Verbändereport AUSGABE 1 / 2001

„Dies war mein erster Eindruck von der Arbeitgeberseite, und er übertraf meine schlimmsten Befürchtungen.“

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Hans-Olaf Henkel war der „große Polarisierer“ und gewiss kein Zauder-Künstler auf dem Präsidentensessel des BDI. Sein Verdikt über die „Konsenssoße“ ist in das allgemeine Sprachgut übernommen worden. Das ist nicht folgenlos geblieben, wie die Berliner „Ruck“-Rede des früheren Bundespräsidenten Roman Herzog beweist – übrigens einer der wenigen Politiker, denen Hans-Olaf Henkel neben Wolfgang Schäuble uneingeschränkte Anerkennung zollt. Verbändereport druckt nachstehend einige markante Äußerungen Henkels zu Verbänden und Politik.

Henkel zum BDI

„Heute findet sich in Deutschland wohl kaum ein Verband, der ordnungspolitisch ähnlich sauber argumentieren würde wie der BDI. Wir sehen uns dabei in einer Reihe mit der Europäischen Zentralbank, dem Sachverständigenrat, dem Kieler Weltwirtschaftsinstitut oder der ‚Chicagoer Schule‘. Diese Gruppe von Ökonomen – ihr bekanntester Vertreter ist Milton Friedman – befürwortet seit Jahren die weltweite Liberalisierung und Privatisierung, dazu die Sanierung der Staatshaushalte, um eine freie Wettbewerbsgesellschaft zu ermöglichen.“

Henkel zum „Tarifkartell“

„Einer der schwersten Nachteile für die wirtschaftliche Entwicklung ergab sich bereits im Februar 1995. Damals unterschrieben Dieter Hundt und Walter Riester einen Flächentarifvertrag, der wie eine Bombe einschlug. Mich empörte nicht nur die Nonchalance, mit der uns der Arbeitgeberverband wieder einreden wollte, es handle sich um einen ‚maßvollen Abschluss‘; oder die Tatsache, dass der Abschluss zwar nach München verlegt, jedoch wie üblich zwischen den aus Stuttgart angereisten Hundt und Riester unter vier Augen ausgehandelt worden war, sondern überhaupt das ganze Ritual, mit dem die beiden „Kontrahenten“ morgens um 4.00 unrasiert und übernächtigt ins Blicklichtgewitter traten, um den „Durchbruch“ zu verkünden. Tyll Necker rief mich sofort aus Bad Oldesloe an: ‚Hans-Olaf, ich habe eben mal nachgerechnet - das ist unterm Strich ein zweistelliger Abschluss.‘ Offenbar führte die Arbeitgebervereinigung die Öffentlichkeit und die eigenen Mitglieder an der Nase herum. Tatsächlich gehört für Wirtschaftsfachleute der 95er Tarifvertrag – neben der 35-Stunden-Woche und dem Stufentarif Ost – zu den verheerendsten Abschlüssen, die der deutschen Wirtschaft in den vergangenen Jahren zugemutet wurden. … Dies war mein erster Eindruck von der Arbeitgeberseite, und er übertraf meine schlimmsten Befürchtungen.“

Henkel zur BDA

„Woher aber kommt diese Nachgiebigkeit und defensive Grundeinstellung der BDA? Im Gegensatz zum BDI sitzen in den Verbänden oft nicht die Unternehmensführer, die Gesamtverantwortung tragen, sondern häufig Personalchefs, die in ihren Betrieben auf die Unterstützung der Arbeitnehmerbank angewiesen sind, wenn sie nicht schon ihren Posten der Tatsache verdanken, dass sie die Unterstützung jener Seite genießen. Auch die Langzeitwirkung der Mitbestimmung in den Aufsichtsräten, die wir nun seit über 20 Jahren haben, trägt ihren Teil dazu bei, dass die BDA weit mehr auf Entgegenkommen als auf Selbstbehauptung eingestellt ist. Auf diese Weise beschädigt die Mitbestimmung indirekt auch die Rahmenbedingungen unserer Gesamtwirtschaft, mithin die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Gesellschaft.“

„Wie oft musste ich hören, ich sei nur ein verdeckter Lobbyist, ein bezahlter Funktionär, das Sprachrohr des Großkapitals. Oder ist da ein liberaler Glaubenskrieger, womit angedeutet wird, dass ich nicht der Vernunft, sondern gleichsam religiösen Dogmen folge. Der BDA ist kürzlich sogar der irrwitzige Einfall gekommen, ich gebe mich zwar als Gegner des großen Tarifkartells aus, sei in Wahrheit aber Befürworter vieler kleiner Betriebskartelle – als bedeute die Aufhebung eines Kartells automatisch die Schaffung anderer. Das ist zwar nicht logisch, setzt den Gegner aber dem Verdacht aus, ein falsches, zumindest unlogisches Spiel zu spielen.“

„Einigkeit unter den Verbänden hatten wir auch darüber erzielt, dass die Mehrwertsteuer nicht zur Finanzierung weiterer Sozialleistungen erhöht werden sollte. Plötzlich kam 1997 das Problem auf, dass die Rentenbeiträge angehoben werden sollten. Hinter den Kulissen machte sich die BDA mit großem Engagement dafür stark, dass man zur Finanzierung der Rentenbeiträge eben das unternehmen sollte, was wir eigentlich hatten vermeiden wollen, nämlich die Mehrwertsteuer zu erhöhen – womit sich die BDA wieder einmal der Notwendigkeit einer Reform (...) entgegengestellt hatte. (…) Man stelle sich vor: DGB-Chef Dieter Schulte unterschreibt gemeinsam mit dem neuen Chef der Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt, einen Brief, in dem der Bundeskanzler aufgefordert wird, den Mehrwertsteuersatz um 1 Prozent zu erhöhen, damit der Rentenbeitrag nicht steigt. In diesem Brief war von einem Hinweis auf eine gleichzeitige Reform des Rentensystems – wie wir es abgesprochen hatten – keine Rede. Ich halte diesen Brief nach wie vor für skandalös und das Ganze ist einer der empörendsten Vorgänge, die ich im Zusammenhang mit der BDA erlebt habe. Ich kann mir auch kein Land auf der ganzen Welt vorstellen, wo der Arbeitgeberverbandschef zusammen mit dem Gewerkschaftschef an den Regierungschef schreibt und um eine Erhöhung der Mehrwertsteuer bittet.

Übrigens habe ich keinen Beweis dafür, dass der Bundeskanzler dieses Brief bestellt hat. Aber man muss dazu wissen, dass in der BDA als Hauptgeschäftsführer ein CDU-Mann sitzt, der als Bundestagsmitglied einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Abgeordneten seiner Fraktion hat – und umgekehrt. (…) Als wir beim BDI von dem Brief erfuhren, war es bereits zu spät. In der Folge sank mein Vertrauen in die BDA und das ‚Bündnis für Arbeit‘ auf den Nullpunkt.“

„Ich kann mir auch kein Land auf der ganzen Welt vorstellen, wo der Arbeitgeberverbandschef zusammen mit dem Gewerkschaftschef an den Regierungschef schreibt und um eine Erhöhung der Mehrwertsteuer bittet.“

Henkel zum DIHT und ZDH

„Nicht nur mit Politikern, sondern mit allen Menschen, die in erster Linie ihren eigenen Job verteidigen, kann man nur schwer diskutieren. Ich würde auch keinen Streit mit dem DIHT um die Zwangsmitgliedschaft in der Handelskammer beginnen, oder mit dem Handwerksverband über Sinn und Unsinn des Meisterbriefs diskutieren – wo es um Eigeninteressen der Verbände und ihrer Repräsentanten geht, kommt man nicht weit mit vernünftigen Argumenten.“

Henkel zur Loyalität in der Wirtschaft

„Was mich, rückblickend, am meisten geärgert hat, waren nicht die Attacken von machtbewussten Gewerkschaftsbossen oder linken Wirtschaftsjournalisten; es waren auch nicht die Wutausbrüche von Politikern, die sich von mir auf den Schlips getreten fühlten – mich ärgerte vor allem die Bequemlichkeit und satte Selbstzufriedenheit vieler Leute in Industrie und BDA, also in den eigenen Reihen; mich ärgerte die unbegreifliche Illoyalität, mit der hinter meinem Rücken gegen unsere Ziele intrigiert wurde; mit welcher Selbstverständlichkeit sie es hinnahmen, dass wir vom BDI uns für unsere Überzeugungen einsetzten, während sie sich schlau im Hintergrund hielten, um nur ja im entscheidenden Augenblick auf der richtigen Seite zu stehen.“

„Statt uns zu unterstützen, hielten es Vertreter der Wirtschaft des Öfteren für angemessen, die Positionen des BDI zu schwächen. So hat der Steuersprecher des DIHT im Dezember 1998 öffentlich verkündet, dass die von Lafontaine geplante Mehrbelastung der Wirtschaft teilweise schon von der Regierung Kohl geplant gewesen sei – wozu also die ganze Aufregung. … Und warum unternahm er diesen Schritt? Offensichtlich, um sich für den Vorsitz in der Steuerkommission der Regierung zu bedanken. Klar, dass ein Bundeskanzler sich lieber mit Wirtschaftsführern umgibt, die ihm, wenn überhaupt, ganz vorsichtig und höchstens in kleiner Runde widersprechen.“

Hans-Olaf Henkel zu den Parteien

„Die Parteien haben unseren Staat fest im Griff und bedienen sich nach Belieben. Wenn ich im Ausland bin, treffe ich immer den dortigen Chef der Adenauer-Stiftung und dann den Chef der Friedrich-Ebert-Stiftung und es dauert nicht lange, dann taucht der Chef der Naumann‑ und bald auch jener der Böll-Stiftung auf, denn die Grünen haben jetzt auch ihre Stiftung, und die PDS hebt auch schon die Hand oder vielmehr: hält auch die Hand auf für eine Stiftung, die nach Rosa Luxemburg benannt ist. Denn der Staat bezahlt. … Aber auch hier wirkt das Kartell der Parteien, die über ihre gemeinsamen Pfründe allemal einen Konsens erzeugen und sich, ganz nebenbei, eine vom Staat bezahlte versteckte Parteienfinanzierung gönnen.“

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