Seit mehr als fünfzig Jahren hatten die Organisatoren und medizinisch-wissenschaftlichen Verbände bis auf wenige Ausnahmen keine großen finanziellen Probleme. Für die Pharmabranche und die medizinischen Gerätehersteller gab es für die direkte Unterstützung dieser Tagungen keinerlei Einschränkungen. Die Kongresse waren die eigentliche Marketing- und Vertriebsplattform. Bedingt durch die Beschränkungen des Arzneiwerbemittelgesetzes sind bis heute Tagungen die ideale Möglichkeit der direkten Ansprache von Ärzten
Folgen in der Pharmabranche
Seit mehr als fünfzig Jahren hatten die Organisatoren und medizinisch-wissenschaftlichen Verbände bis auf wenige Ausnahmen keine großen finanziellen Probleme. Für die Pharmabranche und die medizinischen Gerätehersteller gab es für die direkte Unterstützung dieser Tagungen keinerlei Einschränkungen. Die Kongresse waren die eigentliche Marketing- und Vertriebsplattform. Bedingt durch die Beschränkungen des Arzneiwerbemittelgesetzes sind bis heute Tagungen die ideale Möglichkeit der direkten Ansprache von Ärzten. Die Ärzte zu diesen Tagungen einzuladen, ihre Reise und Aufenthalt sowie den Kongressbeitrag zu erstatten, sie auf den großen und repräsentativen Ausstellungsständen zu betreuen und abends zum Galaabend bzw. Essen einzuladen, war das klassische Muster für jeden Pharmavertrieb. Den Veranstaltern wurden die Teilnehmer „geliefert“ und über die Ausstellungsmieten und die Durchführung von bezahlten Industriesymposien waren sie jeglicher finanzieller Sorgen entbunden. Im Gegenteil, wenn man es geschickt anpackte, blieb auch noch ein beträchtlicher Teil für die Verbandstätigkeit übrig.
Mit der Abhängigkeit und engen Verflechtung zwischen Verbänden und Industrie entstand mit der Zeit gegenüber der Öffentlichkeit ein nicht mehr zu durchschauendes Gebilde, das unzweifelhaft Kritiker auf den Plan rufen musste. Es gab und gibt noch heute verschiedene Ansätze aus der Politik, Gesellschaft und Medien sowie Kosten-träger, aber auch aus der Ärzteschaft selbst, die diese Intransparenz der Verflechtungen und Beziehungen immer mehr zum Anlass nehmen, die Verbände, aber auch die Industrie zu kritisieren. Das Ganze übrigens weltweit und in den einzelnen Nationen mal weniger, mal mehr, je nach Mentalität, ausgeprägt.
„Die Bitteren Pillen“
Begonnen hat die kritische Haltung Ende der Siebzigerjahre mit dem Buch „Die bitteren Pillen“. Die ersten Berichte über Seminare auf Kreuzfahrten, schönen Mittelmeerinseln oder im Winter in bekannten Schweizer Skigebieten waren Anlass für die Medien, die Art der Vertriebsstrategien an den Pranger zu stellen. Zur gleichen Zeit begann die Periode der unzähligen Gesundheitsreformen und Einsparrunden bei den gesetzlichen Kostenträgern. Die Verquickung, hier verschreibender Arzt, hier die im Wettbewerb befindliche Pharma-branche und der bis dato machtlose Kostenträger sowie die aufkommende Neidgesellschaft der Achtzigerjahre, führte zu einer explosiven Mischung.
Bei den wissenschaftlichen Verbänden selbst entwickelte sich aus dem Erfordernis der freien und unabhängigen Forschung und Lehre und durch den Druck, der auf die exklusive Stellung der Mediziner neidvollen anderen Fakultäten, parallel zu der oben beschriebenen Entwicklung, eine machtvolle Bewegung hin zur industriefreien und unabhängigen Forschung und Lehre. Dieses vor allem in den USA.
Die verschiedenen Strömungen und der mediale Druck konnten bei den nationalen wie supranationalen Regierungen und Gesetzgebern nicht ohne Wirkung bleiben. Hinzu kommt, dass diese ganz konkret gegen die immer höher steigenden Kosten im Gesundheitswesen ankämpfen mussten. So passte es natürlich hervorragend ins Bild, diese nicht transparenten Verflechtungen politisch anzuprangern.
Ebenfalls aus den USA kommend, wurde in den neunzigerjahren die gesetzliche Verpflichtung der Fort- und Weiterbildung der Ärzte eingeführt. Ein damals völlig neues Phänomen, dass für eine spezielle Berufsgruppe per Gesetz eine dauerhafte Fortbildung vorgegeben wurde.
Selbstbeschränkungs- und Überwachungsvereinbarungen
Um in vielen Ländern eine gesetzliche Regelung über die Beziehungen zwischen der Pharmabranche und dem einzelnen Arzt zu verhindern, haben die Branchenverbände eigene Selbstbeschränkungs- und Überwachungsvereinbarungen getroffen. Die schärfsten Bedingungen existieren in den USA.
Jeder Wissenschaftler muss bei jedem Vortrag seine Verbindungen zur Industrie offenlegen, und dies zum Teil bis zur Nennung der Höhe des erhaltenen Honorars. Bei wissenschaftlichen Kongressen sind Einladungen des einzelnen Teilnehmers durch die Industrie nicht mehr zugelassen. Tagungsbegleitende Industrieausstellungen werden nur noch bedingt akzeptiert, Firmensymposien innerhalb des wissenschaftlichen Programms verboten und sonstige Werbung ist verpönt.
Deutscher Pharmakodex
Der deutsche Pharmakodex ist noch einer der liberalsten. Er lässt bis zu einem gewissen finanziellen Rahmen die Einladung von Ärzten und die Übernahme von Reise-, Aufenthalts- und Tagungskosten zu. Die Beteiligung an tagungsbegleitenden Ausstellungen und die Durchführung von Industriesymposien sind – soweit sie im Tagungsprogramm speziell gekennzeichnet sind – durchaus zulässig. Eine aktuelle Befragung von Marketingvorständen aus der Pharmaindustrie zeigt deutlich auf, dass man auch in Zukunft die Absicht habe, diese Aktivitäten beizubehalten. Einzelne Pharmafirmen, vor allem die global orientierten, die seit diesem Sommer zum Beispiel auf die Einladung und die Übernahme der Kosten von Ärzten zu Kongressen verzichten, werden von der Masse der Branche noch als „Exoten“ betrachtet und belächelt.
Die Frage, die sich hier stellt, lautet: „Für wie lange noch“? Wird der gesellschaftliche Druck nicht immer stärker? Warum gibt es – ein Aspekt, der noch nicht erwähnt wurde – mehr als fünf Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften in Deutschland, die sich mit dem Thema der Vorteilsgewährung und der Bestechung der Ärzteschaft sowie der beamteten Kliniker und Forscher beschäftigen? Warum nimmt der Gesetzgeber dem Arzt die Verschreibungshoheit und verpflichtet ihn, nur noch die Wirkungsbestandteile eines Medikamentes zu verschreiben, und warum wird die Einkaufsmacht der Kostenträger immer mehr gestärkt? Der Druck auf die international verbundenen Forscher und Lehrer, Transparenz in den Beziehungen zur Industrie zu schaffen, wird von den auf Unabhängigkeit drängenden Universitäten verstärkt.
Sind das nicht klare Anzeichen für ein bald anstehendes gravierendes Veränderungsszenario bei der Durchführung medizinisch-wissenschaftlicher Kongresse? Die Schatzmeister machen sich über diese Veränderungen schon intensive Gedanken, wie die Zukunft und die finanzielle Durchführung dieser Tagungen zu sichern ist.
Um es deutlich hervorzuheben, in jeder Fakultät, in jedem Wissenschaftsbereich, soweit er am Ende in eine industrielle Anwendung mündet, wird eine vorbehaltslose Zusammenarbeit zwischen Forschung und Industrie notwendig sein. Beide sind, was ihren Erfolg betrifft, aufeinander angewiesen. Vielen Branchen ist eine vorbehaltslose und von der Gesellschaft anerkannte Symbiose gelungen. In der Medizin sollte und muss ein neues Verhältnis aufgebaut werden. Die Verquickung zwischen Vertrieb und Absatz und der wissenschaftlichen Zusammenarbeit muss beendet werden. Nicht nur der juristische Tatbestand der Vorteilsgewährung, sondern der mögliche Schluss, dass die Marketingkosten auf den Preis umgewälzt werden, macht es der Politik und damit der Gesellschaft immer schwerer, das andere notwendige Verhältnis des Wissensaustausches zwischen der praktizierenden Medizin und der Pharmabranche zu entkrampfen und als eine Selbstverständlichkeit und unabwendbare Notwendigkeit darzustellen.
Sponsoring bedeutet Geschäft auf Gegenleistung
Beide, die Vorstände und Mitglieder der Verbände und die Pharmaindustrie – die medizinische Geräteindustrie mit einbezogen –, müssen andere Wege gehen, als das Sponsoring weiterhin zu forcieren. Sponsoring bedeutet Geschäft auf Gegenleistung. Diese Gegenleistung wird immer kritischer angesehen. In nahezu jeder Mitgliederversammlung eines medizinischen Verbandes kommen kritische Stimmen auf, diese „Gegenleistungen“ abzuschaffen und Transparenz aufzuzeigen.
Der Arzt und die Arbeitgeber von angestellten Medizinern müssen lernen, für die Fortbildung und Ausbildung selbst – wie das in allen anderen Berufen schon lange der Fall ist – finanziell aufzukommen. Es kann nicht mehr selbstverständlich sein – wenn wie hier geschildert die Neutralität und Unabhängigkeit gefordert und als notwendig herausgestellt wird –, sich immer noch von der Industrie einladen zu lassen. Für die öffentliche Hand, die der größte Träger der Universitäts- bzw. kommunalen Kliniken ist, muss klar sein, dass sie wie jeder andere Arbeitgeber auch die Pflicht der Finanzierung der Fort- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter hat. Denn es kann nicht einzige Antwort und Methode sein, den Staatsanwalt Bestechungen untersuchen zu lassen und gleichzeitig aber das freundliche Geschenk der Industrie anzunehmen, die eigenen Mitarbeiter auf deren Kosten weiterzubilden.
Qualität der Tagungs- und Kongressprogramme
Die Folgen dieser Entwicklung auf medizinische Kongresse bedingen einander. Um vom Sponsoring unabhängig zu werden, müssen die Tagungsgebühren einen adäquaten Umfang zur Refinanzierung des Kongresses erreichen. Aus der Erfahrung reichen Tagungsgebühren zwischen 350 und 500 Euro. Diese Beträge sind noch weit von jenen in anderen Branchen verlangten Tagungsgebühren entfernt. Bei technischen oder betriebswirtschaftlichen Tagungen sind Gebühren zwischen 1.000 und 1.500 Euro und mehr keine Seltenheit. Die Höhe der Tagungsbeiträge bedingt allerdings einen weiteren wichtigen und in den Verbänden schwierig zu realisierenden Faktor. Dieser Faktor heißt Qualität des Kongress- bzw. Tagungsprogramms. Die große Anzahl und Vielfalt der Veranstaltungen lässt dem potenziellen Teilnehmer die Wahl. Der Vorteil und das Gütesiegel eines Verbandskongresses gelten nur so lange, wie der Preis niedrig ist. Steigt der Preis, wird der Verbraucher wählerisch und stellt Ansprüche. Die notwendige Qualität der Fakultät zu bieten und zu erfüllen, ist für einen Verband bei Weitem schwieriger als für einen unabhängigen Einzelveranstalter. Dieser kann seine Referenten selbst bestimmen und natürlich entsprechend honorieren. Beim Verband sind verbandsinterne Netzwerke und Strukturen zu berücksichtigen, die in vielen Fällen immer zum kleinsten Lösungsnenner führen, damit leidet aber auch die notwendige Qualität der Referenten. Darüber hinaus kann und möchte der Verband bis zum heutigen Zeitpunkt keine oder nur geringe Referentenhonorare bezahlen. Mit Ehre allein kann man die Spitzen der Wissenschaft nur noch bedingt verpflichten und motivieren.
Die Erfolge der privaten Anbieter zeigen auch bei der medizinischen Fortbildung deutlich auf, dass die Verbände in ihren jetzigen Strukturen in Zukunft, wenn die Preise angeglichen werden müssen, es erheblich schwerer haben, sich diesem Konkurrenzdruck zu stellen und diesen auch zu bestehen, und das gilt im Übrigen für alle Branchenverbände, nicht nur für die Mediziner.
Fazit
Zusammenfassend werden bei den medizinisch-wissenschaftlichen Kongressen in den kommenden fünf Jahren erhebliche Veränderungen zu erwarten sein. Veränderungen in Bezug auf die Beteiligung der Industrie, Verkleinerung von tagungsbegleitenden Ausstellungen, keine oder von der Tagung völlig separierte Industriesymposien, Verringerung der Teilnehmerzahlen, erhebliche Qualitätsverbesserung des Vortragsprogramms, bessere Ausrichtung des Programms auf die Wünsche und Anforderungen der potenziellen Teilnehmer, um die notwendigen Tagungsbeiträge zu rechtfertigen.