieses Konzept war von der ersten Stunde an ein Erfolg. Die Rate der Stammteilnehmer liegt bei etwa 65 Prozent. Nach kurzer Zeit beschloss der Zentralverband des Kfz-Gewerbes, dieses Junioren-Treffen für das gesamte Bundesgebiet zu öffnen. Seit Jahren kommen mehr als 200 Teilnehmer zu der Veranstaltung und sind durchweg begeistert.
Was bringt so eine Veranstaltung? Sie dockt an das Bedürfnis vieler junger Menschen nach Spaß, Gemeinschaft und Unverbindlichkeit an. Die Teilnehmer kommen also nicht nach Sylt, weil sie sich ehrenamtlich engagieren wollen. Allerdings werden diese jungen Führungskräfte nach und nach für die Marke der Kfz-Organisation aufgeladen. Die Zugehörigkeit zu dieser Organisation wird zu einem Image-Faktor. Das Resultat: mit schöner Regelmäßigkeit können sich Innungen und Landesverbände aus dem gesamten Bundesgebiet aus diesem Pool bedienen. Voraussetzung ist natürlich, dass diese Organisationsteile ein strategisches Ehrenamtsmanagement betreiben.
Nicht alle Teilnehmer an der Herbstakademie werden sich in der Zukunft ehrenamtlich engagieren. Anscheinend gibt es zusätzliche Persönlichkeitsfaktoren, die auf diese Tätigkeiten besonders anspringen. Daher wird in einem Folgeartikel das Verhaltensprofil von Menschen analysiert. Dieses lässt Rückschlüsse darauf zu, wie Menschen individuell für die ehrenamtliche Mitarbeit gewonnen werden können und eine dauerhafte Zufriedenheit erreicht wird. Die Betätigung im Ehrenamt soll also zur Energiequelle werden und langfristig bereichern.