Verbändereport AUSGABE 9 / 2005

Durchgriffshaftung bei Verbänden (Teil 1)

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Haften Vereinsmitglieder für die Schulden des Vereins mit ihrem Vermögen? Ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts Dresden wirft einige grundsätzliche Fragen zur Verbandsstruktur auf.

Der eingetragene Verein ist eine Rechtsform, die nur für ganz bestimmte ideelle – häufig in steuerlicher Hinsicht gemeinnützige – Zwecke vom Gesetzgeber vorgesehen ist. Diesen bei manchen Vereinen in Vergessenheit geratenen Grundsatz ruft das OLG Dresden in einer aktuellen Entscheidung vom 9. August 2005 (Aktenzeichen: 2 U 897/04) in Erinnerung und stellt damit manchen Großverein vor Probleme.

Neben kleineren Vereinen (Gesangsvereine, Nachbarschaftsvereine, kleine Sportvereine) sind nämlich in Deutschland traditionell besonders gemeinnützige Organisationen in der Rechtsform des eingetragenen Vereins organisiert, obwohl mit Fug und Recht behauptet werden kann, dass diese Verbände sowohl hinsichtlich Vermögen und Umsatzvolumen als auch als Arbeitgeber im Grunde Wirtschaftsorganisationen sind. Ob ein solcher Status quo noch mit den gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen des bürgerlichen Vereinsrechtes vereinbar ist, hatte das OLG Dresden in einem Fall zu entscheiden, der in der Verbandswirklichkeit sicherlich kein Einzelfall sein dürfte.

Der Sachverhalt: Was war passiert?

Verschiedene Körperschaften, die selbst entweder eingetragene Vereine oder so genannte nicht rechtsfähige Vereine sind, haben sich für den Bereich der Bildung in einem eingetragenen Verein zusammengeschlossen. In diesem Verein wollten die Mitgliedsverbände ihre – im Übrigen als gemeinnützig anerkannten – Aktivitäten als Bildungswerk bündeln. Zu diesem Zwecke erwarb man später eine Immobilie, die man auf einen geschlossenen Fond durch Bestellung eines Erbbaurechts übertrug, der die Immobilie umbauen ließ und danach wieder der Bildungsorganisation im Wege eines langfristigen Leasingvertrages gegen Leasinggebühren zur Nutzung als Bildungseinrichtung übertrug. Schon nach kurzer Zeit konnten jedoch die Leasinggebühren nicht mehr von dem Trägerverein geleistet werden, so dass dieser Insolvenz anmelden musste.

Die Fondsgesellschaft nahm sodann, nachdem von dem Verein aufgrund der Insolvenz keine Zahlungen mehr zu erwarten waren, die Vereinsmitglieder unmittelbar auf Zahlung bzw. Feststellung künftiger Zahlungspflicht in Anspruch, was im Ergebnis ein Klagevolumen von rund 4,3 Millionen Euro ausmachte.

Die Mitgliedsverbände des in Insolvenz gefallenen Vereins wiesen darauf hin, dass nach § 31 BGB ausschließlich der – insolvente – Verein für dessen Verbindlichkeiten aufzukommen habe und somit das bürgerliche Vereinsrecht nicht auf eine persönliche Haftung der Vereinsmitglieder zugeschnitten sei. Diesen Grundsatz hat das OLG Dresden in der mit über hundert Seiten sehr sorgfältig begründeten Entscheidung verworfen und eine Zahlungspflicht der Vereinsmitglieder dem Grunde nach angenommen. Die Begründung des Urteils dürfte in manchem Großverein mit wirtschaftlichen Aktivitäten für erhebliche Unruhe sorgen.

Haftung bei Missbrauch der Rechtsform des eingetragenen Vereins

Schon der Ansatzpunkt des OLG Dresden geht an die Wurzeln manches Großverbandes. Das OLG Dresden begründet nämlich seine Entscheidung damit, dass eine Haftung unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs der Rechtsform des eingetragenen Vereins bestehe. Der eingetragene Verein dürfe – so das OLG Dresden – im Schwerpunkt seiner Tätigkeit nur sog. ideelle Zwecke verfolgen. Verfolgt der Verein aber in der Wirklichkeit – und häufig auch im Widerspruch zu seinem satzungsmäßigen Zweck – in erheblichem Umfang wirtschaftliche Zwecke, so ist dies ohne staatliche Verleihung der Rechtsfähigkeit eines sog. wirtschaftlichen Vereins im Sinne des § 22 BGB unzulässig.

Wirtschaftliche Aktivitäten dürfen – so das OLG Dresden – nicht in der Rechtsform eines eingetragenen Idealvereins (§ 21 BGB) verfolgt werden. Das Vereinsrecht habe nämlich insbesondere den Aspekt des Gläubigerschutzes im Gegensatz zum Gesellschaftsrecht der Kapitalgesellschaften (GmbH, eingetragene Genossenschaft, Aktiengesellschaft) in zentralen Bereichen sehr weit herabgesenkt:

  • Das Vereinsrecht hat keine Vorschriften zur Aufbringung und Sicherung von Eigenkapital;
  • Mit Ausnahme des Vereinsregisters gibt es keine Publizitäts-, Bilanzierungs- und Prüfungspflichten für den eingetragenen Verein;
  • Die „Transparenz der Binnenstrukturen“ ist gegenüber Kapitalgesellschaften deutlich reduziert;
  • Dem Vereinsrecht sind konzernrechtliche Regelungen unbekannt.

Diese hinsichtlich des rechtlichen Rahmens im Vereinsrecht zutreffenden Feststellungen nahm das OLG Dresden zum Anlass, eine Durchgriffshaftung auf Vereinsmitglieder anzunehmen, da der in Insolvenz gefallene Verein nicht mehr dem Bild eines Idealvereins entsprach.

Grenzen wirtschaftlicher Aktivitäten eines Idealvereins

Zwar ist nicht jede wirtschaftliche Aktivität eines eingetragenen Vereins verboten. Diese muss sich jedoch im Rahmen des sogenannten Nebenzweckprivilegs halten. Danach sind allerdings nur solche wirtschaftlichen Tätigkeiten erlaubt, „die einer ideellen Zwecksetzung zu- oder untergeordnet sind und zu deren Verwirklichung als Hilfsmittel beitragen“.

Gemessen am Gesamtvolumen seiner Aktivitäten sieht das Gericht die wirtschaftlichen Aktivitäten als erheblich an, wenn rund ein Viertel des Umsatzvolumens des Vereins aus wirtschaftlichen Aktivitäten herrührt. Sind diese Grenzen überschritten, so liegt ein Missbrauch der Rechtsform eines eingetragenen Vereins vor: „Hat sich aber der KBS e.V. faktisch zu einem wirtschaftlichen Verein im Sinne von § 22 BGB entwickelt, sind für dessen Verbindlichkeiten die Beklagten zu 3.) bis 6.) (Vereinsmitglieder – d.V.) gesamtschuldnerisch eintrittspflichtig.“

Im entschiedenen Fall half den Vereinsmitgliedern auch nicht, dass der später insolvente Verein zahlreiche Tätigkeiten rechtlich in Gesellschaften (zumeist GmbH) verselbständigt hatte. So hatte der fragliche Verein die gemeinnützigen Aktivitäten und die hierfür unterhaltenen Zweckbetriebe in verschiedene gemeinnützige Gesellschaften eingebracht und diese unter einer gemeinnützigen „Zwischenholding-GmbH“ gebündelt und daneben seine – nicht gemeinnützigen – wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe unter einer zweiten „Zwischenholding-GmbH“ verselbstständigt. Diese in der Praxis sicherlich nicht eben seltene Struktur gerade im gemeinnützigen Bereich vergrößerte das Problem noch:

Das OLG Dresden hat nämlich die Tätigkeiten in den Tochter- und Enkelgesellschaften dem insolventen Trägerverein zugerechnet: „Wegen der fehlenden organisatorischen und ökonomischen Verselbstständigung der Beteiligungsgesellschaften muss dem als Vereinsholding fungierenden KBS e.V. die unternehmerische Betätigung der einzelnen Konzerngesellschaften im Rahmen der Abgrenzung zwischen Idealverein und wirtschaftlichem Verein zugerechnet werden.“

Nach den Feststellungen des Gerichts wurde zwar formal auf der gesellschaftsrechtlichen Ebene eine Verselbstständigung durch Gründung von Tochter- und Enkelgesellschaften durchgeführt. Diese wurde jedoch – und dies war das Verhängnis – nicht „gelebt“:

  • Durch diverse personelle Verquickungen in der Geschäftsführung der Tochter- und Enkelgesellschaften und der Leitungsebene des Trägervereins konnten die Aktivitäten zentral gelenkt werden;
  • Personelle Ressourcen (Arbeitnehmer) wurden innerhalb des Konzerns in intransparenter Weise, d.h. ohne buchhalterische Abgrenzung, hin und her verlagert;
  • Der Trägerverein unterhielt ein zentrales sog. Cash-Management für seine Untergliederungen.

Vereinsmitglieder sind zum Einschreiten verpflichtet

In einer solchen Situation nimmt das OLG Dresden die Mitglieder des Trägervereins in die Pflicht. Diese müssen darauf hinwirken, dass den „grundlegenden strukturellen Fehlentwicklungen durch nachhaltige Maßnahmen“ entgegengetreten wird, der Entwicklung hin zu einem – unzulässigen – wirtschaftlichen Verein also „wirkungsvoll Einhalt“ geboten wird.

Dabei kommt es auch nicht darauf an, dass die Vereinsmitglieder kraft satzungsmäßiger vereinsinterner Kompetenzver-teilung nicht über wesentlichen Einfluss auf die Geschäftsführung im Verein verfügen, letztere vielmehr vom Vorstand als Leitungsorgan wahrgenommen wird. Durch allgemeine Mehrheiten in der Mitgliederversammlung bestehen nämlich nach Meinung des Gerichts ausreichend Befugnisse und Einwirkungsmöglichkeiten.

Konsequenzen für die Verbandspraxis

Sollte die Entscheidung, die zur Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen wurde, so rechtskräftig werden, muss manche Struktur eines Großvereins, insbesondere im gemeinnützigen Sektor auf den Prüfstand, um später neben steuer- auch haftungsrechtliche Überraschungen zu vermeiden. Einerseits muss die Nachhaltigkeit und das Gewicht der ideellen Zweckausübung gerade in der Verbandswirklichkeit überprüft werden. Die bloße Festschreibung in der Satzung reicht jedenfalls nicht aus.

Andererseits sind Ausgründungen und die damit verbundene rechtliche Verselbstständigung von Tätigkeiten nicht unproblematisch. Insbesondere die im Verbandsbereich häufig anzutreffende Personalunion in verschiedenen Gremien sah das OLG Dresden als problematisch an.

(Anm. d. Red.: Welche Empfehlungen für die Struktur von Großverbänden und gemeinnützigen Organisationen aus dem Urteil des OLG Dresden gegeben werden können, soll im zweiten Teil des Beitrags untersucht werden, der in der nächsten Ausgabe des Verbändereport erscheint.)

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Autor/in

Ralf Wickert

ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuer- und Arbeitsrecht. Er ist Gesellschafter der Dornbach GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft mit den Tätigkeitsschwerpunkten gesellschaftsrechtliche, arbeits- und steuerrechtliche Beratung von Unternehmen und Verbänden. Autor mehrerer Fachbücher, u. a. des Praxishandbuches Verbandsrecht und des Praxishandbuches Datenschutz in Verbänden.

http://www.dornbach.de